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Handelsrichtern. Die Berufungs- und Beschwerdeinstanz für die Entscheidungen der Landgerichte sind die kollegialischen Oberlandesgerichte. Revisionsinstanz für die zweitinstanzlichen Endurteile der Oberlandesgerichte bei einer Revisionssumme von mindestens 1500 Mk. ist das Reichsgericht. Für diejenigen Staaten, welche mehrere Oberlandesgerichte haben, ist die Errichtung eines obersten Landesgerichtshofs nachgelassen, von welchem über die sonst vor das Reichsgericht gehörigen Revisionen und Beschwerden zu entscheiden ist, sofern es sich um landesrechtliche Justizsachen handelt.
Von dieser Befugnis hat Bayern Gebrauch gemacht. In Strafsachen besteht folgende Dreiteilung: schwere Verbrechen werden von den Schwurgerichten, Übertretungen und leichte Vergehen von den Schöffengerichten abgeurteilt; alle sonstigen Verbrechen und Vergehen gehören vor die Strafkammern der Landgerichte. Berufung ist nur gegen Urteile der Schöffengerichte zulässig und zwar an die Strafkammern der Landgerichte. Revisionen gegen Urteile der Strafkammern in der Berufungsinstanz werden von den Oberlandesgerichten erledigt, ebenso Revisionen gegen die erstinstanzlichen Erkenntnisse der Strafkammern, wenn sie ausschließlich auf die Verletzung einer in den Landesgesetzen enthaltenen Rechtsnorm gestützt werden; sonst gehen dieselben an das Reichsgericht.
Als besondere Gerichte sind zugelassen:
1) die Rheinschiffahrts- und Elbzollgerichte;
2) die Gerichte, welche sich mit der Auseinandersetzung in Separationssachen, bei Ablösungen, Konsolidationen u. dgl. zu beschäftigen haben;
3) Gemeindegerichte in geringfügigen Fällen;
4) Gewerbegerichte;
5) Militärgerichte, deren Jurisdiktion sich jedoch auf Strafsachen beschränkt. Die Staatsanwaltschaft wird bei dem Reichsgericht durch einen Oberreichsanwalt und durch Reichsanwalte, bei Oberlandesgerichten, Landgerichten und Schwurgerichten durch Staatsanwalte und bei den Amts- und Schöffengerichten durch Amtsanwalte ausgeführt. (Näheres über die Justizorganisation s. in den Artikeln über die Einzelstaaten.) Eine einheitliche Gesetzgebung über die in den Kompetenzkreis des Reichs fallenden Gegenstände ist zum Teil geschaffen, auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts in der Vorbereitung begriffen.
Zur Zeit bestehen für das Privatrecht noch die drei großen Rechtsgebiete des preußischen Landrechts, des französischen und des gemeinen deutschen Rechts.
Das preußische Landrecht gilt im größten Teil des preußischen Staats, nämlich in den Provinzen Ostpreußen, Westpreußen, Berlin, Brandenburg, Pommern mit Ausschluß der neuvorpommerschen Kreise Greifswald, Grimmen, Franzburg, Stralsund und Rügen, in Posen, Schlesien und Sachsen, im Regierungsbezirk Aurich mit Ausschluß des Stadtbezirks Wilhelmshaven, in der Stadt Duderstadt und dem Amt Gieboldehausen (Regierungsbezirk Hildesheim), in Westfalen sowie den rechtsrheinischen Kreisen des Regierungsbezirks Düsseldorf: Rees, Duisburg, Mülheim a. d. Ruhr, Essen Land und Stadt Essen; außerdem in den ehemals preußischen, jetzt bayrischen Fürstentümern Ansbach und Baireuth.
Die Geltung des französischen Rechts erstreckt sich auf die preußischen Rheinlande mit Ausschluß der im Gebiet des preußischen Landrechts belegenen Kreise des Regierungsbezirks Düsseldorf, des Kreises Meisenheim und des rechts vom Rhein und links von der Sieg belegenen Teils des Regierungsbezirks Koblenz, zu welchem auch die Rheininseln gehören. Ferner gilt französisches Recht in Elsaß-Lothringen, in der bayrischen Pfalz, in Rheinhessen und (in besonderer Kodifikation) in Baden. Das Rechtsgebiet des französischen Rechts ist ein in sich geschlossenes, innerhalb dessen nur im Kreis Meisenheim andres (und zwar gemeines deutsches) Recht gilt.
Das gemeine deutsche Recht, modifiziert durch zahlreiche einzelne Partikulargesetze, hat seine Geltung in den preußischen Provinzen Schleswig-Holstein, Hannover mit Ausnahme von Ostfriesland und des zum Eichsfeld gehörigen Teils des hildesheimischen Kreises Osterode am Harz, in Hessen-Nassau, im Kreis Meisenheim und im rechtsrheinischen, links der Sieg gelegenen Teil des Regierungsbezirks Koblenz sowie in Hohenzollern und den schon erwähnten neuvorpommerschen Kreisen.
Ferner gilt gemeines deutsches Recht im Königreich Bayern mit Ausschluß der Rheinpfalz und der Fürstentümer Ansbach und Baireuth, im Königreich Württemberg, in Hessen mit Ausnahme von Rheinhessen, in Sachsen-Weimar, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Koburg-Gotha, im Königreich Sachsen (in besonderer Kodifikation), in Anhalt, in Schwarzburg-Rudolstadt und Schwarzburg-Sondershausen, in Reuß ältere und jüngere Linie, in Waldeck, in Schaumburg-Lippe und Lippe, in Braunschweig, in Oldenburg, in Mecklenburg-Schwerin, in Mecklenburg-Strelitz und in den freien Hansestädten Hamburg, Lübeck und Bremen.
Das Rechtsgebiet des gemeinen deutschen Rechts ist ein gleichfalls geschlossenes und erstreckt sich von der jütischen Grenze ununterbrochen bis zum Bodensee. Exklaven desselben im Gebiet des preußischen Landrechts bilden Anhalt, die Unterherrschaften von Schwarzburg-Rudolstadt und Schwarzburg-Sondershausen sowie kleinere, zu Mecklenburg-Schwerin, Braunschweig, Sachsen-Weimar und Sachsen-Koburg-Gotha gehörige Gebietsteile. Im Gebiet des französischen Rechts liegt die Exklave Meisenheim.
Vgl. Deutsches Recht, wo ein Überblick über die Entwickelung der neuern deutschen Gesetzgebung gegeben ist.
Finanzwesen des Deutschen Reichs.
Wie jeder Staat, so ist auch der deutsche Gesamtstaat eine vermögensrechtliche Persönlichkeit, welche als Reichsfiskus bezeichnet wird. Zu dem Reichsvermögen gehören die Reichseisenbahnen in Elsaß-Lothringen, der Reichskriegsschatz, welcher im Betrag von 120 Mill. Mk. im Juliusturm zu Spandau bar hinterlegt ist, der Reichsinvalidenfonds, der Reichsfestungsbaufonds und der Fonds zum Bau eines Reichstagsgebäudes. Dazu kommen die zahlreichen Liegenschaften (Kasernen, Postgebäude etc.), welche dem Reich eigentümlich zugehören, und das Mobiliarvermögen, welches sich in der Benutzung der einzelnen Reichsverwaltungen befindet.
Als ein wirklicher Staat hat das Deutsche Reich auch den Kredit eines solchen, während sich der frühere Deutsche Bund als bloßer Staatenbund im Fall eines besondern Geldbedarfs auf Vorschüsse einzelner Bundesglieder angewiesen sah. Die Aufnahme von Reichsschulden erfolgt im Weg der Reichsgesetzgebung. Die Reichsschuld ist teils eine verzinsliche, teils eine unverzinsliche, welch letztere durch Reichskassenscheine repräsentiert wird. Laut Gesetz vom wurden Reichskassenscheine bis zum Betrag von 120 Mill. Mk. an die Einzelstaaten nach ihrer Bevölkerung verteilt und zur Durchführung der Münzreform die Ausgabe von weitern 54,889,940 Mk. autorisiert. Die Reichsschuld belief sich auf rund 430 Mill. Mk. Die Einnahmen und Ausgaben des Reichs als eines konstitutionellen Staats sind unter Mitwirkung der Volksvertretung im Reichshaushaltsetat durch ein Etatsgesetz festzustellen. Die
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Budget- oder Finanzperiode ist eine einjährige, indem der Versuch der Reichsregierung, zweijährige Budgetperioden einzuführen, wiederholt an dem Widerspruch des Reichstags scheiterte. Wie das Budget vom Bundesrat mit dem Reichstag vereinbart wird, so haben auch beide Körperschaften das Recht der Kontrolle der Reichsfinanzverwaltung. Die Vorprüfung der jährlich zu legenden Rechnungen erfolgt durch die preußische Oberrechnungskammer in Potsdam, welche zugleich als »Rechnungshof des Deutschen Reichs« fungiert. Für die Verwaltung des Reichskriegsschatzes und der Reichsschuld besteht die besondere Kontrolle der Reichsschuldenkommission, welche auch die Verwaltung des Reichsinvalidenfonds überwacht. Sowohl der Bundesrat als auch der Reichstag hat zu der Entlastung des Reichskanzlers die jährlich zu legenden Rechnungen der Reichsverwaltungen zu genehmigen. Das Finanzjahr läuft seit 1877 vom 1. April bis zum 31. März.
Einnahmen des Reichs.
Was die laufenden Einnahmen des Reichs anbetrifft, so kommen 1) privatrechtliche Einnahmen aus den Betriebsergebnissen der Reichseisenbahnen, Zinsen der bereits erwähnten Fonds, Gewinn aus der Münzprägung auf Rechnung des Reichs, Einnahmen aus dem Betrieb der Reichsdruckerei in Berlin, Kaufgelder aus Verkäufen für Rechnung des Reichs etc. in Betracht. Dazu kommen 2) die für Rechnung des Reichs zu erhebenden Gebühren, insbesondere die in der Reichspost- und Telegraphenverwaltung anfallenden.
Aus diesen werden zunächst die laufenden Kosten ebendieser Verwaltung bestritten, während der beträchtliche Überschuß in die Reichskasse fließt. Für das Etatsjahr 1886/87 ist dieser Überschuß bei einer Gesamteinnahme von 180,300,820 Mk. (gegen 170,225,800 Mk. im Vorjahr) auf 28,592,274 Mk. veranschlagt. In jener Gesamteinnahme figurieren die Porto- und Telegrammgebühren mit 163,100,000 Mk., Personengeld 2,385,000 Mk., Gebühren für Bestellung von Postsendungen 8,130,000 Mk. und 3,600,000 Mk. vom Absatz der Zeitungen.
Die Einnahmen der selbständigen bayrischen und württembergischen Postverwaltungen fließen in die Landeskassen der beiden Staaten. Dafür haben die letztern aber auch an den Einnahmen aus der Reichspost- und Telegraphenverwaltung keinen Anteil und müssen ebendeshalb höhere Matrikularbeiträge zahlen. Außerdem kommen Gebühren für gewisse Handlungen der Reichsbehörden, z. B. der Konsuln, des Patentamts, Sporteln des Reichsgerichts u. dgl., für die Reichskasse zur Erhebung.
3) An Steuern fließen in diese Kasse die Verbrauchssteuern von inländischem Salz, Tabak, Branntwein, Bier und von dem aus Rüben oder andern inländischen Erzeugnissen dargestellten Zucker sowie die Zölle. Die Erhebung der gemeinschaftlichen Zölle und Verbrauchssteuern ist Sache der Einzelstaaten; der Reinertrag fließt in die Reichskasse. Die außerhalb des Zollgebiets liegenden Teile des Reichs tragen zu den Reichsausgaben durch die Zahlung von Aversen in entsprechend erhöhter Weise bei. In Bayern, Württemberg und Elsaß-Lothringen ist jedoch die Besteuerung des Biers und des Branntweins nicht Reichssache.
Sie haben daher an den betreffenden Reichseinnahmen keinen Anteil und zahlen statt dessen Aversa an die Reichskasse. Die Zolleinnahmen beliefen sich vor dem neuen Zolltarif von 1879 auf 114 Mill. Mk. brutto und 105 Mill. netto (Etat 1879/80). Im Etat für 1884/85 dagegen waren dieselben auf 196,450,000 Mk. netto veranschlagt. Hierzu kamen 17,434,000 Mk. an Erhebungs- und Verwaltungskosten, so daß die Zollbruttoeinnahme nach dem Etat rund 214 Mill. Mk. betrug. Nach dem Etat pro 1885/86 ist die Nettoeinnahme auf 199,820,000 Mk., nach dem Etat pro 1886/87 infolge der Zollerhöhungen von 1885 auf 245,720,000 Mk. veranschlagt.
