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Dampfschiffe zerfallen ihrer Gattung nach in 605 Schrauben-, 44 Räderdampfschiffe und 1 Hydromotor. Das Verhältnis der Schraubendampfer zu den Räderdampfern stellt sich für das gesamte deutsche Küstengebiet wie 92,69 zu 7,31. Von den am nachgewiesenen Segelschiffen waren 181 von Eisen und 3417 von Holz erbaut, bei 8 Schiffen war das Hauptmaterial Holz und Eisen; von den gleichzeitig vorhandenen 650 Dampfschiffen waren 639 von Eisen und 11 von Holz erbaut.
Als Heimatshäfen für die deutsche Handelsflotte werden 265 Plätze nachgewiesen, von welchen 58 dem Ostseegebiet und 207 dem Nordseegebiet angehören; die wichtigsten derselben sind: Hamburg mit 477, Bremen mit 335, Rostock mit 306, Stralsund mit 212, Barth mit 189, Stettin mit 155, Brake mit 121, Elsfleth mit 108, Papenburg mit 111, Danzig mit 104, Kiel mit 70, Memel mit 60, Rendsburg mit 61, Emden mit 57 Schiffen etc. Der Schiffsverkehr in den Seehäfen des Deutschen Reichs im J. 1884 bezifferte sich auf 124,897 ein- und ausgegangene Schiffe mit einer Ladungsfähigkeit von 20,867,875 Registertonnen; mitgerechnet sind hierbei 2646 Schiffe von 223,099 Registertonnen, welche nicht zu Handelszwecken die deutschen Häfen besuchten. An diesem Verkehr sind Schiffe fremder Flagge in bedeutendem Maß beteiligt, hinsichtlich der Gesamtladefähigkeit übertrifft der Verkehr derselben sogar denjenigen der deutschen Schiffe; doch ist in dieser Beziehung während der sechs Jahre 1879-84 eine nicht unwesentliche Veränderung zu gunsten der deutschen Flagge eingetreten.
Während nämlich im J. 1879 die Beteiligung der deutschen Schiffe dem Tonnengehalt nach sich auf 44,9 Proz., diejenige der fremden Schiffe auf 55,1 Proz. berechnete, stellte sich im J. 1884 der Anteil der erstern auf 49,4 Proz. und derjenige der letztern auf 50,6 Proz., d. h. die Überlegenheit der fremden Flagge, welche sich im ersten Jahr dieser sechsjährigen Periode dem Raumgehalt nach auf 10,2 Proz. bezifferte, hat sich am Ende dieses Zeitraums bis auf 3,6 Proz. verringert. Auch der Zahl der Schiffe nach hat der Anteil der deutschen Flagge im Lauf der sechsjährigen Periode zugenommen.
Unter den Seeplätzen Deutschlands nehmen Hamburg und Bremen, bez. Bremerhaven die ersten Stellen ein; beide vermitteln hauptsächlich den Verkehr mit England und den außereuropäischen Plätzen und unterhalten zahlreiche Dampfschiffslinien; über beide geht auch der Hauptstrom der Auswanderung. Dem Raumgehalt der verkehrenden Schiffe nach steht Hamburg mit einem solchen im J. 1884 von 7,340,614 Registertonnen an der Spitze, dann folgen Stettin mit einem solchen von 2,053,343, Bremerhaven mit 1,958,380, Neufahrwasser mit 1,197,112, Kiel mit 960,331, Lübeck mit 866,708, Königsberg mit 766,259, Swinemünde mit 504,938, Geestemünde mit 469,741, Memel mit 383,806, Altona mit 357,160, Pillau mit 327,722, Flensburg mit 244,332, Bremen mit 189,167 Registertonnen etc. Die Zusammenstellung der Seereisen deutscher Schiffe gibt einen Nachweis über die Thätigkeit der deutschen Kauffahrteiflotte im Verkehr der deutschen Häfen unter sich, zwischen diesen und dem Ausland und zwischen außerdeutschen Hafenplätzen.
Die Gesamtzahl der von deutschen Schiffen im J. 1884 gemachten Seereisen beträgt 66,711, der entsprechende Raumgehalt 17,017,557 Registertonnen. Die größte Zahl der Reisen deutscher Schiffe zwischen deutschen und fremden Häfen entfällt auf den Verkehr mit Großbritannien und Irland (5170 Fahrten), dann folgen der Zahl nach die Reisen zwischen Deutschland und Dänemark (5165), Rußland an der Ostsee (2304), Schweden (1761), den Vereinigten Staaten von Nordamerika am Atlantischen Meer (1055), Norwegen (952), den Niederlanden (374), Belgien (303), Frankreich am Atlantischen Meer (278), Helgoland (229), Brasilien (210), Italien und Malta (135), den Westindischen Inseln (85 Fahrten) etc. Legt man den Tonnengehalt der an den Reisen zwischen deutschen und außerdeutschen Häfen beteiligten Schiffe als Maßstab an, so tritt an die erste Stelle der Verkehr mit Großbritannien und Irland, an die zweite derjenige zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten von Nordamerika am Atlantischen Meer, dann folgen der Reihe nach der Verkehr mit den russischen Ostseehäfen, der mit Dänemark, Schweden, Brasilien, Belgien, Italien und Malta, Frankreich am Atlantischen Meer, den La Plata-Staaten, den Niederlanden, den Westindischen Inseln, Ostindien mit den indischen Inseln, Norwegen und Chile.
Der deutschen Binnenschiffahrt dienen Wasserstraßen in einer Länge von 12,441,1 km, davon können mit einem Tiefgang von 1,50 m 2139,2 km, mit einem Tiefgang von 1 m 4623,6 km, mit einem Tiefgang von 0,75 m 2325,4 km und mit einem Tiefgang unter 0,75 m 3352,9 km befahren werden. Am längsten ist die schiffbare Strecke im Flußgebiet des Rheins mit 2789,8 km, dann folgt das Elbgebiet mit 2606,6, das Odergebiet mit 1802,5, das Wesergebiet mit 1175,4, das Donaugebiet mit 746,8, das Emsgebiet mit 466,4, die Küstengewässer der Ostsee westlich der Oder mit 445,4, die ostfriesischen Kanäle mit 441,5, das Weichselgebiet mit 438,1, das Pregelgebiet mit 397,2 km etc. Was die Verkehrsverhältnisse anlangt, so hat sich bis zur neuesten Zeit eine Abnahme des Verkehrs nur bei der Weichsel infolge Verminderung des Floßverkehrs und bei der Donau wegen des Mangels fast jeder Regulierung des meist reißenden Oberlaufs derselben ergeben; bei allen andern Wasserstraßen dagegen hat eine recht erfreuliche, auf Rhein, Elbe und Spree sogar sehr beachtenswerte Steigerung des Wasserverkehrs stattgefunden.
Der Anteil der Binnenschiffahrt am deutschen Güterverkehr läßt sich im ganzen nicht feststellen; dagegen ergibt eine Berechnung des konkurrierenden Güterverkehrs zu Wasser und auf der Eisenbahn an 15 wichtigern Handelsplätzen, nämlich Memel, Tilsit, Mannheim, Bingen, Harburg, Hamburg, Heilbronn, Mainz-Gustavsburg, Mülhausen i. E., Ludwigshafen, Passau, Koblenz, Thorn, Dresden und Breslau, daß der Gesamtverkehr dieser Orte im dreijährigen Durchschnitt 1881-83: 15,641,091 Ton. betrug, wovon auf die Wasserstraßen 6,510,502 T. oder 41,7 Proz. und auf die Eisenbahnen 9,130,589 T. oder 58,3 Proz. entfielen. Der Wasserverkehr zeigte an fast allen Punkten eine steigende Tendenz. Für die Binnenschiffahrt gab es 1883: 18,845 Fluß-, Kanal-, Haff- und Küstenschiffe, davon waren 831 Dampfschiffe;
die Tragfähigkeit war bei 18,372 Schiffen ermittelt und betrug 1,660,371,8 T., darunter 623 Dampfschiffe mit 33,169 T.
Eisenbahn-, Post- und Telegraphenwesen.
Das Eisenbahnwesen ist zwar nicht einheitlich gestaltet, indem 13 deutsche Staaten eigne Bahnen besitzen; dennoch haben mit Ausnahme einiger Lokal- und Industriebahnen sämtliche Bahnen Deutschlands und mit ihnen die Österreichs-Ungarns, der Niederlande und Luxemburgs, Russisch-Polens und Rumäniens sowie einige belgische Privatbahnen einen gemeinsamen Mittelpunkt in dem 1846 gegründeten Verein deutscher Eisenbahnverwaltungen unter der Direktion der königlichen Eisenbahndirektion in Berlin. Die Gesamtlänge des deutschen Eisenbahnnetzes
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beträgt (1885) 39,081 km. Über die Entwickelung desselben und seinen gegenwärtigen Zustand, die Verwaltungsbehörden etc. s. Eisenbahnen II.
Das Post- und das Telegraphenwesen sind einheitlich organisiert, sie unterliegen der Beaufsichtigung des Reichs; indes finden auf Bayern und Württemberg auf Grund des Artikels 52 der Reichsverfassung diese Bestimmungen nicht volle Anwendung, indem dieselben getrennte Verwaltungen des Post- und Telegraphenwesens haben. Mit der österreichisch-ungarischen Monarchie ist das Deutsche Reich durch den Postvertrag vom und den Telegraphenvertrag vom geeinigt. Am Schluß des Jahrs 1884 betrug die Zahl der Postanstalten im Reichspostgebiet 13,405, in Bayern 1464, in Württemberg 559, zusammen 15,428;
die Einnahmen (inkl. Telegraphie) beliefen sich im Reichspostgebiet auf 158,2 Mill. Mk., in Bayern auf 12,3 Mill. Mk., in Württemberg auf 7,1 Mill. Mk., zusammen auf 177,9 Mill. Mk.;
die Ausgaben auf resp. 137, 11,5 und 6, zusammen 154,5 Mill. Mk. Die eingegangenen Briefsendungen betrugen in demselben Jahr im Reichspostgebiet 1501,8 Mill., in Bayern 178 Mill., in Württemberg 80,2 Mill.;
die eingegangenen Pakete ohne Wert im Reichspostgebiet 74 Mill., in Bayern 9,7 Mill., in Württemberg 4,2 Mill.;
die Briefe und Pakete mit Wertangabe resp. 9,1 Mill., 4,7 Mill., 651,500;
die Anzahl der eingegangenen Postanweisungen betrug resp. 51,7 Mill., 4,9 Mill., 2,7 Mill.;
der Gesamtwertbetrag der Geldsendungen resp. 15,061, 2476,4 und 629,5 Mill. Mk. Am Schluß des Jahrs 1884 betrug die Zahl der Telegraphenanstalten im Reichspostgebiet 10,645, in Bayern 1211, in Württemberg 402;
die Länge der Telegraphenlinien resp. 68,387 km, 8398 km, 2781 km und die Länge der Drähte resp. 243,919 km, 36,788 km, 7304 km. Die Anzahl der im J. 1884 ausgegebenen internen Telegramme (ohne Transit) betrug im Reichspostgebiet fast 11,7 Mill., in Bayern 1,1 Mill., in Württemberg 686,905;
die Zahl der internationalen aufgegebenen Telegramme resp. 2,1 Mill., 117,679 und 52,732 Mk.
Geld- und Kreditwesen.
In sämtlichen deutschen Münzstätten: Berlin (Münzbuchstabe A), Hannover (B), Frankfurt a. M. (C), München (D), Dresden (E), Stuttgart (F), Karlsruhe (G), Darmstadt (H) und Hamburg (J), wurden bis Ende 1885 für 1,928,890,830 Mk. Goldmünzen, für 444,491,484 Mk. Silbermünzen, für 35,159,823 Nickelmünzen und für 9,682,638 Mk. Kupfermünzen geprägt und den einzelnen Bundesstaaten überwiesen:
Doppelkronen | 1445733180 Mark |
Kronen | 455195720 " |
Halbe Kronen | 27961930 " |
Fünfmarkstücke | 71648250 " |
Zweimarkstücke | 102510120 " |
Einmarkstücke | 171131669 " |
Fünfzigpfennigstücke | 71484454 " |
Zwanzigpfennigstücke | 27716991 " |
Zehnpfennigstücke | 23502156 " |
Fünfpfennigstücke | 11657667 " |
Zweipfennigstücke | 6213187 " |
Einpfennigstücke | 3469451 " |
Zusammen | 2418224775 Mark. |
Am waren Reichskassenscheine im Gesamtbetrag von 144,845,570 Mk. vorhanden und zwar 2,524,338 Abschnitte zu 5 Mk., 959,854 Abschnitte zu 20 Mk. und 2,260,536 Abschnitte zu 50 Mk.
Der Gesamtnotenumlauf der 18 Notenbanken, welche in Gemäßheit des § 8 des Reichsbankgesetzes vom zur Ausgabe von Noten berechtigt sind, betrug im J. 1884: 1061 Mill. Mk.; sie hatten bei einem Grundkapital von zusammen 268 Mill. Mk. und einem Reservefonds von zusammen 38 Mill. Mk. an Aktiven 1740 Mill. Mk. und an Passiven 1727 Mill. Mk. Im J. 1885 betrug der Gesamtumsatz der Reichsbank 73,200 Mill. Mk. Banknoten waren durchschnittlich 727 Mill. Mk. im Umlauf und mit 80,57 Proz. durch Metall gedeckt.
