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gestellt und den durch Karl d. Gr. unterdrückten Titel der Herzöge wieder erneuert. Sie regierten den Stamm und setzten sich meist auch in den Besitz der in dessen Gebiet belegenen ehemaligen königlichen Güter. Gestützt auf die noch keineswegs verwischten Unterschiede der Stämme, welche nicht einmal durch Eine Sprache [* 2] verbunden waren, beanspruchten sie fast königliche Selbständigkeit. Der König behielt nur so viel Macht und Ansehen, als er durch persönliche Tüchtigkeit und tapfere Thaten zu erringen vermochte. So besiegte Karls des Dicken Neffe, König Arnulf von Kärnten (887-899), die Normannen bei Löwen [* 3] an der Dyle 891, worauf dieselben die deutschen Küsten mit ihren räuberischen Einfällen verschonten, vernichtete 894 das Mährenreich Swatopluks und erlangte die Kaiserkrone.
Ihm ordneten sich die Herzöge bereitwilligst unter, nicht so seinem unmündigen Nachfolger Ludwig dem Kind (899-911). Bloß die hohe Geistlichkeit, an ihrer Spitze Erzbischof Hatto von Mainz, [* 4] hielt an der Einheit des Reichs und an der königlichen Autorität fest. Selbst mit blutiger Strenge war es kaum möglich, die Macht der herzoglichen Geschlechter zu bezwingen. Freilich zeigten die schrecklichen Niederlagen, welche die Stammesherzöge in ihren Einzelkämpfen gegen die Magyaren erlitten, daß nur vereinte Kraft [* 5] die drohende Gefahr der völligen Vernichtung durch die Barbarenhorden abzuwenden vermochte.
Gleichwohl war der nationale Zusammenhang zwischen den Stämmen des ostfränkischen Reichs schon so gelockert, daß 911, nach dem Tod Ludwigs des Kindes, mit welchem der ostfränkische Zweig der Karolinger erlosch, nur die zwei Stämme der Franken und Sachsen [* 6] die Reichseinheit aufrecht zu erhalten sich entschlossen und zu einer neuen Königswahl schritten. Noch war das Übergewicht der Franken so bedeutend, daß nicht der edle sächsische Herzog Otto der Erlauchte, sondern der Herzog von Franken aus dem Geschlecht der Konradiner gewählt wurde. Er bestieg als Konrad I. (911-918) den Thron. [* 7]
Seine Bemühungen, die Rechte des Reichs und des Königtums wahrzunehmen und alle ostfränkischen Stämme wieder unter seine Hoheit zu bringen, waren jedoch erfolglos; denn mit Strenge und Gewalt die Herzöge zu unterjochen, dazu war seine Macht zu gering, zumal er sich mit seinem einzigen Verbündeten, dem Herzog von Sachsen, verfeindete. Lothringen ging an Westfranken verloren, Bayern [* 8] und Schwaben vermochte Konrad weder gegen die Magyaren zu verteidigen, noch zur Anerkennung seiner Herrschaft zu zwingen.
Als er 918 starb, lies er das ostfränkische Reich arg zerrüttet und dem Zerfall nahe zurück. Der nationale Zusammenhang der südgermanischen Stämme war nicht gewachsen, sondern geschwächt, die Grenzen [* 9] bedroht, die Kultur durch Verwilderung des Volkes und die Eroberungszüge der benachbarten Barbaren gefährdet. Die Organisation eines dem Königtum ergebenen Beamtentums, die Karl d. Gr. geschaffen, war gänzlich zu Grunde gegangen; die Unterordnung des Adels unter das Stammesherzogtum und der Herzöge unter das Königtum beruhte durchaus auf dem Lehnsverhältnis, dessen Herrschaft eine feste politische Staatsform ausschloß und die Gemeinfreien des Volkes dem öffentlichen Leben mehr und mehr entfremdete und ihrer alten Rechte beraubte. Das ostfränkische Reich mußte von kräftiger Hand [* 10] neu begründet werden, wenn es weiter bestehen sollte, und diese Neubegründung ist das Verdienst der sächsischen Dynastie, unter der das Reich nun auch den Namen eines »deutschen« erhielt.