Was die Erträgnisse der einzelnen Zölle anbetrifft, so gingen z. B. 1884 aus Kaffee 44,5 Mill. Mk., Tabak 31,2, Getreide 23,8, Wein und Obstwein 14,7, Baumwollengarn 5,1, Vieh 3,5, Bau- und Nutzholz 3, Reis 2,9, Gewürzen 2,9, Südfrüchten 2,8, Heringen 2,8, Roheisen 2,7, Thee 1,5 Mill. Mk. ein. Auch die Tabaksteuer ist seit 1879 so erhöht, daß sie jetzt etwa 8 Mill. Mk. anstatt früher 1 Mill. einbringt. Etatisiert waren die Erträgnisse der Tabaksteuer 1881/82 mit 4,6 Mill. Mk., 1882/83: 11, 1883/84: 13,6, 1884/85: 13,9, 1885/86: 10,673,300, 1886/87: 7,656,000 Mk. Bezüglich der jährlichen Erträgnisse aus den Zöllen und aus der Tabaksteuer besteht die Einrichtung (Antrag »Franckenstein«),
daß 130 Mill. Mk. davon in der Reichskasse verbleiben, während der Überschuß über diese Summe nach dem Verhältnis der Kopfzahl der Bevölkerung in die Kassen der Einzelstaaten zurückfließt. Nach dem Etat pro 1886/87 beläuft sich diese Rückzahlung auf 128,600,000 Mk. Dagegen verbleiben die Nettoerträgnisse der Rübenzucker-, Salz-, Branntwein- und Brausteuer dem Reich. Die Zuckersteuer hat einen Rückgang erfahren infolge des allzu großen Exports und der damit zusammenhängenden Krisis.
Die Rübenzuckersteuer beträgt nämlich seit dem Gesetz vom 80 Pf. vom Zentner roher Rüben. Bei der Ausfuhr von Zucker wird die Steuer zurückvergütet und zwar mit 9 Mk. 40 Pf. pro Zentner Zucker, seit dem Gesetz vom aber nur noch mit 9 Mk. Diese Exportvergütung war und ist zu hoch, nachdem es die Fortschritte der Fabrikation gestatten, jetzt aus einer viel geringern Rübenmenge einen Zentner Zucker herzustellen, als dies bei dem Erlaß des Gesetzes vom der Fall war. So kommt es, daß der Zuckerfabrikant für den exportierten Zucker mehr vergütet erhält, als er für das Rohmaterial an Steuern bezahlt hat.
Hieraus erklärt sich der Rückgang der Zuckersteuer, deren Nettoertrag sich 1873 auf 58,2 Mill. Mk. und 1875 auf 59,5 Mill. Mk. belief, während er 1878/79: 44,8, 1879/80: 48, 1880/81: 42,9, 1881/82: 36,3, 1882/83: 46 und 1883/84 nur 37,8 Mill. Mk. betrug, indem er in dem letztgedachten Etatsjahr um 6,7 Mill. Mk. hinter dem Etatsansatz zurückblieb, so daß dies Etatsjahr mit einem Defizit von 1,9 Mill. Mk. abschloß, während das Vorjahr noch einen Überschuß von 15 Mill. Mk. aufzuweisen hatte.
Pro 1886/87 ist der Nettoertrag auf 37,5 Mill. Mk. veranschlagt, indem von der Bruttoeinnahme von 149,5 Mill. Mk. an Exportvergütungen 106 Mill. Mk. und an Erhebungs- und Verwaltungskosten 5,9 Mill. Mk. abgehen. Eine anderweite Normierung der Zuckersteuer ist in Aussicht genommen. Auch eine Umgestaltung der Branntweinsteuer wird, nachdem das Projekt eines Branntweinmonopols vom Reichstag abgelehnt worden ist, angestrebt, ebenfalls mit Rücksicht auf die veränderten und verbesserten Fabrikationsverhältnisse. Namentlich wird der Übergang zur Fabrikatsteuer von den Gegnern der dermaligen Maischraumsteuer empfohlen, welch letztere seit 1854 unverändert 30 Pf. für 20 Quart Maischraum beträgt. So kommt es, daß trotz der Zunahme der Bevölkerung der Jahresanfall dieser Steuer sich nahezu gleichbleibt. Derselbe belief sich 1874, 1875 und 1876 auf 48, 52 und 49 Mill.
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Mk., 1877/78, 1878/79, 1879/80, 1880/81, 1881/82 aber auf nur 45, 47,5, 46, 47, 48,5 Mill. Mk. Die Einzelstaaten erhalten 15 Proz. vom Anfall als Erhebungskosten, auch wird für den ausgeführten Branntwein die Steuer zurückvergütet (etwa 14 Mill. Mk. jährlich). Pro 1886/87 ist die Nettoeinnahme auf 37,224,450 Mk. (gegen 36,527,000 im Vorjahr) für die Reichskasse etatisiert, in welche, wie oben bemerkt, nur die in Norddeutschland, Hessen und Elsaß-Lothringen anfallende Branntweinsteuer fließt.
An der Bier- (Brau-) Steuer aber, die für das Reich erhoben wird, ist auch Elsaß-Lothringen ebensowenig wie Bayern, Württemberg und Baden beteiligt. Dieselbe beträgt in der Norddeutschen Brausteuergemeinschaft 2 Mk. pro Zentner von dem zur Bierbereitung verwandten Getreide, 3 und 4 Mk. von Malzsurrogaten. Gegenüber der geplanten Erhöhung (nahezu Verdoppelung) derselben hat sich der Reichstag wiederholt ablehnend verhalten. Pro 1886/87 ist die Brausteuer auf 17,213,570 Mk. (1885/86: 16,392,200 Mk.) etatisiert.
Die Salzsteuer (6 Pf. pro Pfund), vielfach angefochten, wird für das Reich in einheitlicher Weise erhoben. Ihr Ertrag ist pro 1886/87 auf 38,306,000 Mk. (1885/86: 37,777,000 Mk.) veranschlagt. Zu diesen Zöllen und Verbrauchssteuern kommen noch folgende Steuern hinzu, welche für Rechnung des Reichs erhoben werden: die Wechselstempelsteuer (1885/86: 6,425,000 Mk., 1886/87: 6,437,000 Mk.), die Spielkartenstempelsteuer (1885/86: 1,006,500 Mk., 1886/87: 1,025,500 Mk.), die statistische Gebühr (1885/86: 545,000 Mk., 1886/87: 549,500 Mk.), die 5proz.
Steuer von den durch entsprechenden Barvorrat nicht gedeckten Noten der deutschen Banken (1885/86: 25,000 Mk., 1886/87: 27,500 Mk.) und die besondere Abgabe der Reichsbank (1884/85: 2,485,000 Mk., 1885/86: 2,580,000 Mk., 1886/87: 2,420,000 Mk.). Endlich kommt noch hinzu die sogen. Börsensteuer, d. h. die Stempelabgabe für Wertpapiere, Schlußnoten, Rechnungen und Lotterielose, welche zwar für Rechnung des Reichs von den Einzelstaaten erhoben wird, deren Reinertrag jedoch nach Maßgabe der Matrikularbeiträge in die Kassen der Einzelstaaten zurückfließt (1885/86: 12,430,000 Mk., 1886/87: 22,375,000 Mk.). Nachdem durch Reichsgesetz vom für die Kauf- und Anschaffungsgeschäfte, welche stempelpflichtig sind, anstatt des bisherigen Fixstempels eine prozentuale Besteuerung eingeführt worden ist, hat sich der Ertrag dieser Steuer erhöht.
4) Da direkte Reichssteuern von den Angehörigen des Reichs nicht erhoben werden, so müssen zur Deckung der gemeinsamen Reichsausgaben, soweit sie durch die selbständigen Reichseinnahmen nicht gedeckt werden, Matrikularbeiträge erhoben werden, d. h. Beiträge der einzelnen Bundesstaaten, welche nach dem Verhältnis der Kopfzahl der Bevölkerung aufzubringen sind. Die Beseitigung dieser Matrikularbeiträge, welche auch von dem Fürsten Bismarck wiederholt als wünschenswert bezeichnet wurde, ist bis jetzt noch nicht gelungen, obgleich das Unbillige dieser Kopfsteuer gegenüber den kleinen Staaten mit einer durchschnittlich armen Bevölkerung klar zu Tage liegt. Indessen wird diese Unbilligkeit dadurch gewissermaßen ausgeglichen, daß auch der Mehrertrag der Zölle und der Tabaksteuer über 130 Mill. Mk. hinaus sowie der Reinertrag der Börsensteuer nach Maßgabe der Bevölkerungsziffer auf die Einzelstaaten verteilt werden. Eine vergleichende Übersicht des Reichshaushaltsetats seit 1872 ergibt (in Mark), abgesehen von verschiedenen Nachtragsetats:
Übersicht des Reichshaushaltsetats seit 1872.
Jahr | Einnahmen und Ausgaben je (in Mark) | Matrikularbeiträge in Mark |
---|---|---|
1872 | 340970000 | 96648162 |
1873 | 356521467 | 73943601 |
1874 | 449428920 | 67186251 |
1875 | 515018563 | 68969549 |
1876 | 474256998 | 71376215 |
1877-78 | 540608165 | 81044171 |
1878-79 | 536496800 | 87145516 |
1879-80 | 540796537 | 90371390 |
1880-81 | 539252640 | 81670950 |
1881-82 | 592956554 | 103288523 |
1882-83 | 610632707 | 103684369 |
1883-84 | 590556634 | 91888802 |
1884-85 | 590819344 | 83702768 |
1885-86 | 611930672 | 122041792 |
1886-87 | 696615509 | 138443060 |
Der Etat für 1886/87 wirft für die einzelnen deutschen Staaten folgende Matrikularbeiträge aus:
Mark | Mark | ||
---|---|---|---|
Preußen | 70270716 | Sachs.-Kob.-Gotha | 503594 |
Bayern | 26881985 | Anhalt | 609515 |
Sachsen | 7730898 | Schwarzb.-Sondersh. | 182510 |
Württemberg | 9934619 | Schwarzb.-Rudolst. | 205262 |
Baden | 6828829 | Waldeck | 143143 |
Hessen | 2417317 | Reuß ä. L. | 132451 |
Mecklenb.-Schwer. | 1470333 | Reuß j. L. | 266704 |
Sachsen-Weimar | 796076 | Schaumburg-Lippe | 91557 |
Mecklenb.-Strelitz | 256450 | Lippe | 311536 |
Oldenburg | 867861 | Lübeck | 169142 |
Braunschweig | 903181 | Bremen | 413673 |
Sachs.-Meiningen | 535025 | Hamburg | 1238563 |
Sachs.-Altenburg | 400173 | Elsaß-Lothringen | 4881947 |
Ausgaben des Reichs.
Die Ausgaben des Reichs umfassen die Zinsen und die Amortisation der Reichsschuld, die Erhebungs- und Verwaltungskosten der Reichseinnahmen, die Aufwendungen für die einzelnen Zweige der Reichsverwaltung in sächlicher und persönlicher Hinsicht und für die Organe des Reichs, d. h. für den Bundesrat, den Reichstag und die Reichsbeamten. Der Kaiser als solcher bezieht eigentliche Einkünfte aus der Reichskasse nicht. Doch ist für ihn ein Dispositionsfonds zu Gnadenbewilligungen aller Art im Betrag von 2,400,000 Mk. Jährlich ausgeworfen.
An den Ausgaben haben sich die Einzelstaaten nicht alle in gleichmäßiger Weise zu beteiligen, da verschiedene Reichsanstalten nicht allen Bundesstaaten gemeinsam sind. So haben Bayern und Elsaß-Lothringen an den Kosten des Bundesamts für das Heimatswesen, Bayern, Württemberg, Baden und Elsaß-Lothringen an den Kosten für die Kontrolle der Biersteuer, Bayern, Württemberg und Baden an denjenigen für die Kontrolle der Branntweinbesteuerung, Bayern an den Kosten des Reichseisenbahnamts und Bayern und Württemberg an den Kosten der Reichspost- und Telegraphenverwaltung keinen Anteil.
Den Staaten, welche noch eigne Gesandtschaften unterhalten (Bayern, Württemberg, Sachsen und Braunschweig), sind Nachlässe an den Ausgaben für die Reichsgesandtschaften verwilligt, und auch zu den Ausgaben für den Rechnungshof tragen Bayern und Württemberg in geringerm Umfang bei als die übrigen Bundesstaaten. Die Ausgaben sind teils ordentliche (laufende, fortdauernde), teils außerordentliche (einmalige), und hiernach wird auch bei den einzelnen Reichsverwaltungen zwischen ordentlichem und außerordentlichem Etat (z. B. bei der Verwaltung des Reichsheers für Kasernenneubauten, bei der Reichspostverwaltung für Postneubauten u. dgl.) unterschieden. Die Ausgaben für das Reichsheer, welche den
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Hauptbestandteil der Ausgaben bilden (1884/85: 339,9 Mill., 1885/86: 340,7 Mill., 1886/87: 343,036,713 Mk. Fortdauernde Ausgaben, 1884/85: 26,8 Mill., 1885/86: 32,1 Mill., 1886/87: 41,511,588 Mk. einmalige Ausgaben), wurden früher in Form eines Pauschquantums bewilligt. Nach der norddeutschen Bundesverfassung (Art. 62) wurden dem Bundesfeldherrn jährlich so vielmal 225 Thlr. zur Verfügung gestellt, als die Kopfzahl der Friedenspräsenzstärke der Armee betrug.
Für die Jahre 1872-74 war das Pauschale durch Reichsgesetz vom auf 90,373,275 Thlr. pro Jahr festgestellt. Seit 1875 werden die Ausgaben für das Reichsheer gleich den übrigen Ausgaben jährlich veranschlagt. Allerdings ist die Friedenspräsenzstärke der Armee durch die Reichsgesetze vom und jeweilig auf sieben Jahre (Septennat) festgestellt (s. unten). Spezialisierte Etats werden aufgestellt für das preußische, sächsische und württembergische Kontingent.
