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evangelische Kirche in seinem Gebiet kraft seines Jus reformandi schließen, der Erzbischof von Prag eine andre niederreißen lassen) erfuhr eine schroffe, ungnädige Abweisung, die den Ausbruch eines Aufstandes in Prag zur Folge hatte. Die aufrührerischen Protestanten setzten über Böhmen eine selbständige Regierung ein und wiegelten auch die österreichischen Stände zur Empörung auf. Mitten in diesen Wirren starb Matthias, und Ferdinand II. (1619 bis 1637) übernahm die Herrschaft unter den schwierigsten Verhältnissen: die Böhmen standen vor Wien, der österreichische Adel bedrängte Ferdinand in der Hofburg selbst, Bethlen Gabor von Siebenbürgen drohte von Ungarn her.
Aber furchtlos und voll Zutrauen zu sich und zu seiner Aufgabe, den alten Glauben in seiner frühern Herrschaft herzustellen, nahm Ferdinand den Kampf gegen alle seine Feinde auf und schuf sich für denselben eine rechtliche Grundlage, indem er seine Wahl zum Kaiser von den Kurfürsten zu erlangen wußte. Mit Hilfe der ligistischen Heeresmacht besiegte er die Böhmen, welche den jungen Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz zum König gewählt hatten, 8. Nov. in der Schlacht am Weißen Berg, und nun verhängte er über die Empörer ein furchtbares Strafgericht; nicht bloß in Böhmen, sondern auch in Österreich wurde die evangelische Kirche mit Waffengewalt unterdrückt und damit auch die Macht der Stände gebrochen. Ferdinand war wieder unumschränkter Herr in den habsburgischen Landen.
Doch damit hatte er nur einen Teil seiner Aufgabe erfüllt. Sein weiteres Ziel war, auch Deutschland dem Katholizismus wiederzuerobern und dasselbe nach dem Muster Spaniens in eine mächtige Militärmonarchie umzuwandeln, die mit der spanischen vereint die habsburgische Weltherrschaft, wie sie Karl V. geplant, begründen konnte. Zu diesem Zweck setzte er den Kampf gegen Friedrich V. und seine Verbündeten auch in Deutschland fort und verwickelte es so in den furchtbaren Dreißigjährigen Krieg (1618-48, s. d.). Nachdem er den Kurfürsten geächtet und die pfälzische Kur auf seinen Verbündeten, Maximilian von Bayern, übertragen hatte, vertrieben kaiserliche, ligistische und spanische Truppen in Gemeinschaft die Anhänger der Union aus Süddeutschland und unterwarfen dasselbe der Herrschaft des Kaisers und des Katholizismus.
Überall führte Tilly, der Feldherr Ferdinands und der Liga, auf Grund des geistlichen Vorbehalts die Restitution des säkularisierten oder reformierten Kirchenguts an die katholische Kirche und zwar zu handen der Jesuiten im weitesten Umfang und mit größter Strenge durch, bald auch im nordwestlichen Deutschland, als ihn die Verfolgung des Herzogs Christian von Braunschweig dorthin führte. Als die Fürsten des niedersächsischen Kreises, hierdurch in ihrem Besitzstand bedroht, sich unter der Führung des Königs Christian von Dänemark zur Abwehr rüsteten, wurden die Pläne Ferdinands deutlicher kund. Er stellte nun selbst mit Hilfe Wallensteins ein Heer auf, das im Bund mit Tilly den niedersächsischen Kreis unterjochte und den Dänenkönig auf seine Inseln verjagte.
Ganz Norddeutschland wurde von den kaiserlichen Truppen militärisch besetzt, die Rechte und Privilegien auch der mächtigsten Fürsten, wie der Kurfürsten von Brandenburg und Sachsen, die ihre schmähliche Neutralität vergeblich bereuten, rücksichtslos mit Füßen getreten, der kaiserliche Generalissimus Wallenstein mit dem Reichsfürstentum Mecklenburg belehnt, die Vertreibung noch andrer Dynastien und die Verleihung ihrer Fürstentümer an kaiserliche Feldherren in Aussicht genommen.
Mehrere norddeutsche Stifter zugleich wurden österreichischen Erzherzögen übertragen. Der kaiserliche Hof plante sogar die Errichtung einer großen Seemacht in der Nord- und Ostsee, welche die Seeherrschaft der Vereinigten Niederlande vernichten und die spanisch-österreichische Macht am Niederrhein wiederherstellen sollte. 1629 erließ Ferdinand II. das Restitutionsedikt (s. d.), welches, scheinbar nur eine strikte Auslegung u. Anwendung des Augsburger Religionsfriedens und seiner von den Protestanten leichtsinnig zugegebenen Klauseln, wirklich durchgeführt die gänzliche Vernichtung des Protestantismus und die völlige Restitution des Katholizismus in Deutschland bedeutet hätte.
Denn es befahl nicht nur die Rückgabe aller reichsunmittelbaren Stifter an die katholische Kirche, sondern auch die der landständischen; es gewährte den katholischen Ständen, also auch den neuen katholischen Prälaten in den evangelischen Stiftern, das Recht, ihre Unterthanen zu ihrer Religion zu zwingen, und gestand den Religionsfrieden und die Religionsfreiheit nur denjenigen Reichsständen zu, welche sich zur unveränderten Augsburgischen Konfession bekannten, d. h. außer dem Hause Sachsen nur sehr wenigen. Das Restitutionsedikt brachte die höchste Verzweiflung unter den Protestanten hervor, aber niemand außer Magdeburg wagte sich zu widersetzen. Die kaiserliche Soldateska hielt ganz Deutschland unter dem eisernen Druck der Waffen. Wie 1548 drohten Deutschland der absolute Dominat des Hauses Habsburg und das Joch des Papsttums.
Aber in diesem entscheidenden Moment zeigte sich Ferdinand II. der doppelten Aufgabe, die er durchzuführen unternommen, nicht gewachsen. Während er sich durch das Restitutionsedikt mit den protestantischen Ständen tödlich entzweite und diese den fremden Mächten in die Arme trieb, entfremdete er sich die katholischen Stände, besonders Maximilian von Bayern, durch die Militärdiktatur, die Wallenstein ausübte, und die eine Aristokratie von glücklichen Soldaten an Stelle der deutschen Fürsten zu setzen bestimmt schien.
An der Spitze der Stände verlangte Maximilian auf dem Fürstentag von Regensburg 1630 die Entlassung Wallensteins und die Verminderung des kaiserlichen Heers. Ferdinand hätte es verweigern und den Kampf mit der Fürstenaristokratie aufnehmen können, aber dann mußte er sich entschließen, sich auf die kleinern Stände und das Volk zu stützen und deren Vertrauen durch Anerkennung des Protestantismus zu erwerben. Lieber verzichtete er auf die militärische Herrschaft als auf die Ausrottung der Ketzerei, und so gab er Wallenstein preis und schlug mit seiner Entlassung seiner Heereskraft den Kopf in demselben Augenblick ab, da Gustav Adolf von Schweden auf Frankreichs Antrieb in Pommern landete.
Die Folge dieser Unklugheit war, daß die desorganisierte kaiserliche Armee Schritt für Schritt aus dem nordöstlichen Deutschland verdrängt, endlich bei Breitenfeld völlig vernichtet wurde und der Schwedenkönig ganz Deutschland befreite und Anfang 1632 sogar den Kaiser in seinen Erblanden bedrohte. Aus dieser äußersten Gefahr ward er durch Wallenstein gerettet. Gustav Adolfs kühne Pläne auf Errichtung eines protestantischen Kaisertums gingen mit ihm auf dem Schlachtfeld von Lützen zu Grunde, aber von der Errichtung einer starken kaiserlichen Militärmacht konnte jetzt nicht mehr die Rede sein, da Wallenstein vor allem danach strebte, sich den Preis seiner Thaten auch gegen den kaiserlichen Hof zu sichern. Zwar gelang es Ferdinand 1634, sich des allzu mächtigen Feldherrn durch Mord zu entledigen, sein Heer für sich zu gewinnen und mit demselben den Sieg bei Nördlingen über die Schweden
Deutschland nach dem westfälischen Frieden vom Jahre 1648.
bearbeitet von Karl Wolf.
Maßstab 1:5500000
Deutsches Kaiserreich.
Habsburgische Lande
Hohenzollersche Lande
Wittelsbachische Lande
Wettinische Lande
Geistliches Gebiet
Reichstädtisches Gebiet
Abkürzungen:
AB. Ansbach
AG. Augsburg
BA. Bamberg
BD. Baden
BR. Brixen
BS. Basel
C. Constanz
DO. Deutscher Orden
E. Eichstedt
EN. Sachsen-Ernestinische Linie
F. Fuggerisch
FR. Freisingen
FU. Fulda
FÜ. Fürstenberg
Geschichtskarte Görz
H. Hamburg
HD. Hessen-Darmstadt
HI. Hildesheim
HK. Hessen-Kassel
HL. Hanau-Lichtenberg
HT. Halberstadt
J. Johannitermeistertum
K. Königstein (Grafschaft)
KB. Kulmbach
KG. Königsegg (Grafschaft)
KÖ. Köln
KS. Kursachsen
L. Lippe
LB. Lüneburg
LG. Lauenburg
LÜ. Lübeck (Bistum)
M. Metz (Bistum)
MB. Magdeburg
MG. Mecklenburg-Güstrow
MS. Mecklenburg-Schwerin
MZ. Mainz
N. Nassau
NI. Niederlande
O. Osnabrück
P. Pfalz
PA. Passau
R. Reuß
RA. Rappoltstein (Grafschaft)
RE. Regensburg
RH. Rheingrafschaft
S. Schwerin (säcul. Bistum)
SA. Salzburg
SB. Schwarzenberg (Grafsch.)
SG. Schwarzburg
SL. Schaumburg-Lippe
SO. Solms (Grafschaft)
SP. Speyer
ST. Straßburg
T. Trier
TE. Tecklenburg
VO. Vorder-Österreich
W. Waldburg (Grafschaft)
WI. Wirtemberg
WO. Wolfenbüttel
WS. Worms
WZ. Würzburg
A. = Abtei
BT. = Bistum
FST. = Fürstentum
GR. GRSCH. = Grafschaft
HS. = Herrschaft
HZT. = Herzogtum
KGR. = Königreich
LGRSCH. = Landgrafschaft
MRSCH. = Markgrafschaft
Die mit den Territorien übereinstimmenden Ortsnamen sind unterstrichen.
Zum Artikel »Deutschland«.
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und ihre deutschen Verbündeten zu erkämpfen. Das Übergewicht aber, das er hiermit erlangte, benutzte er nicht, um durch ehrlichen Verzicht auf die Ausrottung der Protestanten diese für sich zu gewinnen und durch die Vereinigung aller Stände gegen die Fremden Macht und Ansehen des Kaisertums zu befestigen, sondern er glaubte sein ursprüngliches Ziel auf Umwegen zu erreichen, indem er durch Abtretung der Lausitz und teilweisen Verzicht auf das Restitutionsedikt im Prager Frieden Kursachsen für sich gewann und so die Protestanten zu spalten suchte. Dies erreichte er auch, indem viele bedeutende Reichsfürsten, wie Brandenburg, dem Separatfrieden beitraten; aber auf der andern Seite nahm nun Frankreich am Kampf teil, der mit neuer Wut ausbrach. 13 Jahre wütete der Krieg noch fort ohne entscheidende Siege eines Teils und darum ein so verheerender für Deutschland.
In diesem Zustand hinterließ Ferdinand II. 1637 das Reich seinem Sohn Ferdinand III. (1637-1657); das war das Ergebnis seines unseligen Fanatismus und seiner Herrschsucht. Der neue Kaiser erstrebte den Frieden ohne Hintergedanken, aber so tief eingefressen waren jetzt unter den Parteien Mißtrauen und Verbitterung, so rücksichtslos traten Selbstsucht und Eigennutz bei den deutschen Fürsten sowohl als bei den fremden Mächten auf, so sehr waren alle Rechtsverhältnisse und Interessen verwirrt (selbst mit Bayern hatte sich der Kaiser schließlich entzweit), daß die Friedensverhandlungen jahrelang ohne Resultat blieben.
Endlich, als die allgemeine Erschöpfung den höchsten Grad erreicht hatte, kam der Westfälische Friede (s. d.) zu stande. In der kirchlichen Frage wurde im wesentlichen der Stand der Dinge vor dem Krieg wiederhergestellt; indem der als Normalzeitpunkt für den Besitzstand der beiden Kirchen festgesetzt wurde, fielen die meisten säkularisierten Stifter an die Protestanten zurück; nur die habsburgischen Erblande wurden davon ausgenommen, hier blieb die katholische Restauration in voller Kraft. Dagegen wurden nun die Reformierten in den Frieden aufgenommen, den Evangelischen volle Gleichberechtigung im Reich zugestanden und die Entscheidung religiöser Fragen durch Majoritätsbeschlüsse ausgeschlossen. Die kaiserliche Macht wurde nicht verstärkt, sondern vermindert. Dem Kaiser blieben außer einigen Ehrenrechten nur wenige Befugnisse übrig, die etwas bedeuteten; nicht einmal die Erblichkeit der Krone im Haus Habsburg wurde erlangt.
