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kaiserliche Würde unmittelbar von Gott allein herstamme, und daß der von den Kurfürsten Erwählte sofort und durch die Wahl allein König und Kaiser werde, folglich der Anerkennung und Bestätigung des apostolischen Stuhls nicht bedürfe. Aber bald geriet Ludwig durch die übermäßige Erweiterung seiner Hausmacht mit den Fürsten in Konflikt. Schon 1323 war es ihm gelungen, für seine Familie ein mächtiges Fürstentum zu gewinnen, indem er nach dem Aussterben der Askanier (1320) die Mark Brandenburg seinem ältesten Sohn, Ludwig, übertrug; dann hatte er sich in zweiter Ehe mit der Erbin von Holland, Zeeland, Friesland und Hennegau vermählt und mit diesen Landen seinen zweiten Sohn belehnt; 1341 erklärte er ferner die in seiner Hand vereinigten Herzogtümer Ober- und Niederbayern für unteilbar.
Damit nicht zufrieden, vermählte er 1342, um Tirol zu erwerben, die Gräfin Margarete Maultasch, Erbin von Tirol und Kärnten, mit seinem Sohne, nachdem er ihre erste Ehe mit Johann Heinrich von Luxemburg, einem Sohn Johanns von Böhmen, eigenmächtig getrennt hatte. Diese Ländergier empörte die Fürsten, sein Eingriff in kirchliche Rechte zog ihm von neuem den päpstlichen Bann zu. Auf Antrieb des Papstes vereinigten sich fünf Kurfürsten 1346 in Rhense zur Absetzung Ludwigs und zur Wahl Karls von Luxemburg, welcher die Ansprüche des Papstes wieder in weitestem Umfang anerkannte.
Ludwig war zwar gewillt, seine Krone mit Gewalt zu verteidigen, starb jedoch schon 1347. Sein Sohn Ludwig von Brandenburg setzte den Widerstand gegen Karl noch eine Zeitlang fort und stellte in Günther von Schwarzburg einen Gegenkönig auf. Indes das Auftreten des falschen Waldemar in Brandenburg, den Karl anzuerkennen nicht säumte, bewog ihn zu einer Verständigung mit den Luxemburgern. Günther starb, nachdem er gegen 22,000 Mk. Silber auf seine Kronansprüche verzichtet, bereits 1349.
So war nun Karl IV. (1346-78) unbestrittener Herr in Deutschland, das jedoch von der Herstellung des innern Friedens nicht viel Vorteil zog, da es gerade damals von einer furchtbaren Pest, dem Schwarzen Tode, der namentlich am Rhein wütete, heimgesucht wurde. Karl unternahm 1355 eine Romfahrt, um sich von einem Kardinal zum Kaiser krönen zu lassen, mußte sich aber gegen den Papst verpflichten, sofort nach der Krönung Rom zu verlassen; den Rest der Reichsrechte in Italien wahrte er nicht, sondern er verkaufte ihn an die Städte und Dynasten. In Deutschland suchte er eine festere oligarchische Verfassung zu begründen, indem er nach längern Verhandlungen mit den Reichsständen 1356 auf dem Reichstag zu Metz die Goldene Bulle (s. d.), das erste umfassende Reichsgrundgesetz, erließ.
Durch diese wurde einmal das bestehende Wahlrecht gesetzlich anerkannt: die Erzbischöfe von Mainz, Trier und Köln und die weltlichen Fürsten von Sachsen-Wittenberg, Pfalz, Böhmen und Brandenburg wurden als Kurfürsten bestätigt, womit dem Streit in den Häusern Wittelsbach und Sachsen über die Führung der Kurstimme ein Ende gemacht wurde, und, um fernern Streitigkeiten vorzubeugen, bestimmt, daß fortan diejenigen Lande, an denen die Kurstimme haftete, unteilbar und nach dem Rechte der Erstgeburt erblich sein sollten. Die Wahl sollte durch die Majorität der Stimmen entschieden werden; des Papstes und seines angeblichen Bestätigungsrechts ward nicht Erwähnung gethan. Wahlstadt sollte Frankfurt, Krönungsstadt Aachen sein. Alljährlich sollten die Kurfürsten mit dem Kaiser zur Beratung wichtiger Reichsangelegenheiten zusammenkommen.
Die oligarchische Verfassung, zu welcher durch die Goldene Bulle der Grund gelegt war, und wonach die eigentliche Leitung des Reichs dem Kurfürstenkollegium zufiel, während der Kaiser auf Ehrenrechte beschränkt wurde, hätte segensreich für Deutschland werden und namentlich den Landfrieden fest und dauernd begründen können. Indes auch dazu kam es nicht. Der Kaiser entschlug sich doch in den wichtigsten Dingen des Beirats der Kurfürsten, diese verfolgten meist nur ihre eigennützigen Interessen, und ihre Privilegien reizten die übrigen Stände, sich auch in Besitz dieser bevorzugten Stellung zu setzen, was ihnen teilweise gelang.
Karl IV. widmete seine Regententhätigkeit fast ausschließlich seinen Erblanden, und durch eine umsichtige Finanzverwaltung erzielte er in der Hebung ihres Wohlstandes und ihrer Kultur und in ihrer Vermehrung bedeutende Erfolge. Böhmen wurde ein blühendes, gewerbthätiges Land, in Prag, das er durch herrliche Bauten schmückte, stiftete er 1348 die erste deutsche Universität. 1353 erwarb er einen Teil der Oberpfalz, bald darauf die Lehnshoheit über ganz Schlesien und die Reichsstadt Eger mit ihrem Gebiet, 1363 zu der schon früher mit Böhmen vereinigten Oberlausitz auch die Niederlausitz; 1373 endlich kaufte er von dem wittelsbachischen Markgrafen Otto die Mark Brandenburg, welche er formell seinem Sohn Wenzel übertrug, thatsächlich aber selbst regierte. So vereinigte er im Osten Deutschlands ein zusammenhängendes Gebiet unter seiner Herrschaft, das von der Donau bis fast an die Ostsee reichte.
Aber noch weiter reichten seine Blicke. Er faßte auch die Erwerbung der Königreiche Polen und Ungarn für sein Haus ins Auge, indem er mit Ludwig d. Gr. Verhandlungen anknüpfte über eine Vermählung seines Sohns Siegmund mit dessen Erbtochter. Er plante also die Bildung eines großen luxemburgischen Reichs im Osten Europas. Dagegen gab er das Königreich Burgund völlig preis, indem er durch Ernennung des französischen Dauphins zum Generalvikar des burgundisch-arelatischen Königreichs (1377) die Verbindung desselben mit Deutschland löste.
Karls mit so überraschendem Erfolg geschaffenes Werk ging freilich unter seinem Nachfolger wieder zu Grunde. Wenzel (1378-1400), gegen die Bestimmung der Goldenen Bulle noch bei Lebzeiten des Vaters gewählt, wußte die Einheit des luxemburgischen Hauses nicht aufrecht zu erhalten. Sein Oheim, Markgraf Jobst von Mähren, und sein Bruder Siegmund, der die Mark Brandenburg erhielt und später durch seine Heirat mit Ludwigs d. Gr. Tochter Maria das Königreich Ungarn erwarb, standen Wenzel nicht nur nicht zur Seite, sondern halfen seine Macht in Böhmen schwächen, indem sie sich mit den aufrührerischen Ständen gegen ihn verbündeten; Wenzel geriet einige Zeit in deren Gefangenschaft und mußte 1401 die Lausitz an Jobst abtreten.
Nicht einmal in seinen Erblanden Herr, war Wenzel natürlich noch weniger in Deutschland im stande, sein Ansehen zu behaupten. Anfangs zeigte er die Absicht, die Aufrechterhaltung des Landfriedens zu sichern, und veranlaßte auf den Reichstagen zu Nürnberg (1383) und Heidelberg (1384) dahin zielende Beschlüsse. Aber ihre Durchführung gegenüber dem Widerstreben aller Stände war ihm nicht möglich. Je weniger bisher die Reichsgewalt die niedern Stände, die Städte und die Ritter, berücksichtigt hatte, desto mehr sträubten sich diese, sich ihrer Autorität zu unterwerfen und die selbständige Verfolgung ihrer Sonderinteressen auf Reichsgebot einzustellen. Wie im Norden der Städtebund der Hansa allein durch eigne Kraft, ohne Hilfe
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und Schutz von Kaiser und Reich, seinen Handel über den ganzen Nordosten ausgebreitet, die Herrschaft über die Ostsee erobert und sogar ein Mitwirkungsrecht bei der Besetzung des dänischen Königsthrons sich erzwungen hatte: so thaten sich auch in Süddeutschland die schwäbischen, die rheinischen, die wetterauischen Städte zu Bünden zusammen, um ihre Freiheit gegen die Fürsten zu verteidigen, so bildete sich in der Schweiz die Eidgenossenschaft gegen das Haus Habsburg. In ähnlicher Weise schlossen die Ritter der verschiedenen Landschaften Bünde, wie den der Schlegler, den von St. Georg u. a., um die Unabhängigkeit und die Rechte ihres Standes, worunter sie freilich besonders das Raubritterwesen meinten, zu wahren. 1377 war der schwäbische Städtekrieg zwischen den Städten und Graf Eberhard von Württemberg entbrannt, und 1386 kam es in Schwaben zu einem allgemeinen Kampf des territorialen Fürstentums gegen die Eidgenossenschaft und die städtischen Bünde.
Nur die erstere siegte über die Österreicher bei Sempach (1386) und Näfels (1388) und sicherte ihre Selbständigkeit. Der schwäbische Städtebund erlitt durch Eberhard 1388 bei Döffingen, der rheinische durch Ruprecht von der Pfalz bei Worms (1388), der wetterauische durch die Ritterschaft bei Eschborn blutige Niederlagen; auch Straßburg und die fränkischen Städte wurden von den Nachbarfürsten hart bedrängt, und wenn auch die Städte nicht völlig unterworfen wurden und als dritter Reichsstand neben Kurfürsten und Fürsten bestehen blieben, so hatten doch ihre Macht und ihr Einfluß eine empfindliche Einbuße erlitten.
Wenzel hatte sich anfangs der Städte angenommen, in denen er eine Stütze für die Königsgewalt gegen die Fürsten erkannte; nun aber gab er sie auf dem Reichstag zu Eger 1389 preis, indem er jede fernere Einung von Städten verbot. Gleichwohl sicherte er sich durch diese Nachgiebigkeit die Anhänglichkeit der Fürsten nicht. Als er sich bei seinen Bemühungen, die Kirchenspaltung zu beendigen, mit Papst Bonifacius IX. überwarf, setzten ihn die rheinischen Kurfürsten auf dessen Antrieb und unter dem Vorwand, daß er durch Übertragung des Reichsvikariats in der Lombardei auf Galeazzo Visconte von Mailand wichtige Reichsrechte preisgegeben, 1400 ab und wählten statt seiner Ruprecht von der Pfalz (1400-1410), den zweiten Wittelsbacher auf dem deutschen Thron.
Wenzel verweigerte allerdings die Anerkennung seiner Absetzung, that aber fast nichts, um sie zu verhindern. Wie er, so kümmerten sich auch die nord- und ostdeutschen Fürsten fast gar nicht mehr um das Reich. Ruprecht fand, nachdem er, um Visconte Mailand zu entreißen, einen unglücklichen Zug nach Italien unternommen hatte, der seine letzten Geldkräfte aufzehrte, kaum in Südwestdeutschland Anerkennung; Johann von Mainz stiftete 1405 den Marbacher Bund, der die königliche Gewalt völlig aufhob, und den Ruprecht vergeblich zu unterdrücken sich bemühte.
Als er 1410 starb, spalteten sich die Kurfürsten in zwei Parteien, indem die eine den Markgrafen Jobst von Mähren, die andre den König Siegmund von Ungarn, Wenzels Bruder, zum Kaiser wählte. Da Wenzel noch immer Anspruch auf die deutsche Krone erhob, so drohte im Reich durch das Vorhandensein von drei Prätendenten auf den Thron die größte Verwirrung auszubrechen. Glücklicherweise starb Jobst 1411, Wenzel, der noch bis 1419 lebte, ließ sich mit dem Titel eines römischen Königs und dem Besitz Böhmens abfinden, und Siegmund ward nun als alleiniger Kaiser anerkannt.
Reformversuche in Kirche und Reich.
Siegmund (1410-37) nahm durch seine ansehnliche Hausmacht (Ungarn und Brandenburg) eine mächtige Stellung ein, und indem er, hochbegabt und gebildet, seine Würde im höchsten Sinn auffaßte und als deutscher König die Errichtung einer geordneten Reichsverfassung sowie als Kaiser und Schirmvogt der Kirche die Beseitigung des Schismas und eine Reform der Kirche sich zur Aufgabe stellte, schien das deutsche Kaisertum wieder an die Spitze des Abendlandes treten zu sollen, um so mehr, als England und Frankreich von neuem in heftigem Kriege gegeneinander entbrannt waren.