Bayern ist verpflichtet, für sein Kontingent und die zu demselben gehörigen Einrichtungen einen gleichen Geldbetrag zu verwenden, wie er nach Verhältnis der Kopfstärke durch den Militäretat des Reichs für die übrigen Teile des Reichsheers ausgesetzt ist. Dieser Betrag wird im Reichshaushaltsetat für das bayrische Kontingent in Einer Summe ausgeworfen, indem die Aufstellung der nötigen Spezialetats Bayern überlassen bleibt. Nächst dem Reichsheer verursacht die Marineverwaltung den größten Aufwand (1884/85: 26,9 Mill., 1885/86: 33,1 Mill., 1886/87: 37,101,185 Mk. an fortdauernden, 1884/85: 10 Mill., 1885/86: 9,2 Mill., 1886/87: 9,701,900 Mk. an einmaligen Ausgaben; immer abgesehen von Nachtragsetats, insbesondere von dem Nachtragsetat pro 1884/85, welcher 19 Mill. Mk. für die Marineverwaltung auswarf). Der Reichshaushaltsetat für 1886/87 (in Einnahme und Ausgabe je 696,615,509 Mk.) enthält folgende Ausgabeposten:
Fortdauernde Ausgaben Mark | Einmalige Ausgaben Mark | |
---|---|---|
Reichstag | 379670 | - |
Reichskanzler und Reichskanzlei | 141360 | 11000 |
Auswärtiges Amt | 7377535 | 615000 |
Reichsamt des Innern (inkl. Bundesrat) | 7753025 | 2590010 |
Verwaltung des Reichsheers | 343036713 | 41511588 |
Marineverwaltung | 37101185 | 9701900 |
Reichsjustizverwaltung | 1887178 | - |
Reichsschatzamt | 155534666 | 7300000 |
Reichseisenbahnamt | 297165 | - |
Reichsschuld | 18302500 | - |
Rechnungshof | 529773 | - |
Allgemeiner Pensionsfonds | 21850075 | - |
Reichsinvalidenfonds | 26961588 | |
Post- und Telegraphenverwaltung | - | 4508815 |
Reichsdruckerei | - | 360000 |
Eisenbahnverwaltung | - | 3294460 |
Fehlbetrag des Haushalts des Etatsjahrs 1883/84 | - | 5570303 |
Zusammen: | 621152433 | 75463076 |
Erläuternd ist hierzu noch zu bemerken, daß die Ausgaben für den Bundesrat in der Summe für das Reichsamt des Innern mit enthalten sind, und daß die Ausgabeposition des Reichsschatzamts um deswillen eine so hohe ist, weil unter dieser Rubrik die allgemeinen Fonds mit ausgeworfen sind, insbesondere die Herauszahlungen, welche das Reich aus den Erträgnissen der Zölle und der Tabaksteuer (über 130 Mill. hinaus) und aus denjenigen der sogen. Börsensteuer an die Einzelstaaten zu leisten hat. Für die Reichspostverwaltung erscheinen im Ordinarium um deswillen keine Ausgaben, weil die fortdauernden Ausgaben aus den Einnahmen der Reichspost- und Telegraphenverwaltung bestritten werden. An Einnahmen stehen den Ausgaben für 1886/87 gegenüber:
Mark | |
---|---|
Zölle und Verbrauchssteuern | 391601670 |
Reichsstempelabgaben | 30387000 |
Überschuß der Post- u. Telegraphenverwalt. | 28563006 |
Reichsdruckerei | 1065690 |
Eisenbahnverwaltung | 17847400 |
Bankwesen | 2447500 |
Verschiedene Verwaltungseinnahmen | 7748879 |
Aus dem Reichsinvalidenfonds | 26961588 |
Zinsen aus belegten Reichsgeldern (Reichsfestungsbaufonds u. Reichsgebäudefonds) | 1580000 |
Außerordentl. Zuschüsse aus den beiden letztgedachten Fonds und aus der Anleihe | 49969716 |
Matrikularbeiträge | 138443060 |
Zusammen: | 696615509 |
Heerwesen des Deutschen Reichs.
Schon das alte Deutsche Reich hatte seine Reichsarmee, doch bei der bunten Zusammensetzung aus zahllosen kleinen Kontingenten ohne besondern militärischen Wert. Unabhängig davon bildeten die größern Kontingente schon damals wohlgeordnete, gut disziplinierte, im Krieg bewährte Truppenverbände, wie Braunschweig, Hessen, Sachsen, Hannover, Bayern und vor allen Preußen, dessen stehendes Heer allein an Stärke die ganze Reichsarmee übertraf. Größere Einheit in das deutsche Heerwesen brachte 1815 die Organisation des Deutschen Bundes (s. d.). Nachdem dann der preußisch-österreichische Krieg von 1866 auch dieser Bundesarmee ein Ende gemacht hatte, wurden durch die Verfassung des Norddeutschen Bundes vom das Militärwesen und die Kriegsmarine der Bundesgesetzgebung unterstellt, dem König von Preußen wurde als Bundesoberfeldherrn das Recht zuerkannt, im Namen des Norddeutschen Bundes Krieg zu erklären, Frieden und Bündnisse zu schließen.
Die Bundeskriegsmarine sollte unter dem Oberbefehl Preußens eine einheitliche sein. Auf Grund der in der Verfassung gegebenen Bestimmungen über das Heerwesen wurde das Wehrgesetz vom erlassen, welches später auf das Deutsche Reich übernommen wurde. Beim Beginn des deutsch-französischen Kriegs 1870 bestand das Heer des Norddeutschen Bundes aus 118 Infanterieregimentern = 350 Bataillonen, 18 Jägerbataillonen;
76 Kavallerieregimentern à 5 = 380 Eskadrons;
13 Regimentern und 1 (hessischen) Abteilung Feldartillerie mit 163 Fuß- und 39 reitenden = 202 Batterien mit im Krieg 1212 bespannten Geschützen;
9 Regimentern Festungsartillerie mit im Frieden 88 Kompanien;
12 Pionierbataillonen zu 4, 1 (sächsischen) zu 3 Kompanien und 1 (hessischen) Pionierkompanie = 52 Kompanien;
13 Trainbataillonen zu 2 Kompanien, 1 (hessischen) Trainabteilung;
außerdem 216 Landwehrbataillonen.
Das Heer gliederte sich in 13 Armeekorps, darunter 1 Garde- und 1 sächsisches Armeekorps. Der Friedensstand betrug (einschließlich des nordhessischen Kontingents) 302,633 Köpfe, 73,312 Pferde und 808 bespannte Geschütze; die Kriegsstärke mit Einschluß des ganzen hessischen Kontingents:
Offiziere | Mann | Pferde | Geschütze | |
---|---|---|---|---|
Feldtruppen | 12777 | 543058 | 155896 | 1212 |
Ersatztruppen | 3280 | 182940 | 22545 | 234 |
Besatzungstruppen | 6376 | 198678 | 15689 | 234 |
Zusammen: | 22433 | 924676 | 194130 | 1680 |
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Durch die Bündnisverträge, welche Preußen mit Bayern am 22., mit Württemberg am 13., mit Baden am und mit Hessen am abgeschlossen hatte, und durch welche diese Staaten sich verpflichteten, Preußen und dem Norddeutschen Bund für den Fall eines Kriegs zum Zweck allseitiger Wahrung der Integrität ihrer Gebiete ihre gesamten Streitkräfte unter dem Oberbefehl des Königs von Preußen zur Verfügung zu stellen, sind dem Heer bei Ausbruch des Kriegs noch bedeutende Verstärkungen zugeflossen.
Durch die Wiederaufrichtung des Deutschen Reichs wurde die Zugehörigkeit der süddeutschen Heeresteile eine dauernde. Der § 2 der Verfassung des Deutschen Reichs vom erklärt das Wehrgesetz (wörtlich: »Gesetz, betreffend die Verpflichtung zum Kriegsdienst«) des Norddeutschen Bundes vom zum Reichsgesetz. Der § 1 desselben, der Grundgedanke des preußischen Heerwesens, der nach 1870 in die meisten europäischen Staaten übergegangen ist, lautet: »Jeder Deutsche ist wehrpflichtig und kann sich in Ausübung dieser Pflicht nicht vertreten lassen«.
Ausgenommen von der Wehrpflicht sind nur die Mitglieder regierender und mediatisierter und vormals reichsständischer Häuser. Die Wehrpflicht beginnt mit dem vollendeten 17. und endet mit dem 42. Lebensjahr, sie zerfällt in die Dienstpflicht und die Landsturmpflicht. Die erstere beginnt mit dem Kalenderjahr, in welchem der Wehrpflichtige sein 20. Lebensjahr vollendet, und dauert 12 Jahre. Von diesen entfallen auf den Dienst im stehenden Heer oder der Marine 3 Jahre (aktive Dienstpflicht), 4 Jahre auf die Reserve (Reservepflicht) und 5 Jahre auf die Land- oder Seewehr (Land- oder Seewehrpflicht).
Landsturmpflichtig sind alle Wehrpflichtigen, die weder dem Heer noch der Marine angehören. Durch das Reichsmilitärgesetz vom und das Nachtragsgesetz zu demselben vom sind sodann die allgemeinen Bestimmungen für die Organisation und Ergänzung des Reichsheers sowie über die Entlassung aus demselben, über den Beurlaubtenstand und die Ersatzreserve gegeben. An diese Gesetze schließen sich dann an das Gesetz über den Landsturm vom und die auf Grund desselben durch kaiserliche Verordnung erlassene Heer- und Wehrordnung vom welche die Ersatz-, Kontroll-, Rekrutierungs- und Landwehrordnung enthält.
Nach der Verfassung bildet die gesamte Landmacht ein einheitliches Heer im Krieg und im Frieden unter dem Befehl des Kaisers, welcher über den Präsenzstand, Gliederung und Einteilung der Kontingente, die Garnisonen sowie über die Mobilmachung Bestimmungen erläßt. Der Kaiser hat die Pflicht und das Recht, für die Vollzähligkeit und Kriegstüchtigkeit aller Kontingente zu sorgen, und das Recht der Inspizierung; dem entsprechend sind auch alle deutschen Truppen verpflichtet, den Befehlen des Kaisers Folge zu leisten, welche Verpflichtung in den dem Landesherrn zu leistenden Fahneneid aufzunehmen ist.
Der Kaiser ernennt die kommandierenden Generale eines Kontingents sowie die Festungskommandanten. Dagegen ernennen die Bundesfürsten und die Senate die Offiziere ihrer Kontingente, sofern Konventionen nicht anders bestimmen. Letztere räumen zum Teil den Bundesfürsten mehr Rechte, ihren Kontingenten besondere Stellungen im Armeeverband ein oder übertragen die Verwaltung ganz an Preußen und reservieren dem Souverän nur gewisse Ehrenrechte. So sind die Kontingente von Baden und Hessen ganz in den Verband der preußischen Armee übergegangen, bilden jedoch geschlossene Heeresteile, ersteres das 14. Armeekorps, letzteres die 25. Division (zum 11. Armeekorps gehörend).
Bayern, Sachsen und Württemberg haben selbständige Heeresverwaltung und je ihr eignes Kriegsministerium. Das Reichsmilitärgesetz findet auf Bayern so weit Anwendung, als es den ihm zugesicherten Reservatrechten nicht zuwiderläuft. Sein Heer bildet einen geschlossenen Bestandteil des Bundesheers unter der Militärhoheit des Königs, tritt aber mit der Mobilmachung, die auf Anregung des Kaisers durch den König erfolgt, unter den Befehl des Kaisers als Bundesfeldherrn. Dagegen ist Bayern verpflichtet, die für das Reichsheer geltenden Bestimmungen über Organisation, Formation, Ausbildung, Bewaffnung, Ausrüstung und Gradabzeichen gleichfalls zur Geltung zu bringen. In Elsaß-Lothringen werden die Militärangelegenheiten nach Anordnung des preußischen Kriegsministeriums von den Landesbehörden verwaltet.
Durch das Reichsmilitärgesetz vom war die Friedenspräsenzstärke des Heers an Unteroffizieren und Mannschaften für die Zeit vom bis zum auf 401,659 Mann, ohne die etwa 5000 Mann betragenden Einjährig-Freiwilligen und die zu den Übungen einberufenen Reservisten, festgesetzt worden. Die Infanterie sollte in 469 Bataillone, die Kavallerie in 465 Eskadrons, die Feldartillerie in 300 Batterien, die Fußartillerie in 29, die Pioniere und der Train in je 18 Bataillone formiert sein.
Die Stärke betrug 1 Proz. der Bevölkerung von 1871. Im J. 1875 hatte die Bevölkerung bereits die Höhe von 42,727,372 Seelen erreicht, deren Anwachsen 1880 auf 45 Mill. angenommen werden konnte. Um daher 1 Proz. der Bevölkerung zum Heeresdienst heranzuziehen, mußte die Friedenspräsenzstärke erhöht werden. Dies geschah durch das Nachtragsgesetz vom durch welches die Friedensstärke des Heers für die Zeit vom bis auf 427,274 festgestellt wurde. Zu diesen traten für das Etatsjahr 1882/83 noch hinzu: 18,134 Offiziere, 1698 Militärärzte, 782 Zahlmeister, 618 Roßärzte, 749 Büchsenmacher und Sattler und die unbestimmte Anzahl Einjährig-Freiwilliger, ferner 81,629 Dienstpferde.
Hiervon entfielen auf Preußen 14,008 Offiziere, 330,629 Mann;
Bayern 2216 Offiziere, 50,224 Mann;
Sachsen 1137 Offiziere, 27,606 Mann;
Württemberg 773 Offiziere, 18,815 Mann.