Ein positives Ergebnis hatte also der furchtbare, lange Krieg nicht, nur das negative der Abwehr religiöser und politischer Knechtschaft unter der spanisch-österreichischen Monarchie konnte als Gewinn betrachtet werden. Aber mit welchen Opfern war dieser Gewinn erkauft! Die äußere Machtstellung Deutschlands war vernichtet. Mit der Abtretung Vorpommerns, Wismars, der Fürstentümer Bremen und Verden an Schweden waren die wichtigsten Strecken der Nord- und Ostseeküste, die Mündungen der bedeutendsten Ströme in fremde Hände geraten.
An der Westgrenze gingen die Niederlande und die Schweiz für immer verloren, und Frankreich drang durch die Eroberung des österreichischen Elsaß bis an den Rhein vor; nicht bloß die Reichsgebiete links des Rheins waren fortan seinem Einfluß unterworfen, der ganze Westen Deutschlands war ihm geöffnet (vgl. beifolgende »Geschichtskarte III«). Als Garant des Westfälischen Friedens konnte Frankreich zu jeder Zeit in die innern Verhältnisse des Reichs eingreifen; Schweden erhielt sogar die Reichsstandschaft und damit eine herrschende Position im Reichstag selbst.
Die Streitfragen, welche Europa bewegten, wurden seitdem auf deutschem Boden und auf deutsche Kosten ausgefochten. Schrecklich war die Verwüstung im Innern Deutschlands. Nur der vierte Teil der Bevölkerungszahl, die vor dem Krieg vorhanden, war noch übrig. In manchen Gegenden war die Verminderung der Einwohnerzahl noch beträchtlicher. Die meisten Dörfer und viele kleinere Städte waren völlig zerstört, meilenweit erstreckten sich Einöden ohne eine Spur menschlichen Wesens.
Die Wohlhabenheit des Bauernstandes war auf lange Zeit vernichtet; ohne Vieh, ohne Ackergeräte, ohne Saatgetreide konnten die noch übrigen Bauern selbst nach dem Frieden den Feldbau lange Zeit nicht wieder aufnehmen. Viele setzten das wüste Soldaten- und Räuberleben, zu welchem die Verzweiflung sie getrieben, noch jahrelang fort. Auch die größern Städte waren zu Grunde gerichtet. Handel und Gewerbfleiß gab es nicht mehr; jenen wieder zu beleben, fehlten die Kapitalien, zu diesem die Kenntnisse und Fertigkeiten, deren Überlieferung in der Kriegszeit verloren gegangen war.
Gelehrte Bildung, Poesie, Heiterkeit des Lebens, deutscher Trotz und Frohsinn, Scherz und Lachen, alles tilgte der Krieg bis auf die Wurzel aus; düstere Schwermut lagerte über dem Volk. Wie ein Schiffbrüchiger, der nur das nackte Leben gerettet, so begehrte auch das deutsche Volk nichts, als nur die nächste Notdurft zu stillen. Jeder höhere Sinn erlosch; Stumpfheit gegen das Elend, verzweifelndes Mißtrauen gegen sich selbst, kleinliche Pedanterie, knechtische Unterwürfigkeit vor jeder Gewalt, sklavische Verehrung und Nachäffung des Fremden bezeichneten fortan den deutschen Volkscharakter, wie er sich besonders an den Fürstenhöfen und in den Residenzen ausbildete.
Denn die Fürsten waren der einzige Stand, der noch etwas Macht und Lebenskraft aus dem Kriege gerettet hatte. Adel, Gelehrte und Bürger bewarben sich wetteifernd um ihren Dienst und überboten sich in Servilität. Die kleinliche Titelsucht kam auf, durch Hochmut gegen Geringe suchten die Beamten die Niederträchtigkeit ihrer eignen Gesinnung zu verdecken. Dem niedern Volk aber wurde das letzte Mark durch den Luxus der Fürstenhöfe ausgesogen. Das religiöse Leben war durch die starre Orthodoxie und durch den wüsten Aberglauben, der im Krieg überhandgenommen, vergiftet. Der Haß der Religionsparteien war allerdings durch den Frieden entwaffnet, aber keineswegs erloschen. Die Religionsverfolgungen der Jesuiten beschränkten sich nun auf kleinere Kreise, die widerwärtigen Streitigkeiten der Lutheraner und Calvinisten wurden jetzt auf den Kanzeln ausgefochten.
Verfall des Reichs.
Das deutsche Volk mußte nach dem Dreißigjährigen Krieg seine Kulturarbeit ganz von vorn anfangen; die Errungenschaften einer glorreichen Vergangenheit waren gänzlich zerstört. Und von welchen Schwierigkeiten war der Wiederaufbau begleitet, welche Hindernisse traten ihm immer von neuem entgegen! Wie oft wurden die stillen Bemühungen der Landgeistlichkeit, das Volk wieder an ernste Arbeit und sittliches Leben zu gewöhnen, sowie die Anstrengungen mancher Landesherren, die Anfänge einer neuen Kultur zu begründen, durch die unaufhörlichen Kriege vereitelt, in welche die Anmaßung und Habgier der Nachbarn, der Ehrgeiz und die Selbstsucht der Fürsten Deutschland immer wieder stürzten! Deutschland konnte nicht eher
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zur Ruhe kommen, nicht eher sich aus seinem Ruin herausreißen, ehe nicht die staatlichen Verhältnisse eine feste Form gewonnen hatten. War das aber erreichbar? Es schien nicht so. Denn die Verfassung des Deutschen Reichs war eine derartige, daß sie etwas Gutes selbst nicht schaffen, wohl aber die segensreichen Bestrebungen andrer hemmen konnte.
Der Schwerpunkt des Reichs lag im Reichstag, der seit 1653 in Regensburg versammelt war. Ihm lagen die Gesetzgebung, Kriegsverfassung, Steuerbewilligung u. a. ob. Aber seine Organisation machte eine schnelle, energische und einheitliche Regierung unmöglich. Zwar war er seit 1663 fortdauernd versammelt und in Thätigkeit, dagegen nahmen nun die Reichsstände nicht mehr selbst an ihm teil wie früher. Auch die Fürsten waren fortan durch Gesandte vertreten, welche an Instruktionen gebunden waren und über alle neuen Vorschläge erst berichten mußten.
Der Reichstag selbst zerfiel in drei Kurien, die der Kurfürsten, der Fürsten und der Städte; zur ersten gehörten 8, zur zweiten 98 (36 geistliche und 62 weltliche), zur dritten 52 teils Viril-, teils Kuriatstimmen, und zur Entscheidung selbst unbedeutender Fragen war Stimmeneinhelligkeit der drei Kurien erforderlich. Namentlich zwischen den Kurfürsten und den Fürsten war eine scharfe Rivalität. Im Westfälischen Frieden war zwar die Ausarbeitung einer neuen Reichsverfassung in Aussicht genommen worden; diese ist aber nie zu stande gekommen. Es war daher leicht erklärlich, daß sich sowohl das Reichsoberhaupt als die mächtigern Mitglieder des Reichs in allem, was ihre Sonderinteressen betraf, möglichst vom Reichsverband loszulösen und auf eigne Hand vorzugehen suchten, und der Westfälische Friede hatte ihnen dies auch durch das den Ständen gegebene Recht, Bündnisse mit auswärtigen Mächten zu schließen und Krieg zu führen, erleichtert. Die Reichsverfassung hatte höchstens noch für die kleinen Stände Bedeutung, von den größern wurde sie umgangen oder nicht berücksichtigt und daher bald Gegenstand allgemeinen Hohns und Widerwillens.
Gab es nun in Deutschland noch Elemente, welche ohne und trotz der unbrauchbaren Reichsverfassung die deutschen Interessen wahrzunehmen im stande und willens waren, die den Kern für eine Neugestaltung des Reichs hätten bilden können? Ohne Zweifel hätte dies dem mächtigen Kaiserhaus zunächst obgelegen, welches seit 200 Jahren die Würde des Reichsoberhauptes besaß. Aber weit entfernt, die verlorne Machtstellung wiedergewinnen zu wollen, zog sich Österreich mehr und mehr von Deutschland zurück, indem es sich von den Reichslasten und -Pflichten frei machte und sich nach der völligen Unterdrückung des Protestantismus in seinem Gebiet geistig von Deutschland absperrte.
Auf den Reichstagen suchte es indirekt, durch Schleichwege und Bestechung, seinen Vorteil zu wahren und das Reich sich dienstbar zu machen. Sein Einfluß auf die Reichsstände war so gesunken, daß es nach Ferdinands III. Tod lange fraglich war, ob die Kaiserkrone noch beim Haus Habsburg bleiben würde. Unter den Reichsfürstenfamilien waren einige zu bedeutender Macht gelangt. Bayern hatte nebst der Oberpfalz die Kurwürde erworben und war neben Österreich das mächtigste Fürstentum in Süddeutschland. Am Rhein war Kurpfalz wiederhergestellt und mit der neugeschaffenen achten Kur belehnt worden. In Mitteldeutschland lag das durch die Lausitz vergrößerte Kursachsen, im Norden besaß das Haus Braunschweig-Lüneburg einen ansehnlichen Länderkomplex, vor allem vereinigte aber Kurbrandenburg unter seiner Herrschaft ein großes Gebiet, welches im Westfälischen Frieden noch ansehnlich vermehrt worden war: die Marken, Hinterpommern mit Kammin, Magdeburg, Halberstadt, Minden, Ravensberg, Mark und Kleve, dazu im äußersten Osten jenseit der Reichsgrenze das Herzogtum Preußen.
Eine Union dieser bedeutendsten Fürstenhäuser, der sich andre Stände angeschlossen hätten, würde in der Lage gewesen sein, den innern Frieden im Reich aufrecht zu erhalten und seine Sicherheit nach außen zu wahren. Aber die streng katholische Richtung seines Fürstenhauses trennte Bayern von den meist protestantischen weltlichen Reichsständen. Sachsen und Braunschweig-Lüneburg waren von Neid und Eifersucht gegen das mächtig emporstrebende Brandenburg erfüllt, Kurpfalz konnte sich dem französischen Einfluß nicht entziehen, dem sich die rheinischen Stände, besonders die drei geistlichen Kurfürsten, seit Stiftung des Rheinbundes ganz ergeben hatten.
Der Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg machte 1654 den ersten Versuch einer deutschen Unionspolitik, indem er zunächst die protestantischen Stände zu einem Bund unter seiner Führung zu vereinigen strebte, der Deutschland gegen seine Ausbeutung für fremde Interessen, seien es nun österreichische oder schwedische, schützen sollte. Aber er wurde durch Schwierigkeiten und Gefahren, in die ihn der Ausbruch des schwedisch-polnischen Kriegs 1655 stürzte, verhindert, diesen Plan weiter zu verfolgen. Wenigstens beugte er der völligen Zerreißung Deutschlands dadurch vor, daß er 1658 die Wahl des französischen Königs Ludwig XIV., der die Stimmen der geistlichen Kurfürsten bereits erkauft hatte, verhinderte und die deutsche Krone durch die Wahl Leopolds I. (1658-1705) dem Haus Habsburg erhielt.
Der neue Kaiser wurde durch eine neue Wahlkapitulation in der Ausübung seiner Gewalt noch mehr eingeengt als seine Vorgänger und in allem an die Zustimmung der Reichsstände gebunden. Um so mehr hielt er sich für berechtigt, durchaus nur die österreichischen Sonderinteressen zu verfolgen und sich um das Reich nur so weit zu bekümmern, als es durch allerlei Ränke, wie Bestechung eines Teils der Stände, möglich war, dasselbe für diese Sonderinteressen auszubeuten.
Von einer festen, klaren Reichspolitik konnte um so weniger die Rede sein, als Leopold auch die österreichische Politik nicht nach praktischen Gesichtspunkten leitete, sondern sich durch kirchliche und dynastische Tendenzen beeinflussen ließ. Durch fanatische Verfolgung der ungarischen Protestanten reizte er die Ungarn wiederholt zur Empörung und trieb sie den Türken in die Arme, welche, statt durch die Streitkräfte Ungarns von den deutschen Grenzen abgehalten zu werden, mit deren Hilfe sie fortwährend bedrohten und wiederholt tief in das Innere Österreichs eindrangen.
Die Wahrscheinlichkeit des Erlöschens der spanischen Habsburger regte zu immer neuen Plänen und Kombinationen an, um im Kampf oder im Bund mit dem rivalisierenden Haus Bourbon die gesamte spanische Monarchie oder einen Teil derselben zu erwerben. Unter diesem Gesichtspunkt allein wurde die österreichische Politik gegen Frankreich bestimmt, für diesen Zweck die militärische Kraft des Reichs aufgeboten und die spätern Erfolge der deutschen Waffen verwertet. Die kaiserliche Armada, wie es in der Mischsprache des Wiener Hofs hieß, war stattlich, wohl gerüstet und geübt und von tüchtigen Feldherren geleitet. 1664 erfocht sie bei St. Gotthardt einen glänzenden Sieg über die Türken. Aber im übrigen war die österreichische Verwaltung unter dem schwerfälligen, engherzigen und bigotten Leopold so
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erbärmlich, daß die reichen Länder nicht die notdürftigsten Kosten aufzubringen vermochten und der Kaiser von fremden Subsidien abhängig war.