Da es seit 1378 zwei Päpste, in Rom und in Avignon, gab, welche sich und ihre Obedienzen gegenseitig in den Bann thaten, und der Versuch der Kardinäle, auf dem Konzil von Pisa 1409 die Kirchenspaltung zu beenden, nur zur Wahl eines dritten Papstes geführt hatte, so war die Kirche, um sich aus ihrem Verfall zu retten, auf den Beistand des Kaisers angewiesen. Siegmund versammelte daher 1414 das Konzil zu Konstanz, eine glänzende Vereinigung von Prälaten, Doktoren und Geistlichen der gesamten abendländischen Christenheit, Gesandten fremder Könige und den meisten deutschen Reichsfürsten.
Denn nicht bloß die Angelegenheiten der Kirche, sondern auch politische Dinge, die Herstellung des Friedens zwischen Frankreich und England und die Reform des Deutschen Reichs, sollten beraten werden. Die Kirchenspaltung wurde durch Siegmunds Entschlossenheit und Klugheit und die Einigkeit der Konzilsväter, welche durch einen förmlichen Beschluß die Suprematie des Konzils über dem Papsttum aussprachen, rasch beendigt: die drei Päpste wurden abgesetzt, und ein Versuch des Herzogs Friedrich von Tirol, Johanns XXIII.
Widerruf zu unterstützen, wurde energisch zurückgewiesen. Die Reform der Kirche jedoch, welche die päpstliche Allmacht erheblich beschränken und den Schwerpunkt in den national gegliederten Episkopat verlegen sollte, geriet bald ins Stocken, nicht am wenigsten durch die Schuld des Kaisers, der gerade in der entscheidenden Zeit behufs der Friedensvermittelung eine lange Reise nach Frankreich und England unternahm, auf welcher er nichts erreichte und nur durch Geldverlegenheiten die kaiserliche Würde aufs kläglichste kompromittierte. Die päpstliche Partei setzte es 1417 durch, daß noch vor der Kirchenreform die Wahl eines neuen Papstes vorgenommen wurde, und dieser, Martin V., löste 1418 das Konzil auf, nachdem er die Opposition durch Konkordate mit den einzelnen Nationen (mit der deutschen beschwichtigt hatte, die im wesentlichen alles beim alten ließen. Nur das Papsttum hatte also von dem Konzil Vorteil gezogen.
Auch die Reform der Reichsverfassung kam nicht zu stande, obwohl Siegmund in Konstanz einen der eifrigsten Anhänger derselben, Burggraf Friedrich VI. von Nürnberg, zur Belohnung für frühere Dienste mit einem der bedeutendsten Reichsfürstentümer, mit Brandenburg, belehnte (1417). Siegmund fehlte es bei allen seinen Unternehmungen an Ausdauer; sich auf ein nahes Ziel zu beschränken und daran bis zur Erreichung desselben festzuhalten, war seine Sache nicht und doch wäre eine Reform besonders der deutschen Heeresverfassung, wie sie damals geplant wurde, für Deutschland höchst notwendig gewesen. Denn unmittelbar nach dem Konzil wurde es in die furchtbare Krisis der Hussitenkriege (s. d.) gestürzt, in denen es mit einer von religiösem und nationalem Fanatismus erfüllten und zur höchsten Kraftentfaltung begeisterten Volksmasse zu kämpfen hatte, der das
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schwerfällige deutsche Heerwesen sich nicht gewachsen zeigte. Große deutsche Ritterheere, geführt vom Kaiser selbst oder den angesehensten Reichsfürsten, erlitten von rohen Bauernhaufen schmähliche Niederlagen; die siegreichen Hussitenscharen überfluteten endlich die Böhmen benachbarten Lande raubend und verwüstend, und das mächtige Deutsche Reich ließ dies wehrlos geschehen. Erst als die Böhmen, durch Parteiungen gespalten, sich selbst mit Erbitterung bekämpften und aufrieben, gelang es, durch einen Vertrag mit der gemäßigten Partei, den Kalixtinern, die sogen. Prager Kompaktaten (1433), den Aufstand zu dämpfen, so daß Siegmund 1436 den seit Wenzels Tod (1419) erledigten böhmischen Thron besteigen konnte.
Trotz dieser beschämenden Erfahrungen waren alle Versuche Siegmunds, des Kurfürsten Friedrich von Brandenburg und Friedrichs des Streitbaren von Sachsen, den verrotteten Reichskörper umzugestalten, vergeblich. Die Wiederaufnahme des kirchlichen Reformwerks durch das Baseler Konzil (1431-48) führte zu einem heftigen Konflikt zwischen Konzil und Papst, während dessen Siegmund ohne männliche Nachkommen starb und das luxemburgische Kaiserhaus erlosch.
Durch die Wahl der Kurfürsten gelangte Siegmunds Schwiegersohn und Erbe, Herzog Albrecht von Österreich, König von Böhmen und Ungarn, auf den Thron. Albrecht II. regierte aber nur ein Jahr (1438-39). Ihm folgte sein Vetter Friedrich III., Herzog von Steiermark (1440-93), der gewählt wurde, obwohl oder gerade weil man seine Unfähigkeit kannte. In der That ist Friedrichs Regierung wie die längste, so die ruhmloseste und schädlichste gewesen, die Deutschland gehabt hat.
Weder bemühte er sich um die dringend notwendige und von vielen ersehnte Reform der Kirche und des Reichs, noch that er etwas, um die Angriffe auf Deutschlands Sicherheit und Integrität abzuwehren und das Reich vor Verlusten zu hüten. Im Gegenteil beschwor er durch seinen kurzsichtigen Eigennutz selbst die Gefahren herauf. Der Streit zwischen Konzil und Papst war den kirchlichen Reformbestrebungen günstig, und noch bei Lebzeiten Albrechts II. hatten die Kurfürsten durch die Beschlüsse des Reichstags von Mainz (die sogen. Mainzer Acceptation, im März 1439) einen großen Teil der Reformdekrete des Konzils von Basel anerkannt und somit einen Weg betreten, der, energisch weiter verfolgt, zur Bildung einer nationalen deutschen, gegen die Übergriffe des Papsttums geschützten Kirche hätte führen können.
Friedrich III. dagegen opferte 1445 gegen das Versprechen der Kaiserkrönung, welche, die letzte in Rom, 1452 stattfand, und gegen Zugeständnisse an seinen schmutzigen Geiz und Eigennutz die Rechte des Reichs auf, indem er ohne Zustimmung desselben das Baseler Konzil preisgab und den römischen Papst Eugen IV. anerkannte. Die Macht des Konzils war damit gebrochen; durch Einzelverhandlungen mit den Fürsten gelang es Eugens Nachfolger Nikolaus V., die deutsche Opposition zu sprengen, und die ganze Reformbewegung endete damit, daß der Kaiser 1448 mit dem Papst im Namen der deutschen Nation die Wiener oder Aschaffenburger Konkordate abschloß, in welchen dem römischen Stuhl alles das wieder zurückgegeben wurde, was durch die Beschlüsse von Basel hatte abgestellt werden sollen, während die von der Kurie gemachten Konzessionen illusorisch blieben.
Ebenso verliefen alle Verhandlungen auf den Reichstagen über Herstellung des Landfriedens u. Reform der Reichswehrverfassung infolge von Friedrichs Gleichgültigkeit resultatlos. Die Fürsten suchten die finanziellen Lasten der Reform möglichst auf die allerdings hierin leistungsfähigen Städte abzuwälzen; diese widersetzten sich daher aus nicht unberechtigtem Mißtrauen jeder Änderung des bestehenden Zustandes. Unthätig und teilnahmlos sah der Kaiser den zerstörenden territorialen Kämpfen zu, welche Deutschland spalteten. In Sachsen wütete 1445-50 der Bruderkrieg zwischen Kurfürst Friedrich dem Sanftmütigen und Herzog Wilhelm; in Westfalen entspann sich die sogen. Soester Fehde (1444-49) zwischen Erzbischof Dietrich von Köln und der Stadt Soest, in welche eine große Anzahl andrer Reichsstände, wie Münster, Kleve u. a., verwickelt wurden; in Franken und Schwaben kämpfte der streitbare Markgraf Albrecht Achilles erst an der Spitze der Fürsten und Grafen gegen die Städte, vor allen gegen das mächtige Nürnberg, dann gegen die bayrischen und pfälzischen Wittelsbacher, welche wieder untereinander in fortwährender Fehde lagen.
Währenddessen ging im Nordosten der preußische Ordensstaat dem Deutschtum verloren, indem der Orden, durch die Empörung der Landstände geschwächt, den Polen, von denen er 1410 bei Tannenberg schon einmal besiegt worden war, 1455-66 völlig erlag und im Thorner Frieden ganz Westpreußen abtreten, Ostpreußen aber von der polnischen Krone zu Lehen nehmen mußte. Im Südosten trieb Friedrich durch seine Bemühungen, die böhmische und die ungarische Krone an sich zu reißen, diese beiden Völker in einen feindlichen Gegensatz zu D. Beide wählten sich nationale Könige, die Böhmen Georg Podiebrad, die Ungarn Matthias Corvinus.
Ersterer benutzte seinen Einfluß im Reich, um alle kirchlichen und politischen Reformpläne zu durchkreuzen; Matthias wurde durch Friedrichs fortgesetzte Versuche, ihn zu stürzen, genötigt, seine Waffen gegen ihn zu kehren, und konnte sich nicht mit ganzer Kraft den Türken entgegenstellen, welche seit der Eroberung Konstantinopels (1453) Ungarn immer mehr bedrängten und 1469 zuerst die Grenzen Deutschlands überschritten. Der Kaiser ward endlich von Matthias aus seinen Erblanden vertrieben und irrte lange Zeit als ohnmächtiger Flüchtling im Reich umher, Städten und Klöstern ein beschwerlicher Gast. Im Westen begann Friedrich 1443 eine Fehde gegen die Eidgenossen, um die alten habsburgischen Hoheitsrechte wiederzuerobern, und als er allein nichts ausrichtete, rief er die unter dem Namen der Armagnaken (s. d.) bekannten und berüchtigten französischen Söldner unter dem Dauphin zu Hilfe, welche zwar von den tapfern Schweizern bei St. Jakob an der Birs zurückgeworfen wurden, aber nun um so schrecklicher im Elsaß hausten; ja, sogar von der Eroberung dieses Landes war damals unter den Franzosen die Rede.
Auch der Bildung eines völlig unabhängigen Reichs im Westen Deutschlands stellte Friedrich III. nicht das geringste Hindernis in den Weg, obwohl dieselbe wesentlich auf Kosten Deutschlands erfolgte. Die Herzöge von Burgund aus dem französischen Königshaus Valois, welchen Karl IV. bereits Deutsch-Burgund überlassen, hatten im Lauf des 14. und 15. Jahrh. die reichen, blühenden niederländischen Provinzen, das Mündungsgebiet des Rheins, der Maas und der Schelde, erworben. Seit 1467 wurde dies burgundische Reich von Karl dem Kühnen beherrscht, einem der glänzendsten Fürsten seiner Zeit, welcher das ganze linke Rheinufer zu erobern trachtete und durch den Königstitel die völlige Unabhängigkeit zu erringen hoffte. Friedrich III. trat ihm nicht entgegen, als er 1467 Lüttich eroberte, 1473 Gelderland und Zütphen erwarb, 1474 Neuß
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belagerte und in das Elsaß seine Truppen einrücken ließ. Vielmehr war er nur bemüht, auf dies Reich für sein Haus die Anwartschaft zu erlangen. Er war sogar auf Verhandlungen über Verleihung des Königstitels an Karl den Kühnen eingegangen in der Hoffnung, für seinen Sohn Maximilian die Hand der einzigen Tochter des mächtigen Herzogs zu gewinnen. Diese Aussicht hatte sich bei Lebzeiten Karls zerschlagen; aber als dieser nach seinem unglücklichen Eroberungszug gegen die Schweizer, die ihn bei Granson und Murten 1476 besiegten, 1477 vor Nancy fiel, reichte seine Erbin Maria in der That dem stattlichen Kaisersohn ihre Hand und brachte ihm so den zum Deutschen Reiche gehörigen Teil ihrer Besitzungen zu, während die französischen Lehen sofort von König Ludwig XI. eingezogen wurden. 1489 erbte Friedrich III. auch Tirol, das bisher von einer habsburgischen Nebenlinie beherrscht worden, und 1490 starb Matthias Corvinus, worauf Friedrich wieder in den ungestörten Besitz seiner österreichischen Erblande gelangte; mit dem Jagellonen Wladislaw, König von Böhmen, der Matthias' Nachfolger in Ungarn wurde, schloß Maximilian 1491 den Vertrag von Preßburg, welcher die habsburgische Erbfolge auch in Böhmen und Ungarn in Aussicht stellte.
Nach den größten Demütigungen, in schimpflicher Ohnmacht begründete also dieser träge, indolente Kaiser Friedrich III. die Weltherrschaft des Hauses Habsburg, indem er Land auf Land teils selbst erwarb, teils durch Verträge für die Zukunft sicherte; in ihm prägte sich am schärfsten jenes Streben nach Erwerbung einer großen Hausmacht aus, welches die Kaiser dieser Periode charakterisierte, freilich in einer Weise, die Deutschland und dem deutschen Kaisertum nicht zum Nutzen, sondern zum Schaden gereichte. Was Habsburg gewann, war dem deutschen Volk nicht gewonnen, sondern verloren; denn indem der Schwerpunkt der habsburgischen Weltmacht außerhalb des Reichs gelegt ward, wurden auch seine deutschen Besitzungen Deutschland entfremdet.
