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ihrer verschiedenen Abstufung ganz an die bunte Karte des »Römischen Reichs deutscher Nation« und ist auch nur durch die Kenntnis von dessen Territorialverhältnissen verständlich; denn der Grundsatz »Cujus regio, ejus religio« hat bestimmt, was katholisch, was protestantisch blieb: daher finden wir in den Gebieten der zerfallenen alten Herzogtümer Schwaben, Franken und Sachsen [* 2] den raschesten Wechsel beider Kirchengebiete nebeneinander. Im S. herrscht die katholische, im N. die evangelische Kirche. In wenigen Bezirken standen beide Konfessionen [* 3] gleichberechtigt nebeneinander.
Katholisch blieben die drei großen Erzbistümer am Niederrhein: Mainz, [* 4] Trier, [* 5] Köln, [* 6] die westfälischen Bistümer Münster [* 7] und Paderborn, [* 8] die fränkischen Bistümer am Main: Würzburg [* 9] und Bamberg, [* 10] und das Stift Fulda, [* 11] an der Altmühl das Bistum Eichstätt, [* 12] am Rheine noch die Bistümer Worms [* 13] und Speier, [* 14] dazu alles österreichische Land am Oberrhein und in Südschwaben das sogen. Vorderösterreich, die schwäbischen und bayrischen Bistümer und Prälaturen und das Herzogtum Bayern [* 15] mit der Oberpfalz; nur in Schlesien [* 16] wollte trotz Gewalt und List die Gegenreformation nicht völlig gelingen und wurde unmöglich, seit Karl XII. von Schweden [* 17] den Protestanten wieder einige Luft geschafft hatte.
Dagegen waren der ganze Norden [* 18] von Ostfriesland bis Pommern, [* 19] der größere Teil des Wesergebiets, das Elbgebiet abwärts von der Grenze Böhmens, das Odergebiet von Schlesien abwärts protestantisch und bildeten ein großes, zusammenhängendes evangelisches Gebiet, an dessen nordwestlicher Grenze im Bistum Osnabrück [* 20] und Minden, [* 21] am östlichen Harzfuß in Halberstadt [* 22] und in der Lausitz die katholische Kirche gleichberechtigt sich mit ihren geistlichen Stiftungen erhielt.
Innerhalb dieses Gebiets lagen nur einzelne katholische Inseln, so die mainzischen Besitzungen in Niederhessen und Thüringen mit Eichsfeld und Erfurt [* 23] und das Bistum Hildesheim, [* 24] wo nur in den Städten Hildesheim und Erfurt auch die evangelische Kirche gleichberechtigt blieb. In mehreren Halbinseln griff das protestantische Gebiet zwischen die katholischen Lande ein; eine langgestreckte zog von der Werra durch Hessen [* 25] und die Wetterau bis zum Odenwald. Kurpfalz mit seiner gemischten katholisch-protestantischen Bevölkerung [* 26] verband sie mit dem lutherischen Zweibrücken [* 27] jenseit des Rheins.
Insular lagern sich, vom katholischen Westfalen [* 28] und Unterrheinland umgeben, das reformierte preußische Kleve und die Grafschaft Mark; das Herzogtum Berg mit Düsseldorf [* 29] hatte katholisch-protestantische Bevölkerung. Andre protestantische Inseln im katholischen Gebiet bildeten die Grafschaften Bentheim, Sayn, Löwenstein, Kastell u. a., die zahlreichen Reichsstädte, von denen wenige katholisch blieben, zahlreich zerstreute Dörfer von Reichsrittern mitten im katholischen Fulda, Würzburg, Bamberg und Eichstätt und die eingeschlossenen sächsischen Ämter.
Eine zweite protestantische Halbinsel in das katholische Land hinein, die vom Fichtelgebirge bis zum Rhein reicht, bildeten durch Franken und Schwaben die Brandenburg-Baireuther und Ansbacher, die Öttingen-Öttingschen, die meisten Hohenloheschen, die württembergischen und Baden-Durlachschen Lande, umgeben von zahlreichen kleinen Parzellen, von der Grafschaft Pappenheim und von den zahlreichen Reichsstädten, von denen manche, wie Augsburg, [* 30] paritätisch waren.
