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Teil seines Gebiets an die Westgrenze Deutschlands [* 2] verlegt wurde, war für die künftige Haltung der preußischen Politik und die Entwickelung Deutschlands von den wichtigsten Folgen. Hessen-Darmstadt, Nassau, Baden [* 3] und Württemberg [* 4] blieben in den von Napoleon geschaffenen Grenzen. [* 5] Bayern [* 6] trat Tirol [* 7] und Salzburg [* 8] an Österreich [* 9] ab, behielt aber die althohenzollerischen Fürstentümer Ansbach [* 10] und Baireuth [* 11] und bekam Würzburg [* 12] und die Rheinpfalz; von der letztern abgesehen, bildete es fortan einen kompakten, wohlabgerundeten Staat. Österreich verzichtete auf seinen frühern Besitz am Oberrhein, erlangte aber (außer Tirol und Salzburg) Galizien, Illyrien, Dalmatien und Istrien [* 13] zurück und dazu das Lombardisch-Venezianische Königreich. Es gewann damit im mittlern Donaugebiet, zu beiden Seiten der Alpen [* 14] und in Italien [* 15] eine herrschende Stellung, die hier durch die Wiederherstellung seiner Sekundogenituren in Modena und Toscana verstärkt wurde.
Österreich zog sich aus Deutschland [* 16] möglichst zurück und gab damit zu erkennen, daß es auf eine unmittelbare Herrschaft über Deutschland durch Erneuerung der Kaiserwürde zu verzichten gesonnen sei. Diese ward in der That bei den Verhandlungen über die Deutschland zu gebende Verfassung ausgeschlossen, obwohl die kleinern deutschen Staaten sie ausdrücklich beantragten. Die größten Schwierigkeiten bereiteten in der deutschen Verfassungsfrage die Regelung des Verhältnisses der beiden deutschen Großmächte und der Widerspruch der größern Mittelstaaten, Bayerns, Württembergs und Hannovers, gegen jede starke Zentralgewalt.
Trotz seiner glänzenden Heldenthaten im Befreiungskrieg konnte Preußen [* 17] unmöglich auf die Hegemonie Anspruch machen; dem standen die Vergangenheit, nicht am wenigsten auch die preußische Politik 1795 bis 1806 und die Eifersucht der andern deutschen Dynastien entgegen. Mehr als eine Ehrenstellung wollte Preußen aber Österreich über sich nicht einräumen, da dieses die deutschen Interessen wirksam zu wahren und eine rein deutsche Politik zu treiben weder willens noch in der Lage war. Deutschland unter die Herrschaft von Österreich und Preußen zu teilen und den Dualismus damit zu verewigen, widerstrebte allen patriotischen Männern aufs äußerste. So kam man denn auf den Ausweg, die Rivalität der Großmächte dadurch abzustumpfen, daß man ihren Einfluß auf die Bundesgewalt verringerte, sie nur mit einem Teil ihres Gebiets in den Bund eintreten ließ und die Mittel- und Kleinstaaten mehr an der obersten Leitung beteiligte.
Hierdurch wurde das Streben der Mittelstaaten, die Befugnisse der Zentralgewalt möglichst zu verringern und den Bund zu einem bloß völkerrechtlichen Verein zu machen, begünstigt, und als Napoleons Landung in Frankreich zu einem schleunigen Abschluß drängte, begnügte man sich endlich, um nur etwas zu stande zu bringen, mit einem Minimum; selbst das Bundesgericht wurde in letzter Stunde fallen gelassen. Man tröstete sich damit, daß es besser sei, einen unvollkommenen Bund zu bilden als gar keinen, und daß derselbe keine Verbesserung ausschließe; die unbefriedigten Erwartungen der Nation werde die Zukunft erfüllen.
Der Deutsche Bund.