Edler und erhabener faßte Maximilian I. (1493-1519) seine Stellung auf, der, bereits 1486 zum römischen König erwählt, nach seines Vaters Tod 1493 auf dem deutschen Thron folgte. Wiederum war es doch das Kaisertum als die höchste weltliche Macht der Christenheit, was die Phantasie und den Ehrgeiz dieses begabten, ritterlichen Herrschers vornehmlich beschäftigte und ihn zu kühnen Unternehmungen anreizte. Jedoch war er bereit, wenn die Reichsstände ihm Truppen und Geld für seine Kriegspläne bewilligten, dem Reich eine Verfassung zu geben, welche ihm Frieden und gesetzliche Ordnung verbürgten. Im Einverständnis mit den angesehensten Reichsfürsten, wie Berthold von Mainz, Friedrich von Sachsen, Johann von Brandenburg, Eberhard von Württemberg u. a., berief er daher 1495 den Reichstag von Worms, auf dem die neue Organisation beschlossen werden sollte.
Zunächst verkündete er hier den ewigen allgemeinen Landfrieden, durch welchen nicht bloß für eine bestimmte Zeit und für eine einzelne Landschaft, sondern für immer und im ganzen Reich alle Fehden bei Strafe der Reichsacht verboten und jedermann zum Austrag von Streitigkeiten auf den Rechtsweg verwiesen wurde. Um diesen allen zu sichern, wurde das Reichskammergericht begründet, dessen besoldete Mitglieder teils vom Kaiser, teils von den Reichsständen zur Hälfte aus dem Ritterstand, zur Hälfte aus gelehrten Juristen ernannt werden sollten. Um die Kosten für dies Gericht zu bestreiten und die Mittel für Aufstellung einer Truppenmacht zu beschaffen, welche jeden Bruch des Landfriedens strafen und die Exekution der Urteile des obersten Gerichts vollstrecken konnte, wurde die Einführung einer allgemeinen Reichssteuer, des gemeinen Pfennigs, beschlossen.
Alle Jahre sollte der Reichstag zusammentreten, um über den Landfrieden, die Vollziehung der kammergerichtlichen Urteile und des Reiches Wohl überhaupt zu wachen. Die Zusammensetzung des Reichstags war so geordnet, daß die Kurfürsten und die Fürsten besondere, die sogen. obern Kollegien waren; die Städte waren als drittes Kollegium zugelassen, jedoch wurde ihr Recht auf ein beschließendes Votum immer wieder angefochten, und ihr Einfluß beschränkte sich meist darauf, daß sie durch ihren Einspruch einen Beschluß, besonders Geldauflagen, verhindern konnten.
Die Reichsritterschaft war auf den Reichstagen nicht vertreten. Im ganzen gab es 250 Reichsstände; da jedoch die kleinern Reichsstände keine Viril-, sondern nur gemeinsame Kuriatstimmen hatten, so zählte der Reichstag wenig mehr als 100 Stimmen. Die Reichsversammlung war jedoch zu einer kontrollierenden Aufsichtsbehörde wegen der Schwerfälligkeit und Weitläufigkeit ihrer Beratungen nicht tauglich. Maximilian gab daher 1500 auf dem Reichstag zu Augsburg seine Zustimmung zur Errichtung eines bleibenden Ausschusses der Stände, des Reichsregiments, das aus 20 Mitgliedern, 6 Vertretern der Kurfürsten, 12 der Fürsten, Grafen und Prälaten und 2 der Städte, bestand.
Zur bessern Durchführung aller dieser Maßregeln wurde das Reich in sechs, 1512 in zehn Kreise geteilt, an deren Spitze je ein Direktorium stand: der österreichische, der bayrische, der fränkische, der kurrheinische, der oberrheinische, der burgundische, der niederländisch od. westfälische, der niedersächsische u. der obersächsische Kreis (s. die einzelnen Artikel). Böhmen mit seinen Nebenländern und die Schweiz blieben ganz außerhalb der Reichsverfassung. Letztere weigerte sich, den ewigen Landfrieden anzunehmen und sich dem Kammergericht zu unterwerfen. Maximilian unternahm einen Kriegszug gegen sie, um sie dazu zu zwingen; indes nicht genügend vom Reich unterstützt, richtete er nichts aus und mußte sie im Baseler Frieden (1499) faktisch aus dem Reichsverband entlassen.
Diese Reichsverfassung, wie sie nach mühsamen Verhandlungen zu stande gebracht wurde, hatte ein durchaus oligarchisches Gepräge, indem den Kurfürsten der entscheidende Anteil an den wichtigsten Behörden eingeräumt wurde. Selbst die Fürsten waren nicht mit derselben einverstanden, noch weniger natürlich die Städte und die Reichsritter, welche ihre Bedeutung als der Wehrstand des Reichs seit dem Aufkommen der Landsknechtheere verloren hatten, denen nun auch das Fehdehandwerk gelegt wurde, und denen man nicht die geringsten politischen Rechte einräumte.
Dennoch würde unter der Leitung so vortrefflicher Männer wie Bertholds von Mainz und Friedrichs des Weisen eine Befestigung und ein Ausbau der neuen Organisation wohl möglich gewesen sein, wenn Kaiser Maximilian dem Werk seine nachhaltige Gunst und Unterstützung zugewendet hätte. Die Beschränkungen seiner monarchischen Gewalt waren allerdings bedeutend, indes doch nicht thatsächlich, sondern bloß, wenn man das Kaisertum in seiner frühern Machtfülle im Auge hatte, und Maximilian hätte sich dieselben auch auf die Dauer gefallen lassen, wenn ihm nur die Wiederherstellung der Kaisergewalt in Italien, nach der er vor allem strebte, geglückt wäre. Daß aber seine italienischen Feldzüge alle erfolglos blieben, maß er dem geringen Beistand bei, welchen die Fürsten ihm leisteten, während er
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doch nur unter der Voraussetzung kräftiger Unterstützung der Reichsreform zugestimmt hatte. Ärgerlich und mißgestimmt, legte er jetzt der Durchführung derselben Schwierigkeiten in den Weg; das Reichsregiment mußte sich 1502 wieder auflösen, dem Kammergericht trat des Kaisers Hofgericht, der Reichshofrat in Wien, zur Seite und zog ebenfalls Reichsangelegenheiten vor sein Forum. Ja, als 1505 im wittelsbachischen Haus über das Landshuter Erbe eine Fehde ausbrach, nahm Maximilian an derselben teil, um sich ein Stück von dem Erbe anzueignen.
Unerschöpflich in neuen Entwürfen, aber ohne Ausdauer, brachte er weder einen großen Kriegszug gegen die Türken zu stande, noch gelang es ihm, die Franzosen aus Italien zu vertreiben; da er Rom nicht erreichen konnte, legte er sich als erster deutscher Herrscher den Kaisertitel bei, ohne mit der Kaiserkrone gekrönt zu sein. Dagegen begünstigte ihn wie seinen Vater das Glück bei der Erhöhung der Macht seines Hauses durch Familienverbindungen. Die Vermählung seines Sohns Philipp des Schönen mit der spanischen Infantin Johanna, der Tochter und Erbin Isabellas von Kastilien und Ferdinands von Aragonien, verschaffte dem Haus Habsburg den Besitz der spanischen Monarchie, zu welcher das neuentdeckte Amerika und in Italien die Königreiche Neapel, Sizilien und Sardinien gehörten, ein Besitz, den sein ältester Enkel, Karl, 1516 antrat. Durch die Vermählung seines zweiten Enkels, Ferdinand, mit der Schwester des Königs Ludwig von Böhmen und Ungarn verstärkte er die Aussichten auf Erwerbung dieser Königreiche. Schmerzlich berührte es ihn nur, daß er nicht noch vor seinem Tod seinem Enkel Karl die Kaiserkrone sichern konnte. Als er im Januar 1519 starb, hinterließ er Deutschland ohne Oberhaupt in einem der entscheidendsten Wendepunkte seiner Geschichte.
Die Reformationszeit.
Im Beginn des 16. Jahrh. waren die Dinge in Deutschland in lebendigster Bewegung und Gärung. Die Verhandlungen über die Reichsreform hatten die politischen Verhältnisse in Fluß gebracht, überall Wünsche und Forderungen angeregt, die nur zum Teil in Erfüllung gingen, und das Verlangen nach einer gründlichen Umgestaltung der Dinge, besonders in den niedern Ständen der Ritter, Bürger und Bauern, gesteigert. Die Verwirrung im Reich, die Verluste des Deutschtums an den Grenzen und der verschwundene Glanz des Kaisertums wurden um so bitterer empfunden, als die Deutschen jener Zeit im Bewußtsein ihrer üppigen Volkskraft stolz und hochstrebend waren und keinem Volk den Vorrang vor sich einräumen wollten, wie sie denn im Ausland überall als hochmütig und gewaltthätig bekannt waren.
Allerdings nur in diesem Verlangen einer Änderung, nicht über die Art derselben waren die Unzufriedenen einverstanden. Der Ritterstand wünschte wieder, wie in der staufischen Zeit, der herrschende Kriegerstand zu sein unter einem mächtigen Kaiser, der große Eroberungszüge unternehme, auf denen Ruhm und Beute zu erwerben seien. Die Bürger verlangten dagegen vor allem Schutz von Handel und Gewerbe durch ein kräftiges Regiment, an dem sie einen ihren finanziellen Leistungen entsprechenden Anteil hätten.
Neben den Bürgern gab es aber in den Städten eine niedere Handwerkerbevölkerung, welche die herrschende mehr oder weniger aristokratische Verfassungsform umzustoßen und eine rein demokratische zu errichten strebte. Diese ärmern Stadtbewohner berührten sich in ihren Bestrebungen mit den Bauern, welche ihre elende Lage unter dem Druck von Steuern und Fronen und unter der Willkür ihrer großen und kleinen Herren seit 100 Jahren um so bitterer empfanden und um so ungeduldiger ertrugen, als die Kämpfe der Schweizer und die Hussitenkriege sowie die Bedeutung der aus Bürgern und Bauern gebildeten Landsknechtheere sie gelehrt hatten, welche Macht in der entfesselten Volkskraft verborgen war. Wiederholte Aufstände von Bauernbünden in Schwaben und am Oberrhein hatten gezeigt, daß es sich in diesem unterdrückten, wehrlosen Stand regte, und je härter die Tyrannei war, unter welcher er seufzte, desto radikaler waren ihre Reformideen, die unter dem Einfluß religiöser Schwärmer, wie bei den Taboriten, oft einen rein kommunistischen Charakter annahmen.
Zu diesen Gärungselementen traten nun die geistige Bewegung des Humanismus und die kirchliche Reformfrage hinzu. Beide flossen in Deutschland ineinander, indem der Aufschwung der Künste und Wissenschaften durch die Wiederbelebung des klassischen Altertums und die neuen Entdeckungen, die Gründung zahlreicher Universitäten und Schulen und die Ausbreitung der Bildung über weitere Kreise infolge der Erfindung der Buchdruckerkunst das Gefühl der Selbstverantwortlichkeit und Freiheit in den Menschen weckten und die Entrüstung über die Entartung der Kirche und über die Schmach, von einem so rohen, sittenlosen und unwissenden Klerus beherrscht und ausgebeutet zu werden, aufs höchste steigerten.
Das Verlangen nach einer Abstellung der kirchlichen Mißstände war so allgemein und so mächtig, daß sich fast niemand außer den Dominikanern ihm zu widersetzen und die herrschende Kirche zu verteidigen wagte, daß die ernsten wie die satirischen Angriffe gegen die Hierarchie und ihre Vorkämpfer mit Begeisterung begrüßt wurden und selbst den Beifall hoher Prälaten fanden. So bedurfte es nur eines Anstoßes, eines erlösenden Wortes, um einen Sturm in der öffentlichen Meinung zu entfesseln, der das Gebäude der mittelalterlichen Kirche bis in seine festesten Grundlagen erschütterte. Dies Wort sprach Luther, indem er die 95 Thesen gegen den Ablaß an die Thür der Schloßkirche zu Wittenberg schlug. Sein mannhaftes Auftreten wurde als der Beginn der ersehnten Reform mit Freuden begrüßt. Wie sich dieselbe gestalten solle und werde, war freilich fast allen ebenso unklar wie die politische Reform, welche man wünschte. In beiden Fragen kam es hauptsächlich darauf an, welcher Kaiser den Thron besteigen würde.