Die nach neuen Eroberungen in Deutschland lüsterne schwedische Habgier war durch den Bund des Kaisers mit Brandenburg, Polen und Dänemark 1658-60 abgewehrt und Schweden in seine Grenzen zurückgewiesen worden. An der Westgrenze aber machte Ludwig XIV., auch nachdem seine Kaiserwahl vereitelt worden, immer bedrohlichere Fortschritte, indem er im Kampf mit Spanien die 1556 an dieses überlassenen burgundisch-niederländischen Provinzen stückweise in seinen Besitz zu bringen wußte und die Ausdehnung Frankreichs bis an seine natürliche Grenze, den Rhein, offen beanspruchte. Im Pyrenäischen Frieden (1659) erwarb er ein wichtiges Stück von Flandern; im Devolutionskrieg suchte er die ganzen spanischen Niederlande zu annektieren, und weder Kaiser noch Reich hätten ihn daran gehindert: der Aachener Friede, den ihm die Tripelallianz der Seemächte mit Schweden 1668 aufnötigte, ließ ihm den Besitz von zwölf wichtigen Festungen.
Viele Fürstenhöfe standen in französischem Sold, und der französische Gesandte war auf dem Reichstag in Regensburg die einflußreichste Persönlichkeit. Der Herzog von Lothringen, dessen Fürstentum die Verbindung Frankreichs mit dem Elsaß unterbrach, wurde, als er sich der französischen Botmäßigkeit nicht unbedingt fügen wollte, 1670 ohne weiteres verjagt und seines Landes beraubt. Die Herrschsucht und Anmaßung des französischen Eroberers überschritten endlich alles Maß und zwangen dem Kaiser und dem Reich die Waffen in die Hände.
Als Ludwig XIV. 1672 im Bund mit den Bischöfen von Köln und Münster die vereinigten Niederlande überfiel, um sie für die Tripelallianz zu züchtigen, sammelte er seine Truppen auf deutschem Reichsgebiet und besetzte mit ihnen die klevischen Städte. Ein kaiserliches und ein brandenburgisches Heer rückten an den Rhein, um die Reichsgrenzen zu schützen. Bei der Zurückweisung desselben drangen die Franzosen bis tief in das Innere des Reichs ein, besetzten Trier, verwüsteten die Pfalz und unterjochten die zehn Reichsstädte im Elsaß.
Jetzt ermannten sich Kaiser und Reich zu einer Kriegserklärung an Frankreich, und kaiserliche und deutsche Reichstruppen kämpften 1674 bis 1678 im Verein mit denen Spaniens und Hollands am Rhein, während gleichzeitig die norddeutschen Fürsten den frechen Angriff Schwedens zurückwiesen. Die Heere der Koalition kämpften tapfer und nicht unglücklich; im Norden errang der Große Kurfürst über die Schweden den glänzenden Sieg von Fehrbellin und entriß ihnen ganz Pommern.
Indes die materiellen Hilfsmittel der Verbündeten waren bald erschöpft, ihre Feldherren und Staatsmänner durchkreuzten bei der Kriegführung und bei den Friedensverhandlungen durch Mißtrauen und Eifersüchteleien gegenseitig ihre Pläne, und so trug Ludwig XIV. endlich doch über die uneinige Koalition den Sieg davon. Im Frieden zu Nimwegen (1678) behielt er Lothringen, die elsässischen Städte, die Franche-Comté und eine Reihe belgischer Festungen und tauschte gegen Philippsburg Freiburg i. Br. ein. Darauf zwang er im Frieden von St.-Germain (1679) den Kurfürsten von Brandenburg, seine schwedischen Eroberungen wieder herauszugeben.
Dieser unglückliche Ausgang des ersten Koalitionskriegs verschärfte den Zwist zwischen den Verbündeten und die Spaltung im Reich. Man verzweifelte an der Möglichkeit, sich der französischen Universalmonarchie entziehen zu können. Nicht bloß die meisten rheinischen Stände, auch mächtige patriotische Fürsten, wie Brandenburg, schlossen sich dem französischen König an, und als der Kaiser durch seine Verfolgungssucht gegen die ungarischen Protestanten dort einen gefährlichen Aufstand heraufbeschwor und die Türken zu einem großartigen Kriegszug gegen Deutschland rüsteten, glaubte Ludwig XIV. die Maske des Schutzes deutscher Verfassung und Freiheit, die er bisher vorgehalten fallen lassen und zur offenen Gewaltthat schreiten zu können. 1679 errichtete er in Metz und Breisach Reunionskammern (s. d.), welche alle Gebiete, die jemals zu den in den letzten Friedensschlüssen vom Reich abgetretenen Ländern gehört hatten, für Frankreich reklamierten, und ließ dieselben sofort besetzen. 1681 bemächtigte er sich durch Verrat und Einschüchterung der freien Reichsstadt Straßburg, des Schlüssels zu Süddeutschland.
Ein Schrei der Entrüstung ging durch ganz Deutschland und schien den schlummernden Patriotismus der Fürsten und des Volkes zu energischer Thatkraft aufzureizen, aber er erstickte in den schwerfälligen Modalitäten der Reichsverfassung, die es nur zu ohnmächtigen Protesten kommen ließ. Überdies machte der Einfall eines ungeheuern türkischen Heers, welches von Ungarn aus 1683 bis Wien vordrang und dieses Bollwerk des Südostens hart belagerte, einen Krieg mit Frankreich unmöglich.
Die ganze kaiserliche und Reichsmacht mußte aufgeboten werden, um durch den Sieg am Kahlenberg (12. Sept.) Wien zu befreien und die Türken nach Ungarn zurückzutreiben. Hier erfochten die kaiserlichen Feldherren Karl von Lothringen, Ludwig von Baden und Eugen von Savoyen glänzende Erfolge: 1686 wurde Ofen erstürmt, 1697 die türkische Heeresmacht bei Zenta aufs Haupt geschlagen und im Frieden von Karlowitz 1699 Ungarn mit seinen Nebenlanden dem Kaiser als Erbreich unterworfen.
Im Osten kamen die mit Hilfe deutscher Truppen errungenen Siege und die Erweiterung der österreichischen Hausmacht wenigstens der Sicherheit der Reichsgrenze zu gute. Im Westen dagegen brachte der auch hier sich geltend machende Aufschwung der militärischen Kraft Österreichs und Deutschlands dem letztern nicht die gewünschte Frucht. Nachdem das Reich im Regensburger Waffenstillstand 1684 Ludwig XIV. den Besitz der Reunionen für 20 Jahre zugestanden hatte, erhob derselbe 1685 nach dem Aussterben der kurpfälzischen Linie der Wittelsbacher für seine Schwägerin Elisabeth Charlotte Anspruch auf die Allodialgüter des pfälzischen Hauses.
Zur Abwehr dieses Übergriffs, mit dem der Widerruf des Edikts von Nantes und die Thronbesteigung des katholischen, französisch gesinnten Jakob II. in England zusammenfielen, vereinigten sich der Kaiser, die angesehensten deutschen Stände, Spanien, die Niederlande und Schweden 1686 zu der Liga von Augsburg; der Prinz Wilhelm III. von Oranien bereitete eine allgemeine Koalition Europas gegen Frankreichs Tyrannei vor. Ludwig XIV. nahm 1688 die Nichtanerkennung seiner Kreatur, des Grafen Wilhelm von Fürstenberg, als Erzbischof von Köln von seiten des Papstes und des Reichs zum Anlaß, um seinen Gegnern mit der Kriegserklärung zuvorzukommen. Er begann die Feindseligkeiten mit einem Akt kalter, wohlüberlegter Barbarei, indem er die gesegnete Pfalz, um sie für seine Feinde als Operationsgebiet unbrauchbar zu machen, durch Feuer und Schwert in eine Einöde verwandeln ließ. Mannheim, Kreuznach, Oppenheim, Frankenthal, Baden, Bruchsal, Offenburg, Heidelberg mit seinem herrlichen Schloß, Worms und Speier wurden eingeäschert, das platte Land, auch das des benachbarten kölnischen und trierschen Gebiets, verwüstet. Diese That
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frevelhaften Übermuts erregte einen solchen Sturm der Entrüstung, daß sich unter Führung Wilhelms von Oranien, der eben den letzten Stuart, Jakob II., vom englischen Thron gestürzt, eine große Koalition gegen Frankreich bildete, welcher sich fast alle europäischen Mächte, selbst der Papst, anschlossen. Acht Jahre kämpften kaiserliche und deutsche Reichstruppen am Rhein und in den Niederlanden gegen die Franzosen; wenn es ihnen auch gelang, den Boden des Reichs zu schützen, so vermochten die Heere der Koalition doch im Landkrieg keine entscheidenden Erfolge zu erringen.
Beiderseitige Erschöpfung nötigte die Kriegführenden 1697 zum Frieden von Ryswyk, an dessen Verhandlungen auch die Reichsdeputierten sich beteiligten, ohne jedoch großen Einfluß auszuüben. Der Kaiser war es, der den Frieden abschloß und dabei das Interesse besonders der evangelischen Stände in wichtigen Punkten unberücksichtigt ließ: Frankreich gab einige Reunionen sowie Lothringen heraus, behielt aber das Elsaß mit Straßburg und Saarlouis und setzte es durch, daß der in der Pfalz seit 1688 mit Gewalt hergestellte Katholizismus in 1922 Ortschaften herrschend blieb.
Die spanische Erbfolgefrage hatte wenige Jahre später den Ausbruch eines neuen Kriegs zur Folge, in welchen auch das Reich verwickelt wurde. Zwar war es Deutschlands Interesse durchaus nicht, daß die spanische Monarchie mit Österreich verbunden wurde. Wie die Seemächte, so mußte auch das Reich nur wünschen, daß Spanien nicht an Frankreich fiel. Aber als die Kombination, die Erbschaft einem Dritten, dem bayrischen Kurprinzen Joseph Ferdinand, zu übertragen, durch dessen frühen Tod (1699) vereitelt wurde, als sich nach dem Tode des letzten spanischen Habsburgers, Karl II. ein Testament vorfand, welches Ludwigs XIV.
Enkel Philipp von Anjou zum Erben der ganzen Monarchie einsetzte, und der stolze Ludwig XIV. weder auf eine Teilung der Erbschaft eingehen, noch die immerwährende Trennung der französischen und der spanischen Monarchie versprechen wollte, sahen sich die Seemächte gezwungen, Österreich im Kampf gegen die maßlose Herrschsucht Frankreichs beizustehen, und auch das Reich mußte demselben 30. Sept. den Krieg erklären, nachdem das Bündnis der beiden Wittelsbacher, des Kurfürsten Max Emanuel von Bayern und des Erzbischofs Joseph Klemens von Köln, mit Ludwig XIV. den Krieg auf Reichsgebiet übertragen hatte.
Überdies hatte der Kaiser die mächtigsten Reichsfürsten, wie die Kurfürsten von Hannover, Pfalz, Sachsen und Brandenburg, durch besondere Bündnisse für sich gewonnen und zur Stellung ansehnlicher Hilfstruppen vermocht. Der spanische Erbfolgekrieg (s. d.) entbrannte zu gleicher Zeit in den Niederlanden, in Italien und in Süddeutschland. Hier schien 1703 das Kriegsglück für die verbündeten Franzosen und Bayern sich entscheiden zu wollen. Der Marschall Villars eroberte Landau und Breisach und rückte über den Oberrhein, den Markgraf Ludwig von Baden 1702 mit Erfolg verteidigt hatte, in Schwaben ein, wo er sich mit Max Emanuel vereinigte, um in Tirol dem in Oberitalien vordringenden Herzog von Vendôme die Hand zu reichen.
Der Aufstand des Tiroler Volkes verhinderte dies, aber die Verbündeten besetzten Augsburg und 1704 auch Passau und bedrohten die kaiserlichen Erblande, während ein Aufstand in Ungarn wütete. Die kühne und mit Geschick durchgeführte Vereinigung der drei Feldherren der Verbündeten, Marlboroughs mit dem Heer der Seemächte, Eugens von Savoyen mit den Kaiserlichen und Ludwigs von Baden mit den Reichstruppen, an der obern Donau 1704 brachte einen völligen Umschwung hervor. Die beiden Siege Marlboroughs und Ludwigs am Schellenberg bei Donauwörth (2. Juli) und Marlboroughs und Eugens bei Höchstädt (13. Aug.) über Tallard und Max Emanuel warfen die Franzosen über den Rhein zurück und brachten Bayern in die Gewalt der Kaiserlichen. Das eigentliche Reichsgebiet war von den Feinden befreit, der Krieg wurde fortan in Italien und den Niederlanden auf nichtdeutschem Boden und mit steigendem Kriegsglück geführt.
Aber nun zeigte sich, daß Österreich die durch die Unterstützung des Reichs und seiner Fürsten errungenen Erfolge nur zu seinem Vorteil auszubeuten suchte. Kaiser Joseph I. (1705-11), der älteste Sohn Leopolds I., erklärte die beiden wittelsbachischen Kurfürsten, ohne die verfassungsmäßige Gutheißung des Reichstags und nur auf die Zustimmung der übrigen Kurfürsten gestützt, in die Acht und unterwarf Bayern nach blutiger Erstickung eines Bauernaufstandes seiner Herrschaft.
