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welches durch rechtzeitigen Abfall von Preußen [* 2] und Beitritt zum Rheinbund sich den Königstitel und das Großherzogtum Warschau [* 3] verdiente. Die ganze deutsche Nord- und Ostseeküste wurde der Kontinentalsperre unterworfen und damit der Handel der Seestädte völlig vernichtet.
Napoleon standen jetzt die militärischen und finanziellen Kräfte der deutschen Staaten zur unbedingtesten Verfügung. Die Rheinbundstruppen bluteten in Spanien, [* 4] Italien [* 5] und Polen für den Eroberer; in diesen Kämpfen teilte sich ihnen die kriegerische Tüchtigkeit der französischen Armee mit, aber der Ruhm ihrer Thaten wurde ihnen durch ihre Zersplitterung unter französische Befehlshaber entzogen, und ihre furchtbaren Verluste erschöpften die Menschenkraft ihrer Heimat.
Napoleon forderte von seinen Vasallen wiederholt ansehnliche Kriegskosten und behielt sich auch in mehreren eroberten Gebieten vor ihrer Abtretung an die Rheinbundstaaten die Staatsdomänen vor, um seine Generale und Minister damit zu dotieren. Dennoch ließen sich angesehene Deutsche, [* 6] wie Johannes v. Müller, von der gewaltigen Erscheinung des neuen Cäsar hinreißen; sie verzichteten auf ihre Nationalität, um in dem neuen Weltreich, das höhere Geistesbildung, freie Entwickelung aller Kräfte und eine vernünftige Staatswirtschaft in Aussicht stellte, zur Erfüllung dieser Zwecke mitzuwirken.
In der That brachte Napoleons Herrschaft, die gleich einem eisernen Besen allen Kehricht der alten Zeit neben dem historisch Ehrwürdigen und Erhaltenswerten wegfegte, manche gesunde Neuerung mit sich. Nach französischem Vorbild wurde in den Rheinbundstaaten die Finanz- und Justizverwaltung vereinfacht und verbessert, die Militärverfassung reformiert, die alten ständischen Unterschiede beseitigt, der Besitz der Toten Hand, besonders der Klöster, eingezogen und dem freien Verkehr und höherer Kultur eröffnet, durch Aufhebung der Verkehrsschranken und Linderung des Zunftzwanges der Aufschwung der Gewerbe befördert.
Nur die sittlichen Kräfte des Volkes wurden nicht gehoben, vielmehr erstickt durch den rücksichtslosen Despotismus der Machthaber, durch die Korruption und die Frivolität der höhern Volksschichten, durch die schnöde Selbstsucht und sklavische Gesinnung aller. Mit triumphierender Freude wurden in Dresden, [* 7] München [* 8] und Stuttgart [* 9] die erschütternden Schicksalsschläge, die Preußen vernichteten, aufgenommen. In Bayern [* 10] verleugnete man seine deutsche Abstammung und rühmte sich der keltischen.
Auf dem Erfurter Kongreß 1808 erschöpfte sich das »Parterre von Königen« in knechtischer Unterwürfigkeit gegen den allmächtigen, rohen Emporkömmling. Wie gedemütigt Preußen auch war, wie ängstlich es jeden Anlaß vermeiden mußte, der Napoleon zu seiner völligen Vernichtung Gelegenheit geboten hätte, vor der Schmach des Rheinbundes blieb es bewahrt, und unberührt durch Nachahmung der Franzosen durfte es seine nationale Wiedergeburt unternehmen, die, geleitet von großen, hochgesinnten Männern, wie Stein, Hardenberg, W. v. Humboldt, Schön, Niebuhr, Scharnhorst, Gneisenau, Grolman, York, Arndt, Fichte [* 11] u. a., sich nicht bloß auf die Reform des Staats und seiner Institutionen, sondern auf eine sittliche Erneuerung des Volksgeistes, auf die Wiederbelebung und Vertiefung der alten preußischen Tugenden, der Vaterlandsliebe, der Tapferkeit, Arbeitsamkeit und Mäßigkeit, erstreckte. So tief der Fall Preußens [* 12] gewesen war, so schwer der Druck des unversöhnlichen Siegers auf ihm lastete, ebenso gründlich und vollständig war auch die Heilung. Beschränkt auf die Hälfte seines Gebiets, gezwungen, sein stehendes Heer auf 42,000 Mann zu reduzieren ohne Geld, fortwährend mit dem Untergang bedroht, gestalteten die preußischen Staatsmänner Preußen zu einem modernen Staat um, der allen geistigen, sittlichen und materiellen Kräften freie Bethätigung gewährte und sie alle zu intensiver Wehrkraft zusammenfaßte.