So war die Lage in Deutschland, als die Kurfürsten nach mehrmonatlicher Thronvakanz sich im Mai 1519 in Frankfurt zur Neuwahl eines Kaisers versammelten; mit Ausnahme des Königs von Böhmen erschienen sie alle persönlich, denn die zu treffende Entscheidung war ebenso wichtig wie schwierig. Gern hätten die Kurfürsten einen der Ihrigen, nämlich Friedrich den Weisen, gewählt, was auch der Papst wünschte; aber Friedrich lehnte es ab, die schwere Bürde auf sich zu nehmen. So kamen nur Karl von Spanien und Franz I. von Frankreich als Thronbewerber in Frage, welche beide sich um die Kaiserkrone bewarben, um in dem bevorstehenden Kampf der beiden in Italien und Burgund rivalisierenden Staaten Spanien und Frankreich durch den Besitz der höchsten Würde der Christenheit ihre moralische und physische Macht zu verstärken. Franz hatte die Mehrzahl der Kurfürsten zwar durch Bestechung für sich gewonnen, obgleich sein herrisches, gewaltthätiges Auftreten in seinem Erbreich schwere Bedenken erregte. Im letzten Moment siegte aber Karl. Er galt doch als Deutscher, besaß ansehnliche Teile des Deutschen Reichs, und
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während man die Gefahr seiner allzu großen Macht für die Freiheit der Reichsstände durch eine Wahlkapitulation unschädlich zu machen beschloß, welche ihm besonders die Wiedereinsetzung eines Reichsregiments zur Pflicht machte, erhoffte man zugleich von ihm die Wiederherstellung des Glanzes der deutschen Kaiserkrone und der äußern Machtstellung des Reichs. Auch die Entschiedenheit, mit der sich die öffentliche Meinung in Deutschland für das »junge Blut von Österreich« aussprach, die Drohungen, welche die Führer des nach der Vertreibung des Herzogs Ulrich von Württemberg bis in die Nähe Frankfurts vorgedrungenen schwäbischen Bundesheers gegen die Anhänger Franz' I. verlauten ließen, trugen dazu bei, daß Karl V. (1519-1556) zum Kaiser gewählt wurde.
Hiermit war das Schicksal Deutschlands zu seinem Unglück entschieden. In der wichtigen Krisis, vor der es stand, hätte es eines einsichtigen und entschlossenen Führers bedurft. Karl V. war der rechte Mann nicht und konnte es nicht sein. Bei seinem Streben nach der Weltherrschaft war ihm zwar die Kaiserkrone erwünscht, aber die materielle Grundlage seiner Macht bildete die starke spanische Monarchie. Deutschland blieb ihm nur ein Nebenland, dessen Kräfte er wohl, soweit möglich, ausnutzen, dessen Wohl er aber die eignen Interessen nicht widmen oder aufopfern wollte.
Ohne tieferes religiöses Gefühl ganz im Bann der mittelalterlichen Kirche befangen, war er einer durchgreifenden kirchlichen Reform durchaus abgeneigt, wenn er auch die Opposition gegen die päpstliche Hierarchie gelegentlich zu seinem Vorteil ausbeutete, um den Papst in politischen Dingen gefügiger zu machen. Er war also weder gewillt, noch im stande, die Hoffnungen, mit denen das deutsche Volk ihn begrüßte, zu erfüllen. Die Deutschen haben das freilich erst spät, zum Teil gar nicht eingesehen.
Erst im Herbst 1520 erschien Karl V. in um sich in Aachen krönen zu lassen und dann den Wormser Reichstag abzuhalten. Auf diesem wurden 1521 die Bestellung eines ständischen Reichsregiments während der Abwesenheit des Kaisers von Deutschland, die Reform des Reichskammergerichts, die Aufstellung einer Matrikel für die Bezahlung der Kosten durch die Stände, endlich die Festsetzung der Truppenmacht, mit der das Reich fortan den Kaiser in Italien zu unterstützen hatte, durch Vereinbarung zwischen den Fürsten und dem Kaiser rasch erledigt.
Denn schon drohte der Krieg mit Frankreich in Oberitalien auszubrechen, dessen siegreiche Beendigung Karl vor allem am Herzen lag. Es war ihm gelungen, Papst Leo X. durch die Zusage für sich zu gewinnen, daß er der Ketzerei in Deutschland ein Ende machen und den bereits mit dem Bann belegten Luther auch mit weltlichen Strafen züchtigen wolle. Da die Stände sich weigerten, jemand ungehört zu verdammen, wurde der Wittenberger Mönch vor den Reichstag citiert. Er erschien trotz der Gefahr eines grausamen Todes, die ihm drohte, und gab vor versammelten Kaiser und Ständen auf die Forderung des Widerrufs jene mannhafte Antwort, die ihm die Herzen vieler Fürsten, vor allem aber des deutschen Volkes gewann.
Karl blieb von der religiösen Begeisterung, die aus dem schlichten Mönch und aus der mächtigen Bewegung im Volk sprach, ungerührt. Zwar schonte er Luther, aber als er abgereist war und die meisten Stände Worms verlassen hatten, sprach er über ihn die Acht aus und erließ das Wormser Edikt, welches die weitere Verbreitung der ketzerischen Lehre Luthers aufs strengste verbot und alle ihre Anhänger und Beschützer mit gleicher Strafe der Acht bedrohte. Hiermit sagte sich der neue Beherrscher Deutschlands von der kirchlichen Reformbewegung los und stellte sich dem religiösen und nationalen Ziel der Besten des deutschen Volkes, nämlich Befreiung von dem pontifikalen Joch und Begründung einer nationalen, wahrhaft christlichen Kirche, fremd, ja feindselig gegenüber. Nachdem er die österreichischen Erblande und die Verwaltung des 1519 eroberten Herzogtums Württemberg seinem Bruder Ferdinand übertragen hatte, verließ er 1521 Deutschland wieder, um erst nach neun Jahren (1530) dahin zurückzukehren.
Obwohl die Zurückweisung der Wünsche des Volkes durch das Wormser Edikt hier und da bereits den Ausbruch von Unruhen zur Folge hatte und während Luthers Exil auf der Wartburg in Sachsen die Schwarmgeister und Bilderstürmer sich regten, nahm das in Nürnberg zusammentretende Reichsregiment die Sache der kirchlichen und politischen Reform mit Ernst in die Hand. Der neue Papst, Hadrian VI., kam den Wünschen der deutschen Nation wenigstens darin entgegen, daß er die Abstellung der schlimmsten Mißbräuche ebenfalls beabsichtigte.
Der Nürnberger Reichstag faßte 1523 die Forderungen Deutschlands in 100 Gravamina (»Beschwerden«) zusammen, verlangte binnen Jahresfrist ein allgemeines, freies Konzil auf deutschem Boden, auf dem auch die Laien Sitz und Stimme hätten, und forderte bis zu demselben die freie Verkündigung des reinen, lautern Evangeliums. Aber da das Reichsregiment zu gleicher Zeit eine festere Organisation des Reichs beriet und mit dem Plan umging, die Kosten der neuen Gerichts- und Heeresverfassung durch Errichtung einer Reichszolllinie aufzubringen, sagten sich die Städte in engherzigem Eigennutz vom Regiment los und betrieben beim Kaiser die Auflösung desselben.
Noch mehr waren die Ritter durch den Gang der Dinge enttäuscht worden. Statt einer religiösen und politischen Reform, die dem Ritterstand wieder zu Macht und Ansehen verholfen hätte, wie Sickingen und sein feuriger, leidenschaftlicher Freund Hutten sie geträumt hatten, ward die Regierung im Reich den verhaßten Fürsten übertragen. 1522 vereinigten sich die alten Ritterbünde am Rhein und Main zu einer Erhebung für religiöse und politische Freiheit gegen die fürstliche Allgewalt, der sich, wie sie hofften, auch die Städte anschließen würden. Sie begann mit dem Überfall Sickingens auf Trier (1522); doch dieser mißlang, die Fürsten am Mittelrhein verbanden sich zu rascher und kräftiger Gegenwehr, welcher die Reichsritter bald unterlagen; Sickingen fiel bei der Verteidigung seiner Feste Landstuhl (1523), Hutten endete in der Schweiz im Elend.
Mit Schlauheit und List wußten der Papst Clemens VII., ein Mediceer, der nach Hadrians frühem Tode den römischen Stuhl bestiegen, und sein Legat in Deutschland, Campeggi, diese Erhebung der Ritter gegen die Reformbestrebungen auszubeuten. Campeggi vereinigte auf dem Regensburger Konvent (Juni 1524) mehrere weltliche Fürsten, wie den Erzherzog Ferdinand und die bayrischen Herzöge, und die süddeutschen Bischöfe zu dem Beschluß, daß einige kirchliche Mißbräuche abgestellt, der weltlichen Gewalt mehrere Zugeständnisse (und pekuniäre Vorteile) eingeräumt, dafür aber die Lutherschen Lehrmeinungen nicht geduldet werden sollten. Zuerst also trennten sich die Anhänger der päpstlichen Hierarchie von der gemeinsamen Sache und verursachten so die religiöse Spaltung in Deutschland, welche gerade zu verhüten die oberste nationale Pflicht gewesen wäre. Diese rückläufige Strömung wurde verstärkt durch die Erhebung des Bauernstandes im Bauernkrieg. Die evangelische
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Freiheit, welche Luther und seine Freunde verkündigten, wollten die hart bedrückten Bauern auf ihre soziale Lage ausgedehnt wissen, wie denn auch die Heilige Schrift von Hierarchie, von Scheidung der Stände, von Zehnten, Privilegien und Fronen nichts sage. Die zwölf Artikel, welche anfangs das Programm der Bewegung, das »Manifest des gemeinen Mannes« waren, beschränkten sich darauf, das göttliche Recht des Menschen auf Freiheit zu behaupten und die freie Predigt des Evangeliums, die Wahl der Pfarrer, Abschaffung der Leibeigenschaft, des kleinen Zehnten, des Jagd- und Waldrechts der Herren und der Fronen zu fordern.
Bald aber artete der Aufstand in wilde Zerstörungswut aus. Die zuchtlosen Bauernscharen sengten und brannten alles nieder, was sich ihnen entgegenstellte, Klöster und Burgen, und verübten die furchtbarsten Grausamkeiten; alle Versuche, Ordnung und Einheit in die Masse zu bringen, waren erfolglos. So war es dem Heer des Schwäbischen Bundes möglich, in Süddeutschland die Empörung zu unterdrücken, während die mitteldeutschen Fürsten unter Führung Kursachsens die Scharen des schwärmerischen Fanatikers Thomas Münzer bei Frankenhausen vernichteten (1525). Die Ordnung in Deutschland war wiederhergestellt, aber die Lage des Bauernstandes wurde schlimmer als vorher; eine Befreiung und Erhebung desselben aus geistigem und materiellem Druck durch die Reformation war nun unmöglich, wenn auch die Funken mystisch-schwärmerischer Erregung noch lange unter der Asche fortglommen. Nicht das Volk war fortan der Träger der großen religiösen Bewegung, sondern die Reichsstände, und ihre Sonderinteressen verflochten sich fortan auf verhängnisvolle Weise mit derselben.
Während das Reichsregiment, nach Eßlingen verlegt, noch kurze Zeit eine ohnmächtige Scheinexistenz fortführte, entschlossen sich nun die Anhänger der Reformation, ebenso wie ihre Gegner auf dem Regensburger Konvent, zu selbständigem Vorgehen. Der Kurfürst Johann der Beständige von Sachsen, Landgraf Philipp von Hessen, die Markgrafen von Ansbach und Baireuth, die Herzöge von Pommern und Mecklenburg, mehrere der braunschweigischen Herzöge, die Fürsten von Anhalt und die Grafen von Mansfeld, ferner der Hochmeister des Deutschen Ordens, Albrecht von Brandenburg, der den geistlichen Staat Ostpreußen in ein weltliches Herzogtum verwandelte, führten die Kirchenreform nach Luthers Anweisung, der so wider Willen zu einer fast herrschenden Stellung erhoben wurde, in ihren Territorien durch.
Die bischöfliche Gewalt für sich beanspruchend, beseitigten sie alles, was der Lehre der Heiligen Schrift widersprach, besonders Cölibat und Messe; der öffentliche Gottesdienst und das Schulwesen wurden reorganisiert, die Klöster säkularisiert und ihre Güter zu Kirchen- und Schulzwecken bestimmt, freilich nur teilweise; ein großer Teil des eingezogenen Kirchenguts diente auch zur Vermehrung des fürstlichen und des landständischen Vermögens. Den Fürsten schlossen sich die bedeutendsten Reichsstädte an, wie Lübeck, Bremen, Hamburg, Magdeburg, Ulm, Augsburg, Frankfurt, Straßburg und Nürnberg; die Künste und Wissenschaften blühten in ihnen unter dem Schutz religiöser Freiheit auf.
Ohne Zweifel ist die geistige Einheit des deutschen Volkes dadurch gefördert worden, daß die hochdeutsche Sprache als Kirchen- und Schulsprache der Reformation wieder in Norddeutschland herrschende Schriftsprache wurde; im 15. Jahrh. drohte der Norden des Reichs sich politisch wie sprachlich vom Süden gänzlich loszulösen. Indes durch die eigenmächtige Reform der Stände wurde auch der fürstliche Partikularismus sehr gekräftigt, individuelle dogmatische Überzeugungen der Fürsten und ihrer Theologen machten sich mehr und mehr geltend und führten eine Zersplitterung der reformatorischen Thätigkeit herbei, welche den Samen religiöser Zwietracht säete und als die evangelischen Stände, nachdem sich die einflußreichsten Mitglieder im Torgauer Bund (Juni 1526) über eine gemeinsame Haltung verständigt hatten, auf dem Reichstag in Speier im August 1526 den Beschluß erwirkten, daß »in Sachen der Religion und des Wormser Ediktes jeder Reichsstand so leben, regieren und es halten solle, wie er es gegen Gott und Kaiserliche Majestät zu verantworten sich getraue«, war damit die nationale Zerrissenheit, wie sie durch die Entstehung selbständiger Territorien in den letzten Jahrhunderten sich gestaltet hatte, auch auf das kirchliche und religiöse Leben übertragen und durch den Grundsatz »Cujus regio, ejus religio« die Hoffnung, an der Hand der Reformation auch eine nationale Einheit zu schaffen, für immer vereitelt. Der Gegensatz zwischen Luther und Zwingli, welcher auf dem zu ihrer Versöhnung berufenen Religionsgespräch zu Marburg (1529) durch Luthers Starrsinn unheilbar wurde, vermehrte die religiöse Spaltung, da die süddeutschen Stände, besonders die Reichsstädte, mehr zu den Schweizer als zu den Wittenberger Reformatoren hinneigten.
