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doch nur unter der Voraussetzung kräftiger Unterstützung der Reichsreform zugestimmt hatte. Ärgerlich und mißgestimmt, legte er jetzt der Durchführung derselben Schwierigkeiten in den Weg; das Reichsregiment mußte sich 1502 wieder auflösen, dem Kammergericht trat des Kaisers Hofgericht, der Reichshofrat in Wien, [* 2] zur Seite und zog ebenfalls Reichsangelegenheiten vor sein Forum. [* 3] Ja, als 1505 im wittelsbachischen Haus über das Landshuter Erbe eine Fehde ausbrach, nahm Maximilian an derselben teil, um sich ein Stück von dem Erbe anzueignen.
Unerschöpflich in neuen Entwürfen, aber ohne Ausdauer, brachte er weder einen großen Kriegszug gegen die Türken zu stande, noch gelang es ihm, die Franzosen aus Italien [* 4] zu vertreiben; da er Rom [* 5] nicht erreichen konnte, legte er sich als erster deutscher Herrscher den Kaisertitel bei, ohne mit der Kaiserkrone gekrönt zu sein. Dagegen begünstigte ihn wie seinen Vater das Glück bei der Erhöhung der Macht seines Hauses durch Familienverbindungen. Die Vermählung seines Sohns Philipp des Schönen mit der spanischen Infantin Johanna, der Tochter und Erbin Isabellas von Kastilien und Ferdinands von Aragonien, verschaffte dem Haus Habsburg den Besitz der spanischen Monarchie, zu welcher das neuentdeckte Amerika [* 6] und in Italien die Königreiche Neapel, [* 7] Sizilien [* 8] und Sardinien [* 9] gehörten, ein Besitz, den sein ältester Enkel, Karl, 1516 antrat. Durch die Vermählung seines zweiten Enkels, Ferdinand, mit der Schwester des Königs Ludwig von Böhmen [* 10] und Ungarn [* 11] verstärkte er die Aussichten auf Erwerbung dieser Königreiche. Schmerzlich berührte es ihn nur, daß er nicht noch vor seinem Tod seinem Enkel Karl die Kaiserkrone sichern konnte. Als er im Januar 1519 starb, hinterließ er Deutschland [* 12] ohne Oberhaupt in einem der entscheidendsten Wendepunkte seiner Geschichte.
Die Reformationszeit.
Im Beginn des 16. Jahrh. waren die Dinge in Deutschland in lebendigster Bewegung und Gärung. Die Verhandlungen über die Reichsreform hatten die politischen Verhältnisse in Fluß gebracht, überall Wünsche und Forderungen angeregt, die nur zum Teil in Erfüllung gingen, und das Verlangen nach einer gründlichen Umgestaltung der Dinge, besonders in den niedern Ständen der Ritter, Bürger und Bauern, gesteigert. Die Verwirrung im Reich, die Verluste des Deutschtums an den Grenzen [* 13] und der verschwundene Glanz des Kaisertums wurden um so bitterer empfunden, als die Deutschen jener Zeit im Bewußtsein ihrer üppigen Volkskraft stolz und hochstrebend waren und keinem Volk den Vorrang vor sich einräumen wollten, wie sie denn im Ausland überall als hochmütig und gewaltthätig bekannt waren.
Allerdings nur in diesem Verlangen einer Änderung, nicht über die Art derselben waren die Unzufriedenen einverstanden. Der Ritterstand wünschte wieder, wie in der staufischen Zeit, der herrschende Kriegerstand zu sein unter einem mächtigen Kaiser, der große Eroberungszüge unternehme, auf denen Ruhm und Beute zu erwerben seien. Die Bürger verlangten dagegen vor allem Schutz von Handel und Gewerbe durch ein kräftiges Regiment, an dem sie einen ihren finanziellen Leistungen entsprechenden Anteil hätten.