Die Proteste des Reichsfürstenkollegiums gegen dies eigenmächtige Verfahren blieben unbeachtet. Als die Niederlagen der Franzosen bei Turin, Ramillies, Oudenaarde und Malplaquet, die Erschöpfung der Menschen- und Geldkräfte sowie Hungersnot und Elend in seinem Land Ludwig XIV. so gedemütigt hatten, daß er 1709 dazu bereit war, auf die spanische Erbschaft zu verzichten und alle Eroberungen in Elsaß und Lothringen an das Reich zurückzugeben, wurde dies Anerbieten vom Kaiser mit der Forderung abgelehnt, Ludwig müsse seinen Enkel Philipp V., der den spanischen Thron mit Glück gegen den Habsburger Karl behauptete, selbst von demselben vertreiben helfen.
Dies übermütige Verlangen wies der französische König zurück, und der Sturz Marlboroughs und der kriegslustigen Whigpartei in England (1710), ferner der plötzliche Tod Josephs I., nach welchem, da Joseph keine Söhne hinterließ, dem spanischen Prätendenten Karl die ganze österreichische Hausmacht und die Kaiserkrone zufielen, bewirkten eine Spaltung unter den Verbündeten. Die Seemächte England und die Niederlande konnten kein Interesse dafür haben, daß Spanien und Österreich in Einer Hand vereinigt wurden, und als Karl VI. (1711-40) in verblendeter Hartnäckigkeit bei dem Anspruch hierauf beharrte, knüpften sie separate Unterhandlungen mit Frankreich an, die 1713 zum Frieden von Utrecht führten.
Der Kaiser setzte den Krieg gegen Ludwig XIV. und seinen Enkel fort, aber weder in Spanien noch am Oberrhein mit Erfolg. Der Kampfeseifer war bei den deutschen Fürsten schon so erlahmt, daß Prinz Eugen 1713-14 nur über kaiserliche und buntscheckige Reichstruppen verfügte, mit denen er der gesamten französischen Heeresmacht unter Villars nicht gewachsen war; er verlor selbst Landau, Freiburg und Breisach wieder an die Feinde und riet nun selbst zum Frieden, der in Rastatt zwischen Frankreich und dem Kaiser, in Baden in der Schweiz mit dem Reich im wesentlichen auf Grund der Utrechter Bedingungen zu stande kam.
Österreich erwarb aus der spanischen Erbschaft die italienischen Besitzungen (Mailand, Neapel und Sizilien) und die Niederlande, während das Reich zwar die verlornen rechtsrheinischen Festungen zurückerhielt, aber außer dem Elsaß nun auch Landau endgültig abtreten und die Ryswyker Klausel über die Religionsverhältnisse der Pfalz von neuem bestätigen mußte; die Kurfürsten von Bayern und von Köln wurden restituiert. So ging Deutschland aus dem langen, blutigen Krieg ohne jeden Gewinn hervor und welche Wunden hatte der Krieg
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dem mühsam sich erholenden Wohlstand Deutschlands geschlagen! Der Verwüstung der Pfalz durch die Franzosen folgte die Auswanderung zahlreicher Protestanten nach Amerika, wo sie die in ihrer Heimat bedrohte Gewissensfreiheit fanden. Das ganze Rhein- und Donaugebiet hatte jahrelang unter den Greueln des Kriegs gelitten, die Unterhaltung so großer Heere ungeheure Summen verschlungen, die in dem verarmten Land nur durch den furchtbarsten Steuerdruck beschafft werden konnten.
Außer dem österreichischen Kaiserhaus hatten auch mehrere deutsche Fürstenhäuser von den politischen Verwickelungen der letzten Jahrzehnte Vorteil gezogen. Der Herzog Ernst August von Hannover erlangte 1692 für die Stellung beträchtlicher Hilfstruppen im Türken- und im Franzosenkrieg die Kurwürde; die Anerkennung dieser neunten Kur durch die übrigen Kurfürsten und das Reich erfolgte allerdings erst 1705. Immerhin machte sie den fortwährenden Teilungen ein Ende, welche das Welfenhaus an Erwerbung größern Einflusses im Reich immer wieder gehindert hatten, und 1714 bestieg dies neue Kurhaus Hannover den britischen Thron, mit dem seine deutschen Lande fortan durch Personalunion verbunden waren. 1697 erreichte es Kurfürst Friedrich August von Sachsen durch seinen Übertritt zum Katholizismus und durch großartige Bestechungen, daß er zum König von Polen gewählt wurde.
Das Haus Wettin verlor damit den letzten Anspruch auf die Führerschaft der evangelischen Reichsstände, welchen es allerdings schon längst durch seine engherzige, selbstsüchtige und feige Politik verwirkt hatte. An seine Stelle trat nun Brandenburg, dessen Kurfürst Friedrich III. ebenfalls 1700 durch eifrige Unterstützung der kaiserlichen Politik eine Rangerhöhung erreicht hatte. Am krönte er sich selbst zum König seines souveränen Landes Preußen.
Indes wurde damit der Schwerpunkt der brandenburgischen Macht nicht in das Ausland verlegt, wie es bei den beiden andern Rangerhöhungen zum Unsegen Deutschlands geschah. Namentlich die polnische Königskrone gereichte Sachsen und auch Deutschland zum größten Unheil, indem sie wenige Jahre nach ihrer Erwerbung Deutschland in den Nordischen Krieg (1700-1720) verwickelte. Die Teilnahme Augusts II. an dem Angriff auf Schweden hatte zur Folge, daß Karl XII. ihn in Polen stürzte und bis in das Innere des Reichs verfolgte, wo er ihn 1706 zum Frieden von Altranstädt zwang.
Allerdings führte der Schwedenkönig durch sein tollkühnes Unternehmen gegen Rußland und sein hartnäckiges Verweilen in der Türkei den Untergang der Großmachtstellung, welche Schweden im Dreißigjährigen Krieg errungen, herbei. Bremen und Verden gingen 1720 an Hannover, Vorpommern bis zur Peene mit Stettin und den Odermündungen an Preußen, die Ostseeprovinzen an Rußland verloren. Die baltische Seeherrschaft Schwedens war vernichtet, indes Deutschland als Ganzes gewann wenig dabei. Die Verbindung zwischen Polen und Sachsen wurde wiederhergestellt, und an Schwedens Stelle trat als nordische Großmacht Rußland.
Die Bildung wirklicher Staaten auf dem Boden des Deutschen Reichs, wie der zweite preußische König, Friedrich Wilhelm I., einen schuf, und jene Verbindung andrer bedeutender Territorien mit fremden Königreichen beförderten ihre völlige Loslösung aus dem Rahmen des Reichs und den Verfall des Reichsorganismus um so mehr, da Kaiser Karl VI. auch nach dem spanischen Erbfolgekrieg bloß dynastische Politik betrieb. Nachdem der glänzende Aufschwung der kaiserlichen Armee unter der Führung eines Eugen von Savoyen sich noch einmal in einem glorreichen Türkenkrieg bewährt und Österreich im Frieden zu Passarowitz (1718) den Besitz Bosniens und Serbiens verschafft hatte, beschäftigte den Kaiser, der ohne männliche Erben blieb, einzig und allein die Sicherung der Erbfolge für seine älteste Tochter, Maria Theresia.
Nachdem er die Stände der kaiserlichen Erb- und Kronlande zur Anerkennung der neuen Thronfolgeordnung, der Pragmatischen Sanktion von 1723, bewogen, begann er die Verhandlungen über die Garantie dieser Sanktion mit Deutschland und Europa, welche seine ganze weitere Regierungszeit ausfüllten. Spanien wurde durch Abtretungen in Italien, die Seemächte durch handelspolitische Vorteile, Rußland durch Einlenken in seine politischen Bahnen gewonnen. Preußens Garantie erlangte Karl VI. durch Bestätigung von dessen Erbansprüchen auf Jülich-Berg und hielt sich derselben unter dem gut kaiserlich gesinnten und in seiner auswärtigen Politik ganz von Österreich abhängigen König Friedrich Wilhelm I. so fest versichert, daß er sich nicht scheute, 1738 Jülich-Berg der pfalz-sulzbachischen Linie zu versprechen.
Die übrigen Reichsfürsten wurden ohne Schwierigkeit zur Zustimmung bewogen, da ihre Interessen weniger von der Frage berührt wurden. Nur Bayern weigerte sich, auf seine Erbansprüche zu verzichten, welche teils auf alten Verträgen, teils auf der Vermählung des Kurfürsten mit Josephs I. Tochter beruhten. Das in ähnlicher Lage befindliche Sachsen ließ sich aber zur Anerkennung herbei, als der Kaiser die Bewerbung des Kurfürsten Friedrich August III. um den polnischen Königsthron gegen den von Frankreich begünstigten Stanislaus Leszczynski unterstützte und selbst vor einem Krieg dabei nicht zurückscheute.
Dieser polnische Erbfolgekrieg (1733-38, s. d.) erweiterte sich zu einem österreichisch-französischen Krieg und ward vorzugsweise in Italien und am Rhein geführt, wodurch auch das Reich in denselben verwickelt wurde. Auf Deutschlands Kosten ward auch 1738 der Wiener Friede geschlossen; gegen die Anerkennung Augusts III. als polnischen Königs und der Pragmatischen Sanktion von seiten Frankreichs ward Lothringen an Stanislaus abgetreten, nach dessen Tod (1766) es Frankreich zufallen sollte.
Auch Neapel und Sizilien mußte Österreich als Sekundogenitur den spanischen Bourbonen einräumen, erhielt aber dafür Toscana für den Gemahl Maria Theresias, Herzog Franz Stephan von Lothringen. Wie sehr durch die schwächliche Friedenspolitik die militärische Kraft Österreichs gesunken war, wurde in dem neuen Kriege gegen die Türkei klar, welchen Karl VI. auf Antrieb Rußlands und im Bündnis mit diesem unternahm, und der nach mehreren blutigen Niederlagen mit dem Frieden von Belgrad (1739) endete, in welchem Österreich alle im Passarowitzer Frieden Gewonnene wieder verlor. So hinterließ Karl VI. bei seinem Tod mit dem die österreichische Linie der Habsburger im Mannesstamm erlosch, Österreich militärisch und finanziell geschwächt und das Thronfolgerecht seiner Tochter Maria Theresia allein durch diplomatische Traktate gesichert, welche im 18. Jahrh. weniger Wert hatten als zu irgend einer andern Zeit.
Rivalität Österreichs unter Maria Theresia und Preußens unter Friedrich II.
In dem Jahrhundert, welches seit dem Westfälischen Frieden verflossen war, hatte der Reichskörper nicht die mindeste Kräftigung erfahren, der Verfall der überlieferten Reichsinstitutionen vielmehr bedeutende Fortschritte gemacht. In der Zeit der
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empörendsten Herausforderung Deutschlands durch Ludwig XIV. hatte sich zwar 1681 der Reichstag zu einer Revision der seit 1521 bestehenden Reichskriegsverfassung ermannt, welcher die Kreisverfassung zu Grunde gelegt wurde. Jeder der zehn Reichskreise, Österreich und Burgund nicht ausgenommen, war zur Stellung eines festen Kontingents zum Reichsheer, das auf eine Stärke von 40,000 Mann normiert war, und bei einer eventuellen Erhöhung dieser Norm auf die doppelte oder dreifache Truppenzahl zu entsprechender Vermehrung seines Kontingents verpflichtet; die Kosten dieses Reichsheers sollten aus einer gemeinsamen Reichskriegskasse bestritten werden.
Aber selbst diese Teilung des Heers in Kreiskontingente war nicht im stande, die schleunige und vollzählige Aufstellung derselben herbeizuführen. In Fällen der Not pflegten die bedrohten Stände durch besondere Bündnisse, sogen. Assoziationen, ihre Streitkräfte zu ihrem Schutze zu vereinigen. Die größern Reichsfürsten stellten ihre Truppen überhaupt nicht zu den Kreiskontingenten, denn dann würden sie, wie z. B. die brandenburgischen, auf mehrere verteilt worden sein, sondern zogen es vor, sie dem Kaiser oder seinen Verbündeten als Hilfstruppen zu stellen, was ihnen zuweilen noch besondere Subsidien einbrachte.
Die Kreisheere bestanden daher meist aus einem bunten Gemisch kleinerer Kontingente und waren militärisch von geringem Werte. Das Reichskammergericht, welches von Speier nach Einäscherung der Stadt durch die Franzosen 1693 nach Wetzlar verlegt worden war, genoß keine Autorität. Tausende von Prozessen blieben unerledigt, nur mit den größten Opfern an Geld und Mühe war ein Ausspruch des Gerichts zu erlangen und die Ausführung desselben oft ein Ding der Unmöglichkeit.