Die unerwartete Zustimmung des Kaisers zu den Beschlüssen des Speierer Reichstags war durch politische Erwägungen veranlaßt worden, welche, durch die Beziehungen zu Frankreich und dem Papst bedingt, mit deren Veränderung auch eine andre Richtung annahmen. In dem Krieg mit Franz I. von Frankreich 1521-26, bei dem es sich vor allem um die Herrschaft in Italien handelte, hatten die kaiserlichen Heere nach manchem Wechsel des Kriegsglücks endlich den entscheidenden Sieg von Pavia davongetragen, der die französische Armee vernichtete und den König Franz selbst dem Kaiser in die Hände lieferte. Nach langer Gefangenschaft mußte sich Franz zu dem Frieden von Madrid verstehen, in welchem er auf Neapel und Mailand verzichtete und selbst Burgund herauszugeben versprach.
Beide Herrscher verbanden sich zu gemeinsamem Vorgehen sowohl wider die Türken als wider die Ketzer, »die sich vom Schoß der heiligen Kirche losgerissen«. Aber kaum in Freiheit gesetzt, brach Franz I. den Vertrag und schloß mit dem Papst Clemens VII., der seinen Eidbruch billigte, die Heilige Ligue von Cognac, welcher auch Heinrich VIII. von England seinen Beistand zusagte. Während der Krieg in Italien von neuem entbrannte, wurde auch die deutsche Macht des Hauses Habsburg in einen gefährlichen Krieg verwickelt.
Die Ungarn erlagen in der Schlacht bei Mohács wo ihr junger König Ludwig selbst fiel, einem neuen Angriff der Türken, und Ferdinand, Ludwigs Erbe in Ungarn und Böhmen, war nun selbst durch die türkische Macht bedroht. Karl mußte daher 1526 vorläufig von einem Einschreiten gegen die deutschen Ketzer Abstand nehmen. Aber als er durch die Erstürmung Roms (1527) Clemens VII. gedemütigt und zur Nachgiebigkeit geneigt gemacht, sodann einen Versuch der Franzosen, Neapel und Mailand wiederzuerobern, vereitelt hatte, schloß er mit dem Papst 1529 den Frieden von Barcelona, mit Franz den von Cambrai; in diesem verzichtete er auf Burgund, behielt aber die Herrschaft in Italien, welche nun auch Clemens anerkannte. Karl verpflichtete sich dagegen, wider die Ketzerei in
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Deutschland einzuschreiten, und der Bund der beiden Häupter der Christenheit wurde 1530 durch eine persönliche Zusammenkunft in Bologna und die Kaiserkrönung Karls daselbst (24. Febr., die letzte in Italien) besiegelt. Die heldenmütige Verteidigung Wiens gegen die Türken (Oktober 1529) und der Rückzug derselben beseitigten für einige Zeit auch die Türkengefahr.
Die veränderte Haltung des Kaisers wirkte schon auf den zweiten Speierer Reichstag 1529 entscheidend ein. Die der alten Kirche zugethanen Stände waren so zahlreich erschienen, daß sie die Majorität besaßen und der kaiserlichen Proposition gemäß beschlossen, daß das Wormser Edikt bestehen bleiben, den evangelischen Ständen jede weitere Neuerung, besonders Beeinträchtigung der geistlichen Obrigkeit, verboten sein und das Sektenwesen nicht geduldet werden solle. 19 evangelische Reichsstände, 5 Fürsten und 14 Städte, protestierten dagegen, daß in Gewissenssachen die Mehrheit gemeingültige Beschlüsse fassen könne; davon erhielten die Anhänger der neuen Lehre den Namen »Protestanten«. Im Mai 1530 kehrte der siegreiche Kaiser nach Deutschland zurück und eröffnete 18. Juni die glänzende Reichsversammlung zu Augsburg.
Als die evangelischen Stände seinem Befehl, die Neuerungen einzustellen, unter Berufung auf ihr Gewissen den Gehorsam verweigerten, verlangte er, daß ihm die Gegensätze der beiden Lehren in Kürze dargelegt würden. Dies geschah: am 25. Juni ward vor versammeltem Reichstag das Augsburgische Glaubensbekenntnis verlesen, welches, von Melanchthon verfaßt, die Unterschiede der neuen und der alten Lehre mild und leidenschaftslos entwickelte und die erstere fein und gewandt rechtfertigte.
Die angesehensten katholischen Theologen reichten dagegen eine Gegenschrift, die Confutatio, ein. Hiermit erklärte Karl V. die Sache für erledigt und nahm Melanchthons Apologie der Confessio Augustana nicht an. Ohne sich auf Gewissensfragen einzulassen, verlangte Karl von den Protestanten, daß sie sich dem Papst wieder unterwerfen sollten, bis er das längst versprochene allgemeine Konzil in Rom zu stande gebracht haben würde, und der Reichstagsabschied sprach deutlich und scharf die Drohung aus: wenn die Protestanten nicht bis zum gutwillig zur alten Kirche zurückkehrten, würde die neue Lehre mit Gewalt ausgerottet werden.
Unter dem Eindruck dieser Drohung schlossen die Häupter der Protestanten Anfang 1531 den Schmalkaldischen Bund (s. d.) zur Verteidigung der evangelischen Freiheit und Abwehr aller Gewalt. Indes der Wunsch, seinen Bruder Ferdinand zum römischen König gewählt zu sehen, die von neuem drohende Türkengefahr und die Unsicherheit des Friedens mit Frankreich bewogen Karl vorläufig zur Nachgiebigkeit, und so kam es zum Abschluß des Nürnberger Religionsfriedens, der den Anhängern der Augsburgischen Konfession freie Religionsübung bis zum bevorstehenden Zusammentritt eines allgemeinen Konzils gestattete.
Nachdem ein stattliches deutsches Heer die Türken zurückgetrieben hatte, begab sich Karl wieder nach Spanien, von wo er nach großartigen Rüstungen die Barbareskenstaaten an der Nordküste Afrikas zu unterwerfen begann; auch in neue Kriege mit Frankreich wurde er verwickelt, während Ferdinand für die Abwehr der Türken die Hilfe des Reichs immer wieder in Anspruch nehmen mußte. Die Berufung des Konzils verzögerte die Kurie unter allerlei Vorwänden, weil ihr der Verlust von einigen Hunderttausend Ketzern weniger gefährlich erschien als die Erneuerung der Konzilsbestrebungen von Konstanz und Basel.
So war den Protestanten eine längere Frist geschenkt, welche sie nicht säumten sich für die Ausbreitung der Reform nutzbar zu machen. Philipp von Hessen führte 1534 den 1519 vertriebenen Herzog Ulrich von Württemberg in sein von Österreich besetztes Land zurück, das nun dem Luthertum sich anschloß. In Norddeutschland mehrten sich die Anhänger der neuen Lehre von Tag zu Tag; selbst die Errichtung eines phantastisch-tollen Wiedertäuferreichs in Münster, welches durch die vereinigte Macht protestantischer und katholischer Fürsten 1535 vernichtet wurde, konnte die Ausbreitung des Protestantismus nicht hemmen.
Brandenburg, Meißen, die pfälzischen Linien, endlich auch der Kurfürst Otto Heinrich von der Pfalz selbst, eine Anzahl Städte, ja sogar schon Bischöfe traten zur Reformation über. Die Bevölkerung in den Gebieten katholischer Fürsten, sogar in Böhmen und Österreich, war zum guten Teil protestantisch. Der einzige Fürst im Norden, welcher der alten Kirche treu blieb, Herzog Heinrich von Braunschweig, wurde infolge von gewaltthätigen Angriffen auf die Reichsstädte Goslar und Braunschweig vom Schmalkaldischen Bund aus seinen Landen vertrieben (1542). Selbst bei der Kurie regte sich ein versöhnlicher Geist; einflußreiche Kardinäle waren dafür, durch ehrliche Anerkennung der berechtigten Reformforderungen der Protestanten die Einheit der Kirche wiederherzustellen. 1540-41 wurden wiederholt Unterhandlungen eingeleitet und Religionsgespräche veranstaltet, um die friedliche Verständigung zwischen beiden Parteien anzubahnen, und auch Karl V. kam den Protestanten, deren Hilfe er von neuem gegen die Türken und gegen Frankreich bedurfte, im Regensburger Interim und im Reichsabschied vom auf das nachgiebigste entgegen: der Nürnberger Religionsfriede wurde bestätigt, die Ausschließung der Protestanten vom Kammergericht aufgehoben, der Übertritt zu ihrer Lehre jedermann erlaubt und eine christliche Ordnung und Reformation auf einem gemeinen oder Nationalkonzil versprochen.
Aber so weit auch der Kaiser in seinen Zugeständnissen ging, eine Restauration der einheitlichen Kirche, wenn auch nicht ohne Reform, behielt er sich immer noch vor. Auch diese drohte unmöglich zu werden, als der Kurfürst von Köln, Hermann von Wied, sein Stift zu reformieren begann. Hatten die Protestanten erst die Majorität im Kurfürstenkollegium, und griff die Säkularisation der geistlichen Gebiete weiter um sich, so war bei der Stimmung des Volkes die dauernde Begründung des evangelischen Kirchentums durch den Kaiser und die wenigen katholischen Stände nicht mehr rückgängig zu machen und die Protestanten auch nicht mehr theoretisch zur Unterwerfung unter die päpstliche Autorität zu bringen.
Karl unterbrach daher im vierten französischen Krieg (1542-44) seinen Siegeslauf, der ihn bis in die Nähe von Paris geführt, schloß 1544 plötzlich mit Franz I. den Frieden von Crépy, in dem er sich mit dem Stande der Dinge vor dem Krieg begnügte, erreichte dann endlich vom Papste die Berufung eines allgemeinen Konzils nach Trient, einer zwar südlich der Alpen, aber im Reichsgebiet gelegenen Stadt, wo es im Dezember 1545 eröffnet wurde, und forderte nun die Protestanten auf dem Wormser Reichstag (Mai 1545) zur Beschickung desselben auf. Indes diese weigerten sich, weil sie in Trient der überwiegenden Mehrheit italienischer Prälaten gegenüber auf gerechte Behandlung nicht rechnen konnten, und bestanden auf einem freien deutschen Nationalkonzil. Jetzt entschloß sich der Kaiser zur Anwendung von
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Gewalt, und so entstand der Schmalkaldische Krieg (1546-47).
Obwohl die schmalkaldischen Verbündeten dies hatten voraussehen müssen, so machten sie doch von ihrer augenblicklichen militärischen Überlegenheit keinen Gebrauch, dem Rat Luthers, der nur Verteidigung gegen Gewalt für erlaubt erklärte, auch nach seinem Tod gehorsam. Sie zogen zwar 1546 zum Schutz der süddeutschen Bundesmitglieder ein stattliches Heer an der Donau zusammen, ließen es aber ruhig geschehen, daß Karl italienische und spanische Truppen gegen die ausdrückliche Bestimmung der Wahlkapitulation aus Italien an sich zog und das kaiserliche Heer sich immer mehr verstärkte.
Während sie müßig an der Donau standen, schloß Karl mit Herzog Moritz von Sachsen, der, gegen seinen ernestinischen Vetter wegen eines Streits über die sächsischen Stifter erbittert, diesem die Kur entreißen wollte, einen geheimen Vertrag, worauf derselbe plötzlich in Kursachsen einfiel und den Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen und Philipp von Hessen zum Schutz ihrer Lande ihre Truppen nach Norden zu führen nötigte. Nun war Süddeutschland der Übermacht des Kaisers preisgegeben und wurde noch 1546 ohne Mühe unterworfen. Im Frühjahr 1547 wandte sich Karl nach Sachsen, überfiel 24. April bei Mühlberg das Heer Johann Friedrichs, zersprengte es und nahm ihn selbst gefangen. Die sächsische Kur nebst den Kurlanden wurde auf Moritz, das Haupt der albertinischen Linie des Hauses Wettin, übertragen. Landgraf Philipp unterwarf sich dem Kaiser in Halle, wurde aber ebenfalls in Haft behalten. Der Schmalkaldische Bund war vernichtet, Karl hatte einen Sieg über die mächtigsten Reichsstände erfochten, wie es seit Friedrich I. keinem Kaiser wieder gelungen war. Niemand wagte ihm mehr entgegenzutreten, er war Meister in Deutschland.