Auch Österreich [* 13] hatte im Preßburger Frieden die Freiheit selbständiger innerer Reformen behalten und unter dem Impuls eines freisinnigen und deutschpatriotischen Ministers wie Stadion, welcher den Staat in josephinischem Geist zu reorganisieren begann, einen überraschenden Aufschwung genommen. Erzherzog Karl schuf das Heer zu einem neuen, in Führung, Bewaffnung und patriotischer Gesinnung tüchtigen Ganzen um und brachte durch Errichtung einer Landmiliz das österreichische Heeresaufgebot auf die Höhe von 500,000 Streitern.
Die Erinnerung an frühere glänzende Zeiten tauchte in Österreichs Volk und Heer auf, das Beispiel Spaniens, das sich mutig gegen die französische Tyrannei erhob, reizte zur Nacheiferung. Der alte Kaiserstaat, der einst Deutschlands [* 14] Krone getragen, ergriff begeistert das Banner der deutschen Sache und stellte sich an die Spitze der deutschen Erhebung. Während in Tirol [* 15] das Volk sich gegen die Fremdherrschaft empörte, rückte Erzherzog Karl 1809 von Böhmen [* 16] aus in Bayern ein.
Aber wiederum kam Napoleon den Österreichern in Süddeutschland zuvor. Die Österreicher waren noch nicht über den Lech vorgedrungen, als er schon auf dem rechten Rheinufer stand, die Rheinbundstruppen an sich zog und die zersplitterte österreichische Armee in einer Reihe blutiger Gefechte bei Regensburg [* 17] (19.-23. April 1809) zum Rückzug nach Böhmen zwang. Am 13. Mai zog Napoleon zum zweitenmal siegreich in Wien [* 18] ein. Allerdings erlitt er bei seinem Angriff auf die Österreicher nördlich von Wien bei Aspern [* 19] (21. und 22. Mai) eine blutige Niederlage. Die gehoffte Erhebung Deutschlands blieb aber aus. Preußen wagte es nicht, seine Existenz durch eine Kriegserklärung aufs Spiel zu setzen; der Feuergeist Stein, der den König vielleicht trotz seiner berechtigten Bedenken zum Kampfe fortgerissen hätte, war auf Napoleons Befehl verbannt. Die vereinzelten Versuche Schills, des Herzogs Friedrich Wilhelm von Braunschweig [* 20] und Dörnbergs, das deutsche Volk selbst zu einem Aufstand zu bewegen, blieben erfolglos. So war Österreich auf seine eignen Streitkräfte angewiesen, und diese erlagen, da Erzherzog Karl den Sieg von Aspern nicht zu benutzen verstand, 5. und 6. Juli der mörderischen Schlacht bei Wagram [* 21] der überlegenen Feldherrnkunst Napoleons. Österreich schloß 12. Juli den Waffenstillstand von Znaim und 14. Okt. den Wiener Frieden. Sein heldenmütiger Versuch kostete ihm Illyrien, Salzburg [* 22] und Galizien; Tirol wurde dem Sieger preisgegeben. Kaiser Franz lenkte nun ganz in die Bahnen der alten Kabinettspolitik ein, welche der an die Spitze der Regierung berufene Graf Metternich mit kühler List und überlegener Schlauheit leitete. Durch die Vermählung der Kaiserstochter Marie Luise mit Napoleon schien sich Österreich den französischen Bundesgenossen anreihen zu wollen. Seine Finanzen waren so erschüttert, daß damals der Staatsbankrott ausbrach. Metternichs zuwartende Politik war also wohl begründet, um so mehr, da die Österreicher wohl Begeisterung, aber nicht die zähe, nachhaltige Opferfreudigkeit entwickeln konnten, welche ein Befreiungskampf erfordert hätte. ¶
Mitteleuropa beim Beginn der Freiheitskriege im Jahre 1813.