Merkwürdig ist der auch hierin sich aussprechende Gegensatz, denn während mitten im katholischen Schwaben, von Augsburg bis Lindau, [* 31] die Reichsstädte protestantisch sind, blieben die von Württemberg [* 32] umschlossenen, wie Stadt Weil und Schwäbisch-Gmünd, katholisch. Im bayrischen Kreis [* 33] bildeten die paritätische Reichsstadt Regensburg [* 34] und die lutherische Grafschaft Ortenburg bei Passau [* 35] die äußersten und einzigen Vorposten des Protestantismus gegen SO. In der Oberpfalz erhielt sich nur in den sulzbachschen Landen der Protestantismus neben der katholischen Kirche. Im Reichsland Elsaß-Lothringen [* 36] hatte sich das Verhältnis der Konfessionen zu einander während der französischen Herrschaft wesentlich zu gunsten der Katholiken geändert; so wurden aus den ehemals evangelischen Städten Straßburg [* 37] und Mülhausen [* 38] vorwiegend katholische.
In den ehemaligen Besitzungen der Grafen von Hanau-Lichtenberg, der Grafschaft Saarwerden, den Gebieten der alten Reichsstadt Straßburg und einigen kleinern Landesteilen und reichsritterschaftlichen Orten im Unterelsaß sowie im Gebiet der ehemaligen Reichsstadt Münster und in der württembergischen Grafschaft Horburg hat sich die evangelische Kirche vorherrschend erhalten; in allen andern Teilen des Landes sind aber die Katholiken überwiegend, meist sogar fast allein herrschend.
In der Provinz Ostpreußen, [* 39] im äußersten Nordosten des Reichs, ist das Gebiet des ehemaligen Herzogtums Preußen [* 40] fast ganz evangelisch; fast ganz katholisch ist nur die Landbevölkerung des Bistums Ermeland, das also eine Insel zwischen den evangelischen Landesteilen Ostpreußens bildet; Westpreußen, soweit es ehedem zu Polen gehörte, ist sehr gemischt. In der Provinz Posen [* 41] bekennen sich die zahlreich in den letzten Jahrhunderten eingewanderten Deutschen überwiegend zur evangelischen, die Polen fast ausschließlich zur katholischen Kirche.
Kirchenwesen.
Die Verfassung der evangelischen Kirche ist in den Staaten des Reichs verschieden. Sie unterscheidet in ihrem System die Presbyterial- und Episkopalverfassung. Bei ersterer ruht die Kirchengewalt in der Hand [* 42] der aus der Wahl der Gemeinden hervorgehenden Organe, bei letzterer in der Hand des Landesherrn als obersten Bischofs. Wird aber die Ausübung auf kollegiale Behörden übertragen, so wird die Episkopalverfassung als Konsistorialverfassung bezeichnet. Wo sich die Gemeinden bei der Reformation auf sich selbst angewiesen sahen, insbesondere in den apostolischen Gemeinden, gelangte die Presbyterialverfassung zur Geltung.
Dies war namentlich bei den Anhängern des reformierten Bekenntnisses und (von Frankreich und Schottland abgesehen) in der Pfalz sowie am Niederrhein der Fall. In Preußen, wo mit der Verfassung eine doppelte Änderung in dem alten Verhältnis der Kirche zum Staat eintrat, fungiert für die neun alten Provinzen als oberste Kirchenbehörde der Oberkirchenrat. Er ist kollegialisch organisiert und unmittelbar dem König untergeordnet. Unter dem Oberkirchenrat stehen für die einzelnen Provinzen Konsistorien.