Auf dem Reichstag zu Augsburg, welcher im September 1547 sich versammelte, beschloß nun Karl, die Dinge in Deutschland nach seinem Sinn zu ordnen, bewies aber dabei seinen völligen Mangel an Verständnis in religiösen Dingen. Er ließ nämlich eine Glaubensformel ausarbeiten, das Augsburger Interim (s. Interim) von 1548, welches eine Vereinbarung des alten und neuen Glaubens, zugleich aber eine Antwort sein sollte auf das eigenmächtige Verfahren des Papstes, welcher in Trient sogleich gerade die Hauptlehren der Protestanten für ketzerisch erklären ließ, statt durch Versöhnlichkeit ihnen die Beschickung zu erleichtern, und 1547 das Konzil nach Bologna verlegte, um es aus dem Machtbereich des Kaisers zu entfernen.
Das Interim gestand den Protestanten das Abendmahl in beiderlei Gestalt und die Priesterehe zu, näherte sich auch in der Rechtfertigungslehre dem protestantischen Standpunkt und beschränkte die Macht des Papstes in Deutschland, wollte aber die katholische Hierarchie und den alten Kultus aufrecht erhalten wissen und verlangte von den Protestanten jedenfalls Unterwerfung unter die künftige Entscheidung des Konzils, das sie beschicken sollten. Die katholischen Stände wiesen diesen Ausgleich sofort zurück, und Karl verzichtete auf ihre Anerkennung.
Die Protestanten wagten nach ihrer Niederlage keine offene Opposition; nur die beiden gefangenen Fürsten blieben standhaft bei ihrer Weigerung, sich dem Interim zu unterwerfen. Aber nur ein Teil der Stände verkündete es, keiner versuchte seine gewaltsame Durchführung. Die protestantische Bevölkerung lehnte sich energisch dagegen auf; die fliegende Presse jener Zeit verurteilte Moritz' Verrat mit Unwillen und Entrüstung und pries Magdeburgs Heldenmut, der einzigen Stadt, die das Interim offen zurückwies. In den Städten Oberdeutschlands, die der kaiserlichen Soldateska wehrlos preisgegeben waren, versuchte der Kaiser die gewaltsame Durchführung; Hunderte von überzeugungstreuen Predigern wurden vertrieben.
Aber von einem Gelingen seines Plans, durch Oktroyierung einer neuen Glaubensformel kirchlichen Frieden und Einheit in Deutschland wiederherzustellen, konnte um so weniger die Rede sein, als der Papst nicht damit einverstanden war und Karl V. zugleich andre weitgehende Entwürfe betrieb, die ihm seine bisherigen Anhänger entfremdeten. Die Ernennung der Beisitzer des Reichskammergerichts zog er ganz an sich, erklärte auch Eingriffe in geistliches Eigentum und Störungen der geistlichen Gerichtsbarkeit für Landfriedensbruch und errichtete eine Reichskriegskasse, welche ihm mit Mitteln des Reichs die Möglichkeit gewährte, Deutschland durch ein spanisches Heer fortwährend im Zaum zu halten.
Durch die Pragmatische Sanktion vereinigte er sein burgundisches Erbe zu einem politischen Ganzen, das als zehnter Kreis mit dem Reich verbunden und unter seinen Schutz gestellt, aber dem Reichskammergericht und der Reichsregierung nicht unterworfen wurde. Endlich aber hegte er die Absicht, die Verbindung Deutschlands mit Spanien und seine Unterordnung unter die habsburgische Weltherrschaft dadurch zu verewigen, daß er seinen Sohn Philipp auch zu seinem Nachfolger im Kaisertum bestimmte und auf dem Reichstag in Augsburg 1551 von seinem Bruder Ferdinand und dessen Sohn Maximilian den Verzicht auf die Kaiserwürde verlangte. Da erhob sich Kurfürst Moritz, um die Unabhängigkeit der deutschen Fürsten und die Religionsfreiheit zu retten.
Mit meisterhaftem Geschick wußte er den Kaiser zu täuschen und in Sicherheit zu wiegen, während er das durch seinen frühern Verrat erwachte Mißtrauen der protestantischen Fürsten beschwichtigte und sich ihres Beistandes versicherte. Auch erlangte er durch den Vertrag von Friedewald vom König Heinrich II. von Frankreich das Versprechen einer Diversion gegen den Kaiser und Subsidienzahlungen, wogegen der König das Recht haben sollte, als Reichsvikar die französisch redenden Stifter und Städte Cambrai, Metz, Toul und Verdun zu besetzen.
Als alle Vorbereitungen getroffen waren, erließ Moritz ein Manifest gegen die »viehische erbliche Servitut«, die Deutschland von Spanien drohe, und brach im März 1552 von Sachsen in Eilmärschen nach dem Süden auf, indem er unterwegs die Truppen der verbündeten Fürsten an sich zog. Anfang April war er bereits in Augsburg und hatte ganz Oberdeutschland in seiner Gewalt. Der Kaiser, dem der Weg nach Flandern abgeschnitten war, flüchtete von Innsbruck nach Steiermark. Krank und durch das Scheitern seiner Lebenspläne aufs tiefste erschüttert, überließ er seinem Bruder Ferdinand die Unterhandlung mit den deutschen Fürsten, welche zu dem Passauer Vertrag führte; in diesem wurde die Freigebung der gefangenen Fürsten, die Aufhebung des Interim und die Errichtung eines beständigen Friedens zwischen beiden Parteien auf Grund der ständischen Religionsfreiheit den protestantischen Fürsten zugestanden. Der definitive Friede wurde in Augsburg abgeschlossen (Augsburger Religionsfriede, s. d.). In demselben wurde den Reichsständen das Recht, die Konfession für sich und ihr Territorium frei zu wählen (jus reformandi), gewährt und damit der Grundsatz »Cujus regio, ejus religio«, den schon der Reichstag
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von Speier 1526 aufgestellt, erneuert; katholische und evangelische Reichsstände sollten fortan in ihren Rechten gleich sein, religiöse Streitigkeiten nur durch christliche, friedliche Mittel geschlichtet werden. Doch gaben die Protestanten, an deren Spitze seit Moritz' Tod (1553) kein kluger, energischer Fürst stand, im leichtsinnigen Vertrauen auf das Übergewicht der Reformation, welcher das deutsche Volk zumeist anhing, einige Beschränkungen des allgemeinen Grundsatzes zu, welche ihnen später verhängnisvoll geworden sind.
Das Recht der Religionsfreiheit wurde nämlich, um das Sektenwesen abzuwehren, auf die Anhänger der Augsburgischen Konfession beschränkt, also auch die Reformierten (Zwinglianer und Calvinisten) vom Frieden ausgeschlossen; ferner bestimmte eine Klausel, der »geistliche Vorbehalt« (reservatum ecclesiasticum), daß die geistlichen Fürsten das Jus reformandi nur für ihre Person haben und, wenn sie zur neuen Lehre überträten, ihres geistlichen Amtes und Fürstentums verlustig gehen sollten.
Die Deklaration, die den Protestanten zum Ersatz gewährt wurde, daß nämlich der Besitzstand der evangelischen Kirche in den geistlichen Territorien, wie er jetzt sei, nicht angetastet werden solle, verlor dadurch ihren Wert, daß sie nicht in den Reichstagsabschied aufgenommen ward. Im Vergleich zu dem Anspruch unbedingter Herrschaft, welchen die römische Kirche bisher erhob, war die formelle Anerkennung einer ihr nicht unterworfenen Religionspartei in Deutschland dennoch ein ungeheurer Fortschritt. Gebrochen war der Bann der mittelalterlich-kirchlichen Staatsordnung und dem modernen Staate die Bahn selbständiger freier Entwickelung geöffnet; gebrochen war auch der Bann der Geister u. das Recht freier Forschung die Grundlage der neuen Lehre wie aller Wissenschaft siegreich erkämpft.
Karl V. hatte an diesen Verhandlungen noch indirekten Anteil genommen und die Zugeständnisse an die Protestanten nach Kräften zu beschränken gesucht. Indes machte er sich mehr und mehr mit dem Gedanken vertraut, die unmittelbare Regierung seines Reichs niederzulegen, zumal nachdem sein Versuch, Frankreich die geraubten deutschen Stifter wieder zu entreißen, mit der vergeblichen Belagerung von Metz (Januar 1553) gescheitert war. Sein Unternehmen, das mittelalterliche Kaisertum zu erneuern, hatte trotz der ungeheuern Machtmittel, die ihm zu Gebote standen, mit einem jähen Zusammenbruch geendet, denn es war in schroffen Gegensatz zu den herrschenden Strömungen, der nationalen Idee und dem Geist religiöser Freiheit, getreten, die es durch bloß äußerliche, herzlose, wenn auch schlaue und geschickte Kabinettspolitik nicht zu überwinden vermochte.
Karl beschloß daher, seine Macht zu teilen; seinem Sohn Philipp übertrug er 1555 das burgundische Reich, dazu 1556 Spanien und Italien, seinem Bruder Ferdinand die österreichischen Lande sowie Böhmen und Ungarn; auch verzichtete er zu seinen gunsten auf die Kaiserkrone, worauf er sich in das spanische Kloster San Yuste zurückzog, wo er 1558 starb. Verlor auch das Reich an die spanische Monarchie nicht bloß seine frühere Herrschaft in Italien, sondern auch die westlichen Grenzlande, so ward es doch von der Verbindung mit Spanien und seiner Politik losgelöst und erlangte die Freiheit selbständiger nationaler Entwickelung zurück.
Die Gegenreformation und der Dreißigjährige Krieg.
(Hierzu die »Geschichtskarte von Deutschland III«.)
Der große geistige Kampf der Reformationszeit und sein Ausgang hatten eine gewisse Abspannung der Geister und Gemüter im deutschen Volk zur Folge. Die humanistische Richtung der Pflege und Wiederbelebung des klassischen Altertums zog sich in die Gelehrtenschulen zurück, die schöne Litteratur bildete sich nur in einigen Gattungen aus, die geistige und wissenschaftliche Thätigkeit der Nation wurde fast ganz von den religiösen Erörterungen und Streitigkeiten in Anspruch genommen, welche aber besonders im Gebiet des strengen Luthertums in gehässige dogmatische Zänkereien, neidische Verketzerungen und grausame Verfolgungswut ausarteten.
Die lutherischen Hoftheologen verfielen bald in dieselben Fehler, hochmütige Herrschsucht und fanatische Intoleranz, welche man der alten Kirche besonders zum Vorwurf gemacht hatte. Die Fürsten huldigten kurzsichtigem Eigennutz und gingen ganz in dem Streben nach habgieriger Vermehrung ihres Besitzes auf, soweit sie nicht bloß materieller Genußsucht frönten. Deutschland genoß in der zweiten Hälfte des 16. Jahrh. eines behäbigen Wohlstandes;
Ackerbau und Gewerbe blühten;
die Bevölkerung mehrte sich;
die Städte schmückten sich durch Bauten, Straßen- und Brunnenanlagen, und die bildenden Künste brachten zwar keine Werke von idealer Bedeutung hervor, durchdrangen und veredelten jedoch das ganze Gewerbe.
Aber es fehlten der Nation die treibende Schaffenskraft sowie das gemeinschaftliche Streben nach einem hohen Ziel. Ihre Einheit ging durch die politische und religiöse Zerrissenheit mehr und mehr verloren, und trotz ihrer Lebensfülle war sie nicht im stande, ihren Handel im Wettkampf mit andern Nationen auszubreiten, ja nicht einmal ihn in seinem bisherigen Umfang zu behaupten; in Nord- und Ostsee verlor die Hansa ihre herrschende Stellung. Neue Kolonien deutschen Volkstums wurden nicht gegründet, die alten Ansiedelungen im Osten dem Mutterland entfremdet. Nicht einmal die Türkengefahr wußte das mächtige Volk dauernd von seinen Grenzen zurückzuweisen. Über die Sicherheit des errungenen Besitzes wiegte sich die protestantische Mehrheit in eine unbegreifliche Verblendung und träumte noch von völligem Sieg ihrer Sache, als der Feind schon in ihrem eignen Lager war.
Die beiden Nachfolger Karls V., Ferdinand I. (1556-64) und dessen Sohn Maximilian II. (1564 bis 1576), waren redlich bemüht, den religiösen Frieden aufrecht zu erhalten. Der früher so streng katholische Ferdinand überwarf sich sogar mit dem Papst, als dieser durch die Beschlüsse des Trienter Konzils auch die gemäßigtesten Reformforderungen zurückweisen ließ und so eine unübersteigliche Scheidewand zwischen Katholizismus und Protestantismus errichtete.
Maximilian trug sich ernstlich mit dem Gedanken, die religiöse Einheit in Deutschland durch seinen Übertritt zur Reformation zu ermöglichen, und duldete, daß sich der Protestantismus in Böhmen und Ungarn, ja selbst in den Städten und dem Adel der österreichischen Erblande, sowohl der ihm gehörigen als der seines Bruders Karl, ausbreitete. Und auch im Reich machten sich die protestantischen Fürsten die wohlwollende Gesinnung des Kaisers zu nutze, indem sie trotz des geistlichen Vorbehalts zahlreiche Stifter und Kirchengüter in Norddeutschland reformierten und säkularisierten. Hauptsächlich waren es der erbitterte Kampf der Lutheraner gegen die verhaßten Calvinisten, an deren Spitze seit 1566 Kurpfalz stand, und die Zwistigkeiten unter den Lutheranern selbst, besonders zwischen den Albertinern und den Ernestinern, welche Maximilian von einer Entscheidung abhielten und ihn der Reformation entfremdeten, bis dynastische Interessen, die zeitweilige Aussicht auf
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den spanischen und auf den polnischen Thron, ihn bewogen, an dem alten Bekenntnis festzuhalten. Wie die evangelischen Stände in Deutschland die Sache ihrer Religion durch ihre verblendete Uneinigkeit schädigten, so sahen sie auch dem verzweifelten Ringen ihrer Glaubensgenossen in Frankreich und in den Niederlanden gegen die Jesuiten und den spanischen Despotismus fast gleichgültig und unthätig zu. Nur geringfügige Geldunterstützungen und einige freiwillige Glaubenskämpfer kamen den Hugenotten und Geusen aus Deutschland zu Hilfe.