Die Grundstücke hatten einen Buchwert von über 19 Mill. Mk., der Reservefonds betrug über 22 Mill. Mk. Die Bilanz der sämtlichen deutschen Banken (ohne Noten- und ohne Hypothekenbanken), nämlich der Diskontogesellschaft in Berlin, des Berliner Kassenvereins, von 73 Banken mit Aktienkapital bis 10 Mill., 7 Banken mit Aktienkapital von 10-15 Mill., 14 Banken mit Aktienkapital über 15 Mill., 5 dividendenlosen Banken und 7 Maklerbanken, ergibt pro 1882 folgendes Resultat in Millionen Mark: Aktiva: Aktienkapital 917,1, Kassa 182,8, Wechsel 408,2, Effekten 205,5, Lombard 142,7, Debitoren 841, Immobilien 70;
Passiva: Accepte 285, Kreditoren 510, Depositen 181,5, Reserven 101,8;
Gewinn- und Verlustkonto: Bruttogewinn 110,1, Unkosten 15, Reingewinn 69,9, verteilte Dividende 62,7 oder in Prozenten des Aktienkapitals 6,8 Proz. Bei den 26 deutschen Hypothekenbanken betrug Ende 1882 in Millionen Mark das Aktienkapital 215,3, Reserven 26,3, Bruttogewinn 61,5, Nettogewinn 15,9, verteilte Dividende 13,5 oder 6,24 Proz. des Aktienkapitals. Im J. 1884 gab es im Deutschen Reich 879 Vorschuß- und Kreditvereine mit 451,779 Mitgliedern und 163 Konsumvereine mit 114,423 Mitgliedern.
Zur Vertretung der Interessen von Handel und Gewerbe dienen endlich in Deutschland die Handels- und Gewerbekammern, deren Organisation in den einzelnen Staaten indes noch eine ziemlich verschiedene ist. Während in Preußen, Baden, Hessen nur Handelskammern vorhanden sind, werden die betreffenden Funktionen in Bayern, Sachsen, Württemberg, Sachsen-Meiningen durch Handels- und Gewerbekammern wahrgenommen; in einer größern Zahl kleiner Staaten, wie Anhalt, Schaumburg-Lippe, Schwarzburg-Rudolstadt, Waldeck, existiert eine gesetzliche Vertretung des Handels und der Industrie überhaupt nicht; in andern Staaten wieder, wie in den beiden Mecklenburg, Oldenburg, Sachsen-Koburg-Gotha, wird eine solche Vertretung durch Privatvereine wahrgenommen.
Die Zahl der Handels- und Gewerbekammern in den einzelnen deutschen Staaten verhält sich im übrigen folgendermaßen: Baden 8 Handelskammern, Braunschweig 1 Handelskammer, Bremen 1 Handels- und 1 Gewerbekammer, Elsaß-Lothringen 4 Handelskammern und 2 Gewerbekammern, Hamburg 1 Handels- und 1 Gewerbekammer, Hessen 6 Handelskammern, Lübeck 1 Handels- und 1 Gewerbekammer, Preußen 79 Handelskammern, unter denen die kaufmännischen Korporationen zu Berlin, Stettin, Magdeburg, Tilsit, Königsberg, Danzig, Memel und Elbing sowie das Kommerzkollegium zu Altona die Funktionen von Handelskammern übernehmen; Reuß ä. L. und Reuß j. L. je 1 Handelskammer, Sachsen 5 Handels- und Gewerbekammern, Sachsen-Meiningen 3 Handels- und Gewerbekammern, Sachsen-Weimar 1 Gewerbekammer, Württemberg 8 Handels- und Gewerbekammern.
Die wichtigsten Seeplätze sind schon oben angeführt. Für den Binnenhandel sind ganz besonders von Bedeutung Berlin, Leipzig und Frankfurt a. M.; nächstdem in Norddeutschland Breslau, Magdeburg, Frankfurt a. O., Braunschweig, Köln, denen sich für den Export der Erzeugnisse der eignen Fabriken
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namentlich noch Aachen, Krefeld, Elberfeld, Barmen, Solingen, Remscheid, Chemnitz, Sonneberg u. a. anschließen; in Süddeutschland Nürnberg, Regensburg, Augsburg, Stuttgart, Mainz, Mannheim, Straßburg und Mülhausen. Der Mittelpunkt des deutschen Buchhandels (s. d.) ist Leipzig.
IX. Verfassung und Verwaltung.
Die Verfassung des Deutschen Reichs.
Das deutsche Kaisertum hat keinen universellen, sondern einen nationalen Charakter. Es ist nicht, wie das ehemalige Deutsche Reich, eine Wahlmonarchie, sondern die Kaiserwürde ist erblich mit der Krone Preußen verbunden. Indessen ist der Kaiser nicht der Monarch des Reichs, denn letzteres ist kein Einheitsstaat, sondern ein Bundesstaat, ein Gesamtreich, zusammengesetzt aus den verbündeten deutschen Einzelstaaten. Träger der Reichsgewalt sind vielmehr nach der Reichsverfassung vom welche im wesentlichen mit derjenigen des frühern Norddeutschen Bundes übereinstimmt, die verbündeten Regierungen.
Dem Kaiser steht nur eine Vollzugsgewalt zu, indem er allerdings als König von Preußen die erste Stelle unter den deutschen Fürsten einnimmt. Als Kaiser übt derselbe die ihm übertragenen Befugnisse »im Namen des Reichs« oder »im Namen der verbündeten Regierungen« aus. Auf der andern Seite bedeutet der Übergang der deutschen Gesamtverfassung von derjenigen eines Staatenbundes, wie es der Deutsche Bund (s. d.) war, zur bundesstaatlichen Verfassung den wichtigsten und erheblichsten Fortschritt auf der Bahn unsrer nationalen Entwickelung.
Das Deutsche Reich hat das Gesetzgebungsrecht eines wirklichen Staats. Die Reichsgesetze, welche innerhalb des Kompetenzkreises der Reichsgesetzgebung erlassen werden, gehen den Landesgesetzen der Einzelstaaten vor und erhalten ihre rechtsverbindliche Kraft durch die Verkündigung von Reichs wegen, welche im Reichsgesetzblatt durch den Kaiser erfolgt. Die Gesetze selbst kommen durch den übereinstimmenden Mehrheitsbeschluß des Bundesrats, welcher sich aus den instruierten Vertretern der deutschen Regierungen zusammensetzt, einerseits und des Reichstags, der deutschen Volksvertretung, anderseits zu stande.
Daß der Kaiser gegenüber einem vom Bundesrat und vom Reichstag beschlossenen Gesetz ein Vetorecht nicht besitzt, wird von denjenigen, welche eine möglichst kräftige Zentralgewalt an der Spitze des Reichs sehen möchten, freilich als ein wesentlicher Mangel der Reichsverfassung bezeichnet, zumal selbst dem Präsidenten der Vereinigten Staaten wenigstens ein suspensives Veto zusteht. Auch in der Reichsverfassung, welche 1849 von dem Frankfurter Parlament beschlossen wurde, war ein suspensives Veto des Kaisers vorgesehen.
Hierunter versteht man nämlich die Befugnis der Staatsregierung, den Vollzug eines Gesetzes durch einmaligen Widerspruch und das Inkrafttreten desselben so lange zu hemmen, bis etwa ein nochmaliger Beschluß der gesetzgebenden Faktoren ebendasselbe Gesetz aufrecht erhält. Allerdings wird in der deutschen Reichsverfassung jener Mangel einigermaßen durch das bedeutende Stimmgewicht ersetzt, welches der Krone Preußen im Bundesrat zusteht, woselbst sie 17 von 58 Stimmen führt.
Damit ist dem Kaiser als König von Preußen die Macht gegeben, jede Veränderung der Reichsverfassung abzulehnen. Denn nach Artikel 78 der Verfassungsurkunde gilt eine Verfassungsänderung als abgelehnt, wenn sie im Bundesrat 14 Stimmen gegen sich hat. Ebenso kann der Kaiser in den wichtigsten Fragen der Reichsgesetzgebung wie der Reichsverwaltung Neuerungen verhindern, wofern er die Präsidialstimme für die Aufrechthaltung der bestehenden Einrichtungen abgeben läßt.
Dies ist der Fall bei Gesetzesvorschlägen über das Militärwesen, die Kriegsmarine und das Zollwesen sowie über die Besteuerung von Salz, Tabak, Branntwein, Bier und Zucker, die dem Reiche gebührt. Ebenso gibt die Präsidialstimme im Bundesrat stets dann den Ausschlag, wenn es sich um Verwaltungsvorschriften und Einrichtungen handelt, welche ebendiese Gegenstände betreffen, wofern sich die Präsidialstimme für die Aufrechthaltung der bestehenden Vorschriften oder Einrichtungen ausspricht (Reichsverfassung, Art. 5, 35,37).
Schärfer tritt der monarchisch-staatliche Charakter der Reichsverfassung auf dem Gebiet der Reichsverwaltung hervor. Denn der Kaiser hat nicht nur das ausschließliche Recht, die vom Bundesrat in seiner Mehrheit gebilligten Gesetzentwürfe an den Reichstag zu bringen, sowie das Recht der Verkündigung der Reichsgesetze, sondern er hat auch ihre Ausführung zu überwachen (Art. 17). Diese letztere Bestimmung begründet für den Kaiser in denjenigen Angelegenheiten, welche in den Kompetenzkreis der Reichsgesetzgebung gehören, das Recht, die zur Ausführung der Reichsgesetze erforderlichen Verordnungen zu erlassen, ein Recht, welches die Verfassung ausdrücklich in Ansehung des Militärwesens, der Kriegsmarine, der Post- und Telegraphenverwaltung und des Konsulatwesens hervorhebt.
Da aber auch der Bundesrat ein Verordnungsrecht besitzt, so wird bei dem Erlaß eines Reichsgesetzes in der Regel in diesem Gesetz selbst eine Bestimmung darüber getroffen, welche Stelle die Vollzugsbestimmungen erlassen soll, ob Kaiser, Bundesrat, Reichskanzler oder die Regierungen der Einzelstaaten; immer vorbehaltlich des Rechts des Kaisers, die Ausführung der Reichsgesetzgebung in jedem Fall zu überwachen. Dem Kaiser gebührt ferner die Oberaufsicht über das gesamte Verwaltungswesen des Reichs. Er ernennt die Reichsbeamten, läßt dieselben vereidigen und verfügt erforderlichen Falls ihre Entlassung (Reichsverfassung, Art. 18). Er ernennt auch insbesondere den Reichskanzler, den einzigen verantwortlichen Minister des Reichs, welcher zugleich den Vorsitz im Bundesrat führt (Art. 15). Der Kaiser hat das Recht, den Bundesrat und den Reichstag zu berufen, zu eröffnen und zu schließen (Art. 12). Eine etwanige Auflösung des Reichstags erfolgt auf Grund eines Bundesratsbeschlusses mit Zustimmung des Kaisers (Art. 24). Als ein wirklicher Staat hat das Reich ferner andern Staaten gegenüber den notwendigen diplomatischen Verkehr zu unterhalten; es hat das Gesandtschaftsrecht eines Staats, und die deutschen Einzelstaaten haben, mit Ausnahme von Bayern, Württemberg, Sachsen und Braunschweig, darauf verzichtet, sich bei den auswärtigen Kabinetten noch besonders vertreten zu lassen.
Der Kaiser hat das Reich völkerrechtlich zu vertreten. Er hat im Namen desselben Krieg zu erklären und Frieden zu schließen, Bündnisse und andre Verträge mit fremden Staaten einzugehen und Gesandte zu beglaubigen und zu empfangen. Zur Erklärung des Kriegs im Namen des Reichs bedarf es der Zustimmung des Bundesrats, es sei denn, daß ein Angriff auf das Reichsgebiet oder dessen Küsten erfolgt ist. Was das Vertragsrecht anbetrifft, so ist die Beschränkung beigefügt, daß Verträge mit fremden Staaten, welche sich auf Gegenstände beziehen, die in den Bereich der Reichsgesetzgebung gehören, zu ihrem Abschluß der Zustimmung
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des Bundesrats und zu ihrer Gültigkeit der Genehmigung des Reichstags bedürfen (Art. 11).
Der Kaiser ist ferner der Bundesoberfeldherr. Nach der Reichsverfassung (Art. 63) bildet die gesamte Landmacht des Reichs ein einheitliches Heer, welches im Frieden ebenso wie im Krieg unter dem Oberbefehl des Kaisers steht; unbeschadet allerdings des bayrischen Reservatrechts, wonach das bayrische Heer einen in sich geschlossenen Bestandteil des deutschen Bundesheers mit selbständiger Verwaltung unter der Militärhoheit des Königs von Bayern bildet und nur im Krieg unter dem Befehl des Kaisers steht. Auch die Kriegsmarine des Reichs ist eine einheitliche, welche ebenfalls unter dem Oberbefehl des Kaisers steht (vgl. im einzelnen den Abschnitt »Heerwesen und Marine«). Der weite Kompetenzkreis, welcher der Reichsgesetzgebung durch die Verfassung (Art. 4) gegeben war, ist nachmals durch Gesetz vom (Antrag Lasker) dadurch wesentlich erweitert worden, daß das gesamte bürgerliche Recht der Reichsgesetzgebung unterstellt worden ist.
