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und ihre deutschen Verbündeten zu erkämpfen. Das Übergewicht aber, das er hiermit erlangte, benutzte er nicht, um durch ehrlichen Verzicht auf die Ausrottung der Protestanten diese für sich zu gewinnen und durch die Vereinigung aller Stände gegen die Fremden Macht und Ansehen des Kaisertums zu befestigen, sondern er glaubte sein ursprüngliches Ziel auf Umwegen zu erreichen, indem er durch Abtretung der Lausitz und teilweisen Verzicht auf das Restitutionsedikt im Prager Frieden Kursachsen für sich gewann und so die Protestanten zu spalten suchte. Dies erreichte er auch, indem viele bedeutende Reichsfürsten, wie Brandenburg, [* 2] dem Separatfrieden beitraten; aber auf der andern Seite nahm nun Frankreich am Kampf teil, der mit neuer Wut ausbrach. 13 Jahre wütete der Krieg noch fort ohne entscheidende Siege eines Teils und darum ein so verheerender für Deutschland. [* 3]
In diesem Zustand hinterließ Ferdinand II. 1637 das Reich seinem Sohn Ferdinand III. (1637-1657); das war das Ergebnis seines unseligen Fanatismus und seiner Herrschsucht. Der neue Kaiser erstrebte den Frieden ohne Hintergedanken, aber so tief eingefressen waren jetzt unter den Parteien Mißtrauen und Verbitterung, so rücksichtslos traten Selbstsucht und Eigennutz bei den deutschen Fürsten sowohl als bei den fremden Mächten auf, so sehr waren alle Rechtsverhältnisse und Interessen verwirrt (selbst mit Bayern [* 4] hatte sich der Kaiser schließlich entzweit), daß die Friedensverhandlungen jahrelang ohne Resultat blieben.
Endlich, als die allgemeine Erschöpfung den höchsten Grad erreicht hatte, kam der Westfälische Friede (s. d.) zu stande. In der kirchlichen Frage wurde im wesentlichen der Stand der Dinge vor dem Krieg wiederhergestellt; indem der als Normalzeitpunkt für den Besitzstand der beiden Kirchen festgesetzt wurde, fielen die meisten säkularisierten Stifter an die Protestanten zurück; nur die habsburgischen Erblande wurden davon ausgenommen, hier blieb die katholische Restauration in voller Kraft. [* 5] Dagegen wurden nun die Reformierten in den Frieden aufgenommen, den Evangelischen volle Gleichberechtigung im Reich zugestanden und die Entscheidung religiöser Fragen durch Majoritätsbeschlüsse ausgeschlossen. Die kaiserliche Macht wurde nicht verstärkt, sondern vermindert. Dem Kaiser blieben außer einigen Ehrenrechten nur wenige Befugnisse übrig, die etwas bedeuteten; nicht einmal die Erblichkeit der Krone im Haus Habsburg wurde erlangt.
Ein positives Ergebnis hatte also der furchtbare, lange Krieg nicht, nur das negative der Abwehr religiöser und politischer Knechtschaft unter der spanisch-österreichischen Monarchie konnte als Gewinn betrachtet werden. Aber mit welchen Opfern war dieser Gewinn erkauft! Die äußere Machtstellung Deutschlands [* 6] war vernichtet. Mit der Abtretung Vorpommerns, Wismars, der Fürstentümer Bremen [* 7] und Verden [* 8] an Schweden [* 9] waren die wichtigsten Strecken der Nord- und Ostseeküste, die Mündungen der bedeutendsten Ströme in fremde Hände geraten.
An der Westgrenze gingen die Niederlande [* 10] und die Schweiz [* 11] für immer verloren, und Frankreich drang durch die Eroberung des österreichischen Elsaß bis an den Rhein vor; nicht bloß die Reichsgebiete links des Rheins waren fortan seinem Einfluß unterworfen, der ganze Westen Deutschlands war ihm geöffnet (vgl. beifolgende »Geschichtskarte [* 12] III«). Als Garant des Westfälischen Friedens konnte Frankreich zu jeder Zeit in die innern Verhältnisse des Reichs eingreifen; Schweden erhielt sogar die Reichsstandschaft und damit eine herrschende Position im Reichstag selbst.