In den neuen Provinzen befinden sich die dem Kultusminister unterstellten Konsistorien. Anderseits bestehen neben den Kirchenbehörden in den alten Provinzen Synoden (Kreis-, Provinzial- und eine Generalsynode) für die der Kirche zugefallene Selbstverwaltung (nicht für die Glaubenslehren). Die neuen Provinzen haben hierin eine mehr oder minder abweichende Verfassung. In vollkommenem Maß ist das Synodalsystem bereits in den meisten deutschen Staaten ausgebildet. An der Spitze der römisch-katholischen Kirche steht der Papst in Rom, [* 43] den Mittelpunkt der geistlichen Thätigkeit dagegen bilden die Bischöfe. Für die Katholiken bestehen im Deutschen Reich 5 Erzbistümer: Köln und Gnesen-Posen in Preußen, München-Freising und Bamberg ¶
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in Bayern, Freiburg [* 45] in Baden [* 46] für die oberrheinische Kirchenprovinz, d. h. für die Katholiken in Baden, Württemberg, Hohenzollern, Hessen und Hessen-Nassau; [* 47] 20 Bistümer: Ermeland, Kulm, Breslau, [* 48] Hildesheim, Osnabrück, Münster, Paderborn, Fulda, Limburg [* 49] und Trier in Preußen, Augsburg, Passau, Regensburg, Eichstätt, Würzburg und Speier in Bayern, Rottenburg in Württemberg, Mainz in Hessen, Straßburg und Metz [* 50] in Elsaß-Lothringen;
3 apostolische Vikariate (das Dresdener für Sachsen, das für Anhalt [* 51] und das der nordischen Missionen).
Diesen unterstehen die Erzpriester und Dekane. Der Orden [* 52] der Gesellschaft Jesu und die ihm verwandten Kongregationen wurden durch das Reichsgesetz vom vom Gebiet des Reichs ausgeschlossen, nur die ausschließlich der Krankenpflege gewidmeten Orden können fortbestehen und neu errichtet werden. Die Altkatholiken haben einen staatlich anerkannten Bischof in Bonn. [* 53]
Vgl. Böttcher, Germania [* 54] sacra; topographischer Führer für kirchengeschichtliche Ortskunde (Leipz. 1874 ff.).
Geistige Kultur. Bildungsanstalten.
Deutschland [* 55] steht in der Volksbildung auf der ersten Stufe unter den größern Völkern der Erde, wiewohl in den letzten Dezennien der Ausgleich vielfach große Fortschritte gemacht hat. Deutschland und namentlich Preußen verdanken die Blüte [* 56] der Volksbildung den Bestrebungen der Anhänger Pestalozzis, die, unterstützt durch die politischen Verhältnisse in Preußen während der beiden ersten Dezennien des gegenwärtigen Jahrhunderts, das Schulwesen reformierten und in ganz neue Bahnen lenkten.
Einen Stoß aber bekam es durch die nach 1840 mit Eichhorn beginnende Reaktion, die, erst kaum fühlbar, nach einigen Seiten sogar noch wohlthuend wirkte, mit Herausgabe der Stiehlschen Schulregulative (1854) aber nach und nach immer mächtiger hervortrat und zu einer Zersetzung des Volksschulwesens führte, die 1872 noch rechtzeitig eine Änderung des Systems bewirkte. Am weitesten in der allgemeinen Bildung stehen die östlichen Provinzen zurück, in denen noch immer ein nicht geringer Prozentsatz von Rekruten, ohne lesen und schreiben zu können, jährlich eingestellt wird; in den Provinzen Westpreußen und Posen waren es 1883/84: 7,38, bez. 8,89 Proz., im ganzen Königreich 1,97 gegen 3,98 Proz. im Jahr 1874 (vgl. Analphabeten).
In den übrigen deutschen Staaten ist das Volksschulwesen mehr oder weniger ähnlichen Schwankungen unterworfen gewesen wie in Preußen; jedoch ging die Reaktionsperiode in einigen schnell vorüber oder traf andre kaum, so daß das Schulwesen in mehreren Ländern das in Preußen immer noch übertrifft, bez. überholt hat. Das gilt namentlich von allen sächsischen Ländern, von Baden, Braunschweig, [* 57] Württemberg etc. In Bayern fand man 1879 bei der Einstellung der Rekruten 0,47 Proz., 1883/84 nur noch 0,08 Proz. derselben ohne Schulbildung. Das Volksschulwesen ist meist konfessionell geschieden. In fast allen Teilen des Reichs besteht für die Volksschule noch eine Lokalschulaufsicht, die meist in den Händen der Geistlichen liegt.
Die Grundlage der Volksbildung bildet der Schulzwang, wonach alle Einwohner ihre nicht anderweit gehörig unterrichteten Kinder vom zurückgelegten 5., bez. 6. bis im allgemeinen zum vollendeten 14. Lebensjahr zur öffentlichen Schule schicken müssen. Anfangs- und Endpunkt der Schulpflicht sind in den verschiedenen Staaten, sogar in den Provinzen verschieden; die allgemeine Schulpflicht selbst aber besteht in ganz Deutschland Gegenwärtig schätzt man die Zahl der Volksschulen in Deutschland auf 57,000, welche von ca. 7,100,000 Kindern besucht werden.