Die Gründung des Deutschen und des Heiligen Römischen Reichs durch die sächsischen Kaiser. 919-1024.
Auf dem Sterbebett hatte Konrad I. nach seiner unglücklichen Regierung Deutschland [* 11] wenigstens noch den großen Dienst geleistet, daß er seinen Bruder Eberhard verpflichtete, nicht selbst nach der Krone zu streben, sondern die Reichskleinodien dem Sachsenherzog Heinrich zu überbringen, da dieser allein sie mit Ehren würde tragen können. Der sächsische Stamm war unter allen deutschen Stämmen der kräftigste. Zwischen Rhein und Elbe bewohnte er ein ausgedehntes, in sich geschlossenes Gebiet; die unaufhörlichen Kämpfe mit Normannen und Slawen erhielten beim Volk den alten Kriegsmut.
Die Anhänglichkeit an das angestammte Herzogsgeschlecht der Ludolfinger verschaffte diesem eine Macht, wie sie kein andres Stammesherzogtum besaß. Und der damalige Träger [* 12] dieser Würde, Ottos des Erlauchten Sohn Heinrich, war ein durch Tapferkeit und besonnene Mäßigung ausgezeichneter Fürst, der den Schwierigkeiten der königlichen Herrschaft wohl gewachsen war. So wählten denn Franken und Sachsen, zu Fritzlar an der Grenzscheide sächsischen und fränkischen Gebiets versammelt, im April 919 diesen Herzog als Heinrich I. zum deutschen König.
Nicht durch schroffe Geltendmachung alter Königsrechte und blutige Strenge gegen die Stammesherzöge wollte Heinrich die Einheit des Reichs wiederherstellen, sondern durch Anerkennung derselben in bestimmten Schranken sie zu gewinnen suchen. Er schonte die Stammeseigentümlichkeiten, die in Deutschland nun einmal vorhanden waren, und begnügte sich, gestützt auf die fast königliche Macht, die er in Sachsen und Thüringen besaß, mit der Unterordnung der Herzöge unter seine Oberhoheit.
Wie er Eberhard von Franken, dem er die Krone verdankte, als Herzog bestätigte, so beließ er auch Burchard im Besitz des Herzogtums Schwaben, als derselbe 920 ihm als Oberherrn huldigte, und behielt sich bloß die in Schwaben gelegenen königlichen Domänen und die Besetzung der Bistümer als sein Recht vor; die letztere gestand er noch Arnulf von Bayern zu, als derselbe bei einer friedlichen Besprechung in Regensburg [* 13] sich zur Anerkennung seines Königtums bequemte. 925 gelang es ihm endlich, auch Herzog Giselbert von Lothringen, der sich dem westfränkischen Reich angeschlossen, nun aber von dem schwachen König Karl dem Einfältigen keine Hilfe zu erwarten hatte, für Deutschland wiederzugewinnen und durch Vermählung mit seiner Tochter Gerberga an sein Haus zu fesseln. So hatte er die fünf großen Herzogtümer, welche seit 870 das ostfränkische Reich bildeten, wieder zu einem Ganzen vereinigt und einen Grund gelegt, auf dem seine Nachfolger weiterbauen konnten.
Nun wendete er sich der Sicherung der Grenzen seines Reichs zu. Als die Magyaren 924 wieder einen Einfall in Sachsen gemacht hatten, schloß Heinrich mit ihnen einen Waffenstillstand auf neun Jahre, während dessen er sich sogar zu einem Tribut bequemte, nur um Zeit zu gewinnen für die Vorbereitung zum Entscheidungskampf. Es galt vor allem, die Sachsen und Thüringer wieder wehrhaft zu machen. Er erneuerte daher die alten Ordnungen des Heerbannes und gewöhnte seine Krieger an den Kampf zu Roß, in welchem allein sie den Ungarn [* 14] mit Erfolg begegnen konnten. Er schützte das offene Land durch Anlage von Städten und Burgen [* 15] und unternahm, sowohl um sein Heer im Krieg zu üben, als um die Ostgrenze Sachsens zu sichern, 928-929 mehrere Feldzüge gegen die slawischen Völkerschaften zwischen Elbe und Oder; er bezwang die Heveller und die Daleminzier, legte in ihrem ¶
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Gebiet Marken an und nötigte den Herzog von Böhmen [* 17] zur Huldigung. Als 933 nach Ablauf [* 18] des Waffenstillstandes die Magyaren von neuem in Thüringen einfielen, konnte ihnen Heinrich mit einem trefflichen Reiterheer entgegentreten und durch den glänzenden Sieg bei Riade in der Goldenen Aue Norddeutschland für immer von ihren Einfällen befreien. Nachdem Heinrich auf einem siegreichen Feldzug gegen die Dänen die Mark Schleswig [* 19] gegründet und für die Nachfolge seines Sohns Otto die Zustimmung der Großen gewonnen hatte, starb er 936 in Memleben.
