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schwerfällige deutsche Heerwesen sich nicht gewachsen zeigte. Große deutsche Ritterheere, geführt vom Kaiser selbst oder den angesehensten Reichsfürsten, erlitten von rohen Bauernhaufen schmähliche Niederlagen; die siegreichen Hussitenscharen überfluteten endlich die Böhmen [* 2] benachbarten Lande raubend und verwüstend, und das mächtige Deutsche Reich [* 3] ließ dies wehrlos geschehen. Erst als die Böhmen, durch Parteiungen gespalten, sich selbst mit Erbitterung bekämpften und aufrieben, gelang es, durch einen Vertrag mit der gemäßigten Partei, den Kalixtinern, die sogen. Prager Kompaktaten (1433), den Aufstand zu dämpfen, so daß Siegmund 1436 den seit Wenzels Tod (1419) erledigten böhmischen Thron [* 4] besteigen konnte.
Trotz dieser beschämenden Erfahrungen waren alle Versuche Siegmunds, des Kurfürsten Friedrich von Brandenburg [* 5] und Friedrichs des Streitbaren von Sachsen, [* 6] den verrotteten Reichskörper umzugestalten, vergeblich. Die Wiederaufnahme des kirchlichen Reformwerks durch das Baseler Konzil (1431-48) führte zu einem heftigen Konflikt zwischen Konzil und Papst, während dessen Siegmund ohne männliche Nachkommen starb und das luxemburgische Kaiserhaus erlosch.
Durch die Wahl der Kurfürsten gelangte Siegmunds Schwiegersohn und Erbe, Herzog Albrecht von Österreich, [* 7] König von Böhmen und Ungarn, [* 8] auf den Thron. Albrecht II. regierte aber nur ein Jahr (1438-39). Ihm folgte sein Vetter Friedrich III., Herzog von Steiermark [* 9] (1440-93), der gewählt wurde, obwohl oder gerade weil man seine Unfähigkeit kannte. In der That ist Friedrichs Regierung wie die längste, so die ruhmloseste und schädlichste gewesen, die Deutschland [* 10] gehabt hat.
Weder bemühte er sich um die dringend notwendige und von vielen ersehnte Reform der Kirche und des Reichs, noch that er etwas, um die Angriffe auf Deutschlands [* 11] Sicherheit und Integrität abzuwehren und das Reich vor Verlusten zu hüten. Im Gegenteil beschwor er durch seinen kurzsichtigen Eigennutz selbst die Gefahren herauf. Der Streit zwischen Konzil und Papst war den kirchlichen Reformbestrebungen günstig, und noch bei Lebzeiten Albrechts II. hatten die Kurfürsten durch die Beschlüsse des Reichstags von Mainz [* 12] (die sogen. Mainzer Acceptation, im März 1439) einen großen Teil der Reformdekrete des Konzils von Basel [* 13] anerkannt und somit einen Weg betreten, der, energisch weiter verfolgt, zur Bildung einer nationalen deutschen, gegen die Übergriffe des Papsttums geschützten Kirche hätte führen können.
Friedrich III. dagegen opferte 1445 gegen das Versprechen der Kaiserkrönung, welche, die letzte in Rom, [* 14] 1452 stattfand, und gegen Zugeständnisse an seinen schmutzigen Geiz und Eigennutz die Rechte des Reichs auf, indem er ohne Zustimmung desselben das Baseler Konzil preisgab und den römischen Papst Eugen IV. anerkannte. Die Macht des Konzils war damit gebrochen; durch Einzelverhandlungen mit den Fürsten gelang es Eugens Nachfolger Nikolaus V., die deutsche Opposition zu sprengen, und die ganze Reformbewegung endete damit, daß der Kaiser 1448 mit dem Papst im Namen der deutschen Nation die Wiener oder Aschaffenburger Konkordate abschloß, in welchen dem römischen Stuhl alles das wieder zurückgegeben wurde, was durch die Beschlüsse von Basel hatte abgestellt werden sollen, während die von der Kurie gemachten Konzessionen illusorisch blieben.