Für die Ausbildung von Schullehrern bestehen Präparandenanstalten (73) und Schullehrerseminare (183). Einen Übergang von den Volksschulen zu den höhern Schulanstalten bildet die Mittelschule unter den verschiedensten Bezeichnungen und Einrichtungen (im preußischen Staat ist für dieselbe 1872 eine einheitliche Grundlage aufgestellt worden), und als Ergänzung der Volksschule erscheint die Fortbildungsschule, welche die Volksschulbildung befestigen und in ihrer Anwendung auf das praktische Leben erweitern soll. Bei letzterer findet sich eine Schulpflicht nur unter gewissen Voraussetzungen anerkannt. In den höhern Lehranstalten soll die wissenschaftliche Vorbildung erworben werden, die als Unterlage für die spätere Berufs- oder Fachbildung dient. Die Gymnasien haben als Mittelpunkt das Studium des klassischen Altertums. Zur Vorbereitung dienen auch Progymnasien mit gleichen Zielen, aber ohne oberste Klasse.
Im Verlauf des Kampfes der seit dem 17. Jahrh. in den Vordergrund tretenden naturwissenschaftlichen Forschung mit der Alleinherrschaft des klassischen Altertums entstanden (1817) Realschulen, in denen das mathematisch-naturwissenschaftliche Element gegen das philologisch-historische der Gymnasien überwog. Die Realschulen erster Ordnung, die bei gleicher Klassenzahl und Unterrichtsdauer wie die Gymnasien ihren Lehrplan erfüllen, stehen hinter letztern nicht mehr zurück; nur die Richtung der Ausbildung bleibt eine verschiedene.
Man unterscheidet noch Realgymnasien, d. h. Realschulen erster Ordnung, deren Lehrplan für die drei untern Klassen mit den Gymnasien völlig übereinstimmt; ferner Oberrealschulen, die an Stelle des Lateins höhere Ziele in den neuern Sprachen und Naturwissenschaften verfolgen. Zu den Realgymnasien stehen die Realprogymnasien, zu den Oberrealschulen die Realschulen (zweiter Ordnung) in demselben Verhältnis wie die Progymnasien zu den Gymnasien. Während diese Anstalten in Ermangelung der obersten Klasse nur der Vorbereitung dienen, sollen die höhern Bürgerschulen eine selbständig in sich abgeschlossene Bildung vermitteln.
Im J. 1884 gab es in Deutschland 878 Lehranstalten, die zur Ausstellung der Qualifikationszeugnisse zum einjährig-freiwilligen Militärdienst berechtigt waren (vgl. die Übersicht derselben, S. 820).
Die Universitäten oder Hochschulen bestehen in der Regel aus 4 Fakultäten: der theologischen, juristischen, medizinischen und philosophischen. Die theologische Fakultät ist ganz vorherrschend eine evangelische, katholisch nur bei den Universitäten zu München, [* 58] Würzburg, Freiburg, Münster und dem Lyceum zu Braunsberg; [* 59] eine evangelisch- und eine katholisch-theologische Fakultät (daher 5 Fakultäten) haben die Universitäten zu Bonn, Breslau und Tübingen; [* 60] die letztere besitzt eigentlich 7 Fakultäten, indem zu den 5 noch eine staatswissenschaftliche und eine naturwissenschaftliche hinzutreten.
Die Universitäten zu München und Würzburg besitzen gleichfalls 5 Fakultäten: dort ist eine staatswirtschaftliche, hier eine staatswissenschaftliche hinzugefügt worden. Die Akademie zu Münster steht im Rang einer Universität gleich, obschon sie nur 2 Fakultäten (eine katholisch-theologische und eine philosophische) hat. Die älteste Universität im Deutschen Reich ist die zu Heidelberg [* 61] (1386), die jüngste die zu Straßburg (1872). Im ganzen gibt es mit Einschluß der Akademie zu Münster und der katholisch-theologischen Fakultät zu Braunsberg 22 Hochschulen, davon 11 im preußischen Staat: Berlin [* 62] (1810 gestiftet), ¶