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namentlich noch Aachen, [* 2] Krefeld, [* 3] Elberfeld, [* 4] Barmen, Solingen, [* 5] Remscheid, [* 6] Chemnitz, [* 7] Sonneberg [* 8] u. a. anschließen; in Süddeutschland Nürnberg, [* 9] Regensburg, [* 10] Augsburg, [* 11] Stuttgart, [* 12] Mainz, [* 13] Mannheim, [* 14] Straßburg [* 15] und Mülhausen. [* 16] Der Mittelpunkt des deutschen Buchhandels (s. d.) ist Leipzig. [* 17]
IX. Verfassung und Verwaltung.
Die Verfassung des Deutschen Reichs.
Das deutsche Kaisertum hat keinen universellen, sondern einen nationalen Charakter. Es ist nicht, wie das ehemalige Deutsche Reich, [* 18] eine Wahlmonarchie, sondern die Kaiserwürde ist erblich mit der Krone Preußen [* 19] verbunden. Indessen ist der Kaiser nicht der Monarch des Reichs, denn letzteres ist kein Einheitsstaat, sondern ein Bundesstaat, ein Gesamtreich, zusammengesetzt aus den verbündeten deutschen Einzelstaaten. Träger [* 20] der Reichsgewalt sind vielmehr nach der Reichsverfassung vom welche im wesentlichen mit derjenigen des frühern Norddeutschen Bundes übereinstimmt, die verbündeten Regierungen.
Dem
Kaiser steht nur eine Vollzugsgewalt zu, indem er allerdings als König von
Preußen die erste
Stelle unter den deutschen
Fürsten einnimmt. Als
Kaiser übt derselbe die ihm übertragenen Befugnisse »im
Namen des
Reichs« oder »im
Namen der verbündeten
Regierungen« aus. Auf der andern Seite bedeutet der Übergang der deutschen
Gesamtverfassung von derjenigen eines
Staatenbundes, wie es der Deutsche
Bund (s. d.) war, zur bundesstaa
tlichen
Verfassung
den wichtigsten und erheblichsten Fortschritt auf der
Bahn unsrer nationalen
Entwickelung.
Das Deutsche Reich hat das Gesetzgebungsrecht eines wirklichen Staats. Die Reichsgesetze, welche innerhalb des Kompetenzkreises der Reichsgesetzgebung erlassen werden, gehen den Landesgesetzen der Einzelstaaten vor und erhalten ihre rechtsverbindliche Kraft [* 21] durch die Verkündigung von Reichs wegen, welche im Reichsgesetzblatt durch den Kaiser erfolgt. Die Gesetze selbst kommen durch den übereinstimmenden Mehrheitsbeschluß des Bundesrats, welcher sich aus den instruierten Vertretern der deutschen Regierungen zusammensetzt, einerseits und des Reichstags, der deutschen Volksvertretung, anderseits zu stande.
Daß der Kaiser gegenüber einem vom Bundesrat und vom Reichstag beschlossenen Gesetz ein Vetorecht nicht besitzt, wird von denjenigen, welche eine möglichst kräftige Zentralgewalt an der Spitze des Reichs sehen möchten, freilich als ein wesentlicher Mangel der Reichsverfassung bezeichnet, zumal selbst dem Präsidenten der Vereinigten Staaten [* 22] wenigstens ein suspensives Veto zusteht. Auch in der Reichsverfassung, welche 1849 von dem Frankfurter Parlament beschlossen wurde, war ein suspensives Veto des Kaisers vorgesehen.
Hierunter versteht man nämlich die Befugnis der Staatsregierung, den Vollzug eines Gesetzes durch einmaligen Widerspruch und das Inkrafttreten desselben so lange zu hemmen, bis etwa ein nochmaliger Beschluß der gesetzgebenden Faktoren ebendasselbe Gesetz aufrecht erhält. Allerdings wird in der deutschen Reichsverfassung jener Mangel einigermaßen durch das bedeutende Stimmgewicht ersetzt, welches der Krone Preußen im Bundesrat zusteht, woselbst sie 17 von 58 Stimmen führt.