Ebenso verliefen alle Verhandlungen auf den Reichstagen über Herstellung des Landfriedens u. Reform der Reichswehrverfassung infolge von Friedrichs Gleichgültigkeit resultatlos. Die Fürsten suchten die finanziellen Lasten der Reform möglichst auf die allerdings hierin leistungsfähigen Städte abzuwälzen; diese widersetzten sich daher aus nicht unberechtigtem Mißtrauen jeder Änderung des bestehenden Zustandes. Unthätig und teilnahmlos sah der Kaiser den zerstörenden territorialen Kämpfen zu, welche Deutschland spalteten. In Sachsen wütete 1445-50 der Bruderkrieg zwischen Kurfürst Friedrich dem Sanftmütigen und Herzog Wilhelm; in Westfalen [* 15] entspann sich die sogen. Soester Fehde (1444-49) zwischen Erzbischof Dietrich von Köln [* 16] und der Stadt Soest, [* 17] in welche eine große Anzahl andrer Reichsstände, wie Münster, [* 18] Kleve u. a., verwickelt wurden; in Franken und Schwaben kämpfte der streitbare Markgraf Albrecht Achilles erst an der Spitze der Fürsten und Grafen gegen die Städte, vor allen gegen das mächtige Nürnberg, [* 19] dann gegen die bayrischen und pfälzischen Wittelsbacher, welche wieder untereinander in fortwährender Fehde lagen.
Währenddessen ging im Nordosten der preußische Ordensstaat dem Deutschtum verloren, indem der Orden, [* 20] durch die Empörung der Landstände geschwächt, den Polen, von denen er 1410 bei Tannenberg schon einmal besiegt worden war, 1455-66 völlig erlag und im Thorner Frieden ganz Westpreußen [* 21] abtreten, Ostpreußen aber von der polnischen Krone zu Lehen nehmen mußte. Im Südosten trieb Friedrich durch seine Bemühungen, die böhmische und die ungarische Krone an sich zu reißen, diese beiden Völker in einen feindlichen Gegensatz zu D. Beide wählten sich nationale Könige, die Böhmen Georg Podiebrad, die Ungarn Matthias Corvinus.
Ersterer benutzte seinen Einfluß im Reich, um alle kirchlichen und politischen Reformpläne zu durchkreuzen; Matthias wurde durch Friedrichs fortgesetzte Versuche, ihn zu stürzen, genötigt, seine Waffen [* 22] gegen ihn zu kehren, und konnte sich nicht mit ganzer Kraft [* 23] den Türken entgegenstellen, welche seit der Eroberung Konstantinopels (1453) Ungarn immer mehr bedrängten und 1469 zuerst die Grenzen [* 24] Deutschlands überschritten. Der Kaiser ward endlich von Matthias aus seinen Erblanden vertrieben und irrte lange Zeit als ohnmächtiger Flüchtling im Reich umher, Städten und Klöstern ein beschwerlicher Gast. Im Westen begann Friedrich 1443 eine Fehde gegen die Eidgenossen, um die alten habsburgischen Hoheitsrechte wiederzuerobern, und als er allein nichts ausrichtete, rief er die unter dem Namen der Armagnaken (s. d.) bekannten und berüchtigten französischen Söldner unter dem Dauphin zu Hilfe, welche zwar von den tapfern Schweizern bei St. Jakob an der Birs zurückgeworfen wurden, aber nun um so schrecklicher im Elsaß hausten; ja, sogar von der Eroberung dieses Landes war damals unter den Franzosen die Rede.
