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empörendsten Herausforderung Deutschlands [* 2] durch Ludwig XIV. hatte sich zwar 1681 der Reichstag zu einer Revision der seit 1521 bestehenden Reichskriegsverfassung ermannt, welcher die Kreisverfassung zu Grunde gelegt wurde. Jeder der zehn Reichskreise, Österreich [* 3] und Burgund nicht ausgenommen, war zur Stellung eines festen Kontingents zum Reichsheer, das auf eine Stärke [* 4] von 40,000 Mann normiert war, und bei einer eventuellen Erhöhung dieser Norm auf die doppelte oder dreifache Truppenzahl zu entsprechender Vermehrung seines Kontingents verpflichtet; die Kosten dieses Reichsheers sollten aus einer gemeinsamen Reichskriegskasse bestritten werden.
Aber selbst diese Teilung des Heers in Kreiskontingente war nicht im stande, die schleunige und vollzählige Aufstellung derselben herbeizuführen. In Fällen der Not pflegten die bedrohten Stände durch besondere Bündnisse, sogen. Assoziationen, ihre Streitkräfte zu ihrem Schutze zu vereinigen. Die größern Reichsfürsten stellten ihre Truppen überhaupt nicht zu den Kreiskontingenten, denn dann würden sie, wie z. B. die brandenburgischen, auf mehrere verteilt worden sein, sondern zogen es vor, sie dem Kaiser oder seinen Verbündeten als Hilfstruppen zu stellen, was ihnen zuweilen noch besondere Subsidien einbrachte.
Die Kreisheere bestanden daher meist aus einem bunten Gemisch kleinerer Kontingente und waren militärisch von geringem Werte. Das Reichskammergericht, welches von Speier [* 5] nach Einäscherung der Stadt durch die Franzosen 1693 nach Wetzlar [* 6] verlegt worden war, genoß keine Autorität. Tausende von Prozessen blieben unerledigt, nur mit den größten Opfern an Geld und Mühe war ein Ausspruch des Gerichts zu erlangen und die Ausführung desselben oft ein Ding der Unmöglichkeit.
Der Reichshofrat in Wien, [* 7] der sich allmählich zu einem mit dem obersten Reichsgericht konkurrierenden Gerichtshof herausgebildet hatte, stand in noch schlimmerm Ruf betreffs der Bestechlichkeit und Parteilichkeit seiner vom kaiserlichen Hof [* 8] beeinflußten Mitglieder als das Reichskammergericht. Die ständige Wahlkapitulation, welche bei Karls VI. Wahl 1711 durchgesetzt worden war, um ihre Rechte dem Kaiser und den Kurfürsten gegenüber genau festzustellen, machte alle Reformen der Reichsverfassung unmöglich, ohne ihren Verfall aufzuhalten.
Die unverwüstliche Lebenskraft der Nation, welche trotz der Zerstörung des Dreißigjährigen Kriegs und des Elends der französischen Raubkriege sich wieder regte, mußte sich in kleinern Kreisen bethätigen, in den Territorialstaaten und in den Städten. Auch hier traf sie auf allerlei Hemmungen. Ein selbstthätiges politisches Leben war unmöglich, seit die Fürsten in ihren Landen die Rechte der Stände, welche allerdings starr an ihren Privilegien hingen und jeden, auch den berechtigtsten Fortschritt verhinderten, unterdrückt und ein absolutes Regiment mit Günstlings- und Mätressenwirtschaft errichtet hatten.
Wie hierbei, so war auch in der Pracht und Sittenlosigkeit des Hoflebens Ludwig XIV. das bewunderte und sklavisch nachgeahmte Vorbild der meisten deutschen Fürsten, welche, französisch gebildet, auch nur französisch redeten und dachten. Der Hofhalt Augusts des Starken von Polen-Sachsen wetteiferte in verschwenderischer Prachtentfaltung mit dem von Versailles. [* 9] Die Kurfürsten von Hannover, [* 10] der erste König von Preußen, [* 11] aber auch die kleinern Fürsten, wie die Herzöge von Württemberg [* 12] und die Landgrafen von Hessen, [* 13] entwickelten einen übermäßigen Luxus, der die Kraft [* 14] des Volkes verzehrte; die Unterthanen seufzten unter der Willkür der Beamten und unter dem Druck unerschwinglicher Steuern; auch an den geistlichen Höfen herrschten Verschwendung und Leichtfertigkeit, wenngleich der Krummstab [* 15] die Bevölkerung [* 16] nicht so rücksichtslos auszusaugen verstand wie weltliche Beamte.