Neben den Bürgern gab es aber in den Städten eine niedere Handwerkerbevölkerung, welche die herrschende mehr oder weniger aristokratische Verfassungsform umzustoßen und eine rein demokratische zu errichten strebte. Diese ärmern Stadtbewohner berührten sich in ihren Bestrebungen mit den Bauern, welche ihre elende Lage unter dem Druck von Steuern und Fronen und unter der Willkür ihrer großen und kleinen Herren seit 100 Jahren um so bitterer empfanden und um so ungeduldiger ertrugen, als die Kämpfe der Schweizer und die Hussitenkriege sowie die Bedeutung der aus Bürgern und Bauern gebildeten Landsknechtheere sie gelehrt hatten, welche Macht in der entfesselten Volkskraft verborgen war. Wiederholte Aufstände von Bauernbünden in Schwaben und am Oberrhein hatten gezeigt, daß es sich in diesem unterdrückten, wehrlosen Stand regte, und je härter die Tyrannei war, unter welcher er seufzte, desto radikaler waren ihre Reformideen, die unter dem Einfluß religiöser Schwärmer, wie bei den Taboriten, oft einen rein kommunistischen Charakter annahmen.
Zu diesen Gärungselementen traten nun die geistige Bewegung des Humanismus und die kirchliche Reformfrage hinzu. Beide flossen in Deutschland ineinander, indem der Aufschwung der Künste und Wissenschaften durch die Wiederbelebung des klassischen Altertums und die neuen Entdeckungen, die Gründung zahlreicher Universitäten und Schulen und die Ausbreitung der Bildung über weitere Kreise [* 14] infolge der Erfindung der Buchdruckerkunst das Gefühl der Selbstverantwortlichkeit und Freiheit in den Menschen weckten und die Entrüstung über die Entartung der Kirche und über die Schmach, von einem so rohen, sittenlosen und unwissenden Klerus beherrscht und ausgebeutet zu werden, aufs höchste steigerten.
Das Verlangen nach einer Abstellung der kirchlichen Mißstände war so allgemein und so mächtig, daß sich fast niemand außer den Dominikanern ihm zu widersetzen und die herrschende Kirche zu verteidigen wagte, daß die ernsten wie die satirischen Angriffe gegen die Hierarchie und ihre Vorkämpfer mit Begeisterung begrüßt wurden und selbst den Beifall hoher Prälaten fanden. So bedurfte es nur eines Anstoßes, eines erlösenden Wortes, um einen Sturm in der öffentlichen Meinung zu entfesseln, der das Gebäude der mittelalterlichen Kirche bis in seine festesten Grundlagen erschütterte. Dies Wort sprach Luther, indem er die 95 Thesen gegen den Ablaß an die Thür der Schloßkirche zu Wittenberg [* 15] schlug. Sein mannhaftes Auftreten wurde als der Beginn der ersehnten Reform mit Freuden begrüßt. Wie sich dieselbe gestalten solle und werde, war freilich fast allen ebenso unklar wie die politische Reform, welche man wünschte. In beiden Fragen kam es hauptsächlich darauf an, welcher Kaiser den Thron [* 16] besteigen würde.
So war die Lage in Deutschland, als die Kurfürsten nach mehrmonatlicher Thronvakanz sich im Mai 1519 in Frankfurt [* 17] zur Neuwahl eines Kaisers versammelten; mit Ausnahme des Königs von Böhmen erschienen sie alle persönlich, denn die zu treffende Entscheidung war ebenso wichtig wie schwierig. Gern hätten die Kurfürsten einen der Ihrigen, nämlich Friedrich den Weisen, gewählt, was auch der Papst wünschte; aber Friedrich lehnte es ab, die schwere Bürde auf sich zu nehmen. So kamen nur Karl von Spanien [* 18] und Franz I. von Frankreich als Thronbewerber in Frage, welche beide sich um die Kaiserkrone bewarben, um in dem bevorstehenden Kampf der beiden in Italien und Burgund rivalisierenden Staaten Spanien und Frankreich durch den Besitz der höchsten Würde der Christenheit ihre moralische und physische Macht zu verstärken. Franz hatte die Mehrzahl der Kurfürsten zwar durch Bestechung für sich gewonnen, obgleich sein herrisches, gewaltthätiges Auftreten in seinem Erbreich schwere Bedenken erregte. Im letzten Moment siegte aber Karl. Er galt doch als Deutscher, besaß ansehnliche Teile des Deutschen Reichs, und ¶
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während man die Gefahr seiner allzu großen Macht für die Freiheit der Reichsstände durch eine Wahlkapitulation unschädlich zu machen beschloß, welche ihm besonders die Wiedereinsetzung eines Reichsregiments zur Pflicht machte, erhoffte man zugleich von ihm die Wiederherstellung des Glanzes der deutschen Kaiserkrone und der äußern Machtstellung des Reichs. Auch die Entschiedenheit, mit der sich die öffentliche Meinung in Deutschland für das »junge Blut von Österreich« [* 20] aussprach, die Drohungen, welche die Führer des nach der Vertreibung des Herzogs Ulrich von Württemberg [* 21] bis in die Nähe Frankfurts vorgedrungenen schwäbischen Bundesheers gegen die Anhänger Franz' I. verlauten ließen, trugen dazu bei, daß Karl V. (1519-1556) zum Kaiser gewählt wurde.