Derselben unterliegen nunmehr die Bestimmungen über Freizügigkeit, Heimats- und Niederlassungsverhältnisse (mit Ausnahme von Bayern), Staatsbürgerrecht, Paßwesen, Fremdenpolizei, über den Gewerbebetrieb nebst dem Versicherungswesen, über Kolonisation und Auswanderung nach außerdeutschen Ländern;
die Zoll- und Handelsgesetzgebung und die Steuern für Bundeszwecke;
das Maß-, Münz- und Gewichtssystem und die Ausgabe von Papiergeld;
das Bankwesen;
die Erfindungspatente;
der Schutz des geistigen Eigentums;
der Schutz des deutschen Handels und der deutschen Schiffahrt sowie die gemeinsame Konsularvertretung im Ausland;
das Eisenbahnwesen (mit Vorbehalt in Bayern) und die Herstellung von Land- und Wasserstraßen, soweit sie von Interesse für die Landesverteidigung und den allgemeinen Verkehr sind;
die Flößerei und Schiffahrt auf den mehreren Staaten gemeinsamen Wasserstraßen sowie der Zustand der letztern und die Wasserzölle;
das Post- und Telegraphenwesen (mit Ausnahme von Bayern und Württemberg);
die wechselseitige Vollstreckung von Erkenntnissen in Zivilsachen;
die Beglaubigung öffentlicher Urkunden;
die gemeinsame Gesetzgebung über das gesamte bürgerliche Recht, das Strafrecht und das gerichtliche Verfahren;
das Militärwesen und die Kriegsmarine;
die Medizinal- und Veterinärpolizei;
die Bestimmungen über die Presse und das Vereinswesen.
Die Anlegung von Eisenbahnen im Interesse der Verteidigung Deutschlands oder im Interesse des gemeinsamen Verkehrs kann sogar gegen den Widerspruch derjenigen Bundesglieder, deren Gebiet diese Eisenbahnen durchschneiden (mit Ausnahme von Bayern), durch Reichsgesetz angeordnet werden. Dagegen sind verschiedene andre Gegenstände in den Bereich der Reichsgesetzgebung gezogen, ohne damit der Landesgesetzgebung entzogen zu sein. Doch gehen hier unter allen Umständen die Reichsgesetze den Landesgesetzen vor.
Dies gilt namentlich von dem Gebiet des bürgerlichen Rechts, doch ist die Ausarbeitung eines gemeinsamen bürgerlichen Gesetzbuchs für ganz Deutschland unternommen. Andre Gegenstände endlich, wie namentlich das Gebiet der innern Landesverwaltung, sind lediglich der Landesgesetzgebung der einzelnen Bundesstaaten vorbehalten. Die gesetzgebenden Faktoren des Reichs sind Bundesrat und Reichstag. Ersterer entspricht dem vormaligen deutschen Bundestag, insofern er sich aus instruierten Vertretern der verbündeten Staaten zusammensetzt. Im Reichstag dagegen ist eine nationale Vertretung des gesamten Volkes, entsprechend dem Landtag eines Einzelstaats, gegeben.
Der Reichstag (Art. 20 ff.) geht aus allgemeinen und direkten Wahlen mit geheimer Abstimmung hervor, welche nach Maßgabe des Wahlgesetzes vom erfolgt. Jeder Deutsche ist in dem Bundesstaat, in dem er wohnt, Wähler, sofern er das 25. Lebensjahr zurückgelegt hat. Für Personen des Soldatenstandes, des Heers und der Marine ruht die Berechtigung zum Wählen (nicht aber das Recht, gewählt zu werden) so lange, als dieselben bei der Fahne sind. Ausgeschlossen von der Wahlberechtigung sind: Personen, die unter Vormundschaft oder Kuratel stehen, oder über deren Vermögen der Konkurszustand gerichtlich eröffnet ist, oder welche eine Armenunterstützung aus öffentlichen oder Gemeindemitteln beziehen, oder denen durch rechtskräftiges Erkenntnis der Vollgenuß der staatsbürgerlichen Rechte entzogen ist.
Wählbar zum Abgeordneten ist im ganzen Reichsgebiet jeder Deutsche, welcher das 25. Lebensjahr zurückgelegt und einem zum Reiche gehörigen Staat seit mindestens einem Jahr angehört hat, sofern er nicht aus allgemeinen Gründen von der Wahlberechtigung ausgeschlossen ist. Auf durchschnittlich 100,000 Seelen (nach der bei Erlaß des Wahlgesetzes maßgebenden Volkszählung) wird ein Abgeordneter gewählt; jedoch sendet ein Bundesstaat, dessen Bevölkerung diese Ziffer nicht erreicht, ebenfalls einen Abgeordneten.
Der Reichstag besteht aus 397 Mitgliedern, nämlich 236 aus Preußen, 48 aus Bayern, 23 aus Sachsen, 17 aus Württemberg, 15 aus Elsaß-Lothringen, 14 aus Baden, 9 aus Hessen, 6 aus Mecklenburg-Schwerin, je 3 aus Sachsen-Weimar, Oldenburg, Braunschweig und Hamburg, je 2 aus Sachsen-Meiningen, Sachsen-Koburg-Gotha und Anhalt und je 1 aus den übrigen Staaten. Die Legislaturperiode dauert drei Jahre; eine Auflösung des Reichstags kann während derselben durch Beschluß des Bundesrats unter Zustimmung des Kaisers erfolgen. In diesem Fall müssen binnen 60 Tagen die Wähler und binnen 90 Tagen nach der Auflösung der neugewählte Reichstag versammelt werden.
Auch darf der Reichstag ohne seine Zustimmung nicht länger als auf 30 Tage und nicht mehr als einmal während derselben Session vertagt werden. Die Reichstagsmitglieder dürfen als solche keine Besoldung oder Entschädigung beziehen. Freie Fahrt auf den deutschen Eisenbahnen wird ihnen während der Session, acht Tage vor Beginn und acht Tage nach Schluß derselben gewährt, jedoch nur für die Reise von ihrem Wohnort nach Berlin. Beamte bedürfen keines Urlaubs zum Eintritt in den Reichstag; wenn jedoch ein Mitglied in den Reichs- oder Staatsdienst eintritt oder in demselben aufrückt, so muß es sich einer Neuwahl unterwerfen.
Während der Sitzungsperiode darf kein Mitglied verhaftet werden, außer bei Ergreifung auf frischer That. Auf Verlangen des Reichstags wird sogar jedes Strafverfahren gegen ein Mitglied und jede Untersuchungs- und Zivilhaft für die Dauer der Session aufgehoben. Auch darf kein Mitglied wegen seiner Abstimmungen oder sonstigen in Ausübung seines Berufs gemachten Äußerungen gerichtlich oder disziplinarisch verfolgt oder sonst außerhalb des Reichstags zur Verantwortung gezogen werden. Die Verhandlungen des Reichstags sind öffentlich, und wahrheitsgetreue Berichte darüber bleiben von jeder Verantwortlichkeit frei. Beschlüsse werden mit absoluter Stimmenmehrheit gefaßt; jedoch ist zur Beschlußfähigkeit erforderlich, daß die Mehrheit der gesetzlichen Anzahl der
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Mitglieder anwesend sei (also 199 Abgeordnete). Der Reichstag wählt sein Büreau, entscheidet über die Legitimation seiner Mitglieder; auch hat er das Recht, seinerseits Gesetze innerhalb der Kompetenz des Reichs vorzuschlagen. Der Reichstag regelt seinen Geschäftsgang und seine Disziplin selbst in der von ihm beschlossenen, revidierten Geschäftsordnung.
Was den andern gesetzgebenden Faktor des Reichs, den Bundesrat (Art. 6 ff.), anbetrifft, so ist dessen Stellung um deswillen eine eigenartige, weil er nicht nur den Charakter eines gesetzgebenden Körpers, sondern zugleich auch denjenigen eines Regierungskollegiums und einer verwaltenden und ausführenden Stelle hat. Aber auch in seiner Eigenschaft als gesetzgebendes Organ des Reichs hat der Bundesrat doch nicht denjenigen Charakter, wie er einem Oberhaus oder der Ersten Kammer in den Staaten mit Zweikammersystem innewohnt.
Denn die Mitglieder des Bundesrats haben in Gemäßheit der Instruktionen zu stimmen, welche ihnen ihre Regierungen, deren Mandatare sie sind, erteilten. Zugleich hat der Bundesrat über die zur Ausführung der Reichsgesetze erforderlichen allgemeinen Verwaltungsvorschriften und Einrichtungen zu beschließen, sofern nicht durch Reichsgesetz etwas andres bestimmt ist, desgleichen über Mängel, welche bei Ausführung der Reichsgesetze oder solcher Vorschriften und Einrichtungen hervortreten.
Wie die Minister der Einzelstaaten in den Kammern die Regierung vertreten, so haben auch die Mitglieder des Bundesrats das Recht, jederzeit im Reichstag zu erscheinen und die Ansichten ihrer Regierungen zu vertreten, selbst dann, wenn dieselben von der Mehrheit des Bundesrats nicht angenommen worden sind. Dem Kaiser liegt es ob, den Mitgliedern des Bundesrats den üblichen diplomatischen Schutz zu gewähren. Die erforderlichen Vorlagen für den Reichstag werden nach Maßgabe der Beschlüsse des Bundesrats im Namen des Kaisers an die Volksvertretung gebracht, wo sie durch Mitglieder des Bundesrats oder durch besondere von letzterm zu ernennende Kommissarien vertreten werden (Art. 16). Im Bundesrat werden 58 Stimmen abgegeben, von denen auf Preußen 17, Bayern 6, Sachsen 4, Württemberg 4, Baden 3, Hessen 3, Mecklenburg-Schwerin und Braunschweig je 2 kommen und je 1 auf Sachsen-Weimar, Mecklenburg-Strelitz, Oldenburg, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Koburg-Gotha, Anhalt, Schwarzburg-Rudolstadt, Schwarzburg-Sondershausen, Waldeck; Reuß ä. L., Reuß j. L., Schaumburg-Lippe, Lippe, Lübeck, Bremen und Hamburg.
Elsaß-Lothringen ist im Bundesrat durch stimmberechtigte Bevollmächtigte nicht vertreten, doch können von dem Statthalter zur Vertretung von Vorlagen aus dem Bereich der dortigen Landesgesetzgebung und zur Wahrung der Interessen der Reichslande Kommissarien abgeordnet werden. Zur Beschlußfassung ist die einfache Majorität nötig, bei Stimmengleichheit entscheidet die Präsidialstimme. Der Bundesrat bildet aus seiner Mitte dauernde Ausschüsse für das Landheer und die Festungen, für das Seewesen, für Zoll- und Steuerwesen, für Handel und Verkehr, für Eisenbahnen, Post und Telegraphen, für Justiz-, für Rechnungswesen, für die auswärtigen Angelegenheiten, für Elsaß-Lothringen, für die Verfassung und für die Geschäftsordnung. In jedem dieser Ausschüsse müssen außer dem Präsidium mindestens vier Bundesstaaten vertreten sein, und jeder Staat führt innerhalb derselben nur eine Stimme.
Der Ausschuß für die auswärtigen Angelegenheiten wird aus den Bevollmächtigen der Königreiche Bayern, Sachsen und Württemberg und zwei vom Bundesrat alljährlich zu wählenden Bevollmächtigten andrer Bundesstaaten unter dem Vorsitz Bayerns gebildet. In dem Ausschuß für das Landheer und die Festungen hat Bayern einen ständigen Sitz, die übrigen Mitglieder desselben sowie die Mitglieder des Ausschusses für das Seewesen werden vom Kaiser ernannt; die Mitglieder der andern Ausschüsse werden von dem Bundesrat gewählt.
Die Zusammensetzung dieser Ausschüsse ist für jede Session des Bundesrats, resp. mit jedem Jahr zu erneuern, wobei die ausscheidenden Mitglieder wieder wählbar sind. Jedes Bundesglied kann Vorschläge machen, die das Präsidium zur Beratung im Bundesrat stellen muß. Niemand kann gleichzeitig Mitglied des Reichstags und des Bundesrats sein. Der Bundesrat muß, ebenso wie der Reichstag, alljährlich berufen werden. Er kann zur Vorbereitung der Arbeiten ohne den Reichstag, letzterer aber nicht ohne den Bundesrat berufen werden. Die Berufung des Bundesrats muß erfolgen, sobald sie von einem Drittel der Stimmenzahl verlangt wird. Der Geschäftsgang ist im einzelnen durch die Geschäftsordnung vom geregelt (s. Bundesrat).
Daß Deutschland nunmehr einen wirklichen Gesamtstaat bildet, und daß dieser Staat einen konstitutionell-monarchischen Charakter hat, wenn auch nicht allenthalben ausgeprägt und streng durchgeführt, zeigt sich ferner auch in der verfassungsmäßigen Stellung des Reichskanzlers. Denn dieser ist der politisch verantwortliche Minister des Reichs. Von einem solchen konnte in dem frühern Staatenbund nicht die Rede sein, weil es an dem Repräsentanten einer einheitlichen Staatsgewalt fehlte, dem ein solcher Minister hätte zur Seite stehen können.
Der Reichskanzler ist das vollziehende Organ der Reichsgewalt. Die Anordnungen und Verfügungen des Kaisers, welche im Namen des Reichs erlassen werden, bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung des Reichskanzlers, welcher dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt. Auf diese Weise ist die Verwaltung des Reichs streng zentralistisch durchgeführt. Das Reich hat nur einen einzigen verantwortlichen Minister, welcher für jeden Zweig der Reichsverwaltung der oberste Chef ist.
Sämtliche Vorstände der einzelnen Reichsämter sind dem Reichskanzler untergeordnet. Das Streben, ein verantwortliches Reichsministerium ins Leben zu rufen mit verantwortlichen Fachministern oder (Antrag Bennigsen) verantwortlichen Vorständen der einzelnen Verwaltungszweige, ein Streben, welches in der Volksvertretung wiederholt zum Ausdruck kam, war bisher ein vergebliches. Ein Anlauf dazu ist allerdings in dem sogen. Stellvertretungsgesetz (vom zu erblicken, wonach nicht nur ein Reichsvizekanzler ernannt werden kann, sondern auch für diejenigen Amtszweige, welche sich in der eignen und unmittelbaren Verwaltung des Reichs befinden, die Vorstände der obersten Reichsbehörden mit der Stellvertretung des Kanzlers im ganzen Umfang oder in einzelnen Teilen ihres Geschäftskreises beauftragt werden können.