Inzwischen hatten aber schon die Jesuiten die Gegenreformation im stillen begonnen. Ihr letztes Ziel war die Ausrottung der Ketzerei in aber sie hüteten sich wohl, es voreilig kundzuthun, um keinen Verdacht zu erwecken. Langsam und allmählich setzten sie sich in Deutschland fest, als Professoren an den katholischen Universitäten, als Beichtväter und politische Räte der katholischen Fürsten. Ihre zahlreichen Gymnasien leisteten in einer gewissen vornehmen Erziehung und formalen Gelehrtenbildung so Bedeutendes, daß die vornehmern Stände, auch unter den Protestanten, ihre Kinder mit Vorliebe den Jesuiten anvertrauten.
Als 1576 nach Maximilians Tode dessen ältester, in Spanien erzogener Sohn, Rudolf II. (1576 bis 1612), den Kaiserthron bestieg, erlangten die Jesuiten auch am habsburgischen Hof den herrschenden Einfluß und trieben nun den Kaiser und die katholischen Reichsstände, an deren Spitze die bayrischen Wittelsbacher standen, an, auf Grund des Augsburger Religionsfriedens den Protestanten entgegenzutreten. Vor allem schien es wichtig, den »geistlichen Vorbehalt« wieder zur Geltung zu bringen und weiterer Säkularisation geistlicher Fürstentümer vorzubeugen.
Der Neid und Eigennutz der evangelischen Fürstenhäuser unterstützten die katholische Reaktion. Den evangelischen Inhabern von Stiftern wurde zuerst Sitz und Stimme auf den Reichstagen verweigert. Als wieder ein Kurfürst von Köln, Gebhard Truchseß von Waldburg, nachdem er selbst zur reformierten Konfession übergetreten war und sich vermählt hatte, nun auch in seinem Erzstift die neue Lehre erfolgreich einführte, wurde er vom Papst abgesetzt, durch spanische Truppen, die der Kaiser aus den Niederlanden zu Hilfe rief, vertrieben (1583) und an seine Stelle ein den Jesuiten ganz ergebener bayrischer Prinz, Ernst, zum Erzbischof erhoben, welcher, auch zum Bischof von Münster und Hildesheim ernannt, hier wie in Köln die Ketzerei ausrottete; auf Grund eines kaiserlichen Mandats unterwarf er auch die freie Reichsstadt Aachen der katholischen Kirche.
Sachsen und Brandenburg ließen das ruhig geschehen und begnügten sich mit Protesten; war Gebhard doch calvinistisch, nicht lutherisch gewesen. Dieser Erfolg ermutigte zu weiterm Vorgehen. Der 1592 von der Majorität des Straßburger Domkapitels als Bischof postulierte Markgraf Johann Georg von Brandenburg mußte schließlich, da er von seinen fürstlichen Glaubensgenossen gar keine Unterstützung erhielt, seinem katholischen Nebenbuhler, dem Kardinal Karl von Lothringen, weichen.
Zwei Zöglinge der Jesuiten, Erzherzog Ferdinand von Steiermark und Herzog Maximilian von Bayern, rotteten kraft des Grundsatzes »Cujus regio, ejus religio« die evangelische Lehre in ihren Gebieten mit Feuer und Schwert aus, und letzterer wußte 1607 einen Streit in der freien Reichsstadt Donauwörth zwischen dem protestantischen Rat und der katholischen Minorität über das Verbot öffentlicher Prozessionen dazu zu benutzen, um einen kaiserlichen Achtspruch gegen die Stadt zu erwirken und sie als Vollstrecker desselben nicht bloß dem Katholizismus wieder zu unterwerfen, sondern sie auch zu einer bayrischen Landstadt zu machen.
Diese Gewaltthat öffnete endlich einem Teil der evangelischen Reichsstände die Augen über die drohende Gefahr. Unter Führung des Kurfürsten Friedrich IV. von der Pfalz schlossen der Pfalzgraf von Neuburg, die Markgrafen von Baden-Durlach, von Kulmbach und von Ansbach und der Herzog von Württemberg die Union von Ahausen zur Abwehr weiterer Verletzungen der Reichsverfassung. Doch hielten sich die mächtigsten protestantischen Fürsten des Nordens, Sachsen, Brandenburg, Hessen, aus Eifersucht gegen Kurpfalz von der Union fern, und diese selbst ließ es bei der bloßen Vereinigung, die nicht einmal eng und dauernd war, bewenden, ohne für die Mittel zu der wirksamen Durchführung ihrer Absichten, die Aufstellung einer bewaffneten Macht und die Sammlung eines Kriegsschatzes, Sorge zu tragen.
Von ganz andrer Bedeutung war daher die unter Führung Maximilians von Bayern gestiftete katholische Liga zum Schutz der Reichsgesetze und der katholischen Religion, die durch Errichtung einer Bundeskasse und Aufstellung eines vortrefflichen, von bayrischen Feldherren befehligten Heers sich zur Aufnahme des Kampfes in dem für sie günstigsten Augenblick bereit machte. Die Spannung zwischen den beiden Religionsparteien war jetzt so weit gediehen, daß es aus einem geringfügigen Anlaß zum offenen Kampf kommen konnte.
Heinrich IV. von Frankreich und Spanien standen bereit, dieses für die Liga, jener für die Union, in denselben einzutreten. Der jülich-klevesche Erbfolgestreit (1609-1614, s. Jülich) schien das Signal zum Ausbruch geben zu wollen, da es sich darum handelte, ob die reiche Erbschaft, die das ganze Gebiet des Niederrheins umfaßte, der katholischen oder der protestantischen Partei zufallen würde. Die Ermordung Heinrichs IV. (1610) und die Wirren im österreichischen Kaiserhaus bewirkten, daß sich die streitenden Parteien ohne offenen Kampf verständigten. Der erste feindliche Zusammenstoß erfolgte indes nicht lange darauf an einer andern Stelle.
Rudolfs II. Regierung hatte in seinen Erblanden ebensoviel Verwirrung und Zwist angestiftet wie in Deutschland Trübsinnig, mißtrauisch und gewaltthätig, reizte er die Stände seiner Reiche und seine eignen Verwandten, die Mitglieder des habsburgischen Erzhauses, zur Empörung. Sein Bruder Matthias wurde dem Kaiser 1606 zum Vormund bestellt und setzte sich 1608 in den Besitz von Österreich, Ungarn und Mähren. Böhmen rettete sich Rudolf dadurch, daß er den Ständen durch den »Majestätsbrief« (1609) Religionsfreiheit in derselben Weise gewährte, wie sie den deutschen Ständen im Augsburger Religionsfrieden bewilligt war: nur die Stände hatten das Jus reformandi, nicht die einzelnen Individuen.
Auch Böhmen entriß Matthias 1611 dem alten Kaiser, der 1612 starb. Indessen hatte nun Matthias (1612-19) mit der Unbotmäßigkeit der Stände der Erblande und seiner Verwandten, der Erzherzöge, ebenso zu kämpfen wie Rudolf und stand ihr ebenso machtlos gegenüber. Um den habsburgischen Besitz zu retten, drängten ihm die Erzherzöge den streng katholischen Ferdinand von Steiermark 1617 zum Mitregenten auf; derselbe wurde auch in Böhmen zum König gewählt und gekrönt. Unter seinem Einfluß zog die kaiserliche Regierung die Zügel gegen die protestantischen Stände schärfer an. Eine Beschwerde der Böhmen über vermeintliche Verletzungen des Majestätsbriefs (der Abt von Braunau hatte eine neue
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evangelische Kirche in seinem Gebiet kraft seines Jus reformandi schließen, der Erzbischof von Prag eine andre niederreißen lassen) erfuhr eine schroffe, ungnädige Abweisung, die den Ausbruch eines Aufstandes in Prag zur Folge hatte. Die aufrührerischen Protestanten setzten über Böhmen eine selbständige Regierung ein und wiegelten auch die österreichischen Stände zur Empörung auf. Mitten in diesen Wirren starb Matthias, und Ferdinand II. (1619 bis 1637) übernahm die Herrschaft unter den schwierigsten Verhältnissen: die Böhmen standen vor Wien, der österreichische Adel bedrängte Ferdinand in der Hofburg selbst, Bethlen Gabor von Siebenbürgen drohte von Ungarn her.
Aber furchtlos und voll Zutrauen zu sich und zu seiner Aufgabe, den alten Glauben in seiner frühern Herrschaft herzustellen, nahm Ferdinand den Kampf gegen alle seine Feinde auf und schuf sich für denselben eine rechtliche Grundlage, indem er seine Wahl zum Kaiser von den Kurfürsten zu erlangen wußte. Mit Hilfe der ligistischen Heeresmacht besiegte er die Böhmen, welche den jungen Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz zum König gewählt hatten, 8. Nov. in der Schlacht am Weißen Berg, und nun verhängte er über die Empörer ein furchtbares Strafgericht; nicht bloß in Böhmen, sondern auch in Österreich wurde die evangelische Kirche mit Waffengewalt unterdrückt und damit auch die Macht der Stände gebrochen. Ferdinand war wieder unumschränkter Herr in den habsburgischen Landen.
Doch damit hatte er nur einen Teil seiner Aufgabe erfüllt. Sein weiteres Ziel war, auch Deutschland dem Katholizismus wiederzuerobern und dasselbe nach dem Muster Spaniens in eine mächtige Militärmonarchie umzuwandeln, die mit der spanischen vereint die habsburgische Weltherrschaft, wie sie Karl V. geplant, begründen konnte. Zu diesem Zweck setzte er den Kampf gegen Friedrich V. und seine Verbündeten auch in Deutschland fort und verwickelte es so in den furchtbaren Dreißigjährigen Krieg (1618-48, s. d.). Nachdem er den Kurfürsten geächtet und die pfälzische Kur auf seinen Verbündeten, Maximilian von Bayern, übertragen hatte, vertrieben kaiserliche, ligistische und spanische Truppen in Gemeinschaft die Anhänger der Union aus Süddeutschland und unterwarfen dasselbe der Herrschaft des Kaisers und des Katholizismus.
Überall führte Tilly, der Feldherr Ferdinands und der Liga, auf Grund des geistlichen Vorbehalts die Restitution des säkularisierten oder reformierten Kirchenguts an die katholische Kirche und zwar zu handen der Jesuiten im weitesten Umfang und mit größter Strenge durch, bald auch im nordwestlichen Deutschland, als ihn die Verfolgung des Herzogs Christian von Braunschweig dorthin führte. Als die Fürsten des niedersächsischen Kreises, hierdurch in ihrem Besitzstand bedroht, sich unter der Führung des Königs Christian von Dänemark zur Abwehr rüsteten, wurden die Pläne Ferdinands deutlicher kund. Er stellte nun selbst mit Hilfe Wallensteins ein Heer auf, das im Bund mit Tilly den niedersächsischen Kreis unterjochte und den Dänenkönig auf seine Inseln verjagte.
Ganz Norddeutschland wurde von den kaiserlichen Truppen militärisch besetzt, die Rechte und Privilegien auch der mächtigsten Fürsten, wie der Kurfürsten von Brandenburg und Sachsen, die ihre schmähliche Neutralität vergeblich bereuten, rücksichtslos mit Füßen getreten, der kaiserliche Generalissimus Wallenstein mit dem Reichsfürstentum Mecklenburg belehnt, die Vertreibung noch andrer Dynastien und die Verleihung ihrer Fürstentümer an kaiserliche Feldherren in Aussicht genommen.
Mehrere norddeutsche Stifter zugleich wurden österreichischen Erzherzögen übertragen. Der kaiserliche Hof plante sogar die Errichtung einer großen Seemacht in der Nord- und Ostsee, welche die Seeherrschaft der Vereinigten Niederlande vernichten und die spanisch-österreichische Macht am Niederrhein wiederherstellen sollte. 1629 erließ Ferdinand II. das Restitutionsedikt (s. d.), welches, scheinbar nur eine strikte Auslegung u. Anwendung des Augsburger Religionsfriedens und seiner von den Protestanten leichtsinnig zugegebenen Klauseln, wirklich durchgeführt die gänzliche Vernichtung des Protestantismus und die völlige Restitution des Katholizismus in Deutschland bedeutet hätte.