Hiermit war das Schicksal Deutschlands [* 22] zu seinem Unglück entschieden. In der wichtigen Krisis, vor der es stand, hätte es eines einsichtigen und entschlossenen Führers bedurft. Karl V. war der rechte Mann nicht und konnte es nicht sein. Bei seinem Streben nach der Weltherrschaft war ihm zwar die Kaiserkrone erwünscht, aber die materielle Grundlage seiner Macht bildete die starke spanische Monarchie. Deutschland blieb ihm nur ein Nebenland, dessen Kräfte er wohl, soweit möglich, ausnutzen, dessen Wohl er aber die eignen Interessen nicht widmen oder aufopfern wollte.
Ohne tieferes religiöses Gefühl ganz im Bann der mittelalterlichen Kirche befangen, war er einer durchgreifenden kirchlichen Reform durchaus abgeneigt, wenn er auch die Opposition gegen die päpstliche Hierarchie gelegentlich zu seinem Vorteil ausbeutete, um den Papst in politischen Dingen gefügiger zu machen. Er war also weder gewillt, noch im stande, die Hoffnungen, mit denen das deutsche Volk ihn begrüßte, zu erfüllen. Die Deutschen haben das freilich erst spät, zum Teil gar nicht eingesehen.
Erst im Herbst 1520 erschien Karl V. in um sich in Aachen [* 23] krönen zu lassen und dann den Wormser Reichstag abzuhalten. Auf diesem wurden 1521 die Bestellung eines ständischen Reichsregiments während der Abwesenheit des Kaisers von Deutschland, die Reform des Reichskammergerichts, die Aufstellung einer Matrikel für die Bezahlung der Kosten durch die Stände, endlich die Festsetzung der Truppenmacht, mit der das Reich fortan den Kaiser in Italien zu unterstützen hatte, durch Vereinbarung zwischen den Fürsten und dem Kaiser rasch erledigt.
Denn schon drohte der Krieg mit Frankreich in Oberitalien [* 24] auszubrechen, dessen siegreiche Beendigung Karl vor allem am Herzen lag. Es war ihm gelungen, Papst Leo X. durch die Zusage für sich zu gewinnen, daß er der Ketzerei in Deutschland ein Ende machen und den bereits mit dem Bann belegten Luther auch mit weltlichen Strafen züchtigen wolle. Da die Stände sich weigerten, jemand ungehört zu verdammen, wurde der Wittenberger Mönch vor den Reichstag citiert. Er erschien trotz der Gefahr eines grausamen Todes, die ihm drohte, und gab vor versammelten Kaiser und Ständen auf die Forderung des Widerrufs jene mannhafte Antwort, die ihm die Herzen vieler Fürsten, vor allem aber des deutschen Volkes gewann.