Die Streitfragen, welche Europa [* 13] bewegten, wurden seitdem auf deutschem Boden und auf deutsche Kosten ausgefochten. Schrecklich war die Verwüstung im Innern Deutschlands. Nur der vierte Teil der Bevölkerungszahl, die vor dem Krieg vorhanden, war noch übrig. In manchen Gegenden war die Verminderung der Einwohnerzahl noch beträchtlicher. Die meisten Dörfer und viele kleinere Städte waren völlig zerstört, meilenweit erstreckten sich Einöden ohne eine Spur menschlichen Wesens.
Die Wohlhabenheit des Bauernstandes war auf lange Zeit vernichtet; ohne Vieh, ohne Ackergeräte, ohne Saatgetreide konnten die noch übrigen Bauern selbst nach dem Frieden den Feldbau lange Zeit nicht wieder aufnehmen. Viele setzten das wüste Soldaten- und Räuberleben, zu welchem die Verzweiflung sie getrieben, noch jahrelang fort. Auch die größern Städte waren zu Grunde gerichtet. Handel und Gewerbfleiß gab es nicht mehr; jenen wieder zu beleben, fehlten die Kapitalien, zu diesem die Kenntnisse und Fertigkeiten, deren Überlieferung in der Kriegszeit verloren gegangen war.
Gelehrte Bildung, Poesie, Heiterkeit des Lebens, deutscher Trotz und Frohsinn, Scherz und Lachen, alles tilgte der Krieg bis auf die Wurzel [* 14] aus; düstere Schwermut lagerte über dem Volk. Wie ein Schiffbrüchiger, der nur das nackte Leben gerettet, so begehrte auch das deutsche Volk nichts, als nur die nächste Notdurft zu stillen. Jeder höhere Sinn erlosch; Stumpfheit gegen das Elend, verzweifelndes Mißtrauen gegen sich selbst, kleinliche Pedanterie, knechtische Unterwürfigkeit vor jeder Gewalt, sklavische Verehrung und Nachäffung des Fremden bezeichneten fortan den deutschen Volkscharakter, wie er sich besonders an den Fürstenhöfen und in den Residenzen ausbildete.
Denn die Fürsten waren der einzige Stand, der noch etwas Macht und Lebenskraft aus dem Kriege gerettet hatte. Adel, Gelehrte und Bürger bewarben sich wetteifernd um ihren Dienst und überboten sich in Servilität. Die kleinliche Titelsucht kam auf, durch Hochmut gegen Geringe suchten die Beamten die Niederträchtigkeit ihrer eignen Gesinnung zu verdecken. Dem niedern Volk aber wurde das letzte Mark durch den Luxus der Fürstenhöfe ausgesogen. Das religiöse Leben war durch die starre Orthodoxie und durch den wüsten Aberglauben, der im Krieg überhandgenommen, vergiftet. Der Haß der Religionsparteien war allerdings durch den Frieden entwaffnet, aber keineswegs erloschen. Die Religionsverfolgungen der Jesuiten beschränkten sich nun auf kleinere Kreise, [* 15] die widerwärtigen Streitigkeiten der Lutheraner und Calvinisten wurden jetzt auf den Kanzeln ausgefochten.
Verfall des Reichs.
Das deutsche Volk mußte nach dem Dreißigjährigen Krieg seine Kulturarbeit ganz von vorn anfangen; die Errungenschaften einer glorreichen Vergangenheit waren gänzlich zerstört. Und von welchen Schwierigkeiten war der Wiederaufbau begleitet, welche Hindernisse traten ihm immer von neuem entgegen! Wie oft wurden die stillen Bemühungen der Landgeistlichkeit, das Volk wieder an ernste Arbeit und sittliches Leben zu gewöhnen, sowie die Anstrengungen mancher Landesherren, die Anfänge einer neuen Kultur zu begründen, durch die unaufhörlichen Kriege vereitelt, in welche die Anmaßung und Habgier der Nachbarn, der Ehrgeiz und die Selbstsucht der Fürsten Deutschland immer wieder stürzten! Deutschland konnte nicht eher ¶
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zur Ruhe kommen, nicht eher sich aus seinem Ruin herausreißen, ehe nicht die staatlichen Verhältnisse eine feste Form gewonnen hatten. War das aber erreichbar? Es schien nicht so. Denn die Verfassung des Deutschen Reichs war eine derartige, daß sie etwas Gutes selbst nicht schaffen, wohl aber die segensreichen Bestrebungen andrer hemmen konnte.