Während die Anzahl der Mannschaften dieselbe bleiben muß, treten durch das Bedürfnis Schwankungen in der Zahl der Offiziere und Beamten ein; dieselbe wird bei den Beratungen des Militäretats im Reichstag festgesetzt. Die Zahl der Truppenkörper sollte vom ab betragen: 503 Bataillone Infanterie, 340 Batterien Feldartillerie, 31 Bataillone Fußartillerie und 19 Bataillone Pioniere;
Kavallerie und Train behalten die alte Stärke. Um nun aber für den Fall eines Kriegs den Mangel an Reserven und die Verluste vor dem Feind bald ersetzen zu können, wurde durch das Nachtragsgesetz die Ausbildung der Ersatzreserve erster Klasse angeordnet (s. Ersatzwesen).
Diese Ersatzreserve sollte keine selbständigen Truppenteile bilden, sondern im Krieg zur Ergänzung von Truppenteilen der aktiven Armee dienen. Die Landwehrinfanterie und -Kavallerie formieren besondere Landwehrtruppenkörper, die zur Reserve für das stehende Heer verwendet werden; die Landwehrmannschaften der übrigen Waffen werden bei der Mobilmachung in das stehende Heer eingereiht. Der Landsturm tritt nur zusammen, wenn
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ein feindlicher Einfall Teile des Reichsgebiets bedroht oder überzieht, und formiert dann besondere Truppenkörper; in Fällen außerordentlichen Bedarfs jedoch kann auch die Landwehr aus ihm ergänzt werden.
Die 503 Bataillone Infanterie bilden 161 Regimenter (Preußen 123, Bayern 19, Sachsen 11, Württemberg 8) à 3 Bataillone und 20 Jägerbataillone, die 465 Eskadrons 93 (Preußen 73, Bayern 10, Sachsen 6, Württemberg 4) Kavallerieregimenter à 5 Eskadrons, davon 10 Kürassier-, 4 Reiter-, 28 Dragoner-, 20 Husaren-, 25 Ulanen- und 6 Chevauleger-Regimenter; die 340 Batterien bilden 37 Feldartillerieregimenter, die 31 Fußartilleriebataillone 14 Regimenter und 3 selbständige Bataillone (Nr. 9, 13 und 14). Je 2 (event. 3) Regimenter Infanterie, Kavallerie oder Artillerie bilden eine gleichnamige Brigade, je 2 Infanterie- und eine Kavalleriebrigade eine Division, 2-3 Kavalleriebrigaden eine Kavalleriedivision, 2 Divisionen endlich nebst 1-2 Jägerbataillonen, der Feld- und Fußartillerie, dem Pionier- und Trainbataillon ein Armeekorps, so daß die gesamte Heeresmacht des Reichs im Frieden aus 18 Armeekorps (Garde und Nr. 1-11 Preußen, Nr. 12 Sachsen, Nr. 13 Württemberg, Nr. 14 Baden einschließlich einige preußische Regimenter, Nr. 15 Elsaß-Lothringen) besteht; von diesen bilden das 4., 5., 6. die erste, das 1., 2., 9. die zweite, das 7., 8., 10., 12. die dritte, das 3., 11., 13., das 1. und 2. bayrische die vierte, das 14. und 15. die fünfte Armeeinspektion; das Gardekorps ist keiner Inspektion zugeteilt.
Zum 11. Armeekorps gehört auch die 25. (hessische) Division, zum Garde-, 1. und 15. Armeekorps noch je 1 Kavalleriedivision. Im Krieg zerfällt die Reichsarmee in Feldtruppen, Feldreserve-, Ersatz- und Besatzungstruppen sowie etwanige Neuformationen. Die Feldtruppen sind die durch Einstellung von Reserven auf den Kriegsetat verstärkten Friedensregimenter und -Bataillone mit den nachstehend aufgeführten Kolonnen, Trains etc.; die Feldreserve- und Besatzungstruppen werden neu aufgestellt und erstere in Feldreservedivisionen formiert.
Bei der Mobilmachung werden außer den Ersatzkompanien, -Eskadrons, -Bataillonen und -Batterien noch folgende Formationen aufgestellt: von jedem Feldartillerieregiment 3 Artillerie- und 2 Infanteriemunitionskolonnen;
von der ganzen Artillerie ein Feldmunitionspark von 8 Kolonnen und 3 Munitionsdepots;
von der Fußartillerie die Artilleriebelagerungstrains;
von jedem Pionierbataillon 2 Divisions- und 1 Korpsbrückentrain, von allen Pionieren 7 Feld- und 5 Reserve-Feldtelegraphenabteilungen und die Ingenieur-Belagerungstrains;
von jedem Trainbataillon 5 Proviantkolonnen, 1 Feldbäckereikolonne, 1 Pferdedepot, 3 Sanitätsdetachements und 5 Fuhrparkskolonnen.
Die Administrationen und Branchen eines Armeekorps bestehen aus der Korpsintendantur und 4 Divisionsintendanturen, der Korpskriegskasse, 1 Hauptproviantamt, 4 Feldproviantämtern, 1 Feldbäckereiamt, 12 Feldlazaretten, 1 Feldpostamt, 4 Feldpostexpeditionen und 1 Feldgendarmeriedetachement.
Festungen und Befestigungen gibt es folgende: **Memel, *Königsberg, **Pillau, Boyen, *Thorn, **Danzig, **Kolberger Küstenbefestigung, **Friedrichsort, *Posen, Glogau, Neiße, Glatz, *Küstrin, Spandau, Magdeburg, Torgau, Königstein, **Wilhelmshaven, Wesel, *Köln, Koblenz, *Mainz, Saarlouis, Ingolstadt, Ulm, Rastatt, Germersheim, Diedenhofen, *Metz, *Straßburg, Neubreisach, **Küstenbefestigungen in Mecklenburg, **an der Elbe-, Weser- und **Emsmündung (von ihnen sind die mit * bezeichneten mit einem Gürtel von Forts umgeben, die mit ** bezeichneten Küstenbefestigungen).
Marine des Deutschen Reichs.
Die deutsche Kriegsmarine führt diesen Namen erst seit der Wiederaufrichtung des Deutschen Reichs 1871. Im J. 1848 begann die Entwickelung der preußischen Marine, die 1856 bereits über 52 Kriegsfahrzeuge verfügte, unter denen sich allerdings noch 42 Ruderkanonenboote und nur 3 Dampfer befanden; dagegen war sie bereits bis 1866, als sie vom Norddeutschen Bund übernommen wurde, auf 40 Dampfer, unter diesen 2 Panzerfahrzeuge, 5 gedeckte und 4 Glattdeckskorvetten, angewachsen. Zu diesen traten bis Anfang 1870 noch 3 Panzerfregatten (Friedrich Karl, Kronprinz und König Wilhelm) hinzu, die also den Stamm für die jetzige deutsche Flotte bilden.
Die Erweiterung des Reichs forderte auch eine entsprechende Erweiterung der Flotte an schwimmendem Material, nicht nur für den Kriegsfall, sondern auch für die Zwecke des Friedens, die Vertretung deutscher Interessen in fremden Meeren. Aus dieser Veranlassung entstand der Flottengründungsplan von 1873, ein Entwurf für die künftige Gestaltung der Reichsmarine; jedoch war ausdrücklich hervorgehoben, daß er nur als allgemeiner Anhalt dienen solle. Als Hauptzweck der Kriegsmarine wurde die Verteidigung der deutschen Küste bezeichnet; ein Angriffskrieg, welcher zu Seeschlachten in fremden Meeren führen müsse, war damit zwar ausgeschlossen, aber die Flotte sollte doch immer noch befähigt sein, in den heimischen Gewässern auch angriffsweise vorgehen und dem Feind eine Schlacht auf offener See liefern zu können.
Diese Aufgabe machte die Beschaffung einer Panzerflotte nötig, denn die Kampfstärke eines Schiffs ist nicht allein in der Wirkung seiner Geschütze, sondern auch in seiner Widerstandsfähigkeit gegen die Angriffe feindlicher Artillerie zu suchen. Dem damaligen Stande der Schiffsbautechnik und Seetaktik entsprechend, sollte bis 1882 eine Zusammensetzung der Flotte aus folgenden Schiffen erreicht werden: 8 Panzerfregatten, 6 Panzerkorvetten, 7 Monitoren oder Panzerkanonenboote und 2 schwimmende Batterien, ferner 20 Korvetten, 6 Avisos, 18 Kanonenboote, 28 Torpedofahrzeuge, 5 Schulschiffe.
Diesem Material entsprechend, sollte das Personal der Marine 1882 folgenden Friedensetat erreichen: 419 Offiziere, 20 Maschineningenieure, 90 Verwaltungsbeamte, 269 Deckoffiziere, 1325 Unteroffiziere, 6450 Mannschaften, 300 Schiffsjungen, 100 Seekadetten, 70 Lazarettgehilfen, 40 Ökonomiehandwerker. Hierbei sind das Seebataillon, das Zeug-, Feuerwerks- und Torpedopersonal außer Betracht gelassen. Für die Beschaffung der Schiffe mit Armierung und Ausrüstung, die Vollendung der Hafen- und Werftbauten in Wilhelmshaven, Kiel und Danzig und Anschaffung der erforderlichen Betriebsmittel, Materialien etc. für dieselben wurden 218,437,500 Mk. bewilligt.
Ein starres Festhalten an diesem Plan war bei der ungeahnten Entwickelung des Marinewesens im letzten Jahrzehnt unmöglich; das Staatsinteresse erforderte, daß den großen Fortschritten der Technik sowie den auf Grund von Erfahrungen veränderten Anschauungen im Seekriegswesen Rechnung getragen würde. Die 8 Panzerfregatten und 6 Panzerkorvetten kamen zur Ausführung; von erstern ist jedoch der Große Kurfürst gesunken, und ein Ersatzbau wird nicht beabsichtigt. An Stelle der Monitoren sind 13 Panzerkanonenboote beschafft worden, welche für den Küstenkrieg geschickter und wirksamer verwendbar sind. Die schwimmenden Batterien werden, weil
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sie den Torpedos gegenüber nicht mehr zeitgemäß sein würden, nicht gebaut. Inzwischen hatte sich das Torpedowesen im Gleichschritt mit dem Bau kleiner Dampfer von großer Fahrgeschwindigkeit außerordentlich entwickelt und sich als ein neues Element in die Kriegsmarine derart eingeführt, daß der Wert großer Panzerschiffe in demselben Grad einbüßte, wie der der Torpedoboote in taktischer Beziehung gewann. Dies war die Veranlassung zu der dem Reichstag 1884 vorgelegten »Denkschrift über die weitere Entwickelung der kaiserlichen Marine«, die in weiten Kreisen Aufsehen erregte und Anerkennung fand.
Sie forderte für die Beschaffung von 70 Torpedobooten, unterseeischen Torpedobatterien etc. 18,790,000 Mk., welche auch bewilligt wurden. Nach der Denkschrift soll die Torpedoflottille auf 150 Torpedoboote gebracht werden. Bis 1886 sollen die 70 fertig sein, und die Marine wird dann über 105 Torpedoboote, einschließlich der schon vorhandenen, verfügen. Diese Entwickelung unsers Flottenmaterials bedingte auch eine entsprechende Verstärkung des Personals; es hatte eine Stärke von 86 Flagg- und Stabsoffizieren, 97 Kapitänleutnants, 235 Leutnants (418 Offizieren), 137 Deckoffizieren, Feldwebeln etc., 658 Maaten, 5539 Mann (6334 Seeleuten), 2538 Mann der Werftdivisionen und 690 Mann Matrosenartillerie. Nach Fertigstellung aller Torpedoboote soll die Kriegsstärke betragen: 12 Admirale, 120 Stabsoffiziere, 217 Kapitänleutnants, 664 Leutnants (1015 Seeoffiziere), 53 Maschineningenieure, 154 Zahlmeister, 16,781 Mann Matrosendivisionen, 7221 Mann Werftdivisionen, 5076 Mann Matrosenartillerie, zusammen 29,078 Mann.
Ende 1884 wurde eine andre Einteilung und Benennung der Schiffe eingeführt. Die Flotte besteht jetzt (1885) aus folgenden Schiffen: I. 14 Panzerschiffen (früher 7 Panzerfregatten, 6 Panzerkorvetten und 1 Panzerfahrzeug Arminius);
II. 13 Panzerfahrzeugen (bisher Panzerkanonenboote);
III. 11 Kreuzerfregatten (bisher gedeckte Korvetten);
IV. 10 Kreuzerkorvetten (bisher Glattdeckskorvetten);
V. 5 Kreuzern (bisher Kanonenboote der Albatroßklasse);
VI. 5 Kanonenbooten (bisher Kanonenboote erster Klasse); VII. 8 Avisos; VIII. 1 Artillerieschiff, 7 Dampf- und 4 Segelschiffen als Schulschiffe. Dazu treten die Torpedoboote, deren Zahl nach und nach auf 150 gebracht werden soll. Entsprechend der allmählichen Erweiterung der Marine sowie in Veranlassung vermehrter Einstellung von Schiffsjungen und Rekruten der Landbevölkerung und der fortgeschrittenen technischen Anforderungen ist die Zahl der Schulschiffe erheblich vermehrt worden. Es sind jetzt Kadetten- und Schiffsjungen-, Artillerie-, Maschinen- und Torpedoschulschiffe vorhanden.