Karl blieb von der religiösen Begeisterung, die aus dem schlichten Mönch und aus der mächtigen Bewegung im Volk sprach, ungerührt. Zwar schonte er Luther, aber als er abgereist war und die meisten Stände Worms [* 25] verlassen hatten, sprach er über ihn die Acht aus und erließ das Wormser Edikt, welches die weitere Verbreitung der ketzerischen Lehre [* 26] Luthers aufs strengste verbot und alle ihre Anhänger und Beschützer mit gleicher Strafe der Acht bedrohte. Hiermit sagte sich der neue Beherrscher Deutschlands von der kirchlichen Reformbewegung los und stellte sich dem religiösen und nationalen Ziel der Besten des deutschen Volkes, nämlich Befreiung von dem pontifikalen Joch und Begründung einer nationalen, wahrhaft christlichen Kirche, fremd, ja feindselig gegenüber. Nachdem er die österreichischen Erblande und die Verwaltung des 1519 eroberten Herzogtums Württemberg seinem Bruder Ferdinand übertragen hatte, verließ er 1521 Deutschland wieder, um erst nach neun Jahren (1530) dahin zurückzukehren.
Obwohl die Zurückweisung der Wünsche des Volkes durch das Wormser Edikt hier und da bereits den Ausbruch von Unruhen zur Folge hatte und während Luthers Exil auf der Wartburg in Sachsen [* 27] die Schwarmgeister und Bilderstürmer sich regten, nahm das in Nürnberg [* 28] zusammentretende Reichsregiment die Sache der kirchlichen und politischen Reform mit Ernst in die Hand. [* 29] Der neue Papst, Hadrian VI., kam den Wünschen der deutschen Nation wenigstens darin entgegen, daß er die Abstellung der schlimmsten Mißbräuche ebenfalls beabsichtigte.
Der Nürnberger Reichstag faßte 1523 die Forderungen Deutschlands in 100 Gravamina (»Beschwerden«) zusammen, verlangte binnen Jahresfrist ein allgemeines, freies Konzil auf deutschem Boden, auf dem auch die Laien Sitz und Stimme hätten, und forderte bis zu demselben die freie Verkündigung des reinen, lautern Evangeliums. Aber da das Reichsregiment zu gleicher Zeit eine festere Organisation des Reichs beriet und mit dem Plan umging, die Kosten der neuen Gerichts- und Heeresverfassung durch Errichtung einer Reichszolllinie aufzubringen, sagten sich die Städte in engherzigem Eigennutz vom Regiment los und betrieben beim Kaiser die Auflösung desselben.
Noch mehr waren die Ritter durch den Gang [* 30] der Dinge enttäuscht worden. Statt einer religiösen und politischen Reform, die dem Ritterstand wieder zu Macht und Ansehen verholfen hätte, wie Sickingen und sein feuriger, leidenschaftlicher Freund Hutten sie geträumt hatten, ward die Regierung im Reich den verhaßten Fürsten übertragen. 1522 vereinigten sich die alten Ritterbünde am Rhein und Main zu einer Erhebung für religiöse und politische Freiheit gegen die fürstliche Allgewalt, der sich, wie sie hofften, auch die Städte anschließen würden. Sie begann mit dem Überfall Sickingens auf Trier [* 31] (1522); doch dieser mißlang, die Fürsten am Mittelrhein verbanden sich zu rascher und kräftiger Gegenwehr, welcher die Reichsritter bald unterlagen; Sickingen fiel bei der Verteidigung seiner Feste Landstuhl (1523), Hutten endete in der Schweiz [* 32] im Elend.
Mit Schlauheit und List wußten der Papst Clemens VII., ein Mediceer, der nach Hadrians frühem Tode den römischen Stuhl bestiegen, und sein Legat in Deutschland, Campeggi, diese Erhebung der Ritter gegen die Reformbestrebungen auszubeuten. Campeggi vereinigte auf dem Regensburger Konvent (Juni 1524) mehrere weltliche Fürsten, wie den Erzherzog Ferdinand und die bayrischen Herzöge, und die süddeutschen Bischöfe zu dem Beschluß, daß einige kirchliche Mißbräuche abgestellt, der weltlichen Gewalt mehrere Zugeständnisse (und pekuniäre Vorteile) eingeräumt, dafür aber die Lutherschen Lehrmeinungen nicht geduldet werden sollten. Zuerst also trennten sich die Anhänger der päpstlichen Hierarchie von der gemeinsamen Sache und verursachten so die religiöse Spaltung in Deutschland, welche gerade zu verhüten die oberste nationale Pflicht gewesen wäre. Diese rückläufige Strömung wurde verstärkt durch die Erhebung des Bauernstandes im Bauernkrieg. Die evangelische ¶