Die förmliche Königswahl Ottos I. (936-973) fand in Aachen [* 20] statt, wo sich der neuerwählte König auch krönen ließ. Die königliche Macht war schon so gekräftigt, die Einheit der Stämme hatte so feste Wurzeln geschlagen, daß niemand dem neuen Herrscher den Gehorsam verweigerte und dieser die Herzöge als seine Lehnsträger betrachten durfte, die ihm bei Tisch und Hof die [* 21] persönlichen Dienste [* 22] der höchsten Hofbeamten zu leisten hatten. Nur die slawischen Grenzvölker benutzten den Thronwechsel zu erfolglosen Versuchen des Abfalles, die Magyaren zu einigen Plünderungszügen.
Erst ein Streit mit Eberhard von Franken entzündete im Innern des Reichs einen Aufruhr, an dem außer Eberhard die Brüder des Königs, Thankmar und Heinrich, Herzog Giselbert von Lothringen und Erzbischof Friedrich von Mainz teilnahmen, in den sich auch der westfränkische König einmischte, und der das Werk Heinrichs I. wieder zu zerstören drohte. Indes gelang es der unerschütterlichen Standhaftigkeit und Tapferkeit Ottos, dem nicht bloß seine Sachsen, sondern auch Große aus andern Stämmen treu zur Seite standen, die Empörung niederzuwerfen und damit die Herzogsgewalt unter die des Königs zu beugen.
Die Herzöge waren fortan Beamte und Vertreter des Königs, denen überdies Pfalzgrafen zur Seite gestellt wurden, welche die königlichen Güter verwalteten, an des Königs Statt Gericht abhielten und die Herzöge überwachten und beschränkten. In Franken wurde nach Eberhards Tod (939) die herzogliche Würde überhaupt beseitigt und das Land vom König selbst verwaltet; die übrigen Herzogtümer verlieh er nach ihrer Erledigung an Männer, die ihm nahe verwandt oder unbedingt ergeben waren, so: Bayern seinem Bruder Heinrich, Schwaben seinem Sohn Liudolf, Lothringen seinem Schwiegersohn Konrad dem Roten, dann seinem Bruder Bruno, Sachsen dem tapfern Grafen Hermann Billung.
Die Abzweigung oder Neugründung von Markgrafschaften, die Teilung einiger Herzogtümer beseitigten nach und nach die Gefahr eines Zerfalles des Reichs in die großen Stammesherzogtümer völlig. Endlich suchte Otto eine Stütze für die monarchische Autorität in der hohen Geistlichkeit, welche, vom König nach Gutdünken zu ihren Würden ernannt, von ihm ganz abhängig war und, im Besitz höherer Bildung und weniger von Egoismus und Habgier beherrscht, den wahren Interessen des Reichs eine größere Einsicht und Teilnahme entgegenbrachte.
Eine festgefugte, durch Gesetze und Herkommen genau geregelte Organisation fehlte auch diesem Staatswesen wie fast allen mittelalterlichen Reichen; die staatliche Kraft beruhte vielfach bloß auf persönlichen Beziehungen, die immer etwas Zufälliges und Schwankendes an sich hatten. Anderseits vermochte ein energischer Geist wie der Ottos einem solchen Gemeinwesen rasch einen außerordentlichen Aufschwung zu geben, und dies bewährte sich zunächst in der kraftvollen Entwickelung der deutschen Macht nach außen.