Denn es befahl nicht nur die Rückgabe aller reichsunmittelbaren Stifter an die katholische Kirche, sondern auch die der landständischen; es gewährte den katholischen Ständen, also auch den neuen katholischen Prälaten in den evangelischen Stiftern, das Recht, ihre Unterthanen zu ihrer Religion zu zwingen, und gestand den Religionsfrieden und die Religionsfreiheit nur denjenigen Reichsständen zu, welche sich zur unveränderten Augsburgischen Konfession bekannten, d. h. außer dem Hause Sachsen nur sehr wenigen. Das Restitutionsedikt brachte die höchste Verzweiflung unter den Protestanten hervor, aber niemand außer Magdeburg wagte sich zu widersetzen. Die kaiserliche Soldateska hielt ganz Deutschland unter dem eisernen Druck der Waffen. Wie 1548 drohten Deutschland der absolute Dominat des Hauses Habsburg und das Joch des Papsttums.
Aber in diesem entscheidenden Moment zeigte sich Ferdinand II. der doppelten Aufgabe, die er durchzuführen unternommen, nicht gewachsen. Während er sich durch das Restitutionsedikt mit den protestantischen Ständen tödlich entzweite und diese den fremden Mächten in die Arme trieb, entfremdete er sich die katholischen Stände, besonders Maximilian von Bayern, durch die Militärdiktatur, die Wallenstein ausübte, und die eine Aristokratie von glücklichen Soldaten an Stelle der deutschen Fürsten zu setzen bestimmt schien.
An der Spitze der Stände verlangte Maximilian auf dem Fürstentag von Regensburg 1630 die Entlassung Wallensteins und die Verminderung des kaiserlichen Heers. Ferdinand hätte es verweigern und den Kampf mit der Fürstenaristokratie aufnehmen können, aber dann mußte er sich entschließen, sich auf die kleinern Stände und das Volk zu stützen und deren Vertrauen durch Anerkennung des Protestantismus zu erwerben. Lieber verzichtete er auf die militärische Herrschaft als auf die Ausrottung der Ketzerei, und so gab er Wallenstein preis und schlug mit seiner Entlassung seiner Heereskraft den Kopf in demselben Augenblick ab, da Gustav Adolf von Schweden auf Frankreichs Antrieb in Pommern landete.
Die Folge dieser Unklugheit war, daß die desorganisierte kaiserliche Armee Schritt für Schritt aus dem nordöstlichen Deutschland verdrängt, endlich bei Breitenfeld völlig vernichtet wurde und der Schwedenkönig ganz Deutschland befreite und Anfang 1632 sogar den Kaiser in seinen Erblanden bedrohte. Aus dieser äußersten Gefahr ward er durch Wallenstein gerettet. Gustav Adolfs kühne Pläne auf Errichtung eines protestantischen Kaisertums gingen mit ihm auf dem Schlachtfeld von Lützen zu Grunde, aber von der Errichtung einer starken kaiserlichen Militärmacht konnte jetzt nicht mehr die Rede sein, da Wallenstein vor allem danach strebte, sich den Preis seiner Thaten auch gegen den kaiserlichen Hof zu sichern. Zwar gelang es Ferdinand 1634, sich des allzu mächtigen Feldherrn durch Mord zu entledigen, sein Heer für sich zu gewinnen und mit demselben den Sieg bei Nördlingen über die Schweden
Deutschland nach dem westfälischen Frieden vom Jahre 1648.
bearbeitet von Karl Wolf.
Maßstab 1:5500000
Deutsches Kaiserreich.
Habsburgische Lande
Hohenzollersche Lande
Wittelsbachische Lande
Wettinische Lande
Geistliches Gebiet
Reichstädtisches Gebiet
Abkürzungen:
AB. Ansbach
AG. Augsburg
BA. Bamberg
BD. Baden
BR. Brixen
BS. Basel
C. Constanz
DO. Deutscher Orden
E. Eichstedt
EN. Sachsen-Ernestinische Linie
F. Fuggerisch
FR. Freisingen
FU. Fulda
FÜ. Fürstenberg
Geschichtskarte Görz
H. Hamburg
HD. Hessen-Darmstadt
HI. Hildesheim
HK. Hessen-Kassel
HL. Hanau-Lichtenberg
HT. Halberstadt
J. Johannitermeistertum
K. Königstein (Grafschaft)
KB. Kulmbach
KG. Königsegg (Grafschaft)
KÖ. Köln
KS. Kursachsen
L. Lippe
LB. Lüneburg
LG. Lauenburg
LÜ. Lübeck (Bistum)
M. Metz (Bistum)
MB. Magdeburg
MG. Mecklenburg-Güstrow
MS. Mecklenburg-Schwerin
MZ. Mainz
N. Nassau
NI. Niederlande
O. Osnabrück
P. Pfalz
PA. Passau
R. Reuß
RA. Rappoltstein (Grafschaft)
RE. Regensburg
RH. Rheingrafschaft
S. Schwerin (säcul. Bistum)
SA. Salzburg
SB. Schwarzenberg (Grafsch.)
SG. Schwarzburg
SL. Schaumburg-Lippe
SO. Solms (Grafschaft)
SP. Speyer
ST. Straßburg
T. Trier
TE. Tecklenburg
VO. Vorder-Österreich
W. Waldburg (Grafschaft)
WI. Wirtemberg
WO. Wolfenbüttel
WS. Worms
WZ. Würzburg
A. = Abtei
BT. = Bistum
FST. = Fürstentum
GR. GRSCH. = Grafschaft
HS. = Herrschaft
HZT. = Herzogtum
KGR. = Königreich
LGRSCH. = Landgrafschaft
MRSCH. = Markgrafschaft
Die mit den Territorien übereinstimmenden Ortsnamen sind unterstrichen.
Zum Artikel »Deutschland«.
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und ihre deutschen Verbündeten zu erkämpfen. Das Übergewicht aber, das er hiermit erlangte, benutzte er nicht, um durch ehrlichen Verzicht auf die Ausrottung der Protestanten diese für sich zu gewinnen und durch die Vereinigung aller Stände gegen die Fremden Macht und Ansehen des Kaisertums zu befestigen, sondern er glaubte sein ursprüngliches Ziel auf Umwegen zu erreichen, indem er durch Abtretung der Lausitz und teilweisen Verzicht auf das Restitutionsedikt im Prager Frieden Kursachsen für sich gewann und so die Protestanten zu spalten suchte. Dies erreichte er auch, indem viele bedeutende Reichsfürsten, wie Brandenburg, dem Separatfrieden beitraten; aber auf der andern Seite nahm nun Frankreich am Kampf teil, der mit neuer Wut ausbrach. 13 Jahre wütete der Krieg noch fort ohne entscheidende Siege eines Teils und darum ein so verheerender für Deutschland.
In diesem Zustand hinterließ Ferdinand II. 1637 das Reich seinem Sohn Ferdinand III. (1637-1657); das war das Ergebnis seines unseligen Fanatismus und seiner Herrschsucht. Der neue Kaiser erstrebte den Frieden ohne Hintergedanken, aber so tief eingefressen waren jetzt unter den Parteien Mißtrauen und Verbitterung, so rücksichtslos traten Selbstsucht und Eigennutz bei den deutschen Fürsten sowohl als bei den fremden Mächten auf, so sehr waren alle Rechtsverhältnisse und Interessen verwirrt (selbst mit Bayern hatte sich der Kaiser schließlich entzweit), daß die Friedensverhandlungen jahrelang ohne Resultat blieben.
Endlich, als die allgemeine Erschöpfung den höchsten Grad erreicht hatte, kam der Westfälische Friede (s. d.) zu stande. In der kirchlichen Frage wurde im wesentlichen der Stand der Dinge vor dem Krieg wiederhergestellt; indem der als Normalzeitpunkt für den Besitzstand der beiden Kirchen festgesetzt wurde, fielen die meisten säkularisierten Stifter an die Protestanten zurück; nur die habsburgischen Erblande wurden davon ausgenommen, hier blieb die katholische Restauration in voller Kraft. Dagegen wurden nun die Reformierten in den Frieden aufgenommen, den Evangelischen volle Gleichberechtigung im Reich zugestanden und die Entscheidung religiöser Fragen durch Majoritätsbeschlüsse ausgeschlossen. Die kaiserliche Macht wurde nicht verstärkt, sondern vermindert. Dem Kaiser blieben außer einigen Ehrenrechten nur wenige Befugnisse übrig, die etwas bedeuteten; nicht einmal die Erblichkeit der Krone im Haus Habsburg wurde erlangt.
Ein positives Ergebnis hatte also der furchtbare, lange Krieg nicht, nur das negative der Abwehr religiöser und politischer Knechtschaft unter der spanisch-österreichischen Monarchie konnte als Gewinn betrachtet werden. Aber mit welchen Opfern war dieser Gewinn erkauft! Die äußere Machtstellung Deutschlands war vernichtet. Mit der Abtretung Vorpommerns, Wismars, der Fürstentümer Bremen und Verden an Schweden waren die wichtigsten Strecken der Nord- und Ostseeküste, die Mündungen der bedeutendsten Ströme in fremde Hände geraten.
An der Westgrenze gingen die Niederlande und die Schweiz für immer verloren, und Frankreich drang durch die Eroberung des österreichischen Elsaß bis an den Rhein vor; nicht bloß die Reichsgebiete links des Rheins waren fortan seinem Einfluß unterworfen, der ganze Westen Deutschlands war ihm geöffnet (vgl. beifolgende »Geschichtskarte III«). Als Garant des Westfälischen Friedens konnte Frankreich zu jeder Zeit in die innern Verhältnisse des Reichs eingreifen; Schweden erhielt sogar die Reichsstandschaft und damit eine herrschende Position im Reichstag selbst.
Die Streitfragen, welche Europa bewegten, wurden seitdem auf deutschem Boden und auf deutsche Kosten ausgefochten. Schrecklich war die Verwüstung im Innern Deutschlands. Nur der vierte Teil der Bevölkerungszahl, die vor dem Krieg vorhanden, war noch übrig. In manchen Gegenden war die Verminderung der Einwohnerzahl noch beträchtlicher. Die meisten Dörfer und viele kleinere Städte waren völlig zerstört, meilenweit erstreckten sich Einöden ohne eine Spur menschlichen Wesens.
Die Wohlhabenheit des Bauernstandes war auf lange Zeit vernichtet; ohne Vieh, ohne Ackergeräte, ohne Saatgetreide konnten die noch übrigen Bauern selbst nach dem Frieden den Feldbau lange Zeit nicht wieder aufnehmen. Viele setzten das wüste Soldaten- und Räuberleben, zu welchem die Verzweiflung sie getrieben, noch jahrelang fort. Auch die größern Städte waren zu Grunde gerichtet. Handel und Gewerbfleiß gab es nicht mehr; jenen wieder zu beleben, fehlten die Kapitalien, zu diesem die Kenntnisse und Fertigkeiten, deren Überlieferung in der Kriegszeit verloren gegangen war.
Gelehrte Bildung, Poesie, Heiterkeit des Lebens, deutscher Trotz und Frohsinn, Scherz und Lachen, alles tilgte der Krieg bis auf die Wurzel aus; düstere Schwermut lagerte über dem Volk. Wie ein Schiffbrüchiger, der nur das nackte Leben gerettet, so begehrte auch das deutsche Volk nichts, als nur die nächste Notdurft zu stillen. Jeder höhere Sinn erlosch; Stumpfheit gegen das Elend, verzweifelndes Mißtrauen gegen sich selbst, kleinliche Pedanterie, knechtische Unterwürfigkeit vor jeder Gewalt, sklavische Verehrung und Nachäffung des Fremden bezeichneten fortan den deutschen Volkscharakter, wie er sich besonders an den Fürstenhöfen und in den Residenzen ausbildete.
Denn die Fürsten waren der einzige Stand, der noch etwas Macht und Lebenskraft aus dem Kriege gerettet hatte. Adel, Gelehrte und Bürger bewarben sich wetteifernd um ihren Dienst und überboten sich in Servilität. Die kleinliche Titelsucht kam auf, durch Hochmut gegen Geringe suchten die Beamten die Niederträchtigkeit ihrer eignen Gesinnung zu verdecken. Dem niedern Volk aber wurde das letzte Mark durch den Luxus der Fürstenhöfe ausgesogen. Das religiöse Leben war durch die starre Orthodoxie und durch den wüsten Aberglauben, der im Krieg überhandgenommen, vergiftet. Der Haß der Religionsparteien war allerdings durch den Frieden entwaffnet, aber keineswegs erloschen. Die Religionsverfolgungen der Jesuiten beschränkten sich nun auf kleinere Kreise, die widerwärtigen Streitigkeiten der Lutheraner und Calvinisten wurden jetzt auf den Kanzeln ausgefochten.
Verfall des Reichs.
Das deutsche Volk mußte nach dem Dreißigjährigen Krieg seine Kulturarbeit ganz von vorn anfangen; die Errungenschaften einer glorreichen Vergangenheit waren gänzlich zerstört. Und von welchen Schwierigkeiten war der Wiederaufbau begleitet, welche Hindernisse traten ihm immer von neuem entgegen! Wie oft wurden die stillen Bemühungen der Landgeistlichkeit, das Volk wieder an ernste Arbeit und sittliches Leben zu gewöhnen, sowie die Anstrengungen mancher Landesherren, die Anfänge einer neuen Kultur zu begründen, durch die unaufhörlichen Kriege vereitelt, in welche die Anmaßung und Habgier der Nachbarn, der Ehrgeiz und die Selbstsucht der Fürsten Deutschland immer wieder stürzten! Deutschland konnte nicht eher