Die Aufgaben des diplomatischen und handelspolitischen Dienstes haben durch die Gründung deutscher Kolonien in West- und Ostafrika sowie im australischen Archipel einen bedeutenden Zuwachs erhalten und erfordern die Stationierung einer größern Anzahl von Schiffen, die nach Erfordern zu Geschwadern zusammengezogen werden, in diesen Gewässern. Außerdem sind noch im Mittelmeer (Konstantinopel), in Ostasien, Westindien und an der Westküste Südamerikas Schiffe stationiert. Es finden hierbei die Kreuzer, Kanonenboote, Avisos und ein Teil der Schulschiffe Verwendung.
Die oberste Behörde der Marine ist die Admiralität, deren »Chef« Oberbefehlshaber der Marine und Leiter ihrer Verwaltung ist; ihr sind unterstellt: die deutsche Seewarte in Hamburg und die Marinestationen der Ostsee und der Nordsee, erstere in Kiel, letztere in Wilhelmshaven. Jeder Marinestation ist eine Marineinspektion, diesen sind je eine Matrosen- und eine Werftdivision, aus 4 Kompanien bestehend, und die Schulschiffe sowie die Hafenbaukommission, die Werften, Fortifikation, Intendantur etc. unterstellt. Zur Marinestation der Ostsee gehört auch das Seebataillon (s. d.). Die Inspektion der Marineartillerie, welcher die beiden Matrosenartillerieabteilungen sowie die Artillerie-, Seeminen- und Torpedodepots mit den dazu gehörigen Werkstätten und das gesamte Zeug-, Feuerwerks- und Torpedopersonal unterstellt sind, sowie die Inspektion der Marinebildungsanstalten unterstehen der Admiralität.
Das Wappen des Deutschen Reichs bildet ein einköpfiger schwarzer Adler mit rotem Schnabel nebst roten Fängen und dem preußischen Adler in silbernem Schild auf der Brust; im Wappen des preußischen Adlers das Wappen von Hohenzollern; über dem Ganzen die goldene Kaiserkrone mit goldenem Band. Eine genaue Beschreibung des deutschen Reichsadlers und des Kaiserwappens enthält das Erklärungsblatt zu beifolgender Tafel. - Die Flagge der deutschen Marine ist schwarz-weiß-rot (die Kriegsflagge mit dem preußischen Adler und dem Eisernen Kreuz); eine Übersicht der deutschen Flaggen gibt unsre Tafel »Flaggen I«.
Vgl. Graf Stillfried, Die Attribute des neuen Deutschen Reichs (3. Aufl., Berl. 1882).
Litteratur zur Geographie und Statistik.
K. F. V. Hoffmann, Deutschland und seine Bewohner (Stuttg. 1834-36, 4 Bde.);
v. Hoff, Deutschland in seiner natürlichen Beschaffenheit, seinem frühern und jetzigen politischen Verhältnis (Gotha 1838);
Winderlich, Das deutsche Land und seine Bewohner (3. Aufl., Leipz. 1852);
Kutzen, Das deutsche Land (3. Aufl., Bresl. 1880);
Brachelli, Deutsche Staatenkunde (Wien 1856, 2 Bde.): Berghaus, Deutschland und seine Bewohner (Berl. 1860, 2 Tle.);
Derselbe, Deutschland seit hundert Jahren (Leipz. 1860-61, 2 Bde.);
Daniel, Deutschland nach seinen physischen und politischen Verhältnissen (5. Aufl., das. 1878, 2 Bde.);
v. Cotta, Deutschlands Boden (2. Aufl., das. 1858, 2 Bde.);
v. Dechen, Die nutzbaren Mineralien und Gebirgsarten im Deutschen Reich (Berl. 1873);
v. Festenberg-Packisch, Der deutsche Bergbau (das. 1885);
Delitsch, Deutschlands Oberflächenform (Bresl. 1880);
»Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde« (hrsg. von Lehmann, Stuttg. 1885 ff.);
Böckh, Der Deutschen Volkszahl und Sprachgebiet in den europäischen Staaten (Berl. 1870);
Neumann, Das Deutsche Reich in geographischer, statistischer etc. Beziehung (das. 1874, 2 Bde.);
Derselbe, Geographisches Lexikon des Deutschen Reichs (Leipz. 1883);
Brunkow, Die Wohnplätze des Deutschen Reichs (Berl. 1880 ff.);
die vom kaiserlichen Statistischen Amt herausgegebene »Statistik des Deutschen Reichs« und »Statistisches Jahrbuch« (seit 1881);
über die Reichsbehörden das jährlich erscheinende amtliche »Handbuch des Deutschen Reichs«, dazu Velhagen u. Klasings »Kleines Staatshandbuch des Deutschen Reichs und der Einzelstaaten«;
über das Reichsstaatsrecht die Werke von Rönne (2. Aufl., Leipz. 1876, 2 Bde.), Laband, Zorn;
Störk, Handbuch der deutschen Verfassungen (das. 1884);
Baumbach, Staatslexikon (das. 1882, populär), u. a.
[Karten.]
Die besten Karten lieferten außer den Generalstabskarten Reymann (Zentraleuropa in 423 Blättern, 1:200,000, seit 1825; 1874 in den Besitz des preußischen Generalstabs übergegangen), Liebenow (Zentraleuropa in 164 Blättern, 1:300,000, Hannov. seit 1869), Stieler (Atlas von Deutschland, 1:750,000, Gotha 1876, 25 Karten), Ravenstein (Atlas des
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Deutschen Reichs, 1:850,000, Leipz. 1883, 10 Blätter). Eine von der kartographischen Abteilung der königlich preußischen Landesaufnahme herausgegebene Karte des Deutschen Reichs in 1:100,000 erscheint seit 1880. Wandkarten: »Post- und Eisenbahnkarte des Deutschen Reichs«, 1:600,000 (offiziell, Berl. 1873-76, 12 Blätter);
von Petermann (Gotha),
H. Wagner (das.),
Kiepert (Berl.),
Handtke (Glogau) u. a.;
Dechen, Geologische Karte von Deutschland (Berl. 1869, 2 Blätter);
Andree und Peschel, Physikalisch-statistischer Atlas von Deutschland (Leipz. 1877);
»Atlas der Bodenkultur des Deutschen Reichs« (hrsg. vom kaiserlichen Statistischen Amt, Berl. 1881, 15 Karten);
Kiepert, Völker- und Sprachenkarte von Deutschland (das. 1874).
Geschichte Deutschlands.
Übersicht der deutschen Könige und Kaiser.
Sächsisches Haus: | |
---|---|
919-936 | Heinrich I. |
936-973 | Otto I. |
973-983 | Otto II. |
983-1002 | Otto III. |
1002-1024 | Heinrich II. |
Fränkisches Haus: | |
1024-1039 | Konrad II. |
1039-1056 | Heinrich III. |
1056-1106 | Heinrich IV. |
1106-1125 | Heinrich V. |
- | |
1125-1137 | Lothar II. v. Sachsen |
Hohenstaufen: | |
1138-1152 | Konrad III. |
1152-1190 | Friedrich I. |
1190-1197 | Heinrich VI. |
1198-1208 | Philipp v. Schwaben; zugleich: |
1198-1215 | Otto VI. v. Braunschweig |
1215-1250 | Friedrich II. |
1250-1254 | Konrad IV. |
- | |
1273-1291 | Rudolf v. Habsburg |
1292-1298 | Adolf von Nassau |
1298-1308 | Albrecht I. v. Österreich |
1308-1313 | Heinrich VII. von Luxemburg |
1314-1346 | Ludwig IV. deutschland Bayer; zugleich: |
1314-1330 | Friedrich der Schöne von Österreich |
Luxemburger: | |
1346-1378 | Karl IV. |
1378-1400 | Wenzel |
- | |
1400-1410 | Ruprecht von der Pfalz |
1410-1437 | Siegmund von Luxemburg |
Habsburger: | |
1438-1439 | Albrecht II. |
1440-1493 | Friedrich III. |
1493-1519 | Maximilian I. |
1519-1556 | Karl V. |
1556-1564 | Ferdinand I. |
1564-1576 | Maximilian II. |
1576-1612 | Rudolf II. |
1612-1619 | Matthias |
1619-1637 | Ferdinand II. |
1637-1657 | Ferdinand III. |
1658-1705 | Leopold I. |
1705-1711 | Joseph I. |
1711-1740 | Karl VI. |
- | |
1742-1745 | Karl VII. v. Bayern |
Habsburg-Lothringer: | |
1745-1765 | Franz I. |
1765-1790 | Joseph II. |
1790-1792 | Leopold II. |
1792-1806 | Franz II. |
- | |
Haus Hohenzollern: | |
Seit 1871 | Wilhelm I., König von Preußen. |
Der Name »Deutsch« (s. d.) kommt für die Sprache der das ostfränkische Reich bildenden germanischen Stämme erst im 9. Jahrh. unsrer Zeitrechnung auf, für das aus demselben gebildete Volk und Reich erst im 10. Jahrh. Streng genommen darf man nur von König Heinrich I. (919-936) an, dem Begründer der sächsischen Dynastie, von einer »deutschen Geschichte« reden. Bis dahin bildeten die Stämme, aus welchen das deutsche Volk erwuchs, bloß einen Teil der großen germanischen Völkerfamilie, welche in ältester Zeit ganz Mittel- und Nordeuropa bewohnte, und welcher auch die zahlreichen Stämme angehörten, die zur Zeit der Völkerwanderung mächtige germanische Reiche in Italien, Gallien, Britannien, Spanien und Afrika gründeten.
Nur ein kleiner Teil der Germanen blieb in den alten Wohnsitzen, von denen das ganze Gebiet östlich der Elbe überhaupt geräumt und durch die Slawen in Besitz genommen wurde. Während die meisten in das römische Reich eingedrungenen Germanen (mit Ausnahme der Angelsachsen) zu Grunde gingen und gänzlich verschollen oder, mit den Romanen in Sprache und Kultur verschmolzen, ihre germanische Nationalität verloren, teilten sich die in dem ursprünglich germanischen Gebiet zurückgebliebenen Germanen in zwei Gruppen, die Nordgermanen (Skandinavier) und die Süd- oder Westgermanen, welche letztern in der Zeit vom 5.-8. Jahrh. unter der Herrschaft des Frankenreichs vereinigt wurden und dadurch eine engere politische Zusammengehörigkeit gewannen.
Diese wurde verstärkt, als durch die Teilungsverträge von Verdun (843) und Mersen (870) die Stämme des Frankenreichs, welche ihre germanische Nationalität bewahrt hatten, von den romanisierten endgültig getrennt wurden, und führte endlich zur Bildung einer neuen Nationalität, des deutschen Volkes, das sprachlich allerdings zunächst noch in eine hochdeutsche und eine niederdeutsche Hälfte geteilt war, allmählich aber auch in dieser Beziehung durch das Übergewicht des Hochdeutschen und dessen Erhebung zur allgemein gültigen Schriftsprache zu einem einheitlichen Ganzen verschmolz.
Vorgeschichte (bis 919).
Die erste Kunde von dem Gebiet der Nordsee und einem an deren Südostküste wohnenden Völkerstamm, welcher sich von den bis dahin der Welt des Altertums bekannten Völkern als einer eigenartigen Nationalität angehörig unterschied, hat uns der griechische Geograph Pytheas von Massilia überliefert, der im 4. Jahrh. v. Chr. in jene Gegenden vordrang. Die benachbarten Kelten und demnächst die Römer legten diesem Völkerstamm den Namen Germanen (s. d.) bei. Die West- und Südgrenze desselben reichte aber in ältester Zeit durchaus nicht so weit nach Westen und Süden wie jetzt.
Der Rhein bildete im Westen, die Gegend am Main im Süden die Grenze der festen Wohnsitze, welche allerdings bald von verschiedenen Stämmen überschritten wurde, die teils keltische Völkerschaften verdrängten, teils sich unter ihnen niederließen und mit ihnen verschmolzen. Einige Stämme, wie die Cimbern und Teutonen (s. d.), drangen sogar bis an die Grenzen des römischen Weltreichs vor und wurden erst nach langen blutigen Kämpfen 102 und 101 v. Chr. vernichtet.
Eine andre Germanenschar, die unter dem Suevenfürsten Ariovist sich im innern Gallien festgesetzt und einen beträchtlichen Teil des Landes sich unterworfen hatte, ward 58 v. Chr. von Cäsar am Oberrhein besiegt, worauf dieser alle auf das linke Rheinufer vorgedrungenen Germanen teils ausrottete, teils unterjochte. Das linke Rheinufer wurde darauf in die beiden römischen Provinzen Germania superior und Germania inferior eingeteilt. Das jenseit des Rheins gelegene eigentliche Gebiet der Germanen hieß Germania magna.