Aber selbst diese Prachtliebe und Eitelkeit der Fürsten machte sich der emporstrebende Geist des Volkes zu nutze, indem bei Bau und Ausschmückung von Schlössern, Theatern und Galerien die bildenden Künste sich entwickelten und an Universitäten und Akademien Männer wie Leibniz, Thomasius, Wolf u. a. die echte, freie Wissenschaft zur Geltung brachten. Äußerte sich der fürstliche Despotismus auch mitunter noch in empörender Intoleranz gegen Andersgläubige, wie bei der Vertreibung der protestantischen Salzburger (1732), so setzten doch schon viele Fürsten ihren Stolz darein, der religiösen Aufklärung zu huldigen.
Das mildere, werkthätige, gefühlsinnige Christentum der sogen. Pietisten begann die starre Eisrinde der lutherischen und calvinistischen Orthodoxie zu zersprengen. Auch der Wohlstand hob sich, zwar langsam und oft unterbrochen, aber doch in sichtbarem Fortschritt; die deutschen Häfen füllten sich wieder mit Schiffen und entwickelten einen fruchtbaren Austausch deutscher und ausländischer Waren. Der Bürgerstand, der Kern der Nation, führte ein strenges, steifes, aber sittlich-ernstes Leben, seine Bildung war beschränkt, aber deutsch, und im innersten Kern gesund und frisch, fühlte er in sich die Kraft und den Trieb, seine geistigen und materiellen Verhältnisse zu verbessern und zu höhern Zielen emporzusteigen.
Ja, in einem Teil Deutschlands erwachte auch wieder patriotischer Sinn, der Staatsgedanke, das erhebende und tröstende Bewußtsein, einem größern Ganzen anzugehören und einem höhern Staatszweck zu dienen. Dies ist das Verdienst des brandenburgisch-preußischen Staats und seiner Herrscher, des Großen Kurfürsten, Friedrich Wilhelms I. und Friedrichs II. Allerdings nahm dieser Staat, nachdem die Regierung Friedrichs I. durch ihre Verschwendung seine Entwickelung gefährdet hatte, unter Friedrich Wilhelm I. ein rauhes, spartanisches Wesen an, die Beamten, Soldaten und Unterthanen wurden in harte, fast barbarische Zucht genommen, aber es wurde kein Pfennig mehr verschwendet, durch eine ausgezeichnete Verwaltung das Land aus Elend und Verarmung befreit, der Geist religiöser Toleranz dem Staat eingeimpft, die Rechtspflege wohl geordnet und durch vortrefflich geregelte Finanzen und durch ein allein aus Landesmitteln erhaltenes, ausgezeichnet geschultes Heer der Staat auf eigne Füße gestellt. So schwer der Druck des straffen preußischen Regiments auf dem Einzelnen lasten mochte, das Heer, die Beamten, endlich auch das Volk hatten das Bewußtsein, daß ihre Dienste [* 17] und Opfer nicht umsonst dargebracht wurden, daß der so geschaffene Staat ihnen Ehre, Schutz ihres Rechts und Eigentums verbürge, und daß patriotisches Zusammenhalten dem Ganzen und dem Einzelnen Vorteil bringe. Nicht fürstliche Launen, nicht dynastische Ränke beherrschten den preußischen Hof, sondern der bewußte Staatszweck; Wohl und Größe Preußens [* 18] waren die Beweggründe, welche Regierung und Volk beseelten und den jungen König Friedrich II. antrieben, in der Krisis, welche das Erlöschen des habsburgischen Mannesstamms in Deutschland [* 19] 1740 herbeiführte, eine entscheidende Rolle zu spielen.