E | Französisches Fürstentum Erfurt. |
FR | Zum Großherzotum Frankfurt gehörig. |
HE | Zum Großherzotum Hessen gehörig. |
HO | Fürstentümer Hohenzollern (Hechingen und Sigmaringen). |
I | Fürstentum Isenburg. |
K | Französische Niedere Grafschaft Katzenellnbogen. |
L | Fürstentum Von der Leyen. |
LI | Fürstentum Liechtenstein. |
LP | Fürstentum Lippe-Detmold und Schaumburg-Lippe. |
LU | Vereinigte Fürstentümer Lucca und Piombino. |
R | Fürstentümer Reuß (ältere und jüngere Linie). |
S | Seinedepartement. |
SB | Fürstentümer Schwarzburg-Rudolstadt und Sondershausen. |
SA | Zu Sachsen gehörig. |
W | Fürstentümer Waldeck und Pyrmont. |
WE | Zu Westfalen gehörig. |
Zum Artikel »Deutschland«. [* 25] ¶
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Die Gewaltthätigkeit und Willkür, mit denen Napoleon nun in Deutschland schaltete, überstieg alle Grenzen. [* 27] Mit einem Federstrich wurden ganze Länder vertauscht und verteilt. Dalbergs, des Kurerzkanzlers, Besitz wurde zu einem Großherzogtum Frankfurt [* 28] abgerundet. Bayern erhielt Salzburg, mußte aber dafür andres abtreten. Das Großherzogtum Berg ward nach Murats Ernennung zum König von Neapel [* 29] so gut wie eine französische Provinz. Um die Kontinentalsperre gegen England erfolgreicher aufrecht zu erhalten, wurden das nördliche Hannover, [* 30] Oldenburg, [* 31] Bremen, [* 32] Hamburg [* 33] und Lübeck [* 34] in französische Departements verwandelt.
Die Truppenkontingente u. Kriegskontributionen, welche die Rheinbundstaaten zu liefern hatten, stiegen zu einer Höhe, welche die Kräfte auch der reichern Lande erschöpfen mußte. Dazu kam das Joch geistiger Knechtschaft, mit welchem die Franzosen Deutschland bedrückten, die Knebelung der Presse [* 35] und des Buchhandels durch die strenge Zensur, das Spioniersystem, die Verletzung des Briefgeheimnisses wie der persönlichen Freiheit friedlicher Bürger. Aber der ungeheuern Allgewalt gegenüber verzweifelte fast jedermann an der Möglichkeit erfolgreichen Widerstandes.
Als 1812 der Krieg Frankreichs mit Rußland ausbrach, mußten sowohl Preußen als Österreich Hilfstruppen stellen, ersteres außerdem den Durchmarsch der Großen Armee durch sein Gebiet gestatten und die Verpflegung übernehmen, welche die letzten Kräfte des Landmanns verzehrte. Unter den 600,000 Mann, welche Napoleon über die russische Grenze führte, waren 200,000 Deutsche, die in der Katastrophe der Großen Armee zum großen Teil ihren Untergang fanden.
Aber diese Katastrophe gab auch das Signal zur rettenden That, zur Erhebung Preußens (s. Deutscher Befreiungskrieg), mit der Konvention von Tauroggen begann, welche der preußische General York mit den Russen abschloß. Ihr folgten das preußisch-russische Bündnis (28. Febr.), Friedrich Wilhelms III. »Aufruf an mein Volk« (17. März) und die Proklamation von Kalisch [* 36] (25. März). Die Übermacht des ehrgeizigen Eroberers, das verkündeten die Alliierten als ihr Ziel, sollte gebrochen, Preußens Machtstellung wiederhergestellt und auch das Deutsche Reich von neuem errichtet werden; alle deutschen Männer wurden aufgefordert, sich der heiligen Sache des Vaterlandes und der Menschheit anzuschließen, und die deutschen Fürsten, welche noch ferner der Fahne des Landesfeindes folgen sollten, mit Verlust ihrer Herrschaft bedroht. In der That rechneten die Verbündeten beim Beginn des Befreiungskriegs auf einen allgemeinen Aufstand in Deutschland. Die Lützowsche Freischar, aus den edelsten Jünglingen zusammengesetzt, war bestimmt, ihn überall anzufachen und den Kern der deutschen Volksbewaffnung zu bilden. Jedoch das Verhalten von Regierung und Volk in Sachsen [* 37] bewies, daß diese Erwartung eine trügerische war. Außerhalb Preußens und der früher altpreußischen Gebietsteile fehlte es der Bevölkerung [* 38] an hervorragenden Führern wie an der eignen Kraft [* 39] und Entschlossenheit, alles an alles zu setzen, um die Freiheit wiederzuerlangen. Der harte Druck der despotischen Regierungen hatte allen