Den westlichsten Teil desselben zwischen Rhein und Elbe, Donau und Nordsee bewohnten die drei Hauptvölker der Istävonen, Ingävonen und Hermionen, denen den Wohnsitzen nach die spätern Gesamtnamen der Franken am Rhein, der Sachsen an der Nordsee, der Thüringer im Mittelland entsprechen. Auch die dazu gehörigen Stämme haben an der Völkerwanderung teilgenommen, insofern die Franken sich über Belgien und das nördliche Gallien ausbreiteten und die Sachsen nach Britannien übersetzten. Indes die Hauptmassen dieser Stämme haben ihre ältesten Wohnsitze und vereinzelt auch ihre Volksnamen, welche zu landschaftlichen geworden sind, festgehalten, so die Hermunduren, d. h. Thüringer, die Katten (Hessen), Friesen, Sachsen, Angrivarier (Angeln) u. a. Diese westlichen Stämme der Germanen führten ein durchaus seßhaftes Leben, trieben Ackerbau und Viehzucht und hatten eine wohlgeordnete,
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auf der Stammesgemeinde beruhende Verfassung. Ihre Unabhängigkeit von den Römern bewahrten sie sich, nachdem Drusus und Tiberius das Gebiet südlich der Donau völlig unterworfen und auch die Stämme zwischen Rhein und Weser größtenteils zur Anerkennung der römischen Oberhoheit bewogen hatten, durch den Sieg des Cheruskerbundes unter Arminius über die Legionen des Varus im Teutoburger Wald (9 n. Chr.) und die tapfere Verteidigung gegen die Heerzüge des Germanicus (14-16). Nur das Mündungsgebiet des Rheins und die Landschaften zwischen Mittelrhein und oberer Donau, das sogen. Zehntland (agri decumates), gelang es dem römischen Reich einzuverleiben und zu romanisieren.
Zahlreiche andre Germanenstämme bewohnten die weiten Ebenen östlich der Elbe bis über die Weichsel hinaus und am Nordfuß der Karpathen entlang bis zur untern Donau, so: die Langobarden, Semnonen, Markomannen, Quaden, Bastarner, Burgundionen, Skiren, Goten, Vandalen u. a. Von diesen ostgermanischen Völkern, welche einen wenig ergiebigen, zum Teil sandigen und sumpfigen Boden bewohnten und weniger von Ackerbau als von Jagd und Viehzucht lebten, daher schon früh Beutezüge in das Gebiet des römischen Reichs unternahmen und sich auf demselben neue fruchtbare Wohnsitze zu erobern suchten, ist hauptsächlich die große Bewegung der Völkerwanderung (s. d.) ausgegangen, welche teils mit dem völligen Untergang, teils mit der Romanisierung dieser Völker endete.
Nur Reste der Markomannen und Quaden haben sich in dem germanischen Stamm der Bayern erhalten. Die Bayern, der aus rheinischen Germanenstämmen entstandene Völkerbund der Alemannen, die Thüringer, Sachsen und Franken bildeten nach der Völkerwanderung den im heutigen Deutschland zurückgebliebenen Rest der Germanen, die das ganze Gebiet östlich der Elbe, der Saale und des Böhmerwaldes den Slawen eingeräumt, dafür aber durch das Vordringen der Bayern im Alpengebiet, der Alemannen auf das linke Ufer des Oberrheins und die Ausbreitung der Franken über das Gebiet der Mosel, Maas und des Niederrheins ihre Grenzen nach Westen beträchtlich erweitert hatten.
Das von Chlodwig begründete Reich der Franken (s. d.) reichte noch bedeutend weiter nach Süden und Westen und umfaßte nach der Besiegung der Westgoten und der Zerstörung des Burgunderreichs ganz Gallien bis zum Mittelmeer und zur Garonne. Indes die Eroberer nahmen im eigentlichen Gallien Sprache und Sitten der Romanen an und gingen für das Germanentum verloren. Anderseits gelang es den im Rhein- und Maasgebiet gebliebenen Franken, 496 die Alemannen, 530 die Thüringer sich zu unterwerfen und in der Mitte des 6. Jahrh. auch das Herzogtum Bayern in Abhängigkeit von sich zu bringen und so eine kompakte Masse germanischer Elemente im Frankenreich zu vereinigen, welche ihre nationale Eigenart treu bewahrten.
Selbst das Christentum, welches sich seit dem 7. Jahrh. langsam auch im östlichen Teil des Frankenreichs verbreitete, im 8. Jahrh. von Bonifacius in Alemannien, Bayern und Thüringen dauernd begründet wurde und eine mit dem römischen Bistum eng verbundene kirchliche Organisation erhielt, beseitigte bloß die alte heidnische Religion, schmiegte sich aber im übrigen der volkstümlichen Anschauung an, und die christlichen Priester beeiferten sich, die einheimische Sprache der neuen Lehre dienstbar zu machen. Die politischen und Rechtsverhältnisse der alten Zeit wurden unter der merowingischen Herrschaft wenig verändert. In keiner Weise wurde also die Kontinuität der allmählichen Entwickelung einer höhern Kultur unterbrochen.
Die Regierung Karls d. Gr. (768-814), des Sohns und Nachfolgers des Begründers der karolingischen Dynastie, Pippins des Kurzen, brachte in die Kulturentwickelung eine raschere Bewegung und einen höhern Aufschwung. Nachdem in langwierigen, blutigen Kämpfen der letzte Germanenstamm in Mitteleuropa, die Sachsen, dem Christentum und der fränkischen Herrschaft unterworfen worden, waren sämtliche Reste der Südgermanen unter Einem Reich vereinigt und ihre Verschmelzung angebahnt.
Ein zusammenhängendes Gebiet von der Elbe und dem Böhmerwald bis zur Mosel und Maas, von der Nordsee bis zum Südabhang der Alpen bewohnend, konnten sie der Romanisierung mit Erfolg widerstehen, während die politische Verbindung mit Gallien und Italien die Aufnahme der christlichen und antiken Kulturelemente beförderte, durch welche der Grund zu einer nationalen geistigen Bildung gelegt wurde. Der Träger derselben war der geistliche Stand. Die Gauverfassung, welche Karl seinem Reiche gab, regelte die Berufung des Heerbannes und das gerichtliche Verfahren.
Die Errichtung von militärisch organisierten Grenzländern (Marken), besonders nach Osten zu, bereitete die Rückeroberung großer an die Slawen verlorner Gebiete für das Germanentum vor. Obwohl nur einen Teil des christlichen Weltreichs bildend, welches Karl d. Gr. schuf, erstarkte doch das germanische Volkstum unter seiner Herrschaft bis zur Fähigkeit, als einheitliches Ganze selbständig weiterzuexistieren, als unter Karls Nachfolgern das fränkische Reich zerfiel.
Der Vertrag von Verdun (843), welcher dasselbe unter Ludwigs des Frommen Söhne Lothar, Ludwig den Deutschen und Karl den Kahlen teilte, ließ zwar noch ein Mittelreich bestehen, welches romanische und germanische Volksteile umfaßte, schied aber bereits das rein germanische Ostfranken, das östlich des Rheins gelegene Gebiet, von dem romanischen Westfranken. Als 870 im Vertrag von Mersen Lothringen, das Land zwischen Rhein, Mosel, Maas und Schelde, zwischen Ludwig dem Deutschen und Karl dem Kahlen so geteilt wurde, daß ersterer alles Land zwischen Rhein, Mosel und Maas erhielt, bildete fortan die Grenze, wo die romanische und die deutsche Sprache sich schieden, auch die Landesgrenze zwischen Westfranken (Frankreich) und Ostfranken, das damals zwar noch nicht Deutschland hieß, aber, weil es alle Südgermanen in fünf Stämmen, Franken, Alemannen, Bayern, Sachsen und Lothringern, umfaßte, als die älteste Gestaltung eines selbständigen Deutschland angesehen werden kann.
Das ostfränkische Reich drohte freilich bald ebenso zu zerfallen wie das Reich Karls d. Gr., teils infolge der Teilung nach Ludwigs des Deutschen Tod (876), teils durch die von außen drängenden Feinde. Zwar starben die ältern Söhne Ludwigs des Deutschen, Karlmann und Ludwig, bald und rasch hintereinander, und Karl der Dicke (876-887) erbte das ganze Ostfrankenreich. Indem dieser, zum Kaiser gekrönt und von den westfränkischen Großen zum König erwählt, nach Wiederherstellung des karolingischen Weltreichs strebte, ohne sich im geringsten seiner erhabenen Stellung würdig zu zeigen, vernachlässigte er das ostfränkische Reich und überließ es den Einfällen der Normannen, Mähren und Magyaren, gegen welche sich die einzelnen Stämme selbst zu wehren genötigt waren. An die Spitze dieser Stämme hatten sich alte, durch Besitz und Adel hervorragende Geschlechter
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gestellt und den durch Karl d. Gr. unterdrückten Titel der Herzöge wieder erneuert. Sie regierten den Stamm und setzten sich meist auch in den Besitz der in dessen Gebiet belegenen ehemaligen königlichen Güter. Gestützt auf die noch keineswegs verwischten Unterschiede der Stämme, welche nicht einmal durch Eine Sprache verbunden waren, beanspruchten sie fast königliche Selbständigkeit. Der König behielt nur so viel Macht und Ansehen, als er durch persönliche Tüchtigkeit und tapfere Thaten zu erringen vermochte. So besiegte Karls des Dicken Neffe, König Arnulf von Kärnten (887-899), die Normannen bei Löwen an der Dyle 891, worauf dieselben die deutschen Küsten mit ihren räuberischen Einfällen verschonten, vernichtete 894 das Mährenreich Swatopluks und erlangte die Kaiserkrone.
Ihm ordneten sich die Herzöge bereitwilligst unter, nicht so seinem unmündigen Nachfolger Ludwig dem Kind (899-911). Bloß die hohe Geistlichkeit, an ihrer Spitze Erzbischof Hatto von Mainz, hielt an der Einheit des Reichs und an der königlichen Autorität fest. Selbst mit blutiger Strenge war es kaum möglich, die Macht der herzoglichen Geschlechter zu bezwingen. Freilich zeigten die schrecklichen Niederlagen, welche die Stammesherzöge in ihren Einzelkämpfen gegen die Magyaren erlitten, daß nur vereinte Kraft die drohende Gefahr der völligen Vernichtung durch die Barbarenhorden abzuwenden vermochte.
Gleichwohl war der nationale Zusammenhang zwischen den Stämmen des ostfränkischen Reichs schon so gelockert, daß 911, nach dem Tod Ludwigs des Kindes, mit welchem der ostfränkische Zweig der Karolinger erlosch, nur die zwei Stämme der Franken und Sachsen die Reichseinheit aufrecht zu erhalten sich entschlossen und zu einer neuen Königswahl schritten. Noch war das Übergewicht der Franken so bedeutend, daß nicht der edle sächsische Herzog Otto der Erlauchte, sondern der Herzog von Franken aus dem Geschlecht der Konradiner gewählt wurde. Er bestieg als Konrad I. (911-918) den Thron.
Seine Bemühungen, die Rechte des Reichs und des Königtums wahrzunehmen und alle ostfränkischen Stämme wieder unter seine Hoheit zu bringen, waren jedoch erfolglos; denn mit Strenge und Gewalt die Herzöge zu unterjochen, dazu war seine Macht zu gering, zumal er sich mit seinem einzigen Verbündeten, dem Herzog von Sachsen, verfeindete. Lothringen ging an Westfranken verloren, Bayern und Schwaben vermochte Konrad weder gegen die Magyaren zu verteidigen, noch zur Anerkennung seiner Herrschaft zu zwingen.
Als er 918 starb, lies er das ostfränkische Reich arg zerrüttet und dem Zerfall nahe zurück. Der nationale Zusammenhang der südgermanischen Stämme war nicht gewachsen, sondern geschwächt, die Grenzen bedroht, die Kultur durch Verwilderung des Volkes und die Eroberungszüge der benachbarten Barbaren gefährdet. Die Organisation eines dem Königtum ergebenen Beamtentums, die Karl d. Gr. geschaffen, war gänzlich zu Grunde gegangen; die Unterordnung des Adels unter das Stammesherzogtum und der Herzöge unter das Königtum beruhte durchaus auf dem Lehnsverhältnis, dessen Herrschaft eine feste politische Staatsform ausschloß und die Gemeinfreien des Volkes dem öffentlichen Leben mehr und mehr entfremdete und ihrer alten Rechte beraubte. Das ostfränkische Reich mußte von kräftiger Hand neu begründet werden, wenn es weiter bestehen sollte, und diese Neubegründung ist das Verdienst der sächsischen Dynastie, unter der das Reich nun auch den Namen eines »deutschen« erhielt.
Die Gründung des Deutschen und des Heiligen Römischen Reichs durch die sächsischen Kaiser. 919-1024.
Auf dem Sterbebett hatte Konrad I. nach seiner unglücklichen Regierung Deutschland wenigstens noch den großen Dienst geleistet, daß er seinen Bruder Eberhard verpflichtete, nicht selbst nach der Krone zu streben, sondern die Reichskleinodien dem Sachsenherzog Heinrich zu überbringen, da dieser allein sie mit Ehren würde tragen können. Der sächsische Stamm war unter allen deutschen Stämmen der kräftigste. Zwischen Rhein und Elbe bewohnte er ein ausgedehntes, in sich geschlossenes Gebiet; die unaufhörlichen Kämpfe mit Normannen und Slawen erhielten beim Volk den alten Kriegsmut.
Die Anhänglichkeit an das angestammte Herzogsgeschlecht der Ludolfinger verschaffte diesem eine Macht, wie sie kein andres Stammesherzogtum besaß. Und der damalige Träger dieser Würde, Ottos des Erlauchten Sohn Heinrich, war ein durch Tapferkeit und besonnene Mäßigung ausgezeichneter Fürst, der den Schwierigkeiten der königlichen Herrschaft wohl gewachsen war. So wählten denn Franken und Sachsen, zu Fritzlar an der Grenzscheide sächsischen und fränkischen Gebiets versammelt, im April 919 diesen Herzog als Heinrich I. zum deutschen König.