Damit ist dem Kaiser als König von Preußen die Macht gegeben, jede Veränderung der Reichsverfassung abzulehnen. Denn nach Artikel 78 der Verfassungsurkunde gilt eine Verfassungsänderung als abgelehnt, wenn sie im Bundesrat 14 Stimmen gegen sich hat. Ebenso kann der Kaiser in den wichtigsten Fragen der Reichsgesetzgebung wie der Reichsverwaltung Neuerungen verhindern, wofern er die Präsidialstimme für die Aufrechthaltung der bestehenden Einrichtungen abgeben läßt.
Dies ist der Fall bei Gesetzesvorschlägen über das Militärwesen, die Kriegsmarine und das Zollwesen sowie über die Besteuerung von Salz, [* 23] Tabak, [* 24] Branntwein, Bier und Zucker, [* 25] die dem Reiche gebührt. Ebenso gibt die Präsidialstimme im Bundesrat stets dann den Ausschlag, wenn es sich um Verwaltungsvorschriften und Einrichtungen handelt, welche ebendiese Gegenstände betreffen, wofern sich die Präsidialstimme für die Aufrechthaltung der bestehenden Vorschriften oder Einrichtungen ausspricht (Reichsverfassung, Art. 5, 35,37).
Schärfer tritt der monarchisch-staatliche Charakter der Reichsverfassung auf dem Gebiet der Reichsverwaltung hervor. Denn der Kaiser hat nicht nur das ausschließliche Recht, die vom Bundesrat in seiner Mehrheit gebilligten Gesetzentwürfe an den Reichstag zu bringen, sowie das Recht der Verkündigung der Reichsgesetze, sondern er hat auch ihre Ausführung zu überwachen (Art. 17). Diese letztere Bestimmung begründet für den Kaiser in denjenigen Angelegenheiten, welche in den Kompetenzkreis der Reichsgesetzgebung gehören, das Recht, die zur Ausführung der Reichsgesetze erforderlichen Verordnungen zu erlassen, ein Recht, welches die Verfassung ausdrücklich in Ansehung des Militärwesens, der Kriegsmarine, der Post- und Telegraphenverwaltung und des Konsulatwesens hervorhebt.
Da aber auch der Bundesrat ein Verordnungsrecht besitzt, so wird bei dem Erlaß eines Reichsgesetzes in der Regel in diesem Gesetz selbst eine Bestimmung darüber getroffen, welche Stelle die Vollzugsbestimmungen erlassen soll, ob Kaiser, Bundesrat, Reichskanzler oder die Regierungen der Einzelstaaten; immer vorbehaltlich des Rechts des Kaisers, die Ausführung der Reichsgesetzgebung in jedem Fall zu überwachen. Dem Kaiser gebührt ferner die Oberaufsicht über das gesamte Verwaltungswesen des Reichs. Er ernennt die Reichsbeamten, läßt dieselben vereidigen und verfügt erforderlichen Falls ihre Entlassung (Reichsverfassung, Art. 18). Er ernennt auch insbesondere den Reichskanzler, den einzigen verantwortlichen Minister des Reichs, welcher zugleich den Vorsitz im Bundesrat führt (Art. 15). Der Kaiser hat das Recht, den Bundesrat und den Reichstag zu berufen, zu eröffnen und zu schließen (Art. 12). Eine etwanige Auflösung des Reichstags erfolgt auf Grund eines Bundesratsbeschlusses mit Zustimmung des Kaisers (Art. 24). Als ein wirklicher Staat hat das Reich ferner andern Staaten gegenüber den notwendigen diplomatischen Verkehr zu unterhalten; es hat das Gesandtschaftsrecht eines Staats, und die deutschen Einzelstaaten haben, mit Ausnahme von Bayern, [* 26] Württemberg, [* 27] Sachsen [* 28] und Braunschweig, [* 29] darauf verzichtet, sich bei den auswärtigen Kabinetten noch besonders vertreten zu lassen.
Der Kaiser hat das Reich völkerrechtlich zu vertreten. Er hat im Namen desselben Krieg zu erklären und Frieden zu schließen, Bündnisse und andre Verträge mit fremden Staaten einzugehen und Gesandte zu beglaubigen und zu empfangen. Zur Erklärung des Kriegs im Namen des Reichs bedarf es der Zustimmung des Bundesrats, es sei denn, daß ein Angriff auf das Reichsgebiet oder dessen Küsten erfolgt ist. Was das Vertragsrecht anbetrifft, so ist die Beschränkung beigefügt, daß Verträge mit fremden Staaten, welche sich auf Gegenstände beziehen, die in den Bereich der Reichsgesetzgebung gehören, zu ihrem Abschluß der Zustimmung ¶
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des Bundesrats und zu ihrer Gültigkeit der Genehmigung des Reichstags bedürfen (Art. 11).