Der Schwerpunkt [* 17] des Reichs lag im Reichstag, der seit 1653 in Regensburg [* 18] versammelt war. Ihm lagen die Gesetzgebung, Kriegsverfassung, Steuerbewilligung u. a. ob. Aber seine Organisation machte eine schnelle, energische und einheitliche Regierung unmöglich. Zwar war er seit 1663 fortdauernd versammelt und in Thätigkeit, dagegen nahmen nun die Reichsstände nicht mehr selbst an ihm teil wie früher. Auch die Fürsten waren fortan durch Gesandte vertreten, welche an Instruktionen gebunden waren und über alle neuen Vorschläge erst berichten mußten.
Der Reichstag selbst zerfiel in drei Kurien, die der Kurfürsten, der Fürsten und der Städte; zur ersten gehörten 8, zur zweiten 98 (36 geistliche und 62 weltliche), zur dritten 52 teils Viril-, teils Kuriatstimmen, und zur Entscheidung selbst unbedeutender Fragen war Stimmeneinhelligkeit der drei Kurien erforderlich. Namentlich zwischen den Kurfürsten und den Fürsten war eine scharfe Rivalität. Im Westfälischen Frieden war zwar die Ausarbeitung einer neuen Reichsverfassung in Aussicht genommen worden; diese ist aber nie zu stande gekommen. Es war daher leicht erklärlich, daß sich sowohl das Reichsoberhaupt als die mächtigern Mitglieder des Reichs in allem, was ihre Sonderinteressen betraf, möglichst vom Reichsverband loszulösen und auf eigne Hand [* 19] vorzugehen suchten, und der Westfälische Friede hatte ihnen dies auch durch das den Ständen gegebene Recht, Bündnisse mit auswärtigen Mächten zu schließen und Krieg zu führen, erleichtert. Die Reichsverfassung hatte höchstens noch für die kleinen Stände Bedeutung, von den größern wurde sie umgangen oder nicht berücksichtigt und daher bald Gegenstand allgemeinen Hohns und Widerwillens.
Gab es nun in Deutschland noch Elemente, welche ohne und trotz der unbrauchbaren Reichsverfassung die deutschen Interessen wahrzunehmen im stande und willens waren, die den Kern für eine Neugestaltung des Reichs hätten bilden können? Ohne Zweifel hätte dies dem mächtigen Kaiserhaus zunächst obgelegen, welches seit 200 Jahren die Würde des Reichsoberhauptes besaß. Aber weit entfernt, die verlorne Machtstellung wiedergewinnen zu wollen, zog sich Österreich [* 20] mehr und mehr von Deutschland zurück, indem es sich von den Reichslasten und -Pflichten frei machte und sich nach der völligen Unterdrückung des Protestantismus in seinem Gebiet geistig von Deutschland absperrte.