Auch der Bildung eines völlig unabhängigen Reichs im Westen Deutschlands stellte Friedrich III. nicht das geringste Hindernis in den Weg, obwohl dieselbe wesentlich auf Kosten Deutschlands erfolgte. Die Herzöge von Burgund aus dem französischen Königshaus Valois, welchen Karl IV. bereits Deutsch-Burgund überlassen, hatten im Lauf des 14. und 15. Jahrh. die reichen, blühenden niederländischen Provinzen, das Mündungsgebiet des Rheins, der Maas und der Schelde, erworben. Seit 1467 wurde dies burgundische Reich von Karl dem Kühnen beherrscht, einem der glänzendsten Fürsten seiner Zeit, welcher das ganze linke Rheinufer zu erobern trachtete und durch den Königstitel die völlige Unabhängigkeit zu erringen hoffte. Friedrich III. trat ihm nicht entgegen, als er 1467 Lüttich [* 25] eroberte, 1473 Gelderland und Zütphen erwarb, 1474 Neuß [* 26] ¶
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belagerte und in das Elsaß seine Truppen einrücken ließ. Vielmehr war er nur bemüht, auf dies Reich für sein Haus die Anwartschaft zu erlangen. Er war sogar auf Verhandlungen über Verleihung des Königstitels an Karl den Kühnen eingegangen in der Hoffnung, für seinen Sohn Maximilian die Hand [* 28] der einzigen Tochter des mächtigen Herzogs zu gewinnen. Diese Aussicht hatte sich bei Lebzeiten Karls zerschlagen; aber als dieser nach seinem unglücklichen Eroberungszug gegen die Schweizer, die ihn bei Granson und Murten 1476 besiegten, 1477 vor Nancy [* 29] fiel, reichte seine Erbin Maria in der That dem stattlichen Kaisersohn ihre Hand und brachte ihm so den zum Deutschen Reiche gehörigen Teil ihrer Besitzungen zu, während die französischen Lehen sofort von König Ludwig XI. eingezogen wurden. 1489 erbte Friedrich III. auch Tirol, [* 30] das bisher von einer habsburgischen Nebenlinie beherrscht worden, und 1490 starb Matthias Corvinus, worauf Friedrich wieder in den ungestörten Besitz seiner österreichischen Erblande gelangte; mit dem Jagellonen Wladislaw, König von Böhmen, der Matthias' Nachfolger in Ungarn wurde, schloß Maximilian 1491 den Vertrag von Preßburg, [* 31] welcher die habsburgische Erbfolge auch in Böhmen und Ungarn in Aussicht stellte.
Nach den größten Demütigungen, in schimpflicher Ohnmacht begründete also dieser träge, indolente Kaiser Friedrich III. die Weltherrschaft des Hauses Habsburg, indem er Land auf Land teils selbst erwarb, teils durch Verträge für die Zukunft sicherte; in ihm prägte sich am schärfsten jenes Streben nach Erwerbung einer großen Hausmacht aus, welches die Kaiser dieser Periode charakterisierte, freilich in einer Weise, die Deutschland und dem deutschen Kaisertum nicht zum Nutzen, sondern zum Schaden gereichte. Was Habsburg gewann, war dem deutschen Volk nicht gewonnen, sondern verloren; denn indem der Schwerpunkt [* 32] der habsburgischen Weltmacht außerhalb des Reichs gelegt ward, wurden auch seine deutschen Besitzungen Deutschland entfremdet.
Edler und erhabener faßte Maximilian I. (1493-1519) seine Stellung auf, der, bereits 1486 zum römischen König erwählt, nach seines Vaters Tod 1493 auf dem deutschen Thron folgte. Wiederum war es doch das Kaisertum als die höchste weltliche Macht der Christenheit, was die Phantasie und den Ehrgeiz dieses begabten, ritterlichen Herrschers vornehmlich beschäftigte und ihn zu kühnen Unternehmungen anreizte. Jedoch war er bereit, wenn die Reichsstände ihm Truppen und Geld für seine Kriegspläne bewilligten, dem Reich eine Verfassung zu geben, welche ihm Frieden und gesetzliche Ordnung verbürgten. Im Einverständnis mit den angesehensten Reichsfürsten, wie Berthold von Mainz, Friedrich von Sachsen, Johann von Brandenburg, Eberhard von Württemberg [* 33] u. a., berief er daher 1495 den Reichstag von Worms, [* 34] auf dem die neue Organisation beschlossen werden sollte.
Zunächst verkündete er hier den ewigen allgemeinen Landfrieden, durch welchen nicht bloß für eine bestimmte Zeit und für eine einzelne Landschaft, sondern für immer und im ganzen Reich alle Fehden bei Strafe der Reichsacht verboten und jedermann zum Austrag von Streitigkeiten auf den Rechtsweg verwiesen wurde. Um diesen allen zu sichern, wurde das Reichskammergericht begründet, dessen besoldete Mitglieder teils vom Kaiser, teils von den Reichsständen zur Hälfte aus dem Ritterstand, zur Hälfte aus gelehrten Juristen ernannt werden sollten. Um die Kosten für dies Gericht zu bestreiten und die Mittel für Aufstellung einer Truppenmacht zu beschaffen, welche jeden Bruch des Landfriedens strafen und die Exekution der Urteile des obersten Gerichts vollstrecken konnte, wurde die Einführung einer allgemeinen Reichssteuer, des gemeinen Pfennigs, beschlossen.