Der Kaiser ist ferner der Bundesoberfeldherr. Nach der Reichsverfassung (Art. 63) bildet die gesamte Landmacht des Reichs ein einheitliches Heer, welches im Frieden ebenso wie im Krieg unter dem Oberbefehl des Kaisers steht; unbeschadet allerdings des bayrischen Reservatrechts, wonach das bayrische Heer einen in sich geschlossenen Bestandteil des deutschen Bundesheers mit selbständiger Verwaltung unter der Militärhoheit des Königs von Bayern bildet und nur im Krieg unter dem Befehl des Kaisers steht. Auch die Kriegsmarine des Reichs ist eine einheitliche, welche ebenfalls unter dem Oberbefehl des Kaisers steht (vgl. im einzelnen den Abschnitt »Heerwesen und Marine«). Der weite Kompetenzkreis, welcher der Reichsgesetzgebung durch die Verfassung (Art. 4) gegeben war, ist nachmals durch Gesetz vom (Antrag Lasker) dadurch wesentlich erweitert worden, daß das gesamte bürgerliche Recht der Reichsgesetzgebung unterstellt worden ist.
Derselben unterliegen nunmehr die Bestimmungen über Freizügigkeit, Heimats- und Niederlassungsverhältnisse (mit Ausnahme von Bayern), Staatsbürgerrecht, Paßwesen, Fremdenpolizei, über den Gewerbebetrieb nebst dem Versicherungswesen, über Kolonisation und Auswanderung nach außerdeutschen Ländern;
die Zoll- und Handelsgesetzgebung und die Steuern für Bundeszwecke;
das Maß-, Münz- und Gewichtssystem und die Ausgabe von Papiergeld;
das Bankwesen;
die Erfindungspatente;
der Schutz des geistigen Eigentums;
der Schutz des deutschen Handels und der deutschen Schiffahrt sowie die gemeinsame Konsularvertretung im Ausland;
das Eisenbahnwesen (mit Vorbehalt in Bayern) und die Herstellung von Land- und Wasserstraßen, soweit sie von Interesse für die Landesverteidigung und den allgemeinen Verkehr sind;
die Flößerei und Schiffahrt auf den mehreren Staaten gemeinsamen Wasserstraßen sowie der Zustand der letztern und die Wasserzölle;
das Post- und Telegraphenwesen (mit Ausnahme von Bayern und Württemberg);
die wechselseitige Vollstreckung von Erkenntnissen in Zivilsachen;
die Beglaubigung öffentlicher Urkunden;
die gemeinsame Gesetzgebung über das gesamte bürgerliche Recht, das Strafrecht und das gerichtliche Verfahren;
das Militärwesen und die Kriegsmarine;
die Medizinal- und Veterinärpolizei;
die Bestimmungen über die Presse [* 31] und das Vereinswesen.
Die Anlegung von Eisenbahnen im Interesse der Verteidigung Deutschlands [* 32] oder im Interesse des gemeinsamen Verkehrs kann sogar gegen den Widerspruch derjenigen Bundesglieder, deren Gebiet diese Eisenbahnen durchschneiden (mit Ausnahme von Bayern), durch Reichsgesetz angeordnet werden. Dagegen sind verschiedene andre Gegenstände in den Bereich der Reichsgesetzgebung gezogen, ohne damit der Landesgesetzgebung entzogen zu sein. Doch gehen hier unter allen Umständen die Reichsgesetze den Landesgesetzen vor.
Dies gilt namentlich von dem Gebiet des bürgerlichen Rechts, doch ist die Ausarbeitung eines gemeinsamen bürgerlichen Gesetzbuchs für ganz Deutschland [* 33] unternommen. Andre Gegenstände endlich, wie namentlich das Gebiet der innern Landesverwaltung, sind lediglich der Landesgesetzgebung der einzelnen Bundesstaaten vorbehalten. Die gesetzgebenden Faktoren des Reichs sind Bundesrat und Reichstag. Ersterer entspricht dem vormaligen deutschen Bundestag, insofern er sich aus instruierten Vertretern der verbündeten Staaten zusammensetzt. Im Reichstag dagegen ist eine nationale Vertretung des gesamten Volkes, entsprechend dem Landtag eines Einzelstaats, gegeben.