Auf den Reichstagen suchte es indirekt, durch Schleichwege und Bestechung, seinen Vorteil zu wahren und das Reich sich dienstbar zu machen. Sein Einfluß auf die Reichsstände war so gesunken, daß es nach Ferdinands III. Tod lange fraglich war, ob die Kaiserkrone noch beim Haus Habsburg bleiben würde. Unter den Reichsfürstenfamilien waren einige zu bedeutender Macht gelangt. Bayern hatte nebst der Oberpfalz die Kurwürde erworben und war neben Österreich das mächtigste Fürstentum in Süddeutschland. Am Rhein war Kurpfalz wiederhergestellt und mit der neugeschaffenen achten Kur belehnt worden. In Mitteldeutschland lag das durch die Lausitz vergrößerte Kursachsen, im Norden [* 21] besaß das Haus Braunschweig-Lüneburg einen ansehnlichen Länderkomplex, vor allem vereinigte aber Kurbrandenburg unter seiner Herrschaft ein großes Gebiet, welches im Westfälischen Frieden noch ansehnlich vermehrt worden war: die Marken, Hinterpommern mit Kammin, Magdeburg, [* 22] Halberstadt, [* 23] Minden, [* 24] Ravensberg, Mark und Kleve, dazu im äußersten Osten jenseit der Reichsgrenze das Herzogtum Preußen. [* 25]
Eine Union dieser bedeutendsten Fürstenhäuser, der sich andre Stände angeschlossen hätten, würde in der Lage gewesen sein, den innern Frieden im Reich aufrecht zu erhalten und seine Sicherheit nach außen zu wahren. Aber die streng katholische Richtung seines Fürstenhauses trennte Bayern von den meist protestantischen weltlichen Reichsständen. Sachsen [* 26] und Braunschweig-Lüneburg waren von Neid und Eifersucht gegen das mächtig emporstrebende Brandenburg erfüllt, Kurpfalz konnte sich dem französischen Einfluß nicht entziehen, dem sich die rheinischen Stände, besonders die drei geistlichen Kurfürsten, seit Stiftung des Rheinbundes ganz ergeben hatten.
Der Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg machte 1654 den ersten Versuch einer deutschen Unionspolitik, indem er zunächst die protestantischen Stände zu einem Bund unter seiner Führung zu vereinigen strebte, der Deutschland gegen seine Ausbeutung für fremde Interessen, seien es nun österreichische oder schwedische, schützen sollte. Aber er wurde durch Schwierigkeiten und Gefahren, in die ihn der Ausbruch des schwedisch-polnischen Kriegs 1655 stürzte, verhindert, diesen Plan weiter zu verfolgen. Wenigstens beugte er der völligen Zerreißung Deutschlands dadurch vor, daß er 1658 die Wahl des französischen Königs Ludwig XIV., der die Stimmen der geistlichen Kurfürsten bereits erkauft hatte, verhinderte und die deutsche Krone durch die Wahl Leopolds I. (1658-1705) dem Haus Habsburg erhielt.
Der neue Kaiser wurde durch eine neue Wahlkapitulation in der Ausübung seiner Gewalt noch mehr eingeengt als seine Vorgänger und in allem an die Zustimmung der Reichsstände gebunden. Um so mehr hielt er sich für berechtigt, durchaus nur die österreichischen Sonderinteressen zu verfolgen und sich um das Reich nur so weit zu bekümmern, als es durch allerlei Ränke, wie Bestechung eines Teils der Stände, möglich war, dasselbe für diese Sonderinteressen auszubeuten.
Von einer festen, klaren Reichspolitik konnte um so weniger die Rede sein, als Leopold auch die österreichische Politik nicht nach praktischen Gesichtspunkten leitete, sondern sich durch kirchliche und dynastische Tendenzen beeinflussen ließ. Durch fanatische Verfolgung der ungarischen Protestanten reizte er die Ungarn [* 27] wiederholt zur Empörung und trieb sie den Türken in die Arme, welche, statt durch die Streitkräfte Ungarns von den deutschen Grenzen [* 28] abgehalten zu werden, mit deren Hilfe sie fortwährend bedrohten und wiederholt tief in das Innere Österreichs eindrangen.
Die Wahrscheinlichkeit des Erlöschens der spanischen Habsburger regte zu immer neuen Plänen und Kombinationen an, um im Kampf oder im Bund mit dem rivalisierenden Haus Bourbon die gesamte spanische Monarchie oder einen Teil derselben zu erwerben. Unter diesem Gesichtspunkt allein wurde die österreichische Politik gegen Frankreich bestimmt, für diesen Zweck die militärische Kraft des Reichs aufgeboten und die spätern Erfolge der deutschen Waffen [* 29] verwertet. Die kaiserliche Armada, wie es in der Mischsprache des Wiener Hofs hieß, war stattlich, wohl gerüstet und geübt und von tüchtigen Feldherren geleitet. 1664 erfocht sie bei St. Gotthardt einen glänzenden Sieg über die Türken. Aber im übrigen war die österreichische Verwaltung unter dem schwerfälligen, engherzigen und bigotten Leopold so ¶