Nicht durch schroffe Geltendmachung alter Königsrechte und blutige Strenge gegen die Stammesherzöge wollte Heinrich die Einheit des Reichs wiederherstellen, sondern durch Anerkennung derselben in bestimmten Schranken sie zu gewinnen suchen. Er schonte die Stammeseigentümlichkeiten, die in Deutschland nun einmal vorhanden waren, und begnügte sich, gestützt auf die fast königliche Macht, die er in Sachsen und Thüringen besaß, mit der Unterordnung der Herzöge unter seine Oberhoheit.
Wie er Eberhard von Franken, dem er die Krone verdankte, als Herzog bestätigte, so beließ er auch Burchard im Besitz des Herzogtums Schwaben, als derselbe 920 ihm als Oberherrn huldigte, und behielt sich bloß die in Schwaben gelegenen königlichen Domänen und die Besetzung der Bistümer als sein Recht vor; die letztere gestand er noch Arnulf von Bayern zu, als derselbe bei einer friedlichen Besprechung in Regensburg sich zur Anerkennung seines Königtums bequemte. 925 gelang es ihm endlich, auch Herzog Giselbert von Lothringen, der sich dem westfränkischen Reich angeschlossen, nun aber von dem schwachen König Karl dem Einfältigen keine Hilfe zu erwarten hatte, für Deutschland wiederzugewinnen und durch Vermählung mit seiner Tochter Gerberga an sein Haus zu fesseln. So hatte er die fünf großen Herzogtümer, welche seit 870 das ostfränkische Reich bildeten, wieder zu einem Ganzen vereinigt und einen Grund gelegt, auf dem seine Nachfolger weiterbauen konnten.
Nun wendete er sich der Sicherung der Grenzen seines Reichs zu. Als die Magyaren 924 wieder einen Einfall in Sachsen gemacht hatten, schloß Heinrich mit ihnen einen Waffenstillstand auf neun Jahre, während dessen er sich sogar zu einem Tribut bequemte, nur um Zeit zu gewinnen für die Vorbereitung zum Entscheidungskampf. Es galt vor allem, die Sachsen und Thüringer wieder wehrhaft zu machen. Er erneuerte daher die alten Ordnungen des Heerbannes und gewöhnte seine Krieger an den Kampf zu Roß, in welchem allein sie den Ungarn mit Erfolg begegnen konnten. Er schützte das offene Land durch Anlage von Städten und Burgen und unternahm, sowohl um sein Heer im Krieg zu üben, als um die Ostgrenze Sachsens zu sichern, 928-929 mehrere Feldzüge gegen die slawischen Völkerschaften zwischen Elbe und Oder; er bezwang die Heveller und die Daleminzier, legte in ihrem
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Gebiet Marken an und nötigte den Herzog von Böhmen zur Huldigung. Als 933 nach Ablauf des Waffenstillstandes die Magyaren von neuem in Thüringen einfielen, konnte ihnen Heinrich mit einem trefflichen Reiterheer entgegentreten und durch den glänzenden Sieg bei Riade in der Goldenen Aue Norddeutschland für immer von ihren Einfällen befreien. Nachdem Heinrich auf einem siegreichen Feldzug gegen die Dänen die Mark Schleswig gegründet und für die Nachfolge seines Sohns Otto die Zustimmung der Großen gewonnen hatte, starb er 936 in Memleben.
Die förmliche Königswahl Ottos I. (936-973) fand in Aachen statt, wo sich der neuerwählte König auch krönen ließ. Die königliche Macht war schon so gekräftigt, die Einheit der Stämme hatte so feste Wurzeln geschlagen, daß niemand dem neuen Herrscher den Gehorsam verweigerte und dieser die Herzöge als seine Lehnsträger betrachten durfte, die ihm bei Tisch und Hof die persönlichen Dienste der höchsten Hofbeamten zu leisten hatten. Nur die slawischen Grenzvölker benutzten den Thronwechsel zu erfolglosen Versuchen des Abfalles, die Magyaren zu einigen Plünderungszügen.
Erst ein Streit mit Eberhard von Franken entzündete im Innern des Reichs einen Aufruhr, an dem außer Eberhard die Brüder des Königs, Thankmar und Heinrich, Herzog Giselbert von Lothringen und Erzbischof Friedrich von Mainz teilnahmen, in den sich auch der westfränkische König einmischte, und der das Werk Heinrichs I. wieder zu zerstören drohte. Indes gelang es der unerschütterlichen Standhaftigkeit und Tapferkeit Ottos, dem nicht bloß seine Sachsen, sondern auch Große aus andern Stämmen treu zur Seite standen, die Empörung niederzuwerfen und damit die Herzogsgewalt unter die des Königs zu beugen.
Die Herzöge waren fortan Beamte und Vertreter des Königs, denen überdies Pfalzgrafen zur Seite gestellt wurden, welche die königlichen Güter verwalteten, an des Königs Statt Gericht abhielten und die Herzöge überwachten und beschränkten. In Franken wurde nach Eberhards Tod (939) die herzogliche Würde überhaupt beseitigt und das Land vom König selbst verwaltet; die übrigen Herzogtümer verlieh er nach ihrer Erledigung an Männer, die ihm nahe verwandt oder unbedingt ergeben waren, so: Bayern seinem Bruder Heinrich, Schwaben seinem Sohn Liudolf, Lothringen seinem Schwiegersohn Konrad dem Roten, dann seinem Bruder Bruno, Sachsen dem tapfern Grafen Hermann Billung.
Die Abzweigung oder Neugründung von Markgrafschaften, die Teilung einiger Herzogtümer beseitigten nach und nach die Gefahr eines Zerfalles des Reichs in die großen Stammesherzogtümer völlig. Endlich suchte Otto eine Stütze für die monarchische Autorität in der hohen Geistlichkeit, welche, vom König nach Gutdünken zu ihren Würden ernannt, von ihm ganz abhängig war und, im Besitz höherer Bildung und weniger von Egoismus und Habgier beherrscht, den wahren Interessen des Reichs eine größere Einsicht und Teilnahme entgegenbrachte.
Eine festgefugte, durch Gesetze und Herkommen genau geregelte Organisation fehlte auch diesem Staatswesen wie fast allen mittelalterlichen Reichen; die staatliche Kraft beruhte vielfach bloß auf persönlichen Beziehungen, die immer etwas Zufälliges und Schwankendes an sich hatten. Anderseits vermochte ein energischer Geist wie der Ottos einem solchen Gemeinwesen rasch einen außerordentlichen Aufschwung zu geben, und dies bewährte sich zunächst in der kraftvollen Entwickelung der deutschen Macht nach außen.
Die Wenden zwischen Elbe und Oder wurden der deutschen Herrschaft und dem Christentum unterworfen und die Kolonisation ihres Gebiets begonnen. Die Bistümer Havelberg, Brandenburg, Merseburg, Meißen und Zeitz (Naumburg) wurden gegründet und später (968) dem Erzstift Magdeburg unterstellt. Wie der Herzog von Böhmen, mußten auch der von Polen und der Dänenkönig Deutschlands Oberhoheit anerkennen. Nach Norden hin wurde die christliche Kultur durch Errichtung der Bistümer Oldenburg (Lübeck), Schleswig, Ripen und Aarhus ausgebreitet. Der glorreiche Sieg über die Magyaren auf dem Lechfeld bei Augsburg (10. Aug. 955) sicherte Deutschland für immer vor den Einfällen dieser Barbaren, welche sich fortan in festen Wohnsitzen an der Donau und Theiß niederließen.
Bis zur mittlern Donau und bis nach Istrien und Friaul dehnte Herzog Heinrich von Bayern die Herrschaft der christlichen Kultur und des deutschen Namens aus. Obwohl in jener Zeit gewaltigster Erhebung der deutschen Kraft die Stämme des Reichs sich zuerst mit dem Gesamtnamen der Deutschen zu bezeichnen begannen, so beschränkte sich der Ehrgeiz des Königs und seines Volkes doch nicht darauf, ein einheitliches Reich zu schaffen und seine Grenzen möglichst auszubreiten, sondern faßte sofort höhere Ziele ins Auge, vor allen die Ausbreitung der Herrschaft des deutschen Königs über die Nachbarlande und die Erwerbung der Kaiserkrone.
Das Mittelalter war ganz vom christlich-universalen Geist erfüllt, wie er sich im römischen Weltreich ausgebildet und in der germanischen Welt in Karl d. Gr. seinen glänzendsten Vertreter gefunden hatte. Die christliche Welt des Abendlandes sollte Ein Ganzes, Einen Leib bilden, der auf eine Nation beschränkte Staat erschien dem Mittelalter nie als politisches Endziel. Sowie daher Deutschland das politische Übergewicht in Mitteleuropa erlangt hatte, sobald der deutsche König von den burgundischen und italienischen Großen als Schiedsrichter angerufen wurde und in Frankreich den vertriebenen König wieder hatte einsetzen können, hielt er sich auch für berufen, das Werk Karls d. Gr. zu erneuern und die christlichen Völker des Abendlandes unter seinem Zepter zu vereinigen. Zu diesem Zweck unternahm er 951 seinen ersten Zug über die Alpen nach Italien, auf welchem er nebst der Hand der italienischen Königswitwe Adelheid die Lehnshoheit über das Königreich erwarb.
Auf dem zweiten Zug stürzte er den Lehnskönig Berengar, nahm mit der lombardischen Krone die unmittelbare Herrschaft über Italien an sich und ließ sich 962 in Rom von Papst Johann XII. zum römischen Kaiser krönen. Er erneuerte damit das Kaisertum Karls d. Gr., das selbst nur eine Wiederherstellung des weströmischen Kaiserreichs gewesen war, und stiftete das Heilige Römische Reich deutscher Nation, welches sich von dem alten römischen Reich dadurch unterschied, daß das herrschende Volk nicht mehr die Römer, sondern die Deutschen waren, deren König von selbst auch König von Italien war und ein Anrecht auf die Kaiserkrone hatte, aber ebenso wie jenes auf die Herrschaft über alle Länder des christlichen Abendlandes Anspruch erhob.
Ohne Zweifel hat das deutsche Volk, indem es sich fortan dieser universalen Aufgabe widmete, der Erbe der alten Römer zu sein, einen mächtigen Aufschwung genommen und die Entwickelung seiner Zivilisation durch die eifrige Pflege der antiken Kulturelemente, welche es in Italien noch vorfand, sehr gefördert, auch durch den Versuch der Organisation eines Weltreichs und durch die Errettung der Kirche aus völligem Verfall zur Entfesselung der geistigen Kräfte
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des Abendlandes sowie zur Begründung einer allgemeinen christlichen Kultur im Mittelalter wesentlich beigetragen. Aber wie alle Nationen, die sich zu ausschließlich dem Dienst einer weltgeschichtlichen Idee hingeben, so hat auch die deutsche ihrer Stellung an der Spitze des Abendlandes schwere Opfer bringen müssen und ihre gesunde politische und materielle Entwickelung dauernd geschädigt. Nicht bloß, daß in den Kämpfen um Italien unzählige deutsche Heere zu Grunde gegangen sind: verhängnisvoller war, daß die Deutschen ihren wichtigsten Lebensinteressen entfremdet wurden;
die großartig begonnene Kolonisation an der Ostgrenze geriet ins Stocken, die politischen Institutionen wurden nicht befestigt und weiter ausgebildet, die untern Stände den mächtigen Vasallen wehrlos preisgegeben und Deutschland fort und fort durch jede auswärtige Verwickelung auch in innere Unruhen und Wirren gestürzt.
Die Aufgabe, die Otto auf sich geladen, war sogar für ihn fast zu schwierig. Seit seiner Kaiserkrönung mußte er sich beinahe ausschließlich in Italien aufhalten, um immer neue Empörungen zu unterdrücken, und vermochte doch nicht die südlichen Provinzen Kalabrien und Apulien dem griechischen Kaiserreich zu entreißen. Wieviel weniger waren seine Nachfolger der Stellung gewachsen. Sein 18jähriger Sohn Otto II., der ihm 973 folgte, war bereits gewählt und gekrönt und trat daher ohne Schwierigkeit die Regierung an. Er verband mit seiner Bildung einen energischen, thatkräftigen Geist.
Eine Empörung seines Vetters, Herzog Heinrichs des Zänkers von Bayern, unterdrückte er und schwächte Bayern durch Abtrennung Österreichs, das als Markgrafschaft den Babenbergern gegeben wurde, und Kärntens, das er zum selbständigen Herzogtum erhob. Er bezwang aufs neue die Böhmen und Dänen und strafte einen treulosen Überfall des französischen Königs Lothar durch einen Rachezug bis vor die Thore von Paris (978). Als er aber 980 nach Italien zog und 982 die Eroberung Süditaliens unternahm, erlitt er südlich von Cotrone durch die Sarazenen eine völlige Niederlage, und ehe er sie rächen konnte, starb er 983 in Rom, einen dreijährigen Sohn, Otto III., hinterlassend, der zwar schon zum König gewählt und gekrönt war, dessen Unmündigkeit aber Heinrich der Zänker sofort zum Versuch benutzte, die Regentschaft und dann die Krone an sich zu reißen.