Der Behördenorganismus des Reichs selbst ist mit der Zeit ein sehr komplizierter geworden (s. Reichsbehörden), ohne daß jedoch das Organisationswerk bereits zum Abschluß gekommen wäre, sowenig wie der innere Ausbau des Reichs ein abgeschlossener und vollendeter ist. Zur Besorgung der auswärtigen Angelegenheiten war ursprünglich das preußische Ministerium des Auswärtigen herangezogen worden, während die Militärverwaltung im wesentlichen durch
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das preußische Kriegsministerium und die Verwaltung der Marineangelegenheiten durch das preußische Marineministerium erfolgten. Aber schon zur Zeit des Norddeutschen Bundes wurde das preußische Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten in ein Auswärtiges Amt des Norddeutschen Bundes (jetzt des Deutschen Reichs) umgewandelt. Das neue Reich brachte eine kaiserliche Admiralität zur Verwaltung der Kriegsmarine. Als zuständige Behörde für die dem Bundeskanzler obliegende Verwaltung und Beaufsichtigung der Gegenstände der Bundesverwaltung war bei der Gründung des Norddeutschen Bundes dem Bundeskanzler ein Bundeskanzleramt, nachmals Reichskanzleramt, beigegeben worden.
Der Erwerb von Elsaß-Lothringen machte eine besondere Abteilung des Reichskanzleramts für die Reichslande nötig. Die Verwaltung des Reichsinvalidenfonds, das Reichseisenbahnamt und die Reichsbank mit ihren Zweig- und Nebenanstalten traten ins Leben. Für die Justizverwaltung kam ein Reichsjustizamt hinzu. Einzelne Zweige der Reichsverwaltung wurden demnächst von dem Reichskanzleramt losgelöst, um besondern Reichsämtern überwiesen zu werden, so insbesondere die Reichspost- und -Telegraphenverwaltung, welche nunmehr dem Reichspostamt übertragen ist.
Die gesamte Finanzverwaltung des Reichs ward dem Reichskanzleramt abgenommen und einem besondern Reichsschatzamt zugewiesen. Ebenso trat für die Verwaltung der Reichseisenbahnen ein besonderes Reichsamt ins Leben. Aus der Abteilung des Reichskanzleramts für Elsaß-Lothringen ging ein besonderes Reichskanzleramt für Elsaß-Lothringen hervor, und auch dieses ward aufgehoben, nachdem ein Statthalter an die Spitze der reichsländischen Verwaltung gestellt worden war, welchem ein besonderes Ministerium für Elsaß-Lothringen beigegeben ist.
Das Reichskanzleramt aber erhielt die offizielle Bezeichnung »Reichsamt des Innern«. Von dieser Behörde ressortieren wiederum wichtige Reichsbehörden, wie das Bundesamt für das Heimatswesen, das Oberseeamt, das statistische Amt, Gesundheitsamt, Patentamt, Reichsversicherungsamt etc. (s. Reichsbehörden). Einer Zentralstelle des Reichs nicht unterstellt ist die Reichsmilitärverwaltung. Die Kriegsministerien von Preußen, Sachsen und Württemberg besorgen die Militärverwaltung der einzelnen Kontingente. Dem Reichskanzler ist eine Reichskanzlei unmittelbar untergeben, welche als dessen Zentralbüreau den amtlichen Verkehr des erstern mit den Chefs der einzelnen Ressorts vermittelt.
Daß das Deutsche Reich ein wirklicher Staat ist, geht auch aus der Unterthaneneigenschaft seiner Angehörigen hervor. Diese stehen nämlich in einem Doppelverhältnis. Sie sind Unterthanen ihrer Einzelregierung und Bürger des Einzelstaats, dem sie jeweilig angehören. Aber sie sind auch zugleich Bürger und Angehörige des deutschen Gesamtstaats, so daß die Unterthanen der verschiedenen deutschen Einzelstaaten nicht mehr wie zur Zeit des frühern deutschen Staatenbundes im Verhältnis zu einander als Ausländer erscheinen.
Ihr gemeinsames Reichsbürgerrecht (Bundesindigenat), verbunden mit dem Grundsatz der Freizügigkeit, sichert ihnen in jedem deutschen Staat ebendieselbe rechtliche Stellung zu, wie sie dem Inländer gegeben ist. Die Regierungen der Einzelstaaten aber sind in ihrer Souveränität insoweit beschränkt, als dies durch ihre Zugehörigkeit zu dem Gesamtstaat verfassungsmäßig bedingt ist. Wenn Bundesglieder ihre Bundespflichten nicht erfüllen sollten, so können sie dazu im Weg der Exekution angehalten werden (Art. 19). Dieselbe ist vom Bundesrat zu beschließen und vom Kaiser zu vollstrecken.
Streitigkeiten zwischen verschiedenen Bundesstaaten werden, insofern sie nicht privatrechtlicher Natur sind und ebendarum vor die Gerichte gehören, auf Anrufen des einen Teils vom Bundesrat erledigt. Auch hat der Bundesrat nötigen Falls Verfassungsstreitigkeiten in einem Bundesstaat gütlich auszugleichen oder, wenn dies nicht gelingt, im Weg der Reichsgesetzgebung zur Erledigung zu bringen (Art. 76). Auch Beschwerden über gehemmte oder verweigerte Rechtshilfe können aus den einzelnen Bundesstaaten heraus an den Bundesrat gebracht werden, wofern auf gesetzlichem Weg ausreichende Hilfe nicht zu erlangen sein sollte (Art. 77). Über die Litteratur des deutschen Reichsstaatsrechts vgl. Staatsrecht.
Rechtspflege.
Eine der wichtigsten Errungenschaften des neuen Reichs ist die einheitliche Justizorganisation desselben, welche durch die Justizgesetze von 1877 und 1878 erfolgte (s. Gericht). Die Privat- oder Patrimonialgerichtsbarkeit ist vollständig beseitigt, der geistlichen Gerichtsbarkeit die bürgerliche Wirksamkeit entzogen und die Trennung der Justiz von der Verwaltung vollständig durchgeführt. Die Voraussetzungen der Fähigkeit zum Richteramt sind für ganz Deutschland in einheitlicher Weise bestimmt.
Für die Unabhängigkeit des Richterstandes sind die nötigen Garantien gegeben. Das Laienelement ist in ausgedehntem Umfang zur Rechtsprechung herangezogen, so insbesondere in den Schöffengerichten, welche zu den Schwurgerichten hinzukamen, sowie in dem Institut der Handelsrichter und der Schiedsmänner. Die richterliche Thätigkeit soll sich möglichst auf das Gebiet der eigentlichen Rechtsprechung konzentrieren. Darum ist die Mobiliarexekution Sache der Gerichtsvollzieher und die Einleitung und Vorbereitung der richterlichen Entscheidung Sache der Gerichtsschreiber.
Das Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten wird, ebenso wie das Hauptverfahren im Strafprozeß, durch die Grundsätze der Öffentlichkeit und Mündlichkeit, der Unmittelbarkeit der Verhandlung und der freien Würdigung der Beweisergebnisse durch den Richter beherrscht. Ausnahmegerichte, abgesehen von Kriegsgerichten und Standrechten, sind unstatthaft. Die oberste Gerichtsbarkeit wird durch das Reichsgericht in Leipzig ausgeübt. Diese Reichsbehörde, deren Mitglieder (Präsident, Senatspräsidenten und Räte) auf Vorschlag des Bundesrats vom Kaiser ernannt werden, sichert die Wahrung der Rechtseinheit und die gleichmäßige Auslegung der deutschen Reichsgesetze. In beschränktem Umfang war dies zuvor die Aufgabe des Reichsoberhandelsgerichts gewesen.
Alle niedern Instanzen sind Landesbehörden. Das Reichsgericht entscheidet in erster und letzter Instanz über die gegen Kaiser und Reich gerichteten Verbrechen des Hochverrats und des Landesverrats. Im übrigen ist der Instanzenzug folgender: In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten entscheiden in erster Instanz die Amtsgerichte (Einzelrichter) in minder wichtigen Rechtssachen, namentlich in allen vermögensrechtlichen Streitigkeiten, deren Gegenstand den Wert von 300 Mk. nicht übersteigt. Für alle andern Rechtsstreitigkeiten sind die kollegialischen Landgerichte zuständig, welche zugleich die Berufungs- und Beschwerdeinstanz für die Amtsgerichte bilden. Bei den Landgerichten können zur Entscheidung von Handelsstreitigkeiten Kammern für Handelssachen errichtet werden, bestehend aus einem Berufsrichter als Vorsitzendem und zwei
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Handelsrichtern. Die Berufungs- und Beschwerdeinstanz für die Entscheidungen der Landgerichte sind die kollegialischen Oberlandesgerichte. Revisionsinstanz für die zweitinstanzlichen Endurteile der Oberlandesgerichte bei einer Revisionssumme von mindestens 1500 Mk. ist das Reichsgericht. Für diejenigen Staaten, welche mehrere Oberlandesgerichte haben, ist die Errichtung eines obersten Landesgerichtshofs nachgelassen, von welchem über die sonst vor das Reichsgericht gehörigen Revisionen und Beschwerden zu entscheiden ist, sofern es sich um landesrechtliche Justizsachen handelt.
Von dieser Befugnis hat Bayern Gebrauch gemacht. In Strafsachen besteht folgende Dreiteilung: schwere Verbrechen werden von den Schwurgerichten, Übertretungen und leichte Vergehen von den Schöffengerichten abgeurteilt; alle sonstigen Verbrechen und Vergehen gehören vor die Strafkammern der Landgerichte. Berufung ist nur gegen Urteile der Schöffengerichte zulässig und zwar an die Strafkammern der Landgerichte. Revisionen gegen Urteile der Strafkammern in der Berufungsinstanz werden von den Oberlandesgerichten erledigt, ebenso Revisionen gegen die erstinstanzlichen Erkenntnisse der Strafkammern, wenn sie ausschließlich auf die Verletzung einer in den Landesgesetzen enthaltenen Rechtsnorm gestützt werden; sonst gehen dieselben an das Reichsgericht.
Als besondere Gerichte sind zugelassen:
1) die Rheinschiffahrts- und Elbzollgerichte;
2) die Gerichte, welche sich mit der Auseinandersetzung in Separationssachen, bei Ablösungen, Konsolidationen u. dgl. zu beschäftigen haben;
3) Gemeindegerichte in geringfügigen Fällen;
4) Gewerbegerichte;
5) Militärgerichte, deren Jurisdiktion sich jedoch auf Strafsachen beschränkt. Die Staatsanwaltschaft wird bei dem Reichsgericht durch einen Oberreichsanwalt und durch Reichsanwalte, bei Oberlandesgerichten, Landgerichten und Schwurgerichten durch Staatsanwalte und bei den Amts- und Schöffengerichten durch Amtsanwalte ausgeführt. (Näheres über die Justizorganisation s. in den Artikeln über die Einzelstaaten.) Eine einheitliche Gesetzgebung über die in den Kompetenzkreis des Reichs fallenden Gegenstände ist zum Teil geschaffen, auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts in der Vorbereitung begriffen.
Zur Zeit bestehen für das Privatrecht noch die drei großen Rechtsgebiete des preußischen Landrechts, des französischen und des gemeinen deutschen Rechts.
Das preußische Landrecht gilt im größten Teil des preußischen Staats, nämlich in den Provinzen Ostpreußen, Westpreußen, Berlin, Brandenburg, Pommern mit Ausschluß der neuvorpommerschen Kreise Greifswald, Grimmen, Franzburg, Stralsund und Rügen, in Posen, Schlesien und Sachsen, im Regierungsbezirk Aurich mit Ausschluß des Stadtbezirks Wilhelmshaven, in der Stadt Duderstadt und dem Amt Gieboldehausen (Regierungsbezirk Hildesheim), in Westfalen sowie den rechtsrheinischen Kreisen des Regierungsbezirks Düsseldorf: Rees, Duisburg, Mülheim a. d. Ruhr, Essen Land und Stadt Essen; außerdem in den ehemals preußischen, jetzt bayrischen Fürstentümern Ansbach und Baireuth.
Die Geltung des französischen Rechts erstreckt sich auf die preußischen Rheinlande mit Ausschluß der im Gebiet des preußischen Landrechts belegenen Kreise des Regierungsbezirks Düsseldorf, des Kreises Meisenheim und des rechts vom Rhein und links von der Sieg belegenen Teils des Regierungsbezirks Koblenz, zu welchem auch die Rheininseln gehören. Ferner gilt französisches Recht in Elsaß-Lothringen, in der bayrischen Pfalz, in Rheinhessen und (in besonderer Kodifikation) in Baden. Das Rechtsgebiet des französischen Rechts ist ein in sich geschlossenes, innerhalb dessen nur im Kreis Meisenheim andres (und zwar gemeines deutsches) Recht gilt.
Das gemeine deutsche Recht, modifiziert durch zahlreiche einzelne Partikulargesetze, hat seine Geltung in den preußischen Provinzen Schleswig-Holstein, Hannover mit Ausnahme von Ostfriesland und des zum Eichsfeld gehörigen Teils des hildesheimischen Kreises Osterode am Harz, in Hessen-Nassau, im Kreis Meisenheim und im rechtsrheinischen, links der Sieg gelegenen Teil des Regierungsbezirks Koblenz sowie in Hohenzollern und den schon erwähnten neuvorpommerschen Kreisen.