Die Bundesakte vom sagte in ihrem 1. und 2. Artikel: »Die souveränen Fürsten (die Könige von Bayern, Sachsen, [* 18] Hannover [* 19] und Württemberg, der Kurfürst von Hessen, [* 20] die Großherzöge von Hessen, Sachsen, Baden, Mecklenburg [* 21] und Oldenburg, [* 22] die Herzöge von Sachsen [4], von Anhalt [* 23] [3], Braunschweig [* 24] und Nassau, die Fürsten von Schwarzburg, [* 25] Reuß, [* 26] Lippe, [* 27] Hohenzollern, Liechtenstein [* 28] und Waldeck) [* 29] und die Freien Städte (Lübeck, [* 30] Bremen, [* 31] Hamburg [* 32] und Frankfurt [* 33] a. M.) mit Einschluß des Kaisers von Österreich und des Königs von Preußen, beide für ihre gesamten vormals zum Deutschen Reiche gehörigen Besitzungen, ferner der König von Dänemark [* 34] für Holstein, der König der Niederlande [* 35] für Luxemburg [* 36] vereinigen sich zu einem beständigen Bund, welcher der Deutsche [* 37] Bund heißen soll. Zweck desselben ist die Erhaltung der äußern und innern Sicherheit Deutschlands und der Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit der einzelnen deutschen Staaten.« Die Angelegenheiten des Bundes besorgte eine Bundesversammlung (Bundestag),
welche aus den Gesandten der Staaten bestand, in der Österreich den Vorsitz führte, und die in Frankfurt a. M. tagte (über ihre Geschäftsordnung s. den Art. »Deutscher Bund«). Streitigkeiten der Bundesglieder sollten durch Vermittelung des Bundes und, wenn diese fehlschlage, durch eine Austrägalinstanz beigelegt werden. In allen Bundesstaaten sollte eine landständische Verfassung bestehen, ebenso Gleichberechtigung der christlichen Religionsparteien. Als nächste Aufgaben der Bundesversammlung wurden die Abfassung der Grundgesetze des Bundes und dessen organische Einrichtung in Rücksicht auf seine auswärtigen, militärischen und innern Verhältnisse sowie Vereinbarungen über Preßfreiheit und Sicherstellung des Verlags- und Autorrechts und über Regelung des Handels und Verkehrs bezeichnet.
Unzweifelhaft ließ diese Akte viele berechtigte Wünsche der Nation, sowohl was Einheit als was Freiheit betraf, unbefriedigt und entsprach weder der geistigen Entwickelung des deutschen Volkes, das in dem mächtigen Aufschwung der schönen Litteratur und der Wissenschaften eine den ersten Kulturvölkern ebenbürtige Bildung und ein Anrecht auf freie und nationale politische Institutionen erworben hatte, noch den großen Opfern, die im Befreiungskrieg an Blut und Geld gebracht worden waren.
Dennoch war der Bund lebens- und entwickelungsfähig, wenn der gute Wille, welchen die Regierenden bei seiner Begründung bekundeten, auch in der Zukunft ernst und aufrichtig bethätigt wurde und die Stimme der Nation, wie sie sich in der Presse [* 38] und der Litteratur äußerte, die gebührende Berücksichtigung fand. Namentlich das Versprechen landständischer Verfassungen in den Einzelstaaten mußte ehrlich erfüllt werden. Dies geschah aber nur in wenigen Mittel- und Kleinstaaten, wie Sachsen, Weimar, [* 39] Baden, Bayern, Württemberg, vor allem nicht in Österreich und Preußen, obwohl der König Friedrich Wilhelm III. durch seinen Erlaß vom die Berufung von Reichsständen mit konstitutionellen Rechten ausdrücklich versprochen hatte.
Anfangs waren es die Schwierigkeiten der Neuorganisation der Verwaltung, welche die Ausführung des Versprechens in Preußen verzögerten. Bald aber machte sich der unheilvolle Einfluß reaktionärer, konterrevolutionärer Strömungen, welche von Österreich und Rußland mit Eifer unterstützt wurden, in Deutschland und Preußen immer mehr bemerkbar. Alle lebhaftern Äußerungen liberalen und nationalen Geistes von seiten der Männer der Wissenschaft und der studentischen Jugend wurden von den Häuptern der Reaktion in Preußen, Tzschoppe, Kamptz und Schmalz, von den österreichischen Staatsmännern Metternich und Gentz und von den russischen Agenten Kotzebue und Stourdza ausgebeutet, um die deutschen Regierungen einzuschüchtern, ihnen Furcht vor einer gewaltsamen Umwälzung einzujagen und sie ¶
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zu polizeilicher Unterdrückung aufzufordern. Görres' »Rheinischer Merkur« [* 41] ward verboten, der Tugendbund aufgehoben, und das Wartburgfest der Jenaer Burschenschaft wurde zum Anlaß genommen, Karl August von Weimar zur Wiedereinführung der Zensur und zur Beschränkung der studentischen Freiheit zu nötigen. Die Bekämpfung des sogen. revolutionären Geistes in seinen unschuldigsten Regungen war auf dem Aachener Kongreß (1818) ein Hauptgegenstand der Beratung der Monarchen.