Der Reichshofrat in Wien, der sich allmählich zu einem mit dem obersten Reichsgericht konkurrierenden Gerichtshof herausgebildet hatte, stand in noch schlimmerm Ruf betreffs der Bestechlichkeit und Parteilichkeit seiner vom kaiserlichen Hof beeinflußten Mitglieder als das Reichskammergericht. Die ständige Wahlkapitulation, welche bei Karls VI. Wahl 1711 durchgesetzt worden war, um ihre Rechte dem Kaiser und den Kurfürsten gegenüber genau festzustellen, machte alle Reformen der Reichsverfassung unmöglich, ohne ihren Verfall aufzuhalten.
Die unverwüstliche Lebenskraft der Nation, welche trotz der Zerstörung des Dreißigjährigen Kriegs und des Elends der französischen Raubkriege sich wieder regte, mußte sich in kleinern Kreisen bethätigen, in den Territorialstaaten und in den Städten. Auch hier traf sie auf allerlei Hemmungen. Ein selbstthätiges politisches Leben war unmöglich, seit die Fürsten in ihren Landen die Rechte der Stände, welche allerdings starr an ihren Privilegien hingen und jeden, auch den berechtigtsten Fortschritt verhinderten, unterdrückt und ein absolutes Regiment mit Günstlings- und Mätressenwirtschaft errichtet hatten.
Wie hierbei, so war auch in der Pracht und Sittenlosigkeit des Hoflebens Ludwig XIV. das bewunderte und sklavisch nachgeahmte Vorbild der meisten deutschen Fürsten, welche, französisch gebildet, auch nur französisch redeten und dachten. Der Hofhalt Augusts des Starken von Polen-Sachsen wetteiferte in verschwenderischer Prachtentfaltung mit dem von Versailles. Die Kurfürsten von Hannover, der erste König von Preußen, aber auch die kleinern Fürsten, wie die Herzöge von Württemberg und die Landgrafen von Hessen, entwickelten einen übermäßigen Luxus, der die Kraft des Volkes verzehrte; die Unterthanen seufzten unter der Willkür der Beamten und unter dem Druck unerschwinglicher Steuern; auch an den geistlichen Höfen herrschten Verschwendung und Leichtfertigkeit, wenngleich der Krummstab die Bevölkerung nicht so rücksichtslos auszusaugen verstand wie weltliche Beamte.
Aber selbst diese Prachtliebe und Eitelkeit der Fürsten machte sich der emporstrebende Geist des Volkes zu nutze, indem bei Bau und Ausschmückung von Schlössern, Theatern und Galerien die bildenden Künste sich entwickelten und an Universitäten und Akademien Männer wie Leibniz, Thomasius, Wolf u. a. die echte, freie Wissenschaft zur Geltung brachten. Äußerte sich der fürstliche Despotismus auch mitunter noch in empörender Intoleranz gegen Andersgläubige, wie bei der Vertreibung der protestantischen Salzburger (1732), so setzten doch schon viele Fürsten ihren Stolz darein, der religiösen Aufklärung zu huldigen.
Das mildere, werkthätige, gefühlsinnige Christentum der sogen. Pietisten begann die starre Eisrinde der lutherischen und calvinistischen Orthodoxie zu zersprengen. Auch der Wohlstand hob sich, zwar langsam und oft unterbrochen, aber doch in sichtbarem Fortschritt; die deutschen Häfen füllten sich wieder mit Schiffen und entwickelten einen fruchtbaren Austausch deutscher und ausländischer Waren. Der Bürgerstand, der Kern der Nation, führte ein strenges, steifes, aber sittlich-ernstes Leben, seine Bildung war beschränkt, aber deutsch, und im innersten Kern gesund und frisch, fühlte er in sich die Kraft und den Trieb, seine geistigen und materiellen Verhältnisse zu verbessern und zu höhern Zielen emporzusteigen.
Ja, in einem Teil Deutschlands erwachte auch wieder patriotischer Sinn, der Staatsgedanke, das erhebende und tröstende Bewußtsein, einem größern Ganzen anzugehören und einem höhern Staatszweck zu dienen. Dies ist das Verdienst des brandenburgisch-preußischen Staats und seiner Herrscher, des Großen Kurfürsten, Friedrich Wilhelms I. und Friedrichs II. Allerdings nahm dieser Staat, nachdem die Regierung Friedrichs I. durch ihre Verschwendung seine Entwickelung gefährdet hatte, unter Friedrich Wilhelm I. ein rauhes, spartanisches Wesen an, die Beamten, Soldaten und Unterthanen wurden in harte, fast barbarische Zucht genommen, aber es wurde kein Pfennig mehr verschwendet, durch eine ausgezeichnete Verwaltung das Land aus Elend und Verarmung befreit, der Geist religiöser Toleranz dem Staat eingeimpft, die Rechtspflege wohl geordnet und durch vortrefflich geregelte Finanzen und durch ein allein aus Landesmitteln erhaltenes, ausgezeichnet geschultes Heer der Staat auf eigne Füße gestellt. So schwer der Druck des straffen preußischen Regiments auf dem Einzelnen lasten mochte, das Heer, die Beamten, endlich auch das Volk hatten das Bewußtsein, daß ihre Dienste und Opfer nicht umsonst dargebracht wurden, daß der so geschaffene Staat ihnen Ehre, Schutz ihres Rechts und Eigentums verbürge, und daß patriotisches Zusammenhalten dem Ganzen und dem Einzelnen Vorteil bringe. Nicht fürstliche Launen, nicht dynastische Ränke beherrschten den preußischen Hof, sondern der bewußte Staatszweck; Wohl und Größe Preußens waren die Beweggründe, welche Regierung und Volk beseelten und den jungen König Friedrich II. antrieben, in der Krisis, welche das Erlöschen des habsburgischen Mannesstamms in Deutschland 1740 herbeiführte, eine entscheidende Rolle zu spielen.
Die Erbin Karls VI., Maria Theresia, rechnete im Vertrauen auf ihres Vaters Verträge und auf die zur Gewohnheit gewordene Unterordnung des
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Reichs unter die Wünsche des Wiener Hofs zuversichtlich nicht bloß auf ihre eigne unangefochtene Thronfolge, sondern auch auf die Wahl ihres Gemahls, des Großherzogs Franz Stephan von Toscana, zum Kaiser. Mit Entrüstung wies sie daher das Ansinnen des Königs von Preußen zurück, der für die Garantie der Pragmatischen Sanktion und die Wahl ihres Gemahls auf Grund alter Erbansprüche die Abtretung eines Teils von Schlesien verlangte. Indes mußte sie bald einsehen, daß ihre Herrschaft doch nicht so unerschütterlich begründet war, wie sie geglaubt.
Als Friedrich II. die Ablehnung seines Anerbietens mit der Besetzung von Schlesien beantwortete und über die österreichische Armee den Sieg von Mollwitz erfocht, schloß Frankreich mit dem Kurfürsten Karl Albert von Bayern das Nymphenburger Bündnis dem auch Spanien, Sardinien, Preußen, Kurpfalz, Köln und Sachsen beitraten. Das Ziel desselben war, daß Maria Theresia und die habsburgisch-lothringische Dynastie des Kaisertums beraubt und auf den Besitz Ungarns beschränkt werden sollte; Bayern sollte die österreichischen Erblande, Sachsen einen Teil von Böhmen, Mähren und Oberschlesien, Frankreich die Niederlande, Spanien und Sardinien die italienischen Lande bekommen, die Kaiserkrone in freier Wahl auf das bayrische Haus übertragen werden.
Die österreichische Monarchie sollte also zertrümmert, die österreichische Hegemonie in Deutschland durch die französische und die einiger weniger mächtiger Reichsfürsten ersetzt werden. Der österreichische Erbfolgekrieg (s. d.) begann damit, daß die Franzosen, Bayern und Sachsen in Österreich und Böhmen im Herbst 1741 einrückten. Karl Albert wurde in Prag zum König von Böhmen, in Frankfurt a. M. als Karl VII. (1742-45) zum Kaiser gekrönt. Die mutige junge Königin Maria Theresia fand jedoch in Ungarn begeisterte Anerkennung und aufopfernden Beistand.
Noch 1741 wurden die Verbündeten aus Österreich vertrieben und sogar Karls VII. Hauptstadt München besetzt. Ihres gefährlichsten Feindes, des Preußenkönigs, der die Österreicher zum zweitenmal bei Chotusitz schlug, entledigte sich Maria Theresia durch die Aufopferung Schlesiens im Frieden von Breslau und schloß darauf 1743 zur Bekämpfung Frankreichs mit den Seemächten England und den Niederlanden, ferner mit Sardinien und Sachsen ein Bündnis, welches ihren Waffen in Deutschland den vollständigsten Sieg verschaffte. Vergeblich suchte Friedrich II. durch die Frankfurter Union (Mai 1744) und einen Einfall in Böhmen an der Spitze von 80,000 Mann kaiserlicher Hilfsvölker (1744) Kaiser Karl VII. zu retten und den Besitz Schlesiens zu sichern. Nach Karls VII. Tod unterwarf sich sein Sohn Maximilian Joseph im Frieden von Füssen Österreich, Maria Theresias Gemahl wurde als Franz I. (1745-65) zum Kaiser erwählt, und Österreicher und Sachsen fielen, nachdem Friedrich II. zum Rückzug aus Böhmen gezwungen worden, im Mai 1745 in Schlesien ein, um dasselbe wiederzuerobern.
Die Siege der Preußen bei Hohenfriedberg (4. Juni), bei Soor (30. Sept.) und bei Kesselsdorf (15. Dez.) vereitelten dies Unternehmen. Im Frieden von Dresden (25. Dez.) mußte Maria Theresia ihren Gegner im Besitz Schlesiens bestätigen. Auch der Krieg mit Frankreich, welcher in den österreichischen Niederlanden geführt wurde, nahm mit dem Sieg des Marschalls von Sachsen bei Fontenoy 1745 noch einmal eine ungünstige Wendung. Indes die Erschöpfung der beiden bourbonischen Königreiche, welche jetzt allein noch den Krieg und zwar ohne eigentlichen Zweck fortsetzten, führte 1748 zum Aachener Frieden, welcher Maria Theresia als Erbin Karls VI. anerkannte und ihr den Besitz aller österreichischen Lande ließ, mit Ausnahme Schlesiens, welches Preußen behielt, und der Fürstentümer Parma und Piacenza, welche als Sekundogenitur den spanischen Bourbonen zufielen.
Österreich hatte also mit der Kaiserkrone die herrschende Stellung im Reich behauptet. Jedoch Kaisertum und Reich wollten jetzt noch weniger bedeuten als früher. Maria Theresia hatte ja selbst den Kaiser Karl VII. bekämpft und sich um den Reichstag und seine Rechte wenig gekümmert. Ebensowenig waren die übrigen Fürsten des Reichs, vor allen Preußen, gewillt, sich durch Reichsordnungen binden zu lassen. Die Machtinteressen und politischen Gegensätze zwischen Österreich und der nächstgrößten deutschen Macht, der preußischen, stießen also unvermittelt und ungemildert durch ihre Reichspflichten aufeinander und mußten zum Konflikt führen.
Der Haß Maria Theresias gegen Friedrich II., den sie zu vernichten wünschte, führte einen völligen Umschwung in der Stellung Österreichs zu seinen bisherigen Gegnern und damit eine wichtige Änderung im Reich und in der ganzen europäischen Politik herbei. Nach 250jährigem Kampf, in welchem Frankreich und die Bourbonen groß geworden, Österreich glänzenden Waffenruhm sich erworben hatte, vereinigten sich jetzt beide Großmächte zur Unterdrückung eines Störenfrieds und Eindringlings in das von ihnen geschaffene Staatensystem.
Durch das österreichisch-französische Bündnis wurden auch die bisher unter französischem Einfluß stehenden Reichsstände Österreich dienstbar, und das offizielle Reich stand fortan zur unbedingten Verfügung des kaiserlichen Hofs. Indem sich Schweden und Rußland dem Bund anschlossen, wurde fast das ganze festländische Europa gegen Preußen vereinigt, das nur England und außer den von England abhängigen Hannover sehr wenige Reichsstände auf seiner Seite hatte.
Schon die Verträge der Verbündeten mußten aber den gebildeten, besonders den protestantischen Teil der deutschen Nation darüber belehren, auf welcher Seite ihr wahres Interesse verteidigt wurde: nicht bloß sollten deutsche Reichsgebiete, wie Vorpommern, fremden Mächten preisgegeben werden, Ostpreußen an Rußland fallen und damit die Ostsee dem deutschen Handel verschlossen werden, ferner durch Abtretung der österreichischen Niederlande an Frankreich dessen Macht und Einfluß im Westen eine bedeutende Stärkung erfahren, sondern es waren auch die Erhaltung des Protestantismus und damit der mühsam errungene kirchliche Friede, die geistige Freiheit und die aufblühende Litteratur in Deutschland durch den Sieg der beiden katholischen Großmächte ernstlich gefährdet.