Ferner gilt gemeines deutsches Recht im Königreich Bayern mit Ausschluß der Rheinpfalz und der Fürstentümer Ansbach und Baireuth, im Königreich Württemberg, in Hessen mit Ausnahme von Rheinhessen, in Sachsen-Weimar, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Koburg-Gotha, im Königreich Sachsen (in besonderer Kodifikation), in Anhalt, in Schwarzburg-Rudolstadt und Schwarzburg-Sondershausen, in Reuß ältere und jüngere Linie, in Waldeck, in Schaumburg-Lippe und Lippe, in Braunschweig, in Oldenburg, in Mecklenburg-Schwerin, in Mecklenburg-Strelitz und in den freien Hansestädten Hamburg, Lübeck und Bremen.
Das Rechtsgebiet des gemeinen deutschen Rechts ist ein gleichfalls geschlossenes und erstreckt sich von der jütischen Grenze ununterbrochen bis zum Bodensee. Exklaven desselben im Gebiet des preußischen Landrechts bilden Anhalt, die Unterherrschaften von Schwarzburg-Rudolstadt und Schwarzburg-Sondershausen sowie kleinere, zu Mecklenburg-Schwerin, Braunschweig, Sachsen-Weimar und Sachsen-Koburg-Gotha gehörige Gebietsteile. Im Gebiet des französischen Rechts liegt die Exklave Meisenheim.
Vgl. Deutsches Recht, wo ein Überblick über die Entwickelung der neuern deutschen Gesetzgebung gegeben ist.
Finanzwesen des Deutschen Reichs.
Wie jeder Staat, so ist auch der deutsche Gesamtstaat eine vermögensrechtliche Persönlichkeit, welche als Reichsfiskus bezeichnet wird. Zu dem Reichsvermögen gehören die Reichseisenbahnen in Elsaß-Lothringen, der Reichskriegsschatz, welcher im Betrag von 120 Mill. Mk. im Juliusturm zu Spandau bar hinterlegt ist, der Reichsinvalidenfonds, der Reichsfestungsbaufonds und der Fonds zum Bau eines Reichstagsgebäudes. Dazu kommen die zahlreichen Liegenschaften (Kasernen, Postgebäude etc.), welche dem Reich eigentümlich zugehören, und das Mobiliarvermögen, welches sich in der Benutzung der einzelnen Reichsverwaltungen befindet.
Als ein wirklicher Staat hat das Deutsche Reich auch den Kredit eines solchen, während sich der frühere Deutsche Bund als bloßer Staatenbund im Fall eines besondern Geldbedarfs auf Vorschüsse einzelner Bundesglieder angewiesen sah. Die Aufnahme von Reichsschulden erfolgt im Weg der Reichsgesetzgebung. Die Reichsschuld ist teils eine verzinsliche, teils eine unverzinsliche, welch letztere durch Reichskassenscheine repräsentiert wird. Laut Gesetz vom wurden Reichskassenscheine bis zum Betrag von 120 Mill. Mk. an die Einzelstaaten nach ihrer Bevölkerung verteilt und zur Durchführung der Münzreform die Ausgabe von weitern 54,889,940 Mk. autorisiert. Die Reichsschuld belief sich auf rund 430 Mill. Mk. Die Einnahmen und Ausgaben des Reichs als eines konstitutionellen Staats sind unter Mitwirkung der Volksvertretung im Reichshaushaltsetat durch ein Etatsgesetz festzustellen. Die
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Budget- oder Finanzperiode ist eine einjährige, indem der Versuch der Reichsregierung, zweijährige Budgetperioden einzuführen, wiederholt an dem Widerspruch des Reichstags scheiterte. Wie das Budget vom Bundesrat mit dem Reichstag vereinbart wird, so haben auch beide Körperschaften das Recht der Kontrolle der Reichsfinanzverwaltung. Die Vorprüfung der jährlich zu legenden Rechnungen erfolgt durch die preußische Oberrechnungskammer in Potsdam, welche zugleich als »Rechnungshof des Deutschen Reichs« fungiert. Für die Verwaltung des Reichskriegsschatzes und der Reichsschuld besteht die besondere Kontrolle der Reichsschuldenkommission, welche auch die Verwaltung des Reichsinvalidenfonds überwacht. Sowohl der Bundesrat als auch der Reichstag hat zu der Entlastung des Reichskanzlers die jährlich zu legenden Rechnungen der Reichsverwaltungen zu genehmigen. Das Finanzjahr läuft seit 1877 vom 1. April bis zum 31. März.
Einnahmen des Reichs.
Was die laufenden Einnahmen des Reichs anbetrifft, so kommen 1) privatrechtliche Einnahmen aus den Betriebsergebnissen der Reichseisenbahnen, Zinsen der bereits erwähnten Fonds, Gewinn aus der Münzprägung auf Rechnung des Reichs, Einnahmen aus dem Betrieb der Reichsdruckerei in Berlin, Kaufgelder aus Verkäufen für Rechnung des Reichs etc. in Betracht. Dazu kommen 2) die für Rechnung des Reichs zu erhebenden Gebühren, insbesondere die in der Reichspost- und Telegraphenverwaltung anfallenden.
Aus diesen werden zunächst die laufenden Kosten ebendieser Verwaltung bestritten, während der beträchtliche Überschuß in die Reichskasse fließt. Für das Etatsjahr 1886/87 ist dieser Überschuß bei einer Gesamteinnahme von 180,300,820 Mk. (gegen 170,225,800 Mk. im Vorjahr) auf 28,592,274 Mk. veranschlagt. In jener Gesamteinnahme figurieren die Porto- und Telegrammgebühren mit 163,100,000 Mk., Personengeld 2,385,000 Mk., Gebühren für Bestellung von Postsendungen 8,130,000 Mk. und 3,600,000 Mk. vom Absatz der Zeitungen.
Die Einnahmen der selbständigen bayrischen und württembergischen Postverwaltungen fließen in die Landeskassen der beiden Staaten. Dafür haben die letztern aber auch an den Einnahmen aus der Reichspost- und Telegraphenverwaltung keinen Anteil und müssen ebendeshalb höhere Matrikularbeiträge zahlen. Außerdem kommen Gebühren für gewisse Handlungen der Reichsbehörden, z. B. der Konsuln, des Patentamts, Sporteln des Reichsgerichts u. dgl., für die Reichskasse zur Erhebung.
3) An Steuern fließen in diese Kasse die Verbrauchssteuern von inländischem Salz, Tabak, Branntwein, Bier und von dem aus Rüben oder andern inländischen Erzeugnissen dargestellten Zucker sowie die Zölle. Die Erhebung der gemeinschaftlichen Zölle und Verbrauchssteuern ist Sache der Einzelstaaten; der Reinertrag fließt in die Reichskasse. Die außerhalb des Zollgebiets liegenden Teile des Reichs tragen zu den Reichsausgaben durch die Zahlung von Aversen in entsprechend erhöhter Weise bei. In Bayern, Württemberg und Elsaß-Lothringen ist jedoch die Besteuerung des Biers und des Branntweins nicht Reichssache.
Sie haben daher an den betreffenden Reichseinnahmen keinen Anteil und zahlen statt dessen Aversa an die Reichskasse. Die Zolleinnahmen beliefen sich vor dem neuen Zolltarif von 1879 auf 114 Mill. Mk. brutto und 105 Mill. netto (Etat 1879/80). Im Etat für 1884/85 dagegen waren dieselben auf 196,450,000 Mk. netto veranschlagt. Hierzu kamen 17,434,000 Mk. an Erhebungs- und Verwaltungskosten, so daß die Zollbruttoeinnahme nach dem Etat rund 214 Mill. Mk. betrug. Nach dem Etat pro 1885/86 ist die Nettoeinnahme auf 199,820,000 Mk., nach dem Etat pro 1886/87 infolge der Zollerhöhungen von 1885 auf 245,720,000 Mk. veranschlagt.
Was die Erträgnisse der einzelnen Zölle anbetrifft, so gingen z. B. 1884 aus Kaffee 44,5 Mill. Mk., Tabak 31,2, Getreide 23,8, Wein und Obstwein 14,7, Baumwollengarn 5,1, Vieh 3,5, Bau- und Nutzholz 3, Reis 2,9, Gewürzen 2,9, Südfrüchten 2,8, Heringen 2,8, Roheisen 2,7, Thee 1,5 Mill. Mk. ein. Auch die Tabaksteuer ist seit 1879 so erhöht, daß sie jetzt etwa 8 Mill. Mk. anstatt früher 1 Mill. einbringt. Etatisiert waren die Erträgnisse der Tabaksteuer 1881/82 mit 4,6 Mill. Mk., 1882/83: 11, 1883/84: 13,6, 1884/85: 13,9, 1885/86: 10,673,300, 1886/87: 7,656,000 Mk. Bezüglich der jährlichen Erträgnisse aus den Zöllen und aus der Tabaksteuer besteht die Einrichtung (Antrag »Franckenstein«),
daß 130 Mill. Mk. davon in der Reichskasse verbleiben, während der Überschuß über diese Summe nach dem Verhältnis der Kopfzahl der Bevölkerung in die Kassen der Einzelstaaten zurückfließt. Nach dem Etat pro 1886/87 beläuft sich diese Rückzahlung auf 128,600,000 Mk. Dagegen verbleiben die Nettoerträgnisse der Rübenzucker-, Salz-, Branntwein- und Brausteuer dem Reich. Die Zuckersteuer hat einen Rückgang erfahren infolge des allzu großen Exports und der damit zusammenhängenden Krisis.
Die Rübenzuckersteuer beträgt nämlich seit dem Gesetz vom 80 Pf. vom Zentner roher Rüben. Bei der Ausfuhr von Zucker wird die Steuer zurückvergütet und zwar mit 9 Mk. 40 Pf. pro Zentner Zucker, seit dem Gesetz vom aber nur noch mit 9 Mk. Diese Exportvergütung war und ist zu hoch, nachdem es die Fortschritte der Fabrikation gestatten, jetzt aus einer viel geringern Rübenmenge einen Zentner Zucker herzustellen, als dies bei dem Erlaß des Gesetzes vom der Fall war. So kommt es, daß der Zuckerfabrikant für den exportierten Zucker mehr vergütet erhält, als er für das Rohmaterial an Steuern bezahlt hat.
Hieraus erklärt sich der Rückgang der Zuckersteuer, deren Nettoertrag sich 1873 auf 58,2 Mill. Mk. und 1875 auf 59,5 Mill. Mk. belief, während er 1878/79: 44,8, 1879/80: 48, 1880/81: 42,9, 1881/82: 36,3, 1882/83: 46 und 1883/84 nur 37,8 Mill. Mk. betrug, indem er in dem letztgedachten Etatsjahr um 6,7 Mill. Mk. hinter dem Etatsansatz zurückblieb, so daß dies Etatsjahr mit einem Defizit von 1,9 Mill. Mk. abschloß, während das Vorjahr noch einen Überschuß von 15 Mill. Mk. aufzuweisen hatte.
Pro 1886/87 ist der Nettoertrag auf 37,5 Mill. Mk. veranschlagt, indem von der Bruttoeinnahme von 149,5 Mill. Mk. an Exportvergütungen 106 Mill. Mk. und an Erhebungs- und Verwaltungskosten 5,9 Mill. Mk. abgehen. Eine anderweite Normierung der Zuckersteuer ist in Aussicht genommen. Auch eine Umgestaltung der Branntweinsteuer wird, nachdem das Projekt eines Branntweinmonopols vom Reichstag abgelehnt worden ist, angestrebt, ebenfalls mit Rücksicht auf die veränderten und verbesserten Fabrikationsverhältnisse. Namentlich wird der Übergang zur Fabrikatsteuer von den Gegnern der dermaligen Maischraumsteuer empfohlen, welch letztere seit 1854 unverändert 30 Pf. für 20 Quart Maischraum beträgt. So kommt es, daß trotz der Zunahme der Bevölkerung der Jahresanfall dieser Steuer sich nahezu gleichbleibt. Derselbe belief sich 1874, 1875 und 1876 auf 48, 52 und 49 Mill.
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Mk., 1877/78, 1878/79, 1879/80, 1880/81, 1881/82 aber auf nur 45, 47,5, 46, 47, 48,5 Mill. Mk. Die Einzelstaaten erhalten 15 Proz. vom Anfall als Erhebungskosten, auch wird für den ausgeführten Branntwein die Steuer zurückvergütet (etwa 14 Mill. Mk. jährlich). Pro 1886/87 ist die Nettoeinnahme auf 37,224,450 Mk. (gegen 36,527,000 im Vorjahr) für die Reichskasse etatisiert, in welche, wie oben bemerkt, nur die in Norddeutschland, Hessen und Elsaß-Lothringen anfallende Branntweinsteuer fließt.
An der Bier- (Brau-) Steuer aber, die für das Reich erhoben wird, ist auch Elsaß-Lothringen ebensowenig wie Bayern, Württemberg und Baden beteiligt. Dieselbe beträgt in der Norddeutschen Brausteuergemeinschaft 2 Mk. pro Zentner von dem zur Bierbereitung verwandten Getreide, 3 und 4 Mk. von Malzsurrogaten. Gegenüber der geplanten Erhöhung (nahezu Verdoppelung) derselben hat sich der Reichstag wiederholt ablehnend verhalten. Pro 1886/87 ist die Brausteuer auf 17,213,570 Mk. (1885/86: 16,392,200 Mk.) etatisiert.