Allerdings wurde durch die Entschlossenheit Theophanos, Ottos Mutter, und die Weisheit des Erzbischofs Willigis von Mainz dieser Versuch vereitelt und die rechtmäßige Thronfolge gewahrt; aber die Wenden und Dänen, welche sich auf die Nachricht von Ottos II. Niederlage und Tod erhoben und mit dem Christentum die verhaßte Herrschaft der Deutschen abgeschüttelt hatten, wieder zu unterwerfen, war die Regentin Theophano nicht im stande. Während der Regierung der Kaiserin wie nach ihrem Tod (991) erlangten die Reichsfürsten, die Herzöge, Markgrafen, Pfalzgrafen und Grafen, die Erzbischöfe, Bischöfe und größern Äbte, einen maßgebenden Einfluß auf die Regierungsgeschäfte, wandelten die ihnen übertragenen Ämter in erbliche Lehen um und rissen die Güter des Reichs und die Regalien der Krone (Münzrecht, Zollrecht und Gerichtsbann) an sich. Sobald Otto III. mündig geworden (996), zog er nach Rom, wo er sich mit geringen Unterbrechungen bis ans Ende seines Lebens aufhielt.
Seinem Volk, seinem deutschen Vaterland entfremdet, hing er dem phantastischen Gedanken nach, die Macht der Religion durch eine große Reform der Kirche zu erhöhen und das alte römische Reich in allen seinen Formen wiederherzustellen. Deutschland überließ er sich selbst, ja er schwächte es, indem er durch Errichtung des selbständigen Erzbistums Gnesen die Lostrennung der Polen von dem Verband mit Deutschland beförderte. Aber nicht einmal in Rom und Italien selbst vermochte er die kaiserliche Macht zur allgemeinen Anerkennung zu bringen. Durch einen Aufstand aus Rom vertrieben, starb er 1002 ohne Erben.
Nicht ohne Schwierigkeiten errang der letzte noch übrige Sproß des sächsischen Herrscherhauses, Herzog Heinrich von Bayern, Sohn Heinrichs des Zänkers, Urenkel König Heinrichs I., bei der Bewerbung um die Krone den Sieg über seine Nebenbuhler Hermann von Schwaben und Eckard von Meißen. Nur die bayrischen, fränkischen und oberlothringischen Großen wählten ihn zum König; die Stimmen der übrigen mußte er durch Zugeständnisse erkaufen. Während seiner Regierung (1002-1024) war Heinrich II. unermüdlich thätig, das Reich und den Kaiserthron wieder aufzubauen.
Nach außen hin gelang ihm dies nur teilweise. Gegen den mächtigen und kühnen Polenherzog Boleslaw Chrobry kämpfte er mit entschiedenem Unglück und mußte im Frieden von Bautzen (1018) nicht bloß dessen Unabhängigkeit anerkennen, sondern ihm auch die Lausitz abtreten, während er Böhmen behauptete. Das Land nördlich der Elbe ging in einem großen Aufstand der Wenden in Holstein und Mecklenburg gänzlich verloren. In Italien besiegte er den Markgrafen Arduin von Ivrea, der sich zum unabhängigen König hatte erheben wollen, erlangte 1014 die Kaiserkrone und stellte 1022 auf einem dritten Römerzug das kaiserliche Ansehen in ganz Italien wieder her. In Deutschland selbst hatte er in der ersten Zeit seiner Herrschaft fortwährend mit Empörungen einzelner Großen zu kämpfen; selbst Grafen und Herren wagten, ihm den Gehorsam zu verweigern.
Wenn es ihm auch endlich gelang, Ruhe und Frieden im Reich zu stiften und die Fürsten zur Botmäßigkeit zurückzuführen, so mußte er doch die Erblichkeit ihrer Lehen anerkennen und ihren Beirat in allen wichtigen Angelegenheiten sich gefallen lassen. Gegen den anmaßenden Trotz und die Habsucht der weltlichen Großen suchte er eine Stütze in der hohen Geistlichkeit, deren politischen Einfluß er durch Verleihung von weltlichen Ämtern und Besitzungen vermehrte, die er aber durch das unbeschränkte kaiserliche Ernennungsrecht in Abhängigkeit von sich erhielt.
Hierdurch und durch seinen Eifer für kirchliche Dinge (er trug sich ernstlich mit dem Gedanken einer streng asketischen Kirchenreform) hat er den Namen des Heiligen und die Kanonisation erworben. Mit seinem Tod 1024 erlosch das sächsische Herrscherhaus. Die Schöpfung Heinrichs I. und Ottos I., die unter Otto III. zusammenzubrechen drohte, hat Heinrich II. wiederhergestellt, freilich nicht ohne erhebliche Einbußen an innerer Kraft und äußerer Macht. Vor allem hatte sich aber die Verschmelzung der deutschen Stämme zu einem Volk, zu einer Reichseinheit dauerhaft und unlöslich erwiesen.
Der Kampf mit der Kirche unter dem fränkischen Kaiserhaus. 1024-1125.
(Hierzu die »Geschichtskarte von Deutschland I«.)
Die Einheit des deutschen Volkes zeigte sich bei der großen Wahlversammlung im September 1024 in Kamba am Mittelrhein bei Mainz zur Neuwahl eines deutschen Königs. Die eigentliche Wahl, die auf den fränkischen Grafen Konrad, den Urenkel Konrads des Roten und Liutgards, der Tochter Ottos I., fiel, wurde allerdings von den Fürsten vollzogen; der Anteil des Volkes daran beschränkte sich auf den zustimmenden
Deutschland um das Jahr 1000
bearbeitet von Karl Wolf.
Maßstab 1:5500000
Römisch-Deutsches Kaiserreich.
KGR. Königreich, HZ. Herzogtum, MGR. Markgrafschaft.
L. = Lacus (See)
Zum Artikel »Deutschland«.
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Zuruf. Konrad II. (1024-1039), der erste Kaiser aus dem fränkischen oder salischen Haus, glich dem ersten Sachsen, Heinrich I., in nüchterner Besonnenheit, Ausdauer und weiser Beschränkung. Die Nord- und Ostgrenze des Reichs sicherte er, indem er mit dem mächtigen Beherrscher von Dänemark, Knut d. Gr., Frieden und Freundschaft schloß und durch Abtretung der nördlich der Eider gelegenen Teile der Mark Schleswig sich dessen Beistand gegen die Slawen verschaffte.
Das Polenreich zerfiel nach Boleslaws Tod ebenso schnell wieder, wie es aufgebaut war, und geriet von neuem in Abhängigkeit von Deutschland 1032 erwarb er nach dem Tode des Königs Rudolf III. auf Grund alter Verträge, die dieser schon mit Heinrich II. geschlossen, das Königreich Burgund, das, ohne mit Deutschland verschmolzen zu werden, das dritte Königreich des Kaiserreichs bildete. Auf seinem ersten Römerzug erwarb er 1027 die Kaiserkrone. Mehrere Empörungen von Großen, worunter die seines Stiefsohns Ernst von Schwaben vom Volk in Lied und Sage gefeiert wurde, unterdrückte er mit Kraft und Strenge.
Die Erblichkeit der Fürstentümer konnte er allerdings ebensowenig beseitigen, wie die Unbeschränktheit der kaiserlichen Gewalt erreichen. Der aufstrebenden Selbständigkeit der Herzogtümer brach er aber dadurch die Spitze ab, daß er die Mehrzahl derselben an seinen Sohn Heinrich (so Bayern und Schwaben) oder an nahe Verwandte brachte. Auch setzte er, oft ohne Rücksicht auf ihre kirchliche Befähigung, Anverwandte und Freunde in die höchsten geistlichen Reichsfürstentümer ein. Die kleinern Vasallen (Ministerialen) suchte er von ihren fürstlichen Lehnsherren unabhängig zu machen, indem er auch ihre Lehen für erblich erklärte. In Oberitalien geschah dies 1037 durch ein besonderes Gesetz. Die Erblichkeit der Krone selbst konnte Konrad aber nicht durchsetzen, er mußte sich begnügen, daß sein Sohn schon früh gewählt und gekrönt wurde u. ihm nach seinem Tod als Heinrich III. (1039-1056) ohne weiteres auf dem Thron folgte.
Heinrich III. führte das Werk seines Vaters mit Energie und Erfolg fort. Dänemark, Polen und Böhmen wurden in Gehorsam erhalten, selbst Ungarn durch mehrere Kriegszüge 1044 zur Anerkennung der deutschen Oberhoheit gezwungen. Rücksichtslos und streng verfuhr er gegen die Fürsten; wiederholt entsetzte er Herzöge ihres Amtes, und Bayern verlieh er sogar, um es nicht wieder aus der Hand zu lassen, seiner eignen Gemahlin Agnes. Freilich reizte diese Strenge zu immer neuen Empörungen, und nur die Hand am Schwert vermochte der Kaiser die erbitterten Fürsten niederzuhalten.
Eine kluge Beschränkung auf dies Ziel, die ausschließliche und andauernde Verwendung aller Machtmittel des neuerstarkten Kaisertums auf die Unterdrückung der Aristokratie, endlich wohlwollende Förderung der niedern Stände hätten die Begründung einer starken erblichen Monarchie in Deutschland zur Folge haben können. Aber wie 100 Jahre früher Otto I., so setzte auch Heinrich III. die neugewonnene Macht für die Erreichung eines universellern Ziels ein, nämlich für die Regeneration der entarteten Kirche im Sinn der Cluniacenser, welche durch Erweckung streng religiösen Sinnes die Herrschaft der Kirche über die Gemüter verstärken und durch Errettung des Papsttums aus seinem Verfall die bedrohte Einheit der abendländischen Christenheit fester begründen wollten.
Selbst streng asketisch gesinnt, setzte Heinrich nur kirchlich eifrige Bischöfe ein, und 1046 auf der Synode zu Sutri zum Schiedsrichter zwischen drei um die Tiara streitenden Päpsten aufgerufen, beseitigte er alle drei, um in einem frommen deutschen Bischof dem Stuhl Petri wieder einen würdigen Inhaber zu geben und das Ansehen des Papsttums wiederherzustellen. Seine Oberhoheit über die Kirche benutzte er nur, um sie von Mißbräuchen zu befreien, sittlich zu heben und sie zur erhabensten Institution auf Erden zu machen. Die von ihm eingesetzten Päpste unterstützte er eifrigst in dem Bestreben, ihre hierarchische Gewalt über die Kirche zu verstärken; selbst den Vertrag des Papstes mit den Normannen, durch welchen deren Reich in Unteritalien in ein päpstliches Lehen umgewandelt wurde, hinderte er nicht. So verhalf er selbst der Macht zur Herrschaft, welche seinem Nachfolger so verderblich wurde.
Die Gärung unter den unzufriedenen Fürsten, namentlich in Sachsen, war auf das höchste gestiegen und wurde nur durch die Furcht vor Heinrichs eiserner Strenge im Zaum gehalten, als dieser plötzlich in Bodfeld im Harz, noch nicht 40 Jahre alt, starb und das Reich einem sechsjährigen Kind, Heinrich IV. (1056-1106), unter Vormundschaft einer Frau, der Kaiserin Agnes, hinterließ. Je empfindlicher die Fürsten den gewaltigen Arm des verstorbenen Kaisers gefühlt hatten, desto mehr beeilten sie sich, die Schwäche der neuen Regierung zur Vermehrung ihrer Macht und Selbständigkeit zu benutzen.
Ein sächsischer Großer, Otto von Nordheim, zwang die Kaiserin, ihm das Herzogtum Bayern, ein burgundischer Fürst, Rudolf von Rheinfelden, ihm mit der Hand ihrer Tochter Schwaben, endlich der Zähringer Berthold, ihm Kärnten zu übertragen. Durch den Raub in Kaiserswerth (1062) bemächtigte sich der ehrgeizige, finstere Erzbischof Anno von Köln des königlichen Knaben, dessen Erziehung er fortan leitete, und für den er in Gemeinschaft mit den übrigen Großen die Regierung führte.
Unter dieser konnte, wer wollte, seine Habgier an dem Königsgut befriedigen; weder in Italien noch in Ungarn vermochte Anno das Ansehen des Reichs zu behaupten; durch eine Empörung der Wenden östlich der Elbe (1066) ging die deutsche Kultur in jenen Gegenden für lange Zeit verloren. Mit Hilfe Adalberts von Bremen befreite sich Heinrich von den verhaßten Fürsten, und sowie er zum Mann herangereift war, strebte er, die verlorne Macht seiner Väter wiederzugewinnen.
Die habsüchtigen, trotzigen Großen verfolgte er mit leidenschaftlicher Rachsucht. Otto von Nordheim beraubte er 1070 Bayerns, das er Welf verlieh; die Billunger wurden geächtet und durch Anlage von Burgen die Unterjochung der Sachsen, welche der Herrschaft der Franken hartnäckig widerstrebten, begonnen. 1073 kam es infolge von Gewaltthätigkeiten der Anhänger des Königs zu einem allgemeinen Aufstand der Sachsen, welcher den König in große Gefahr stürzte, da die deutschen Fürsten sich wankelmütig und treulos zeigten. Durch den glänzenden Sieg Heinrichs bei Hohenburg a. d. Unstrut 1075 wurde jedoch die Empörung unterdrückt, und die sächsischen Großen wurden streng bestraft.
Wäre es Heinrich, dessen glänzende Herrschereigenschaften sich jetzt zeigten, nun vergönnt gewesen, seine Gewalt ungestört zu befestigen, so würde er das während seiner Minderjährigkeit Verlorne wieder haben einbringen können. Da aber verwickelten ihn die Ansprüche auf die höchste Autorität in der Christenheit, welche ihm von seinen Vorfahren überkommen waren, in einen neuen, weit gefährlichern Kampf mit einem Gegner, dem er weder an Macht noch an Charakterstärke ebenbürtig war, mit Papst Gregor VII. Schon als Kardinal Hildebrand hatte dieser die mönchisch-strenge