Der Reichstag (Art. 20 ff.) geht aus allgemeinen und direkten Wahlen mit geheimer Abstimmung hervor, welche nach Maßgabe des Wahlgesetzes vom erfolgt. Jeder Deutsche ist in dem Bundesstaat, in dem er wohnt, Wähler, sofern er das 25. Lebensjahr zurückgelegt hat. Für Personen des Soldatenstandes, des Heers und der Marine ruht die Berechtigung zum Wählen (nicht aber das Recht, gewählt zu werden) so lange, als dieselben bei der Fahne sind. Ausgeschlossen von der Wahlberechtigung sind: Personen, die unter Vormundschaft oder Kuratel stehen, oder über deren Vermögen der Konkurszustand gerichtlich eröffnet ist, oder welche eine Armenunterstützung aus öffentlichen oder Gemeindemitteln beziehen, oder denen durch rechtskräftiges Erkenntnis der Vollgenuß der staatsbürgerlichen Rechte entzogen ist.
Wählbar zum Abgeordneten ist im ganzen Reichsgebiet jeder Deutsche, welcher das 25. Lebensjahr zurückgelegt und einem zum Reiche gehörigen Staat seit mindestens einem Jahr angehört hat, sofern er nicht aus allgemeinen Gründen von der Wahlberechtigung ausgeschlossen ist. Auf durchschnittlich 100,000 Seelen (nach der bei Erlaß des Wahlgesetzes maßgebenden Volkszählung) wird ein Abgeordneter gewählt; jedoch sendet ein Bundesstaat, dessen Bevölkerung [* 34] diese Ziffer nicht erreicht, ebenfalls einen Abgeordneten.
Der Reichstag besteht aus 397 Mitgliedern, nämlich 236 aus Preußen, 48 aus Bayern, 23 aus Sachsen, 17 aus Württemberg, 15 aus Elsaß-Lothringen, [* 35] 14 aus Baden, [* 36] 9 aus Hessen, [* 37] 6 aus Mecklenburg-Schwerin, je 3 aus Sachsen-Weimar, Oldenburg, [* 38] Braunschweig und Hamburg, [* 39] je 2 aus Sachsen-Meiningen, Sachsen-Koburg-Gotha und Anhalt [* 40] und je 1 aus den übrigen Staaten. Die Legislaturperiode dauert drei Jahre; eine Auflösung des Reichstags kann während derselben durch Beschluß des Bundesrats unter Zustimmung des Kaisers erfolgen. In diesem Fall müssen binnen 60 Tagen die Wähler und binnen 90 Tagen nach der Auflösung der neugewählte Reichstag versammelt werden.
Auch darf der Reichstag ohne seine Zustimmung nicht länger als auf 30 Tage und nicht mehr als einmal während derselben Session vertagt werden. Die Reichstagsmitglieder dürfen als solche keine Besoldung oder Entschädigung beziehen. Freie Fahrt auf den deutschen Eisenbahnen wird ihnen während der Session, acht Tage vor Beginn und acht Tage nach Schluß derselben gewährt, jedoch nur für die Reise von ihrem Wohnort nach Berlin. [* 41] Beamte bedürfen keines Urlaubs zum Eintritt in den Reichstag; wenn jedoch ein Mitglied in den Reichs- oder Staatsdienst eintritt oder in demselben aufrückt, so muß es sich einer Neuwahl unterwerfen.
Während der Sitzungsperiode darf kein Mitglied verhaftet werden, außer bei Ergreifung auf frischer That. Auf Verlangen des Reichstags wird sogar jedes Strafverfahren gegen ein Mitglied und jede Untersuchungs- und Zivilhaft für die Dauer der Session aufgehoben. Auch darf kein Mitglied wegen seiner Abstimmungen oder sonstigen in Ausübung seines Berufs gemachten Äußerungen gerichtlich oder disziplinarisch verfolgt oder sonst außerhalb des Reichstags zur Verantwortung gezogen werden. Die Verhandlungen des Reichstags sind öffentlich, und wahrheitsgetreue Berichte darüber bleiben von jeder Verantwortlichkeit frei. Beschlüsse werden mit absoluter Stimmenmehrheit gefaßt; jedoch ist zur Beschlußfähigkeit erforderlich, daß die Mehrheit der gesetzlichen Anzahl der ¶