Die Salzsteuer (6 Pf. pro Pfund), vielfach angefochten, wird für das Reich in einheitlicher Weise erhoben. Ihr Ertrag ist pro 1886/87 auf 38,306,000 Mk. (1885/86: 37,777,000 Mk.) veranschlagt. Zu diesen Zöllen und Verbrauchssteuern kommen noch folgende Steuern hinzu, welche für Rechnung des Reichs erhoben werden: die Wechselstempelsteuer (1885/86: 6,425,000 Mk., 1886/87: 6,437,000 Mk.), die Spielkartenstempelsteuer (1885/86: 1,006,500 Mk., 1886/87: 1,025,500 Mk.), die statistische Gebühr (1885/86: 545,000 Mk., 1886/87: 549,500 Mk.), die 5proz.
Steuer von den durch entsprechenden Barvorrat nicht gedeckten Noten der deutschen Banken (1885/86: 25,000 Mk., 1886/87: 27,500 Mk.) und die besondere Abgabe der Reichsbank (1884/85: 2,485,000 Mk., 1885/86: 2,580,000 Mk., 1886/87: 2,420,000 Mk.). Endlich kommt noch hinzu die sogen. Börsensteuer, d. h. die Stempelabgabe für Wertpapiere, Schlußnoten, Rechnungen und Lotterielose, welche zwar für Rechnung des Reichs von den Einzelstaaten erhoben wird, deren Reinertrag jedoch nach Maßgabe der Matrikularbeiträge in die Kassen der Einzelstaaten zurückfließt (1885/86: 12,430,000 Mk., 1886/87: 22,375,000 Mk.). Nachdem durch Reichsgesetz vom für die Kauf- und Anschaffungsgeschäfte, welche stempelpflichtig sind, anstatt des bisherigen Fixstempels eine prozentuale Besteuerung eingeführt worden ist, hat sich der Ertrag dieser Steuer erhöht.
4) Da direkte Reichssteuern von den Angehörigen des Reichs nicht erhoben werden, so müssen zur Deckung der gemeinsamen Reichsausgaben, soweit sie durch die selbständigen Reichseinnahmen nicht gedeckt werden, Matrikularbeiträge erhoben werden, d. h. Beiträge der einzelnen Bundesstaaten, welche nach dem Verhältnis der Kopfzahl der Bevölkerung aufzubringen sind. Die Beseitigung dieser Matrikularbeiträge, welche auch von dem Fürsten Bismarck wiederholt als wünschenswert bezeichnet wurde, ist bis jetzt noch nicht gelungen, obgleich das Unbillige dieser Kopfsteuer gegenüber den kleinen Staaten mit einer durchschnittlich armen Bevölkerung klar zu Tage liegt. Indessen wird diese Unbilligkeit dadurch gewissermaßen ausgeglichen, daß auch der Mehrertrag der Zölle und der Tabaksteuer über 130 Mill. Mk. hinaus sowie der Reinertrag der Börsensteuer nach Maßgabe der Bevölkerungsziffer auf die Einzelstaaten verteilt werden. Eine vergleichende Übersicht des Reichshaushaltsetats seit 1872 ergibt (in Mark), abgesehen von verschiedenen Nachtragsetats:
Übersicht des Reichshaushaltsetats seit 1872.
Jahr | Einnahmen und Ausgaben je (in Mark) | Matrikularbeiträge in Mark |
---|---|---|
1872 | 340970000 | 96648162 |
1873 | 356521467 | 73943601 |
1874 | 449428920 | 67186251 |
1875 | 515018563 | 68969549 |
1876 | 474256998 | 71376215 |
1877-78 | 540608165 | 81044171 |
1878-79 | 536496800 | 87145516 |
1879-80 | 540796537 | 90371390 |
1880-81 | 539252640 | 81670950 |
1881-82 | 592956554 | 103288523 |
1882-83 | 610632707 | 103684369 |
1883-84 | 590556634 | 91888802 |
1884-85 | 590819344 | 83702768 |
1885-86 | 611930672 | 122041792 |
1886-87 | 696615509 | 138443060 |
Der Etat für 1886/87 wirft für die einzelnen deutschen Staaten folgende Matrikularbeiträge aus:
Mark | Mark | ||
---|---|---|---|
Preußen | 70270716 | Sachs.-Kob.-Gotha | 503594 |
Bayern | 26881985 | Anhalt | 609515 |
Sachsen | 7730898 | Schwarzb.-Sondersh. | 182510 |
Württemberg | 9934619 | Schwarzb.-Rudolst. | 205262 |
Baden | 6828829 | Waldeck | 143143 |
Hessen | 2417317 | Reuß ä. L. | 132451 |
Mecklenb.-Schwer. | 1470333 | Reuß j. L. | 266704 |
Sachsen-Weimar | 796076 | Schaumburg-Lippe | 91557 |
Mecklenb.-Strelitz | 256450 | Lippe | 311536 |
Oldenburg | 867861 | Lübeck | 169142 |
Braunschweig | 903181 | Bremen | 413673 |
Sachs.-Meiningen | 535025 | Hamburg | 1238563 |
Sachs.-Altenburg | 400173 | Elsaß-Lothringen | 4881947 |
Ausgaben des Reichs.
Die Ausgaben des Reichs umfassen die Zinsen und die Amortisation der Reichsschuld, die Erhebungs- und Verwaltungskosten der Reichseinnahmen, die Aufwendungen für die einzelnen Zweige der Reichsverwaltung in sächlicher und persönlicher Hinsicht und für die Organe des Reichs, d. h. für den Bundesrat, den Reichstag und die Reichsbeamten. Der Kaiser als solcher bezieht eigentliche Einkünfte aus der Reichskasse nicht. Doch ist für ihn ein Dispositionsfonds zu Gnadenbewilligungen aller Art im Betrag von 2,400,000 Mk. Jährlich ausgeworfen.
An den Ausgaben haben sich die Einzelstaaten nicht alle in gleichmäßiger Weise zu beteiligen, da verschiedene Reichsanstalten nicht allen Bundesstaaten gemeinsam sind. So haben Bayern und Elsaß-Lothringen an den Kosten des Bundesamts für das Heimatswesen, Bayern, Württemberg, Baden und Elsaß-Lothringen an den Kosten für die Kontrolle der Biersteuer, Bayern, Württemberg und Baden an denjenigen für die Kontrolle der Branntweinbesteuerung, Bayern an den Kosten des Reichseisenbahnamts und Bayern und Württemberg an den Kosten der Reichspost- und Telegraphenverwaltung keinen Anteil.
Den Staaten, welche noch eigne Gesandtschaften unterhalten (Bayern, Württemberg, Sachsen und Braunschweig), sind Nachlässe an den Ausgaben für die Reichsgesandtschaften verwilligt, und auch zu den Ausgaben für den Rechnungshof tragen Bayern und Württemberg in geringerm Umfang bei als die übrigen Bundesstaaten. Die Ausgaben sind teils ordentliche (laufende, fortdauernde), teils außerordentliche (einmalige), und hiernach wird auch bei den einzelnen Reichsverwaltungen zwischen ordentlichem und außerordentlichem Etat (z. B. bei der Verwaltung des Reichsheers für Kasernenneubauten, bei der Reichspostverwaltung für Postneubauten u. dgl.) unterschieden. Die Ausgaben für das Reichsheer, welche den
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Hauptbestandteil der Ausgaben bilden (1884/85: 339,9 Mill., 1885/86: 340,7 Mill., 1886/87: 343,036,713 Mk. Fortdauernde Ausgaben, 1884/85: 26,8 Mill., 1885/86: 32,1 Mill., 1886/87: 41,511,588 Mk. einmalige Ausgaben), wurden früher in Form eines Pauschquantums bewilligt. Nach der norddeutschen Bundesverfassung (Art. 62) wurden dem Bundesfeldherrn jährlich so vielmal 225 Thlr. zur Verfügung gestellt, als die Kopfzahl der Friedenspräsenzstärke der Armee betrug.
Für die Jahre 1872-74 war das Pauschale durch Reichsgesetz vom auf 90,373,275 Thlr. pro Jahr festgestellt. Seit 1875 werden die Ausgaben für das Reichsheer gleich den übrigen Ausgaben jährlich veranschlagt. Allerdings ist die Friedenspräsenzstärke der Armee durch die Reichsgesetze vom und jeweilig auf sieben Jahre (Septennat) festgestellt (s. unten). Spezialisierte Etats werden aufgestellt für das preußische, sächsische und württembergische Kontingent.
Bayern ist verpflichtet, für sein Kontingent und die zu demselben gehörigen Einrichtungen einen gleichen Geldbetrag zu verwenden, wie er nach Verhältnis der Kopfstärke durch den Militäretat des Reichs für die übrigen Teile des Reichsheers ausgesetzt ist. Dieser Betrag wird im Reichshaushaltsetat für das bayrische Kontingent in Einer Summe ausgeworfen, indem die Aufstellung der nötigen Spezialetats Bayern überlassen bleibt. Nächst dem Reichsheer verursacht die Marineverwaltung den größten Aufwand (1884/85: 26,9 Mill., 1885/86: 33,1 Mill., 1886/87: 37,101,185 Mk. an fortdauernden, 1884/85: 10 Mill., 1885/86: 9,2 Mill., 1886/87: 9,701,900 Mk. an einmaligen Ausgaben; immer abgesehen von Nachtragsetats, insbesondere von dem Nachtragsetat pro 1884/85, welcher 19 Mill. Mk. für die Marineverwaltung auswarf). Der Reichshaushaltsetat für 1886/87 (in Einnahme und Ausgabe je 696,615,509 Mk.) enthält folgende Ausgabeposten:
Fortdauernde Ausgaben Mark | Einmalige Ausgaben Mark | |
---|---|---|
Reichstag | 379670 | - |
Reichskanzler und Reichskanzlei | 141360 | 11000 |
Auswärtiges Amt | 7377535 | 615000 |
Reichsamt des Innern (inkl. Bundesrat) | 7753025 | 2590010 |
Verwaltung des Reichsheers | 343036713 | 41511588 |
Marineverwaltung | 37101185 | 9701900 |
Reichsjustizverwaltung | 1887178 | - |
Reichsschatzamt | 155534666 | 7300000 |
Reichseisenbahnamt | 297165 | - |
Reichsschuld | 18302500 | - |
Rechnungshof | 529773 | - |
Allgemeiner Pensionsfonds | 21850075 | - |
Reichsinvalidenfonds | 26961588 | |
Post- und Telegraphenverwaltung | - | 4508815 |
Reichsdruckerei | - | 360000 |
Eisenbahnverwaltung | - | 3294460 |
Fehlbetrag des Haushalts des Etatsjahrs 1883/84 | - | 5570303 |
Zusammen: | 621152433 | 75463076 |
Erläuternd ist hierzu noch zu bemerken, daß die Ausgaben für den Bundesrat in der Summe für das Reichsamt des Innern mit enthalten sind, und daß die Ausgabeposition des Reichsschatzamts um deswillen eine so hohe ist, weil unter dieser Rubrik die allgemeinen Fonds mit ausgeworfen sind, insbesondere die Herauszahlungen, welche das Reich aus den Erträgnissen der Zölle und der Tabaksteuer (über 130 Mill. hinaus) und aus denjenigen der sogen. Börsensteuer an die Einzelstaaten zu leisten hat. Für die Reichspostverwaltung erscheinen im Ordinarium um deswillen keine Ausgaben, weil die fortdauernden Ausgaben aus den Einnahmen der Reichspost- und Telegraphenverwaltung bestritten werden. An Einnahmen stehen den Ausgaben für 1886/87 gegenüber:
Mark | |
---|---|
Zölle und Verbrauchssteuern | 391601670 |
Reichsstempelabgaben | 30387000 |
Überschuß der Post- u. Telegraphenverwalt. | 28563006 |
Reichsdruckerei | 1065690 |
Eisenbahnverwaltung | 17847400 |
Bankwesen | 2447500 |
Verschiedene Verwaltungseinnahmen | 7748879 |
Aus dem Reichsinvalidenfonds | 26961588 |
Zinsen aus belegten Reichsgeldern (Reichsfestungsbaufonds u. Reichsgebäudefonds) | 1580000 |
Außerordentl. Zuschüsse aus den beiden letztgedachten Fonds und aus der Anleihe | 49969716 |
Matrikularbeiträge | 138443060 |
Zusammen: | 696615509 |
Heerwesen des Deutschen Reichs.
Schon das alte Deutsche Reich hatte seine Reichsarmee, doch bei der bunten Zusammensetzung aus zahllosen kleinen Kontingenten ohne besondern militärischen Wert. Unabhängig davon bildeten die größern Kontingente schon damals wohlgeordnete, gut disziplinierte, im Krieg bewährte Truppenverbände, wie Braunschweig, Hessen, Sachsen, Hannover, Bayern und vor allen Preußen, dessen stehendes Heer allein an Stärke die ganze Reichsarmee übertraf. Größere Einheit in das deutsche Heerwesen brachte 1815 die Organisation des Deutschen Bundes (s. d.). Nachdem dann der preußisch-österreichische Krieg von 1866 auch dieser Bundesarmee ein Ende gemacht hatte, wurden durch die Verfassung des Norddeutschen Bundes vom das Militärwesen und die Kriegsmarine der Bundesgesetzgebung unterstellt, dem König von Preußen wurde als Bundesoberfeldherrn das Recht zuerkannt, im Namen des Norddeutschen Bundes Krieg zu erklären, Frieden und Bündnisse zu schließen.