Noch deutlicher freilich bewies der Verlauf des Siebenjährigen Kriegs (1756-63, s. d.) selbst, daß nicht im Lager der Kaiserlichen und des erbärmlichen Reichsheers, sondern in dem preußischen das höhere Recht, die größere Intelligenz und sittliche Kraft vertreten waren, daß Friedrich für die modernen Ideen und die Aufklärung, die Verbündeten für mittelalterliche Geistesknechtschaft kämpften. Um das einzige wirkliche Staatswesen in Deutschland, den deutschen Staat der Zukunft, zu zertrümmern, überschwemmten und verwüsteten französische, schwedische und russische Scharen, Kroaten und Panduren deutsche Landschaften. Das offizielle Reich und sein formell begründetes Rechtsverfahren gegen den preußischen Landfriedensbrecher
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standen mit der Wahrheit und dem sittlichen Werte der handelnden Faktoren in so grellem Widerspruch, daß die offene Verhöhnung, die Friedrich der Achtserklärung entgegensetzte, allgemeinen Beifall fand, daß die schmähliche Niederlage der Reichsarmee bei Roßbach nicht Unwillen und Entrüstung gegen den Empörer wider Kaiser und Reich erregte, sondern nur Spott und Hohn über das erbärmliche Reichsheerwesen hervorrief, daß sich die deutsche Nation an den Heldenthaten des Preußenkönigs und seiner Soldaten, welche den alten Ruhm deutscher Kraft und deutschen Kriegsmuts weit über die Grenzen Europas hinaus erneuerten, aufrichtete und Nationalstolz und Selbstbewußtsein wiedergewann. Als Preußen nach sieben furchtbaren Kriegsjahren, nach glänzenden Siegen, aber auch schrecklichen Niederlagen erschöpft und aus tausend Wunden blutend, aber ungebeugt im Hubertsburger Frieden seinen Besitzstand behauptete, als es sich zeigte, daß die Macht halb Europas diese festgefügte, in Kampf und Not gestählte Monarchie nicht zu bezwingen vermochte, hatte der Staat Friedrichs d. Gr. den Rang einer Großmacht erlangt und sich in Deutschland zu einem Österreich ebenbürtigen Staat emporgeschwungen, welcher den Vorzug, den das erheblich größere Österreich in der Kaiserkrone besaß, durch sein ausgezeichnetes Heer, sein intelligentes Beamtentum und den intensiven Patriotismus seiner Einwohner ersetzte. Hiermit war der Dualismus der beiden deutschen Großmächte, Österreichs und Preußens, begründet, welcher die deutsche Geschichte über ein Jahrhundert beherrscht hat.
Das Ansehen des alten Reichs und seiner Institutionen hatte im Siebenjährigen Krieg den letzten Stoß erlitten. An eine Wiederbelebung des fast toten Körpers ward nicht mehr gedacht. Der Aufschwung, den das deutsche Volk durch Preußens Heldenkampf empfangen, machte sich auf andern Gebieten geltend. Es war Deutschland vergönnt, sich mehrere Jahrzehnte lang ungestört den Werken des Friedens hingeben zu dürfen. So wurden die schweren Wunden geheilt, die der Krieg dem Land geschlagen, die Verluste ersetzt, die der Wohlstand gelitten, und Ackerbau und Gewerbe, Handel und Wandel zu höherer Blüte gebracht.
Auch hierbei ging Friedrich II. mit gutem Beispiel voran und spornte andre Regierungen zur Nacheiferung an. Als hervorragendster Repräsentant des »aufgeklärten Despotismus«, der alles für das Volk, nichts durch das Volk erreichen wollte, förderte er durch Heranziehung von Kolonisten, durch Entwässerungen und Meliorationen sowie durch eingehende Belehrung, welche sich auf die kleinsten Details erstreckte, den Ackerbau und suchte durch Rechtsschutz und humane Behandlung den Bauernstand aufzumuntern; nichts ist Friedrich d. Gr. von seinem Volk höher angerechnet worden, als daß er den kleinen Mann vor Beamten- und Gutsherrenwillkür schützte und sein Recht achtete.
Gewerbe und Handel wurden zwar in etwas einseitiger Richtung begünstigt, da der König dem Merkantilsystem huldigte und die hohen Zölle bei der Zerrissenheit des Staatsgebiets in vieler Beziehung schädlich wirkten; dennoch blühten gewisse Industriezweige in ungeahnter Weise auf, und der Verkehr wurde durch die geordneten Zustände erleichtert. Die Reform der Justiz und die Ausarbeitung des preußischen Landrechts erhoben den preußischen Richterstand auf eine hohe Stufe und machten das preußische Gerichtswesen zu einem Muster für alle andern Staaten.
Ebenso ragte die preußische Verwaltung durch Unbestechlichkeit, Intelligenz und freie Geistesrichtung sowie durch unermüdliche Thätigkeit hervor. Die preußische Armee galt seit dem Siebenjährigen Krieg selbstverständlich als die erste der Welt. Wenige Staaten in Deutschland konnten sich dem Einfluß dieses glänzenden Beispiels gänzlich entziehen. Einige, wie Baden, Bayern, die thüringischen Staaten, Anhalt, auch geistliche, wie Kurköln und Kurmainz, bemühten sich, durch bessere Verwaltung das materielle und geistige Niveau ihrer Unterthanen zu heben. Namentlich die Pflege der Künste und Wissenschaften wurde an manchen deutschen Fürstenhöfen geradezu eine Modeliebhaberei, die der Entfaltung der poetischen Nationallitteratur jedoch unschätzbaren Vorschub leistete. Obgleich ein Verächter derselben, hat der Philosoph von Sanssouci ihr indirekt freie Bahn gemacht und ihren Aufschwung befördert, indem er das wahre Menschentum wieder in seine Rechte einsetzte.
Am überraschendsten und deutlichsten wurden die Folgen der Nachahmung der Fridericianischen Staatsweisheit in Österreich sichtbar, wo Maria Theresia, durch schwere Schicksalsschläge geläutert und mit bedeutenden Herrschergaben ausgerüstet, das, was sie von ihrem Feind lernte, mit Klugheit und Energie anwandte, um eine einheitliche Verwaltung, gerechtere Verteilung der Steuern und Lasten, geregelte Finanzen, Erleichterung des Bauernstandes und eine Reorganisation des Heerwesens einzuführen und die Umwandlung Österreichs aus einem Konglomerat von Kronländern mit mittelalterlich-feudaler Verfassung in einen modernen Staat anzubahnen. So reich und unerschöpflich waren die Hilfsquellen Österreichs, daß es sich von den Schäden des Siebenjährigen Kriegs weit rascher erholte als Preußen und auch in militärischer Beziehung ihm ebenbürtig zur Seite trat.
Seine diplomatische Situation war sogar weit günstiger als die Friedrichs II., der von allen Seiten beneidet, beargwöhnt und angefeindet wurde. Das Bündnis Österreichs mit Frankreich blieb erhalten, seine Stellung im Reich befestigte sich durch die Erhebung Josephs II. (1765-90) auf den Kaiserthron nach dem Tod Franz' I., und Rußland war bei seinen Unternehmungen gegen die Türkei genötigt, sich Österreichs freundschaftliche Haltung zu sichern. Friedrich dagegen mußte alle seine diplomatische Kunst anwenden, um ohne einen neuen Krieg die preußischen Interessen gegen Rußland zu schützen. Um die völlige Absorption der zerrütteten polnischen Republik durch die moskowitische Großmacht zu verhindern, mußte er sogar eine Annäherung an Österreich suchen, die durch Josephs II. persönliche Verehrung für ihn allerdings erleichtert wurde (1769-71) und zu der ersten Teilung Polens (1772) führte.
Was Preußen hierbei erwarb, kam auch Deutschland zu gute: die Vereinigung Westpreußens mit dem preußischen Staat stellte die Verbindung mit Ostpreußen her und befreite dies Land aus einer Isolierung, die wiederholt die Gefahr seines Verlustes heraufbeschworen hatte, und rettete die letzten Reste des Deutschtums in jener ehemals deutschen Kolonie, die zur Zeit des Habsburgers Friedrich III. an Polen verloren gegangen war. Österreich erwarb bei der Teilung rein polnische Provinzen. Doch faßte es gleichzeitig eine Verstärkung seiner Macht in Deutschland ins Auge.
Von der Regierung der österreichischen Staaten bis zum Tod seiner Mutter (1780) ausgeschlossen, hoffte Joseph II. im Reich ein dankbares Feld für seinen Ehrgeiz und Feuereifer zu finden. Er versuchte es zuerst mit einer Reform der Reichsverfassung, vor allem der Reichsjustiz; doch blieb die
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Visitation des Reichskammergerichts ganz fruchtlos, und auch die Mißbräuche des Reichshofrats konnten nicht abgestellt werden. Er entschloß sich nun, den kaiserlichen Einfluß durch Vergrößerung des territorialen Besitzes in Deutschland zu vermehren. Er leitete zu diesem Zweck Verhandlungen mit dem Kurfürsten Karl Theodor von der Pfalz, welcher nach dem Erlöschen der bayrischen Wittelsbacher (1777) auch das Kurfürstentum Bayern geerbt hatte, über die Abtretung dieses Landes ein.
Jedoch Friedrich II. war entschlossen, dies nicht zu dulden, damit nicht das österreichische Kaisertum ein allzu großes Übergewicht im Reich erlange und seiner eignen Selbständigkeit gefährlich werde. Als Verteidiger der deutschen Reichsverfassung nahm er sich der Rechte des präsumtiven Nachfolgers Karl Theodors, des Herzogs Karl von Pfalz-Zweibrücken, an und protestierte gegen die österreichischen Vergrößerungspläne. Als Joseph II. nicht von diesen Abstand nehmen wollte, kam es zum bayrischen Erbfolgekrieg (1778-79, s. d.). Zwei preußische Heere rückten in Böhmen ein, doch vermieden beide Teile Entscheidungskämpfe und knüpften bald Verhandlungen an, in welche Friedrich II. seine Verbündete, Katharina II. von Rußland, als Vermittlerin hineinzog. Unter russischer Vermittelung ward der Friede zu Teschen abgeschlossen: Österreich erhielt von Bayern nur das Innviertel, Preußen sicherte sich den Anfall der fränkischen Fürstentümer.
Rußland fuhr seitdem fort, sich in die innern Angelegenheiten Deutschlands einzumischen und zwischen den rivalisierenden deutschen Großmächten eine dominierende Stellung zu beanspruchen. Und die Eifersucht zwischen Österreich und Preußen steigerte sich noch, als Joseph II. durch den Tod Maria Theresias unbeschränkter Herr über die Erblande geworden war. Indem er seinem jüngsten Bruder, Maximilian, die Stifter Köln und Münster verschaffte, wozu noch eine Reihe andrer geistlicher Fürstentümer kommen sollten, indem er ferner die Reichsgrafen und Reichsritter enger an den Wiener Hof kettete, alte kaiserliche Vorrechte wieder geltend machte und durch mancherlei Eigenmächtigkeiten die Rechte von Reichsständen verletzte, endlich die österreichischen Bistümer aus der Abhängigkeit von Passau und Salzburg zu befreien suchte, zugleich aber neben andern revolutionären Änderungen die Macht der Kirche in seinen Erblanden durch weitgreifende Säkularisationen verringerte: gab er deutlich seinen Plan kund, einmal den österreichischen Staat zu einem modernen Einheitsstaat umzugestalten, dann diesem das Deutsche Reich zu unterwerfen.
Die Reichsfürsten, weltliche wie geistliche, sahen ihre Selbständigkeit hierdurch ernstlich bedroht und wurden noch mehr besorgt, als Joseph mit Karl Theodor über einen Austausch Bayerns gegen einen Teil der österreichischen Niederlande, die ihm wertlos waren, verhandelte; die östlichsten Provinzen derselben (Namur und Luxemburg) sollten als Tauschobjekt für das Erzstift Salzburg dienen, durch dessen Erwerbung er seinen süddeutschen Besitz völlig abzurunden gedachte.
Frankreich hatte gegen die Errichtung eines burgundischen Königreichs, das es leicht seinem Einfluß unterwerfen konnte, nichts einzuwenden. Rußlands Zustimmung gewann Joseph, indem er den russischen Eroberungen am Schwarzen Meer nicht entgegentrat. Da traten eine Anzahl Reichsfürsten, wie Hannover, Sachsen, Braunschweig, Baden, Mecklenburg, Anhalt, die thüringischen Staaten, Hessen-Kassel, Pfalz-Zweibrücken, Ansbach, Kurmainz, Würzburg u. a., zum Schutz der Reichsverfassung zu einer Association zusammen, dem sogen. Fürstenbund (1785), an dessen Spitze sich Friedrich II. stellte, der durch die russisch-österreichische Allianz isoliert und bedroht war. Es bezeichnete die veränderten Verhältnisse, daß Preußen, welches im Kampf gegen die Reichsverfassung seine Großmachtstellung errungen, diese Macht gegen die das bestehende Reichssystem gefährdenden Pläne des Kaisers aus dem Haus Österreich wendete, und daß gleichzeitig die vier deutschen Erzbischöfe sich gegen die päpstliche Anmaßung und Einmischung in die kirchlichen Dinge in Deutschland zu der Emser Punktation vereinigten (1786), in welcher sie eine erhebliche Erweiterung der Rechte und der Unabhängigkeit des Episkopats forderten.
Dieser kühne Anlauf blieb allerdings ohne Resultat, und auch der Fürstenbund zerfiel, nachdem er seinen nächsten Zweck, den Verzicht Josephs auf seine bayrischen Pläne, erreicht hatte. Preußische Staatsmänner, wie Stein und Hardenberg, und patriotische Reichsfürsten, wie Herzog Karl August von Weimar, hegten allerdings die Absicht einer förmlichen Union der deutschen Stände unter Preußens Führung mit dauernden politischen, gerichtlichen und militärischen Institutionen.