Die Wiener Politiker, welche am liebsten in Europa [* 42] und in Deutschland eine Kirchhofsruhe hergestellt hätten, um ungestört ihrer epikureischen Genußsucht frönen zu können, benutzten namentlich die Ermordung Kotzebues durch einen Jenaer Studenten, K. L. Sand (1819), dazu, um deutsche Ministerkonferenzen nach Karlsbad (August 1819) zu berufen, welche sich über gewisse Beschlüsse gegen die Presse, die Burschenschaft, das Turnwesen und die Freiheit der Universitäten vereinigten. Diese Karlsbader Beschlüsse wurden vom Bundestag in einer einzigen Sitzung sämtlich bestätigt.
Während alle in der Bundesakte versprochenen Dinge, organische Bundeseinrichtungen, Grundgesetze, Sicherung der Freiheit der Presse und des Handels und Verkehrs, landständische Verfassungen u. dgl., seit 1815 nicht im geringsten gefördert worden waren, ward jetzt sofort eine Exekutivordnung für die Ausführung von Bundesbeschlüssen, welche die Sicherung der öffentlichen Ordnung bezweckten, beschlossen, die Überwachung sämtlicher Universitäten und eine strenge Zensur eingeführt und in Mainz [* 43] eine Zentraluntersuchungskommission gegen die demagogischen Umtriebe eingesetzt, die eine Menge meist schuldloser junger Leute verhaften ließ und jahrelang in Gefängnissen herumschleifte. Die gewissenhaften, aber rauhen preußischen Behörden verfuhren bei den Demagogenverfolgungen mit gehässigem Ungeschick. Männer wie Arndt, Welcker und Jahn wurden verhaftet und ihrer Ämter entsetzt.
Damit noch nicht zufrieden, bewirkte Metternich, stets getreulich von Preußen unterstützt, die Annahme der Wiener Schlußakte welche den Deutschen Bund zu einem völkerrechtlichen Verein zur Erhaltung innerer und äußerer Ruhe herabdrückte und den Bundestag zu einem bloßen Polizeiorgan der beiden deutschen Großmächte, hinter denen Rußland stand, machte. Selbst das Versprechen landständischer Verfassungen wurde dahin deklariert, daß in dem Staatsoberhaupt in seiner Eigenschaft als Souverän die gesamte Staatsgewalt vereinigt bleiben müsse und dasselbe nur hinsichtlich der Ausübung bestimmter Rechte an die Mitwirkung der Stände gebunden sei, sowie daß keiner der Fürsten durch die Verfassung an der Erfüllung seiner bundesmäßigen Pflichten behindert werden dürfe.
Die süddeutschen Staaten, in welchen sich ein konstitutionelles Leben in den Landtagen entwickelt hatte und ein liberaler Geist herrschte, namentlich Württemberg, suchten sich den Karlsbader Beschlüssen zu entziehen und eine freisinnige Haltung gegen Presse, Vereinswesen und Universitäten zu bewahren. Sie mußten sich zwar dem Druck der Mächte fügen, rechtfertigten aber durch ihr Auftreten nachträglich ihre unpatriotische Opposition auf dem Wiener Kongreß gegen eine starke Zentralgewalt.