Die Bundeskriegsmarine sollte unter dem Oberbefehl Preußens eine einheitliche sein. Auf Grund der in der Verfassung gegebenen Bestimmungen über das Heerwesen wurde das Wehrgesetz vom erlassen, welches später auf das Deutsche Reich übernommen wurde. Beim Beginn des deutsch-französischen Kriegs 1870 bestand das Heer des Norddeutschen Bundes aus 118 Infanterieregimentern = 350 Bataillonen, 18 Jägerbataillonen;
76 Kavallerieregimentern à 5 = 380 Eskadrons;
13 Regimentern und 1 (hessischen) Abteilung Feldartillerie mit 163 Fuß- und 39 reitenden = 202 Batterien mit im Krieg 1212 bespannten Geschützen;
9 Regimentern Festungsartillerie mit im Frieden 88 Kompanien;
12 Pionierbataillonen zu 4, 1 (sächsischen) zu 3 Kompanien und 1 (hessischen) Pionierkompanie = 52 Kompanien;
13 Trainbataillonen zu 2 Kompanien, 1 (hessischen) Trainabteilung;
außerdem 216 Landwehrbataillonen.
Das Heer gliederte sich in 13 Armeekorps, darunter 1 Garde- und 1 sächsisches Armeekorps. Der Friedensstand betrug (einschließlich des nordhessischen Kontingents) 302,633 Köpfe, 73,312 Pferde und 808 bespannte Geschütze; die Kriegsstärke mit Einschluß des ganzen hessischen Kontingents:
Offiziere | Mann | Pferde | Geschütze | |
---|---|---|---|---|
Feldtruppen | 12777 | 543058 | 155896 | 1212 |
Ersatztruppen | 3280 | 182940 | 22545 | 234 |
Besatzungstruppen | 6376 | 198678 | 15689 | 234 |
Zusammen: | 22433 | 924676 | 194130 | 1680 |
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Durch die Bündnisverträge, welche Preußen mit Bayern am 22., mit Württemberg am 13., mit Baden am und mit Hessen am abgeschlossen hatte, und durch welche diese Staaten sich verpflichteten, Preußen und dem Norddeutschen Bund für den Fall eines Kriegs zum Zweck allseitiger Wahrung der Integrität ihrer Gebiete ihre gesamten Streitkräfte unter dem Oberbefehl des Königs von Preußen zur Verfügung zu stellen, sind dem Heer bei Ausbruch des Kriegs noch bedeutende Verstärkungen zugeflossen.
Durch die Wiederaufrichtung des Deutschen Reichs wurde die Zugehörigkeit der süddeutschen Heeresteile eine dauernde. Der § 2 der Verfassung des Deutschen Reichs vom erklärt das Wehrgesetz (wörtlich: »Gesetz, betreffend die Verpflichtung zum Kriegsdienst«) des Norddeutschen Bundes vom zum Reichsgesetz. Der § 1 desselben, der Grundgedanke des preußischen Heerwesens, der nach 1870 in die meisten europäischen Staaten übergegangen ist, lautet: »Jeder Deutsche ist wehrpflichtig und kann sich in Ausübung dieser Pflicht nicht vertreten lassen«.
Ausgenommen von der Wehrpflicht sind nur die Mitglieder regierender und mediatisierter und vormals reichsständischer Häuser. Die Wehrpflicht beginnt mit dem vollendeten 17. und endet mit dem 42. Lebensjahr, sie zerfällt in die Dienstpflicht und die Landsturmpflicht. Die erstere beginnt mit dem Kalenderjahr, in welchem der Wehrpflichtige sein 20. Lebensjahr vollendet, und dauert 12 Jahre. Von diesen entfallen auf den Dienst im stehenden Heer oder der Marine 3 Jahre (aktive Dienstpflicht), 4 Jahre auf die Reserve (Reservepflicht) und 5 Jahre auf die Land- oder Seewehr (Land- oder Seewehrpflicht).
Landsturmpflichtig sind alle Wehrpflichtigen, die weder dem Heer noch der Marine angehören. Durch das Reichsmilitärgesetz vom und das Nachtragsgesetz zu demselben vom sind sodann die allgemeinen Bestimmungen für die Organisation und Ergänzung des Reichsheers sowie über die Entlassung aus demselben, über den Beurlaubtenstand und die Ersatzreserve gegeben. An diese Gesetze schließen sich dann an das Gesetz über den Landsturm vom und die auf Grund desselben durch kaiserliche Verordnung erlassene Heer- und Wehrordnung vom welche die Ersatz-, Kontroll-, Rekrutierungs- und Landwehrordnung enthält.
Nach der Verfassung bildet die gesamte Landmacht ein einheitliches Heer im Krieg und im Frieden unter dem Befehl des Kaisers, welcher über den Präsenzstand, Gliederung und Einteilung der Kontingente, die Garnisonen sowie über die Mobilmachung Bestimmungen erläßt. Der Kaiser hat die Pflicht und das Recht, für die Vollzähligkeit und Kriegstüchtigkeit aller Kontingente zu sorgen, und das Recht der Inspizierung; dem entsprechend sind auch alle deutschen Truppen verpflichtet, den Befehlen des Kaisers Folge zu leisten, welche Verpflichtung in den dem Landesherrn zu leistenden Fahneneid aufzunehmen ist.
Der Kaiser ernennt die kommandierenden Generale eines Kontingents sowie die Festungskommandanten. Dagegen ernennen die Bundesfürsten und die Senate die Offiziere ihrer Kontingente, sofern Konventionen nicht anders bestimmen. Letztere räumen zum Teil den Bundesfürsten mehr Rechte, ihren Kontingenten besondere Stellungen im Armeeverband ein oder übertragen die Verwaltung ganz an Preußen und reservieren dem Souverän nur gewisse Ehrenrechte. So sind die Kontingente von Baden und Hessen ganz in den Verband der preußischen Armee übergegangen, bilden jedoch geschlossene Heeresteile, ersteres das 14. Armeekorps, letzteres die 25. Division (zum 11. Armeekorps gehörend).
Bayern, Sachsen und Württemberg haben selbständige Heeresverwaltung und je ihr eignes Kriegsministerium. Das Reichsmilitärgesetz findet auf Bayern so weit Anwendung, als es den ihm zugesicherten Reservatrechten nicht zuwiderläuft. Sein Heer bildet einen geschlossenen Bestandteil des Bundesheers unter der Militärhoheit des Königs, tritt aber mit der Mobilmachung, die auf Anregung des Kaisers durch den König erfolgt, unter den Befehl des Kaisers als Bundesfeldherrn. Dagegen ist Bayern verpflichtet, die für das Reichsheer geltenden Bestimmungen über Organisation, Formation, Ausbildung, Bewaffnung, Ausrüstung und Gradabzeichen gleichfalls zur Geltung zu bringen. In Elsaß-Lothringen werden die Militärangelegenheiten nach Anordnung des preußischen Kriegsministeriums von den Landesbehörden verwaltet.
Durch das Reichsmilitärgesetz vom war die Friedenspräsenzstärke des Heers an Unteroffizieren und Mannschaften für die Zeit vom bis zum auf 401,659 Mann, ohne die etwa 5000 Mann betragenden Einjährig-Freiwilligen und die zu den Übungen einberufenen Reservisten, festgesetzt worden. Die Infanterie sollte in 469 Bataillone, die Kavallerie in 465 Eskadrons, die Feldartillerie in 300 Batterien, die Fußartillerie in 29, die Pioniere und der Train in je 18 Bataillone formiert sein.
Die Stärke betrug 1 Proz. der Bevölkerung von 1871. Im J. 1875 hatte die Bevölkerung bereits die Höhe von 42,727,372 Seelen erreicht, deren Anwachsen 1880 auf 45 Mill. angenommen werden konnte. Um daher 1 Proz. der Bevölkerung zum Heeresdienst heranzuziehen, mußte die Friedenspräsenzstärke erhöht werden. Dies geschah durch das Nachtragsgesetz vom durch welches die Friedensstärke des Heers für die Zeit vom bis auf 427,274 festgestellt wurde. Zu diesen traten für das Etatsjahr 1882/83 noch hinzu: 18,134 Offiziere, 1698 Militärärzte, 782 Zahlmeister, 618 Roßärzte, 749 Büchsenmacher und Sattler und die unbestimmte Anzahl Einjährig-Freiwilliger, ferner 81,629 Dienstpferde.
Hiervon entfielen auf Preußen 14,008 Offiziere, 330,629 Mann;
Bayern 2216 Offiziere, 50,224 Mann;
Sachsen 1137 Offiziere, 27,606 Mann;
Württemberg 773 Offiziere, 18,815 Mann.
Während die Anzahl der Mannschaften dieselbe bleiben muß, treten durch das Bedürfnis Schwankungen in der Zahl der Offiziere und Beamten ein; dieselbe wird bei den Beratungen des Militäretats im Reichstag festgesetzt. Die Zahl der Truppenkörper sollte vom ab betragen: 503 Bataillone Infanterie, 340 Batterien Feldartillerie, 31 Bataillone Fußartillerie und 19 Bataillone Pioniere;
Kavallerie und Train behalten die alte Stärke. Um nun aber für den Fall eines Kriegs den Mangel an Reserven und die Verluste vor dem Feind bald ersetzen zu können, wurde durch das Nachtragsgesetz die Ausbildung der Ersatzreserve erster Klasse angeordnet (s. Ersatzwesen).
Diese Ersatzreserve sollte keine selbständigen Truppenteile bilden, sondern im Krieg zur Ergänzung von Truppenteilen der aktiven Armee dienen. Die Landwehrinfanterie und -Kavallerie formieren besondere Landwehrtruppenkörper, die zur Reserve für das stehende Heer verwendet werden; die Landwehrmannschaften der übrigen Waffen werden bei der Mobilmachung in das stehende Heer eingereiht. Der Landsturm tritt nur zusammen, wenn
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ein feindlicher Einfall Teile des Reichsgebiets bedroht oder überzieht, und formiert dann besondere Truppenkörper; in Fällen außerordentlichen Bedarfs jedoch kann auch die Landwehr aus ihm ergänzt werden.
Die 503 Bataillone Infanterie bilden 161 Regimenter (Preußen 123, Bayern 19, Sachsen 11, Württemberg 8) à 3 Bataillone und 20 Jägerbataillone, die 465 Eskadrons 93 (Preußen 73, Bayern 10, Sachsen 6, Württemberg 4) Kavallerieregimenter à 5 Eskadrons, davon 10 Kürassier-, 4 Reiter-, 28 Dragoner-, 20 Husaren-, 25 Ulanen- und 6 Chevauleger-Regimenter; die 340 Batterien bilden 37 Feldartillerieregimenter, die 31 Fußartilleriebataillone 14 Regimenter und 3 selbständige Bataillone (Nr. 9, 13 und 14). Je 2 (event. 3) Regimenter Infanterie, Kavallerie oder Artillerie bilden eine gleichnamige Brigade, je 2 Infanterie- und eine Kavalleriebrigade eine Division, 2-3 Kavalleriebrigaden eine Kavalleriedivision, 2 Divisionen endlich nebst 1-2 Jägerbataillonen, der Feld- und Fußartillerie, dem Pionier- und Trainbataillon ein Armeekorps, so daß die gesamte Heeresmacht des Reichs im Frieden aus 18 Armeekorps (Garde und Nr. 1-11 Preußen, Nr. 12 Sachsen, Nr. 13 Württemberg, Nr. 14 Baden einschließlich einige preußische Regimenter, Nr. 15 Elsaß-Lothringen) besteht; von diesen bilden das 4., 5., 6. die erste, das 1., 2., 9. die zweite, das 7., 8., 10., 12. die dritte, das 3., 11., 13., das 1. und 2. bayrische die vierte, das 14. und 15. die fünfte Armeeinspektion; das Gardekorps ist keiner Inspektion zugeteilt.
Zum 11. Armeekorps gehört auch die 25. (hessische) Division, zum Garde-, 1. und 15. Armeekorps noch je 1 Kavalleriedivision. Im Krieg zerfällt die Reichsarmee in Feldtruppen, Feldreserve-, Ersatz- und Besatzungstruppen sowie etwanige Neuformationen. Die Feldtruppen sind die durch Einstellung von Reserven auf den Kriegsetat verstärkten Friedensregimenter und -Bataillone mit den nachstehend aufgeführten Kolonnen, Trains etc.; die Feldreserve- und Besatzungstruppen werden neu aufgestellt und erstere in Feldreservedivisionen formiert.
Bei der Mobilmachung werden außer den Ersatzkompanien, -Eskadrons, -Bataillonen und -Batterien noch folgende Formationen aufgestellt: von jedem Feldartillerieregiment 3 Artillerie- und 2 Infanteriemunitionskolonnen;
von der ganzen Artillerie ein Feldmunitionspark von 8 Kolonnen und 3 Munitionsdepots;
von der Fußartillerie die Artilleriebelagerungstrains;
von jedem Pionierbataillon 2 Divisions- und 1 Korpsbrückentrain, von allen Pionieren 7 Feld- und 5 Reserve-Feldtelegraphenabteilungen und die Ingenieur-Belagerungstrains;
von jedem Trainbataillon 5 Proviantkolonnen, 1 Feldbäckereikolonne, 1 Pferdedepot, 3 Sanitätsdetachements und 5 Fuhrparkskolonnen.
Die Administrationen und Branchen eines Armeekorps bestehen aus der Korpsintendantur und 4 Divisionsintendanturen, der Korpskriegskasse, 1 Hauptproviantamt, 4 Feldproviantämtern, 1 Feldbäckereiamt, 12 Feldlazaretten, 1 Feldpostamt, 4 Feldpostexpeditionen und 1 Feldgendarmeriedetachement.