Indes war weder die Mehrzahl der Fürsten dazu geneigt noch Friedrichs II. Nachfolger Friedrich Wilhelm II. (1786 bis 1797), welcher die preußische Politik nicht nach wohlerwogenen Grundsätzen der Staatsräson, sondern nach Laune und Willkür leitete. Preußen gab die Unionspolitik wieder auf, unternahm persönlicher Interessen wegen 1787 die Expedition nach Holland, die zu einem mehr hemmenden als vorteilhaften Bund mit den Seemächten führte, und stürzte sich unter Hertzbergs Leitung in eine große, aber die Kräfte des Staats und seiner Lenker übersteigende politische Kombination, welche ihm neben territorialen Vergrößerungen die Rolle eines Schiedsrichters in Europa verschaffen sollte.
Als nämlich Rußland und Österreich 1787 die Türkei mit Krieg überzogen, nach dessen siegreicher Beendigung beide Mächte wohl auch Polens Schicksal ohne Rücksicht auf preußische Interessen entschieden haben würden, schloß Preußen außer mit den Seemächten auch mit Schweden, Polen und der Türkei Bündnisverträge und rüstete sich, den kriegführenden Mächten seine Vermittelung aufzuzwingen, während es selbst von Polen für Galizien, das Österreich gegen Entschädigung durch türkische Provinzen an Polen zurückgeben sollte, Danzig und Thorn, vielleicht auch Posen und Kalisch zu erwerben hoffte.
Indes der Gang der Kriegsereignisse, die wohl für Rußland, keineswegs aber für Österreich glücklich verliefen, und der plötzliche Tod Josephs II. (1790) durchkreuzten den preußischen Plan. Der neue Kaiser, Leopold II. (1790-92), nahm auf dem Reichenbacher Kongreß den Schein an, als ob er nicht durch den unglücklichen Verlauf des Kriegs und die innern Unruhen in Österreich, sondern bloß durch Preußens Intervention genötigt, auf jede Vergrößerung durch türkisches Gebiet verzichte, und zwang dadurch den König Friedrich Wilhelm II. im Reichenbacher Vertrag ebenfalls auf jede Gebietserweiterung zu verzichten, gegen welche sich übrigens auch die Seemächte erklärt hatten. Dieser Mißerfolg führte 1791 Hertzbergs Sturz herbei. Unter dem Einfluß Bischoffwerders suchte Friedrich Wilhelm II. eine Annäherung an Österreich, welcher sich dieses auch geneigt zeigte. Dies Ergebnis schien um so wichtiger, als Deutschland jetzt neuen Gefahren durch die Stürme der französischen Revolution ausgesetzt war.
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Die Zeit der Revolution und der Napoleonischen Kriege.
(Hierzu die »Geschichtskarte von Deutschland IV«.)
Der Ausbruch der französischen Revolution (1789) und die ersten Ereignisse derselben wurden in Deutschland von der großen Menge des Volkes, von seinen Denkern und Dichtern und auch von vielen wirklichen Staatsmännern mit Freude und begeisterter Zustimmung begrüßt. Hatte doch das deutsche Volk durch das Genie und die großartige Thätigkeit seiner Philosophen und Dichter in den letzten Jahren eine geistige Revolution erlebt, die es aus dem Bann kirchlicher Orthodoxie, gelehrter Pedanterie und sklavischer Nachahmung des Fremden befreit und auf der Grundlage echt deutschen Geistes und klassischer Humanität eine Litteratur geschaffen hatte, welche die Nation mit edler, wahrer Geistesbildung durchtränkte.
Man hegte die Hoffnung, daß der Umsturz des Feudalsystems und die Begründung eines neuen, auf Freiheit und Vernunft beruhenden Staats in Frankreich auch in Deutschland die Beseitigung der Reste des Mittelalters befördern, den monströsen Staatsgebilden, wie sie sich in den geistlichen Staaten, den reichsgräflichen und reichsritterschaftlichen Herrschaften erhalten hatten, ein unblutiges Ende bereiten und dem gedrückten Bauern- und niedern Bürgerstand die Menschenrechte, Freiheit und Gleichheit bringen würden. Mißlich und verhängnisvoll war nur, daß diese Mißstände gerade im Westen, an der französischen Grenze, besonders grell zu Tage traten und die Ungeduld der Bevölkerung nach Abstellung ihrer gerechten Beschwerden sowie die Übergriffe des revolutionären Frankreich Deutschland sehr bald in Konflikte mit dem westlichen Nachbar verwickelten, welche eine friedliche Einwirkung der Freiheitsideen ausschlossen.
Die französische Nationalversammlung dehnte nämlich die Aufhebung aller feudalen und kirchlichen Rechte ohne weiteres auch auf die von französischem Gebiet eingeschlossenen Besitzungen deutscher Reichsstände aus, obwohl deren Zugehörigkeit zum Reich durch besondere Verträge garantiert war. Die betroffenen Reichsstände, darunter die Kurfürsten von Mainz, Trier und Köln, die Herzöge von Württemberg und Pfalz-Zweibrücken, der Landgraf von Hessen-Darmstadt, der Markgraf von Baden u. a., wiesen daher die Entschädigung durch Assignaten oder Nationalgüter zurück und wandten sich beschwerend an den Reichstag.
Ungefährliche Unruhen der nach Freiheit schmachtenden Einwohner in Speier und Lüttich wurden mit Strenge unterdrückt und den französischen Emigranten in Koblenz, Mainz und Worms gastliche Aufnahme und völlige Freiheit für ihre Ränke gegen ihr Vaterland gewährt. Dagegen geschah seitens der rheinischen Fürsten nichts, um die Westgrenze Deutschlands militärisch zu sichern und der revolutionären Propaganda durch Befriedigung der berechtigten Wünsche des Volkes und zeitgemäße Reformen die Spitze abzubrechen.
König Friedrich Wilhelm II., wie immer nur von seinen Gefühlsstimmungen geleitet, drängte zu einem Kreuzzug für das insultierte französische Königtum, dessen Ehre mit der der andern Monarchen solidarisch verknüpft sei. Der kluge, kühle, gemäßigte Kaiser Leopold II. suchte vergeblich den drohenden Sturm zu beschwören, obwohl er durch seine Verschwägerung mit Ludwig XVI., als Bruder Marie Antoinettes, am ersten persönlichen Anlaß zu feindseligem Verfahren gegen Frankreich gehabt hätte. Die Ratifikation des Reichsgutachtens über die Beschwerden der Reichsstände verzögerte er bis zum Dezember 1791. Auf einer persönlichen Zusammenkunft mit dem König von Preußen in Pillnitz wußte er denselben von offensiven Plänen abzubringen.
Zwar nötigte ihn die drohende Haltung Frankreichs zu Rüstungen und zur Aufstellung von Streitkräften in Belgien und in Süddeutschland; auch schloß er mit Preußen eine Allianz zu gegenseitiger Verteidigung und zur Aufrechterhaltung der deutschen Reichsverfassung. Dennoch würde der Krieg mit Frankreich wo nicht vermieden, doch hinausgeschoben worden sein, wenn nicht Leopold II. plötzlich gestorben und in Paris ein girondistisches Ministerium zur Herrschaft gekommen wäre, das einen auswärtigen Krieg wünschte, um die wachsende Gärung im Innern abzulenken und den Sturz des Königtums herbeizuführen, und daher den Aufenthalt der Emigranten in Deutschland zum Vorwand nahm, um Kaiser und Reich den Krieg zu erklären.
Leopolds Sohn und Nachfolger Franz II. (1792-1806) und sein Minister Thugut waren dem Krieg mit Frankreich um so mehr geneigt, als sie während desselben die alten Absichten auf Erwerb Bayerns und andrer süddeutscher Territorien verwirklichen zu können hofften. Diese selbstsüchtigen Pläne regten ähnliche auch bei Preußen an, und so wurde die junge Freundschaft der beiden deutschen Mächte von Anfang an durch Eigennutz vergiftet und ihre kriegerischen Unternehmungen durch Mißtrauen und Neid gelähmt.
Denn da die kleinern Reichsstände gar keine Anstalt zu ihrer Verteidigung gemacht hatten, fiel die Last der Kriegführung hauptsächlich Österreich und Preußen zu. Zu der im geheimen wirkenden Zwietracht zwischen ihnen kamen noch Ungeschick und Schwäche der Heerführer hinzu, um die mit übermütiger Siegeszuversicht unternommenen Operationen scheitern zu machen und das durch völlige Desorganisation seiner Streitkräfte wehrlose Frankreich zu retten. Der Einmarsch des aus Preußen und Österreichern gebildeten Hauptheers unter Herzog Karl Ferdinand von Braunschweig in die Champagne endete mit der Kanonade von Valmy und dem Rückzug bis an den Rhein.
Dumouriez nötigte die Österreicher durch den Sieg bei Jemappes (6. Nov.) zur Räumung von Belgien, und gleichzeitig drang Custine an den Mittelrhein vor, nahm durch einen Handstreich Speier, Worms, Mainz und Frankfurt und brandschatzte nach Willkür, während das bethörte Volk die Franzosen als Befreier begrüßte, im Besitz der Menschenrechte schwelgte und in Mainz sogar eine Republik errichtete. Die Fürsten, namentlich die geistlichen von Speier, Mainz und Trier, gaben ihre Herrschaft ohne Schwertstreich preis und suchten ihr Heil in kopfloser Flucht. Kurpfalz erbat von Custine die Erlaubnis, neutral zu bleiben; die fränkischen Bischöfe flehten um Schutzbriefe; feige Furcht und Zittern drangen bis in das Herz Deutschlands hinein: die Reichstagsgesandten in Regensburg mieteten Schiffe, um die Donau hinab zu fliehen. Die Errichtung der Republik in Frankreich, welche die Propaganda für ihre Umsturzideen in ganz Europa zu ihrer Aufgabe erklärte, und die Hinrichtung Ludwigs XVI. bewirkten die Bildung einer europäischen Koalition gegen die Revolution, der sich England, die Niederlande, Österreich, Preußen, das Deutsche Reich, Sardinien, Neapel und Spanien anschlossen. Mit neuen Kräften (auch einige Reichskontingente nahmen daran teil) eröffneten die Österreicher und Preußen 1793 den Feldzug. Die erstern vertrieben durch die Schlacht bei Neerwinden (18. März) die Franzosen wieder aus Belgien, die letztern eroberten nach längerer Belagerung 23. Juli
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Mainz und machten dem tollen Treiben der Mainzer Klubbisten ein Ende, worauf sie die Pfalz besetzten und gegen alle Angriffe der Franzosen behaupteten.
Während dieser Kämpfe nahm jedoch die Eifersucht zwischen Österreich und Preußen mehr und mehr zu. Das Projekt, Bayern gegen Belgien zu tauschen, billigte zwar der Berliner Hof, wies aber das österreichische Ansinnen, die 1791 an Preußen heimgefallenen Fürstentümer Ansbach und Baireuth abzutreten, entschieden zurück. Die Erbitterung Österreichs wuchs, als ihm der neue polnische Teilungsvertrag bekannt wurde, den Rußland und Preußen 1793 abschlossen, und durch welchen jenes einen großen Teil Litauens und Wolhyniens, dieses Danzig, Thorn und Südpreußen (Großpolen) erhielt, wogegen Österreich bloß die Zustimmung zum bayrisch-belgischen Ländertausch angeboten wurde, und das zu einer Zeit, wo Belgien nach den Niederlagen der Engländer bei Hondschoote (8. Sept.) und der Kaiserlichen bei Wattignies (16. Okt.) nur mit Mühe behauptet ward. Noch wurde zwar durch die Bemühungen Pitts die Koalition zusammengehalten und das finanziell erschöpfte, durch Verwickelungen in Polen bedrohte Preußen bewogen, gegen Zahlung von Subsidien durch die Seemächte ein Heer von 50,000 Mann unter dem Befehl Möllendorfs am Rhein zu lassen. Dieses siegte zweimal, im Mai und im September, bei Kaiserslautern über die Franzosen, beutete aber aus politischen Rücksichten diese Siege nicht zu energischem Vordringen in Feindesland aus, denn schon war Preußen im Osten in einen Krieg gegen die aufständischen Polen verwickelt. Die Österreicher wurden von Jourdan bei Fleurus geschlagen, und Thugut beschloß nun, Belgien ganz preiszugeben, dagegen durch engen Anschluß an Rußland Preußen bei der bevorstehenden letzten Teilung Polens zu überflügeln. Dies gelang ihm auch. Obwohl der König selbst das preußische Heer in Polen befehligte, vermochte er doch nicht der Empörung Herr zu werden. Erst den Russen unter Suworow glückte es, und Katharina II. war es wieder, die über Polens Schicksal entschied und es in einem besondern Abkommen mit Österreich so teilte, daß dieses, obwohl es am Kampf gar nicht teilgenommen, Westgalizien, ein ebenso großes Gebiet wie das preußische, erhielt.