Alle Jahre sollte der Reichstag zusammentreten, um über den Landfrieden, die Vollziehung der kammergerichtlichen Urteile und des Reiches Wohl überhaupt zu wachen. Die Zusammensetzung des Reichstags war so geordnet, daß die Kurfürsten und die Fürsten besondere, die sogen. obern Kollegien waren; die Städte waren als drittes Kollegium zugelassen, jedoch wurde ihr Recht auf ein beschließendes Votum immer wieder angefochten, und ihr Einfluß beschränkte sich meist darauf, daß sie durch ihren Einspruch einen Beschluß, besonders Geldauflagen, verhindern konnten.
Die Reichsritterschaft war auf den Reichstagen nicht vertreten. Im ganzen gab es 250 Reichsstände; da jedoch die kleinern Reichsstände keine Viril-, sondern nur gemeinsame Kuriatstimmen hatten, so zählte der Reichstag wenig mehr als 100 Stimmen. Die Reichsversammlung war jedoch zu einer kontrollierenden Aufsichtsbehörde wegen der Schwerfälligkeit und Weitläufigkeit ihrer Beratungen nicht tauglich. Maximilian gab daher 1500 auf dem Reichstag zu Augsburg [* 35] seine Zustimmung zur Errichtung eines bleibenden Ausschusses der Stände, des Reichsregiments, das aus 20 Mitgliedern, 6 Vertretern der Kurfürsten, 12 der Fürsten, Grafen und Prälaten und 2 der Städte, bestand.
Zur bessern Durchführung aller dieser Maßregeln wurde das Reich in sechs, 1512 in zehn Kreise [* 36] geteilt, an deren Spitze je ein Direktorium stand: der österreichische, der bayrische, der fränkische, der kurrheinische, der oberrheinische, der burgundische, der niederländisch od. westfälische, der niedersächsische u. der obersächsische Kreis [* 37] (s. die einzelnen Artikel). Böhmen mit seinen Nebenländern und die Schweiz [* 38] blieben ganz außerhalb der Reichsverfassung. Letztere weigerte sich, den ewigen Landfrieden anzunehmen und sich dem Kammergericht zu unterwerfen. Maximilian unternahm einen Kriegszug gegen sie, um sie dazu zu zwingen; indes nicht genügend vom Reich unterstützt, richtete er nichts aus und mußte sie im Baseler Frieden (1499) faktisch aus dem Reichsverband entlassen.
Diese Reichsverfassung, wie sie nach mühsamen Verhandlungen zu stande gebracht wurde, hatte ein durchaus oligarchisches Gepräge, indem den Kurfürsten der entscheidende Anteil an den wichtigsten Behörden eingeräumt wurde. Selbst die Fürsten waren nicht mit derselben einverstanden, noch weniger natürlich die Städte und die Reichsritter, welche ihre Bedeutung als der Wehrstand des Reichs seit dem Aufkommen der Landsknechtheere verloren hatten, denen nun auch das Fehdehandwerk gelegt wurde, und denen man nicht die geringsten politischen Rechte einräumte.
Dennoch würde unter der Leitung so vortrefflicher Männer wie Bertholds von Mainz und Friedrichs des Weisen eine Befestigung und ein Ausbau der neuen Organisation wohl möglich gewesen sein, wenn Kaiser Maximilian dem Werk seine nachhaltige Gunst und Unterstützung zugewendet hätte. Die Beschränkungen seiner monarchischen Gewalt waren allerdings bedeutend, indes doch nicht thatsächlich, sondern bloß, wenn man das Kaisertum in seiner frühern Machtfülle im Auge [* 39] hatte, und Maximilian hätte sich dieselben auch auf die Dauer gefallen lassen, wenn ihm nur die Wiederherstellung der Kaisergewalt in Italien, [* 40] nach der er vor allem strebte, geglückt wäre. Daß aber seine italienischen Feldzüge alle erfolglos blieben, maß er dem geringen Beistand bei, welchen die Fürsten ihm leisteten, während er ¶