Die Erbin Karls VI., Maria Theresia, rechnete im Vertrauen auf ihres Vaters Verträge und auf die zur Gewohnheit gewordene Unterordnung des ¶
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Reichs unter die Wünsche des Wiener Hofs zuversichtlich nicht bloß auf ihre eigne unangefochtene Thronfolge, sondern auch auf die Wahl ihres Gemahls, des Großherzogs Franz Stephan von Toscana, zum Kaiser. Mit Entrüstung wies sie daher das Ansinnen des Königs von Preußen zurück, der für die Garantie der Pragmatischen Sanktion und die Wahl ihres Gemahls auf Grund alter Erbansprüche die Abtretung eines Teils von Schlesien [* 21] verlangte. Indes mußte sie bald einsehen, daß ihre Herrschaft doch nicht so unerschütterlich begründet war, wie sie geglaubt.
Als Friedrich II. die Ablehnung seines Anerbietens mit der Besetzung von Schlesien beantwortete und über die österreichische Armee den Sieg von Mollwitz erfocht, schloß Frankreich mit dem Kurfürsten Karl Albert von Bayern [* 22] das Nymphenburger Bündnis dem auch Spanien, [* 23] Sardinien, [* 24] Preußen, Kurpfalz, Köln [* 25] und Sachsen [* 26] beitraten. Das Ziel desselben war, daß Maria Theresia und die habsburgisch-lothringische Dynastie des Kaisertums beraubt und auf den Besitz Ungarns beschränkt werden sollte; Bayern sollte die österreichischen Erblande, Sachsen einen Teil von Böhmen, [* 27] Mähren und Oberschlesien, Frankreich die Niederlande, [* 28] Spanien und Sardinien die italienischen Lande bekommen, die Kaiserkrone in freier Wahl auf das bayrische Haus übertragen werden.
Die österreichische Monarchie sollte also zertrümmert, die österreichische Hegemonie in Deutschland durch die französische und die einiger weniger mächtiger Reichsfürsten ersetzt werden. Der österreichische Erbfolgekrieg (s. d.) begann damit, daß die Franzosen, Bayern und Sachsen in Österreich und Böhmen im Herbst 1741 einrückten. Karl Albert wurde in Prag [* 29] zum König von Böhmen, in Frankfurt [* 30] a. M. als Karl VII. (1742-45) zum Kaiser gekrönt. Die mutige junge Königin Maria Theresia fand jedoch in Ungarn [* 31] begeisterte Anerkennung und aufopfernden Beistand.
Noch 1741 wurden die Verbündeten aus Österreich vertrieben und sogar Karls VII. Hauptstadt München [* 32] besetzt. Ihres gefährlichsten Feindes, des Preußenkönigs, der die Österreicher zum zweitenmal bei Chotusitz schlug, entledigte sich Maria Theresia durch die Aufopferung Schlesiens im Frieden von Breslau [* 33] und schloß darauf 1743 zur Bekämpfung Frankreichs mit den Seemächten England und den Niederlanden, ferner mit Sardinien und Sachsen ein Bündnis, welches ihren Waffen [* 34] in Deutschland den vollständigsten Sieg verschaffte. Vergeblich suchte Friedrich II. durch die Frankfurter Union (Mai 1744) und einen Einfall in Böhmen an der Spitze von 80,000 Mann kaiserlicher Hilfsvölker (1744) Kaiser Karl VII. zu retten und den Besitz Schlesiens zu sichern. Nach Karls VII. Tod unterwarf sich sein Sohn Maximilian Joseph im Frieden von Füssen Österreich, Maria Theresias Gemahl wurde als Franz I. (1745-65) zum Kaiser erwählt, und Österreicher und Sachsen fielen, nachdem Friedrich II. zum Rückzug aus Böhmen gezwungen worden, im Mai 1745 in Schlesien ein, um dasselbe wiederzuerobern.