Nun scheute sich Preußen auch nicht, den von Frankreich wiederholt angebotenen Separatfrieden von Basel abzuschließen. In demselben räumte es seine linksrheinischen Besitzungen Frankreich ein unter der Zusicherung, daß, wenn im allgemeinen Frieden der Rhein die französische Grenze werde, es durch geistliches Gebiet auf dem rechten Rheinufer entschädigt werden solle; unter seiner Vermittelung wurden die norddeutschen Fürsten in den Frieden eingeschlossen und das neutrale Norddeutschland durch eine Demarkationslinie von Süddeutschland getrennt.
Der Baseler Friede war allerdings durch die finanzielle Erschöpfung Preußens in gewisser Hinsicht geboten, dennoch aber ein bedauerlicher Abfall von der deutschen Sache, ein Akt der Selbstsucht und feigen Schwäche, der durch Österreichs Ränke noch nicht gerechtfertigt war, und darum so verhängnisvoll für Preußen, weil es sich nebst den in seinem Machtbereich gelegenen Staaten in eitler Verblendung und kurzsichtigem Egoismus völlig von den allgemeinen Angelegenheiten zurückzog und sich in eine ganz falsche Vorstellung von seiner Macht und Sicherheit einwiegte, bis die Katastrophe von 1806 es aus seinem Traum aufschreckte. Die deutschen und europäischen Interessen auf dem Kontinent gegen Frankreich zu schützen, überließ Preußen an Österreich u. verzichtete damit auf seine Führerstellung in Deutschland zu dessen gunsten.
Seit dem Winter 1794/95 im Besitz Hollands, das in eine »batavische Republik« umgewandelt worden, und nun auch am Niederrhein gegen einen Angriff gesichert, konnten die Franzosen 1795 mit zwei Heeren unter Pichegru und Jourdan in das rechtsrheinische Deutschland vordringen und, nachdem sie von Clerfait über den Rhein zurückgeworfen worden waren, 1796 dies Unternehmen wiederholen. Zwar wurde Jourdan auch diesmal vom Erzherzog Karl bei Amberg (24. Aug.) und Würzburg (3. Sept.) besiegt und ebenso wie Moreau am Oberrhein zum Rückzug auf das linke Rheinufer gezwungen, auf welchem die Franzosen von dem durch unmenschliche Bedrückungen empörten Landvolk angefallen und verfolgt wurden. Inzwischen hatte aber Bonaparte die Österreicher aus Oberitalien vertrieben, alle Versuche, Mantua zu entsetzen, vereitelt, die Verbündeten des Kaisers in Italien zum Frieden gezwungen, dann Mantua erobert und trat Anfang 1797 seinen kühnen Zug in das Herz der österreichischen Erblande an, welcher den kaiserlichen Hof dermaßen einschüchterte, daß er 18. April zu Leoben in Steiermark einen Waffenstillstand mit Bonaparte schloß, der am 17. Okt. zu Campo Formio in einen definitiven Frieden verwandelt wurde. In diesem gab Österreich, Preußens Beispiel folgend, Deutschland dem Sieger preis: das linke Rheinufer ward an Frankreich abgetreten und die Entschädigung der deutschen Fürsten, welche hier Gebiet verloren, durch säkularisiertes Kirchengut auf dem rechten Rheinufer ausgemacht; Österreich selbst erhob als Ersatz für die Niederlande auf Salzburg und einen Teil Bayerns Anspruch; für Mailand nahm es die durch einen Gewaltakt ihrer Selbständigkeit beraubte Republik Venedig nebst Istrien und Dalmatien an.
Seinen eignen Vorteil wahrte Österreich trotz fünfjähriger, meist unglücklicher Kämpfe; sein Gebiet rundete sich durch die neuen Gebietserwerbungen vortrefflich ab, und die deutschen Stände konnten sich über den Frieden von Campo Formio nicht beklagen, da sie teils gar nichts zu ihrer Verteidigung gethan hatten, teils mit der Unterwerfung unter Frankreich vorangegangen waren; so noch zuletzt im August 1796 die süddeutschen Staaten Bayern, Württemberg und Baden.
Dennoch blieb es eine Schmach auch für Franz II., der ja noch immer die deutsche Kaiserkrone trug, daß er an der Vergewaltigung wehrloser kleiner Staaten sich selbst beteiligte und dem brutalen Sieger die Neuordnung der Dinge in Deutschland überließ. Diese wurde auf dem Rastatter Kongreß verhandelt, der im Dezember 1797 zusammentrat. Hier gebärdeten sich die französischen Gesandten als die Herren Deutschlands: während sie außer dem linken Rheinufer auch eine Reihe fester Plätze auf dem rechten, wie Kehl, Mannheim und Kassel, forderten, nahmen sie die Bestimmung der zu säkularisierenden und mediatisierenden Stände und die Verteilung des zur Entschädigung bestimmten Gebiets in die Hand. Die Fürsten und Stände überboten sich in Erniedrigung und Demütigung vor den hochmütigen Gesandten.
Indes noch ehe die schwierige Verhandlung zu einem Resultat geführt hatte, brach Österreich sie ab und sprengte den Kongreß durch den an den französischen Gesandten verübten Mord Die ägyptische Expedition Bonapartes, welche durch die Vernichtung der französischen Flotte bei Abukir von Europa abgeschnitten wurde, hatte nämlich England zur Bildung einer neuen Koalition veranlaßt, welcher Rußland, die Türkei, Neapel
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und, durch das Verhalten Frankreichs in Rastatt verletzt, auch Österreich und das Deutsche Reich beitraten; doch blieben Preußen und die ihm verbündeten Fürsten derselben fern. Der Krieg der zweiten Koalition verlief anfangs günstig: Italien wurde wiedererobert und Jourdan durch den Sieg des Erzherzogs Karl bei Stockach über den Rhein zurückgedrängt. Aber die Eroberung der Schweiz mißlang infolge der Uneinigkeit der österreichischen und russischen Feldherren; verstimmt sagte sich Kaiser Paul von Rußland von der Koalition los; ein Versuch der Engländer, Holland zu erobern, scheiterte, und 1800 sah sich Österreich allein den Streitkräften Frankreichs gegenüber, welche von Bonaparte, seit dem Staatsstreich vom 18. Brumaire Erstem Konsul, allein geleitet wurden.
Durch die Schlacht bei Marengo verlor es Italien wieder; in Süddeutschland trieb Moreau den General Kray vom Rhein zurück und errang 3. Dez. über Erzherzog Johann bei Hohenlinden einen entscheidenden Sieg. Um Wien zu retten, schloß Österreich 25. Dez. den Waffenstillstand von Steier, dem der Lüneviller Friede folgte. Dieser bestätigte im wesentlichen den Vertrag von Campo Formio, nur wurde er vom Kaiser auch im Namen des Reichs unterzeichnet. Das ganze linke Rheinufer, 60,000 qkm mit 3,5 Mill. Einw., wurde von Deutschland abgetreten, und nicht bloß die deutschen Fürsten, welche auf dem linken Rheinufer Besitzungen gehabt, wurden durch säkularisiertes und mediatisiertes deutsches Gebiet entschädigt, sondern auch fremde depossedierte Fürsten, wie der Erbstatthalter der Niederlande, die Herzöge von Modena und Toscana.
Zur Regelung der Entschädigung setzte der Regensburger Reichstag eine Reichsdeputation ein, welche aus Mainz, Böhmen, Sachsen, Brandenburg, Pfalz-Bayern, Württemberg, Hessen-Kassel und dem Hoch- und Deutschmeister bestand. Diese verhandelte das ganze Jahr 1802 hindurch. Die maßgebende Entscheidung lag aber bei Frankreich und Rußland, welche im Oktober 1801 dahin übereingekommen waren, Österreichs und Preußens Eifersucht so auszubeuten, daß keins von beiden viel gewinne, dagegen die südwestdeutschen Staaten, Bayern, Württemberg, Hessen und Baden, als Kern einer dritten Staatengruppe und mit Rußland durch verwandtschaftliche Bande verknüpft, vorzugsweise zu begünstigen.
Ihr Vorschlag ward auch 1803 von der Reichsdeputation im wesentlichen angenommen und der Reichsdeputationshauptschluß vom Reichstag bestätigt. Derselbe säkularisierte alle geistlichen Fürstentümer und Stifter. Die Depossedierten behielten ihr geistliches Amt und eine Dotation. Bloß der Hoch- und Deutschmeister und der Kurerzkanzler blieben als Reichsstände bestehen; nur verlor der letztere das Kurfürstentum Mainz und erhielt Regensburg nebst Wetzlar und Aschaffenburg und die Würde eines Primas von Deutschland. Alle deutschen Reichsstädte wurden mediatisiert, mit Ausnahme von sechs: Bremen, Lübeck, Hamburg, Frankfurt, Nürnberg und Augsburg.
Das gewonnene Gebiet war so bedeutend, daß die Entschädigung reichlicher ausfiel als der Verlust, zumal nur die größern Fürsten berücksichtigt wurden. Österreich bekam die Bistümer Trient und Brixen und für den Großherzog von Toscana Salzburg, wogegen es den Breisgau nebst der Ortenau an den Herzog von Modena abtrat;
Preußen die Stifter Hildesheim, Paderborn, den größten Teil von Münster, Erfurt und das Eichsfeld, die Abteien Essen, Werden und Quedlinburg und die Städte Nordhausen, Mühlhausen und Goslar, fast fünfmal mehr, als es verloren;
Hannover erhielt Osnabrück, Bayern die Stifter Würzburg, Bamberg, Freising, Augsburg, Passau und eine Anzahl Reichsstädte, Württemberg die von seinem Gebiet umschlossenen oder begrenzten Reichsstädte und Abteien, Baden siebenmal mehr, als es verloren;
auch Hessen-Darmstadt und Nassau wurden ansehnlich vergrößert. An Stelle von Köln und Trier wurde Württemberg, Baden, Hessen-Kassel und Salzburg die Kurwürde verliehen, so daß das Kurfürstenkollegium aus zehn Mitgliedern bestand.
Die katholischen Fürsten verringerten sich so, daß das Fürstenkollegium fortan 50 evangelische gegen 30 katholische Stimmen zählte. Die auf dem Besitz der Stifter und Kapitel beruhende Reichsaristokratie war damit in der Wurzel getroffen, die Reichsritterschaft verlor den Fürsten gegenüber ihren letzten Schutz und konnte ihre Unabhängigkeit nicht länger behaupten. Die Macht des Kaisertums war durch die Veränderung der Stimmverhältnisse auf dem Reichstag zu gunsten der großen evangelischen Stände fast vernichtet. Der Reichsdeputationshauptschluß bedeutet daher in Wirklichkeit die Auflösung des Reichs in selbständige Staaten und damit sein Ende als Staatswesen, wenn es auch noch ein paar Jahre seinen Namen fristete. Kaiser Franz II. nahm deshalb den Titel eines Erbkaisers von Österreich (als Franz I.) an.
Zugleich bezeichnet der Vertrag von 1803 eine tiefe Erniedrigung des deutschen Volkes, dessen Schicksal von fremden Mächten nach Laune und Willkür entschieden wurde. Indes dafür hatte die überwiegende Mehrzahl der Nation keine Empfindung, selbst die Gebildeten nicht. Der Nationalstolz war völlig erloschen und einem Kosmopolitismus und einer Humanitätsschwärmerei gewichen, welche in andern Sphären Trost und Zuflucht suchten. Viele erwarteten von dem Zusammenbruch des alten feudalen Reichs eine neue Ära für vernünftige Freiheit und Bildung.
Nur wenige erleuchtete Geister, wie Schiller, erkannten die Gefahr und bemühten sich, die Deutschen aus ihrer selbstsüchtigen, trägen Gleichgültigkeit gegen das Schicksal ihrer Volksgenossen und ihrer Heimat aufzurütteln, wenn auch vergeblich. Weder die Besetzung Hannovers trotz der vertragsmäßig anerkannten Neutralität dieses Reichslandes (1803) noch die Entführung des Herzogs von Enghien von deutschem Boden nach Vincennes, wo er erschossen wurde, riefen einen Protest des Reichstags oder der deutschen Großmächte hervor, und die Nation blieb stumm.
Die dritte Koalition, welche sich 1805 unter englischem Einfluß bildete, war daher das Werk reiner Kabinettspolitik, nicht einer Volkserhebung. Rußland, Österreich, Schweden und Neapel, welche sich ihr anschlossen, thaten es, weil sie teils in ihren Erwartungen auf Machtvergrößerung enttäuscht, teils durch den Übermut und die Willkür Napoleons, der seit sich Kaiser der Franzosen nannte, verletzt waren. Der französische Einfluß hatte sich an den deutschen Fürstenhöfen so befestigt, daß Bayern, Württemberg und Baden trotz drohender Okkupation durch die Österreicher sich mit Napoleon verbündeten, Preußen und der Norden wiederum neutral blieben. Und die süddeutschen Fürsten hatten sich in ihrer Berechnung nicht getäuscht. Das österreichische Heer drang bloß bis Ulm vor; hier wurde Mack mit einem großen Teil desselben von Napoleon umzingelt und mit 23,000 Mann zur Kapitulation gezwungen. Jetzt stand den Franzosen der Weg nach Wien offen, wo