selbständischen Willen ertötet; Nationalstolz war früher nicht vorhanden gewesen und konnte in den Rheinbundszeiten sich nicht bilden. Die deutschen Fürsten blieben aber der französischen Sache aus Eigennutz und Furcht treu. Dazu kam der unglückliche Verlauf des russisch-preußischen Feldzugs, der trotz heldenmütiger Tapferkeit nach den Niederlagen von Großgörschen (2. Mai) und Bautzen [* 40] (20. und 21. Mai) mit dem Zurückweichen der verbündeten Armee nach Schlesien [* 41] endete. Die einzige Hoffnung auf Erfolg beruhte auf dem Anschluß Österreichs, und wenn auch im zweiten Teil des Kriegs von 1813 die preußischen Heere durch die geniale Kühnheit ihrer Feldherren und durch den Opfermut und die Ausdauer der Soldaten weitaus das meiste leisteten, so dankte man den endlichen Sieg bei Leipzig [* 42] doch wesentlich dem Beitritt Österreichs. Aber er ward auch teuer erkauft. Die diplomatische Leitung nahm nun Metternich in die Hand, [* 43] und sein Ziel war nicht die Wiederherstellung des Deutschen Reichs in früherm Glanz und alter Herrlichkeit, sondern die Vergrößerung Österreichs und die Begründung seines Übergewichts in Deutschland und Italien. Von der Proklamation von Kalisch war nun nicht mehr die Rede. In den Verträgen, die Metternich mit den von dem gestürzten Weltherrscher abgefallenen Rheinbundstaaten schloß, wurden ihnen die Integrität ihres Gebiets und ihre Souveränität garantiert. Um Preußens Macht nicht übermäßig anschwellen zu lassen, hemmte er in entscheidenden Momenten seinen Siegeslauf durch Friedensverhandlungen, welche zum Glück Napoleons verblendeter Trotz stets scheitern machte. Die Ströme deutschen Blutes, mit denen 1813 und 1814 der deutsche und französische Boden getränkt wurde, vermochten bloß Deutschland von der Fremdherrschaft zu befreien, aber nicht einen starken deutschen Staat zu schaffen. Im ersten Pariser Frieden behielt Frankreich die Grenzen von 1792 mit Landau [* 44] und dem Saarbecken. Selbst nach dem neuen Krieg, der 1815 mit Napoleons Rückkehr von Elba ausbrach, und nach dem glänzenden Sieg von La Belle-Alliance erhielt Deutschland Elsaß und Deutsch-Lothringen nicht zurück, weil Rußland und England es aus Eifersucht gegen die deutschen Mächte nicht zugaben. Nur Landau und das Saargebiet mußte Frankreich abtreten.
Die territoriale Gestaltung und die Verfassung Deutschlands gehörten zu den schwierigsten Fragen, welche der seit in Wien versammelte Kongreß der Mächte zu beraten hatte. Von einer Wiederherstellung der durch den Reichsdeputationshauptschluß vernichteten geistlichen Staaten ward ebenso abgesehen wie von der Restitution der mediatisierten Stände in ihre reichsunmittelbare Freiheit. Vielmehr wurde der Stand der Dinge bei Auflösung des Reichs 1806 zu Grunde gelegt.
Die vertriebenen norddeutschen Fürsten, der zum König erhobene Kurfürst von Hannover, die Herzöge von Oldenburg und Braunschweig, der Kurfürst von Hessen, [* 45] traten wieder die Regierung ihrer Lande an. Preußen ergriff ohne Widerspruch von seinen alten Landen links der Elbe wieder Besitz; nur Hildesheim, [* 46] Goslar [* 47] und Ostfriesland trat es an Hannover ab. Auch Großpolen (Posen) [* 48] erhielt es zurück. Für die Erwerbung der dritten polnischen Teilung, Neuostpreußen mit Warschau, welches Rußland für sich verlangte, beanspruchte Preußen Sachsen, dessen König in Leipzig als Kriegsgefangener in die Hände der Verbündeten gefallen und dessen Land von diesen in Besitz genommen worden war.
Der Neid Österreichs sowie die Ränke Englands und Frankreichs bewirkten jedoch, daß es bloß den nördlichen, zwar größern, aber ärmern und dünner bevölkerten Teil erhielt, das südliche als Königreich unter der alten Dynastie bestehen blieb. Dafür wurden Preußens westliche Lande durch Jülich, Berg, die Stifter Köln, [* 49] Trier [* 50] u. a. erheblich vergrößert und abgerundet, wenn auch nicht mit dem Osten verbunden, und Neuvorpommern erworben. Daß Preußen für Polen durch deutsche Lande entschädigt und ein großer ¶