Die Siege der Preußen bei Hohenfriedberg (4. Juni), bei Soor (30. Sept.) und bei Kesselsdorf (15. Dez.) vereitelten dies Unternehmen. Im Frieden von Dresden [* 35] (25. Dez.) mußte Maria Theresia ihren Gegner im Besitz Schlesiens bestätigen. Auch der Krieg mit Frankreich, welcher in den österreichischen Niederlanden geführt wurde, nahm mit dem Sieg des Marschalls von Sachsen bei Fontenoy 1745 noch einmal eine ungünstige Wendung. Indes die Erschöpfung der beiden bourbonischen Königreiche, welche jetzt allein noch den Krieg und zwar ohne eigentlichen Zweck fortsetzten, führte 1748 zum Aachener Frieden, welcher Maria Theresia als Erbin Karls VI. anerkannte und ihr den Besitz aller österreichischen Lande ließ, mit Ausnahme Schlesiens, welches Preußen behielt, und der Fürstentümer Parma [* 36] und Piacenza, welche als Sekundogenitur den spanischen Bourbonen zufielen.
Österreich hatte also mit der Kaiserkrone die herrschende Stellung im Reich behauptet. Jedoch Kaisertum und Reich wollten jetzt noch weniger bedeuten als früher. Maria Theresia hatte ja selbst den Kaiser Karl VII. bekämpft und sich um den Reichstag und seine Rechte wenig gekümmert. Ebensowenig waren die übrigen Fürsten des Reichs, vor allen Preußen, gewillt, sich durch Reichsordnungen binden zu lassen. Die Machtinteressen und politischen Gegensätze zwischen Österreich und der nächstgrößten deutschen Macht, der preußischen, stießen also unvermittelt und ungemildert durch ihre Reichspflichten aufeinander und mußten zum Konflikt führen.
Der Haß Maria Theresias gegen Friedrich II., den sie zu vernichten wünschte, führte einen völligen Umschwung in der Stellung Österreichs zu seinen bisherigen Gegnern und damit eine wichtige Änderung im Reich und in der ganzen europäischen Politik herbei. Nach 250jährigem Kampf, in welchem Frankreich und die Bourbonen groß geworden, Österreich glänzenden Waffenruhm sich erworben hatte, vereinigten sich jetzt beide Großmächte zur Unterdrückung eines Störenfrieds und Eindringlings in das von ihnen geschaffene Staatensystem.
Durch das österreichisch-französische Bündnis wurden auch die bisher unter französischem Einfluß stehenden Reichsstände Österreich dienstbar, und das offizielle Reich stand fortan zur unbedingten Verfügung des kaiserlichen Hofs. Indem sich Schweden [* 37] und Rußland dem Bund anschlossen, wurde fast das ganze festländische Europa [* 38] gegen Preußen vereinigt, das nur England und außer den von England abhängigen Hannover sehr wenige Reichsstände auf seiner Seite hatte.
Schon die Verträge der Verbündeten mußten aber den gebildeten, besonders den protestantischen Teil der deutschen Nation darüber belehren, auf welcher Seite ihr wahres Interesse verteidigt wurde: nicht bloß sollten deutsche Reichsgebiete, wie Vorpommern, fremden Mächten preisgegeben werden, Ostpreußen [* 39] an Rußland fallen und damit die Ostsee dem deutschen Handel verschlossen werden, ferner durch Abtretung der österreichischen Niederlande an Frankreich dessen Macht und Einfluß im Westen eine bedeutende Stärkung erfahren, sondern es waren auch die Erhaltung des Protestantismus und damit der mühsam errungene kirchliche Friede, die geistige Freiheit und die aufblühende Litteratur in Deutschland durch den Sieg der beiden katholischen Großmächte ernstlich gefährdet.
Noch deutlicher freilich bewies der Verlauf des Siebenjährigen Kriegs (1756-63, s. d.) selbst, daß nicht im Lager [* 40] der Kaiserlichen und des erbärmlichen Reichsheers, sondern in dem preußischen das höhere Recht, die größere Intelligenz und sittliche Kraft vertreten waren, daß Friedrich für die modernen Ideen und die Aufklärung, die Verbündeten für mittelalterliche Geistesknechtschaft kämpften. Um das einzige wirkliche Staatswesen in Deutschland, den deutschen Staat der Zukunft, zu zertrümmern, überschwemmten und verwüsteten französische, schwedische und russische Scharen, Kroaten und Panduren deutsche Landschaften. Das offizielle Reich und sein formell begründetes Rechtsverfahren gegen den preußischen Landfriedensbrecher ¶