Denn nun sah ja die Nation, wie eine solche nicht zur Begründung eines einheitlichen Staatswesens, sondern nur zur Unterdrückung der Freiheit verwendet wurde, und mußte froh sein, daß die Staaten noch genug Selbständigkeit gerettet hatten, um der Polizeiwillkür einige Schranken zu ziehen. Der Bundestag verfiel seitdem der gerechten allgemeinen Verachtung, und von ihm hoffte man nichts mehr. Die Masse des Volkes ging damals allerdings noch ganz in den Sorgen des täglichen Lebens auf, in der Heilung der Kriegswunden durch gesteigerte gewerbliche und kommerzielle Thätigkeit, und das Nationalgefühl machte bei ihr wenig Fortschritte. Die gebildeten Kreise [* 44] aber, die geistigen Führer Deutschlands, richteten ihre Aufmerksamkeit vor allem auf die Erringung der Freiheit und nahmen sich ein Vorbild an den französischen Liberalen, deren Bestrebungen und Ideen namentlich in Süddeutschland maßgebend wurden.
Die Pariser Julirevolution von 1830 gab denn auch in Deutschland den Anlaß zu einer liberalen und unitarischen Bewegung. In Braunschweig wurde der Herzog Karl, der sein Land durch eine tolle Mißregierung aufs äußerste gereizt hatte, vertrieben und im Oktober 1832 eine neue, freisinnigere Verfassung proklamiert. Der Kurfürst Wilhelm II. von Hessen wurde gezwungen, seinen Sohn zum Mitregenten anzunehmen und die seit 14 Jahren nicht versammelten Landstände zu berufen, welche eine liberale Verfassung zu stande brachten.
Auch in Sachsen wurde durch Unruhen in verschiedenen Städten die Einsetzung eines freisinnigen Ministeriums und der Beginn von Reformen veranlaßt. In Hannover endlich wurde das ständisch-aristokratische Grundgesetz von 1819 durch ein echt konstitutionelles ersetzt (1833). Im badischen und hessen-darmstädtischen Landtag wurden Anträge auf Berufung einer deutschen Nationalrepräsentation eingebracht. Die reaktionären Staatsmänner gerieten schon in die höchste Unruhe, als zwei unkluge Ausschreitungen, welche durch das Vordrängen unreifer republikanischer und revolutionärer Elemente herbeigeführt wurden, das Hambacher Fest und das ganz kopflose Frankfurter Attentat einiger Studenten gegen den Bundestag ihnen den Vorwand gaben, von Bundes wegen mit scharfen Polizeimaßregeln gegen den Liberalismus einzuschreiten.
Der Bundestag faßte 28. Juni und mehrere von Metternich diktierte Beschlüsse, wonach die Regierungen verpflichtet wurden, nichts zu dulden, was den Beschlüssen des Bundestags zuwiderlaufe, und der Bund sich selbst das Recht vorbehielt, gegen revolutionäre Bewegungen unaufgefordert mit bewaffneter Hand [* 45] einzuschreiten; Steuern, zur Deckung von Bundeskosten bestimmt, sollten die Landstände gar nicht verweigern dürfen. Alle Vereinigungen politischen Charakters und alle Volksversammlungen wurden verboten und die existierenden liberalen Zeitungen unterdrückt. 1833-34 wurden wieder Ministerkonferenzen in Wien [* 46] abgehalten, die trotz des Widerspruchs mehrerer mittelstaatlicher Vertreter beschlossen, daß den Ständeversammlungen das Steuerverweigerungsrecht überhaupt nicht zustehe, die Zensur auf die Veröffentlichung der ständischen Verhandlungen ausgedehnt, diese auf die Beratung innerer Angelegenheiten beschränkt, die Universitäten einer noch strengern Kontrolle unterworfen, endlich zur Ausrottung des Demagogentums eine neue Zentraluntersuchungskommission in Frankfurt eingesetzt werden sollte. Wieder wurden ein paar Hundert ältere (Jordan und Weidig), besonders aber junge Männer in die Verbannung getrieben oder durch Verurteilung zu langer Festungshaft unglücklich gemacht. Den Handwerksgesellen wurde das Wandern in die Schweiz, [* 47] nach Frankreich und Belgien verboten, damit sie nicht vom Liberalismus angesteckt würden. In Baden mußte ¶