Festungen und Befestigungen gibt es folgende: **Memel, *Königsberg, **Pillau, Boyen, *Thorn, **Danzig, **Kolberger Küstenbefestigung, **Friedrichsort, *Posen, Glogau, Neiße, Glatz, *Küstrin, Spandau, Magdeburg, Torgau, Königstein, **Wilhelmshaven, Wesel, *Köln, Koblenz, *Mainz, Saarlouis, Ingolstadt, Ulm, Rastatt, Germersheim, Diedenhofen, *Metz, *Straßburg, Neubreisach, **Küstenbefestigungen in Mecklenburg, **an der Elbe-, Weser- und **Emsmündung (von ihnen sind die mit * bezeichneten mit einem Gürtel von Forts umgeben, die mit ** bezeichneten Küstenbefestigungen).
Marine des Deutschen Reichs.
Die deutsche Kriegsmarine führt diesen Namen erst seit der Wiederaufrichtung des Deutschen Reichs 1871. Im J. 1848 begann die Entwickelung der preußischen Marine, die 1856 bereits über 52 Kriegsfahrzeuge verfügte, unter denen sich allerdings noch 42 Ruderkanonenboote und nur 3 Dampfer befanden; dagegen war sie bereits bis 1866, als sie vom Norddeutschen Bund übernommen wurde, auf 40 Dampfer, unter diesen 2 Panzerfahrzeuge, 5 gedeckte und 4 Glattdeckskorvetten, angewachsen. Zu diesen traten bis Anfang 1870 noch 3 Panzerfregatten (Friedrich Karl, Kronprinz und König Wilhelm) hinzu, die also den Stamm für die jetzige deutsche Flotte bilden.
Die Erweiterung des Reichs forderte auch eine entsprechende Erweiterung der Flotte an schwimmendem Material, nicht nur für den Kriegsfall, sondern auch für die Zwecke des Friedens, die Vertretung deutscher Interessen in fremden Meeren. Aus dieser Veranlassung entstand der Flottengründungsplan von 1873, ein Entwurf für die künftige Gestaltung der Reichsmarine; jedoch war ausdrücklich hervorgehoben, daß er nur als allgemeiner Anhalt dienen solle. Als Hauptzweck der Kriegsmarine wurde die Verteidigung der deutschen Küste bezeichnet; ein Angriffskrieg, welcher zu Seeschlachten in fremden Meeren führen müsse, war damit zwar ausgeschlossen, aber die Flotte sollte doch immer noch befähigt sein, in den heimischen Gewässern auch angriffsweise vorgehen und dem Feind eine Schlacht auf offener See liefern zu können.
Diese Aufgabe machte die Beschaffung einer Panzerflotte nötig, denn die Kampfstärke eines Schiffs ist nicht allein in der Wirkung seiner Geschütze, sondern auch in seiner Widerstandsfähigkeit gegen die Angriffe feindlicher Artillerie zu suchen. Dem damaligen Stande der Schiffsbautechnik und Seetaktik entsprechend, sollte bis 1882 eine Zusammensetzung der Flotte aus folgenden Schiffen erreicht werden: 8 Panzerfregatten, 6 Panzerkorvetten, 7 Monitoren oder Panzerkanonenboote und 2 schwimmende Batterien, ferner 20 Korvetten, 6 Avisos, 18 Kanonenboote, 28 Torpedofahrzeuge, 5 Schulschiffe.
Diesem Material entsprechend, sollte das Personal der Marine 1882 folgenden Friedensetat erreichen: 419 Offiziere, 20 Maschineningenieure, 90 Verwaltungsbeamte, 269 Deckoffiziere, 1325 Unteroffiziere, 6450 Mannschaften, 300 Schiffsjungen, 100 Seekadetten, 70 Lazarettgehilfen, 40 Ökonomiehandwerker. Hierbei sind das Seebataillon, das Zeug-, Feuerwerks- und Torpedopersonal außer Betracht gelassen. Für die Beschaffung der Schiffe mit Armierung und Ausrüstung, die Vollendung der Hafen- und Werftbauten in Wilhelmshaven, Kiel und Danzig und Anschaffung der erforderlichen Betriebsmittel, Materialien etc. für dieselben wurden 218,437,500 Mk. bewilligt.
Ein starres Festhalten an diesem Plan war bei der ungeahnten Entwickelung des Marinewesens im letzten Jahrzehnt unmöglich; das Staatsinteresse erforderte, daß den großen Fortschritten der Technik sowie den auf Grund von Erfahrungen veränderten Anschauungen im Seekriegswesen Rechnung getragen würde. Die 8 Panzerfregatten und 6 Panzerkorvetten kamen zur Ausführung; von erstern ist jedoch der Große Kurfürst gesunken, und ein Ersatzbau wird nicht beabsichtigt. An Stelle der Monitoren sind 13 Panzerkanonenboote beschafft worden, welche für den Küstenkrieg geschickter und wirksamer verwendbar sind. Die schwimmenden Batterien werden, weil
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sie den Torpedos gegenüber nicht mehr zeitgemäß sein würden, nicht gebaut. Inzwischen hatte sich das Torpedowesen im Gleichschritt mit dem Bau kleiner Dampfer von großer Fahrgeschwindigkeit außerordentlich entwickelt und sich als ein neues Element in die Kriegsmarine derart eingeführt, daß der Wert großer Panzerschiffe in demselben Grad einbüßte, wie der der Torpedoboote in taktischer Beziehung gewann. Dies war die Veranlassung zu der dem Reichstag 1884 vorgelegten »Denkschrift über die weitere Entwickelung der kaiserlichen Marine«, die in weiten Kreisen Aufsehen erregte und Anerkennung fand.
Sie forderte für die Beschaffung von 70 Torpedobooten, unterseeischen Torpedobatterien etc. 18,790,000 Mk., welche auch bewilligt wurden. Nach der Denkschrift soll die Torpedoflottille auf 150 Torpedoboote gebracht werden. Bis 1886 sollen die 70 fertig sein, und die Marine wird dann über 105 Torpedoboote, einschließlich der schon vorhandenen, verfügen. Diese Entwickelung unsers Flottenmaterials bedingte auch eine entsprechende Verstärkung des Personals; es hatte eine Stärke von 86 Flagg- und Stabsoffizieren, 97 Kapitänleutnants, 235 Leutnants (418 Offizieren), 137 Deckoffizieren, Feldwebeln etc., 658 Maaten, 5539 Mann (6334 Seeleuten), 2538 Mann der Werftdivisionen und 690 Mann Matrosenartillerie. Nach Fertigstellung aller Torpedoboote soll die Kriegsstärke betragen: 12 Admirale, 120 Stabsoffiziere, 217 Kapitänleutnants, 664 Leutnants (1015 Seeoffiziere), 53 Maschineningenieure, 154 Zahlmeister, 16,781 Mann Matrosendivisionen, 7221 Mann Werftdivisionen, 5076 Mann Matrosenartillerie, zusammen 29,078 Mann.
Ende 1884 wurde eine andre Einteilung und Benennung der Schiffe eingeführt. Die Flotte besteht jetzt (1885) aus folgenden Schiffen: I. 14 Panzerschiffen (früher 7 Panzerfregatten, 6 Panzerkorvetten und 1 Panzerfahrzeug Arminius);
II. 13 Panzerfahrzeugen (bisher Panzerkanonenboote);
III. 11 Kreuzerfregatten (bisher gedeckte Korvetten);
IV. 10 Kreuzerkorvetten (bisher Glattdeckskorvetten);
V. 5 Kreuzern (bisher Kanonenboote der Albatroßklasse);
VI. 5 Kanonenbooten (bisher Kanonenboote erster Klasse); VII. 8 Avisos; VIII. 1 Artillerieschiff, 7 Dampf- und 4 Segelschiffen als Schulschiffe. Dazu treten die Torpedoboote, deren Zahl nach und nach auf 150 gebracht werden soll. Entsprechend der allmählichen Erweiterung der Marine sowie in Veranlassung vermehrter Einstellung von Schiffsjungen und Rekruten der Landbevölkerung und der fortgeschrittenen technischen Anforderungen ist die Zahl der Schulschiffe erheblich vermehrt worden. Es sind jetzt Kadetten- und Schiffsjungen-, Artillerie-, Maschinen- und Torpedoschulschiffe vorhanden.
Die Aufgaben des diplomatischen und handelspolitischen Dienstes haben durch die Gründung deutscher Kolonien in West- und Ostafrika sowie im australischen Archipel einen bedeutenden Zuwachs erhalten und erfordern die Stationierung einer größern Anzahl von Schiffen, die nach Erfordern zu Geschwadern zusammengezogen werden, in diesen Gewässern. Außerdem sind noch im Mittelmeer (Konstantinopel), in Ostasien, Westindien und an der Westküste Südamerikas Schiffe stationiert. Es finden hierbei die Kreuzer, Kanonenboote, Avisos und ein Teil der Schulschiffe Verwendung.
Die oberste Behörde der Marine ist die Admiralität, deren »Chef« Oberbefehlshaber der Marine und Leiter ihrer Verwaltung ist; ihr sind unterstellt: die deutsche Seewarte in Hamburg und die Marinestationen der Ostsee und der Nordsee, erstere in Kiel, letztere in Wilhelmshaven. Jeder Marinestation ist eine Marineinspektion, diesen sind je eine Matrosen- und eine Werftdivision, aus 4 Kompanien bestehend, und die Schulschiffe sowie die Hafenbaukommission, die Werften, Fortifikation, Intendantur etc. unterstellt. Zur Marinestation der Ostsee gehört auch das Seebataillon (s. d.). Die Inspektion der Marineartillerie, welcher die beiden Matrosenartillerieabteilungen sowie die Artillerie-, Seeminen- und Torpedodepots mit den dazu gehörigen Werkstätten und das gesamte Zeug-, Feuerwerks- und Torpedopersonal unterstellt sind, sowie die Inspektion der Marinebildungsanstalten unterstehen der Admiralität.
Das Wappen des Deutschen Reichs bildet ein einköpfiger schwarzer Adler mit rotem Schnabel nebst roten Fängen und dem preußischen Adler in silbernem Schild auf der Brust; im Wappen des preußischen Adlers das Wappen von Hohenzollern; über dem Ganzen die goldene Kaiserkrone mit goldenem Band. Eine genaue Beschreibung des deutschen Reichsadlers und des Kaiserwappens enthält das Erklärungsblatt zu beifolgender Tafel. - Die Flagge der deutschen Marine ist schwarz-weiß-rot (die Kriegsflagge mit dem preußischen Adler und dem Eisernen Kreuz); eine Übersicht der deutschen Flaggen gibt unsre Tafel »Flaggen I«.
Vgl. Graf Stillfried, Die Attribute des neuen Deutschen Reichs (3. Aufl., Berl. 1882).
Litteratur zur Geographie und Statistik.
K. F. V. Hoffmann, Deutschland und seine Bewohner (Stuttg. 1834-36, 4 Bde.);
v. Hoff, Deutschland in seiner natürlichen Beschaffenheit, seinem frühern und jetzigen politischen Verhältnis (Gotha 1838);
Winderlich, Das deutsche Land und seine Bewohner (3. Aufl., Leipz. 1852);
Kutzen, Das deutsche Land (3. Aufl., Bresl. 1880);
Brachelli, Deutsche Staatenkunde (Wien 1856, 2 Bde.): Berghaus, Deutschland und seine Bewohner (Berl. 1860, 2 Tle.);
Derselbe, Deutschland seit hundert Jahren (Leipz. 1860-61, 2 Bde.);
Daniel, Deutschland nach seinen physischen und politischen Verhältnissen (5. Aufl., das. 1878, 2 Bde.);
v. Cotta, Deutschlands Boden (2. Aufl., das. 1858, 2 Bde.);
v. Dechen, Die nutzbaren Mineralien und Gebirgsarten im Deutschen Reich (Berl. 1873);
v. Festenberg-Packisch, Der deutsche Bergbau (das. 1885);
Delitsch, Deutschlands Oberflächenform (Bresl. 1880);
»Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde« (hrsg. von Lehmann, Stuttg. 1885 ff.);
Böckh, Der Deutschen Volkszahl und Sprachgebiet in den europäischen Staaten (Berl. 1870);
Neumann, Das Deutsche Reich in geographischer, statistischer etc. Beziehung (das. 1874, 2 Bde.);
Derselbe, Geographisches Lexikon des Deutschen Reichs (Leipz. 1883);
Brunkow, Die Wohnplätze des Deutschen Reichs (Berl. 1880 ff.);
die vom kaiserlichen Statistischen Amt herausgegebene »Statistik des Deutschen Reichs« und »Statistisches Jahrbuch« (seit 1881);
über die Reichsbehörden das jährlich erscheinende amtliche »Handbuch des Deutschen Reichs«, dazu Velhagen u. Klasings »Kleines Staatshandbuch des Deutschen Reichs und der Einzelstaaten«;
über das Reichsstaatsrecht die Werke von Rönne (2. Aufl., Leipz. 1876, 2 Bde.), Laband, Zorn;
Störk, Handbuch der deutschen Verfassungen (das. 1884);
Baumbach, Staatslexikon (das. 1882, populär), u. a.
[Karten.]
Die besten Karten lieferten außer den Generalstabskarten Reymann (Zentraleuropa in 423 Blättern, 1:200,000, seit 1825; 1874 in den Besitz des preußischen Generalstabs übergegangen), Liebenow (Zentraleuropa in 164 Blättern, 1:300,000, Hannov. seit 1869), Stieler (Atlas von Deutschland, 1:750,000, Gotha 1876, 25 Karten), Ravenstein (Atlas des