Die Wenden zwischen Elbe und Oder wurden der deutschen Herrschaft und dem Christentum unterworfen und die Kolonisation ihres Gebiets begonnen. Die Bistümer Havelberg, [* 23] Brandenburg, [* 24] Merseburg, [* 25] Meißen [* 26] und Zeitz [* 27] (Naumburg) [* 28] wurden gegründet und später (968) dem Erzstift Magdeburg [* 29] unterstellt. Wie der Herzog von Böhmen, mußten auch der von Polen und der Dänenkönig Deutschlands [* 30] Oberhoheit anerkennen. Nach Norden [* 31] hin wurde die christliche Kultur durch Errichtung der Bistümer Oldenburg [* 32] (Lübeck), [* 33] Schleswig, Ripen und Aarhus [* 34] ausgebreitet. Der glorreiche Sieg über die Magyaren auf dem Lechfeld bei Augsburg [* 35] (10. Aug. 955) sicherte Deutschland für immer vor den Einfällen dieser Barbaren, welche sich fortan in festen Wohnsitzen an der Donau und Theiß niederließen.
Bis zur mittlern Donau und bis nach Istrien [* 36] und Friaul dehnte Herzog Heinrich von Bayern die Herrschaft der christlichen Kultur und des deutschen Namens aus. Obwohl in jener Zeit gewaltigster Erhebung der deutschen Kraft die Stämme des Reichs sich zuerst mit dem Gesamtnamen der Deutschen zu bezeichnen begannen, so beschränkte sich der Ehrgeiz des Königs und seines Volkes doch nicht darauf, ein einheitliches Reich zu schaffen und seine Grenzen möglichst auszubreiten, sondern faßte sofort höhere Ziele ins Auge, [* 37] vor allen die Ausbreitung der Herrschaft des deutschen Königs über die Nachbarlande und die Erwerbung der Kaiserkrone.
Das Mittelalter war ganz vom christlich-universalen Geist erfüllt, wie er sich im römischen Weltreich ausgebildet und in der germanischen Welt in Karl d. Gr. seinen glänzendsten Vertreter gefunden hatte. Die christliche Welt des Abendlandes sollte Ein Ganzes, Einen Leib bilden, der auf eine Nation beschränkte Staat erschien dem Mittelalter nie als politisches Endziel. Sowie daher Deutschland das politische Übergewicht in Mitteleuropa erlangt hatte, sobald der deutsche König von den burgundischen und italienischen Großen als Schiedsrichter angerufen wurde und in Frankreich den vertriebenen König wieder hatte einsetzen können, hielt er sich auch für berufen, das Werk Karls d. Gr. zu erneuern und die christlichen Völker des Abendlandes unter seinem Zepter zu vereinigen. Zu diesem Zweck unternahm er 951 seinen ersten Zug über die Alpen [* 38] nach Italien, [* 39] auf welchem er nebst der Hand der italienischen Königswitwe Adelheid die Lehnshoheit über das Königreich erwarb.
Auf dem zweiten Zug stürzte er den Lehnskönig Berengar, nahm mit der lombardischen Krone die unmittelbare Herrschaft über Italien an sich und ließ sich 962 in Rom [* 40] von Papst Johann XII. zum römischen Kaiser krönen. Er erneuerte damit das Kaisertum Karls d. Gr., das selbst nur eine Wiederherstellung des weströmischen Kaiserreichs gewesen war, und stiftete das Heilige Römische Reich [* 41] deutscher Nation, welches sich von dem alten römischen Reich dadurch unterschied, daß das herrschende Volk nicht mehr die Römer, [* 42] sondern die Deutschen waren, deren König von selbst auch König von Italien war und ein Anrecht auf die Kaiserkrone hatte, aber ebenso wie jenes auf die Herrschaft über alle Länder des christlichen Abendlandes Anspruch erhob.
Ohne Zweifel hat das deutsche Volk, indem es sich fortan dieser universalen Aufgabe widmete, der Erbe der alten Römer zu sein, einen mächtigen Aufschwung genommen und die Entwickelung seiner Zivilisation durch die eifrige Pflege der antiken Kulturelemente, welche es in Italien noch vorfand, sehr gefördert, auch durch den Versuch der Organisation eines Weltreichs und durch die Errettung der Kirche aus völligem Verfall zur Entfesselung der geistigen Kräfte ¶