der ihm auch seine phantastische Eigentümlichkeit aufdrückte. Er wollte namentlich alle fremden
Wörter, selbst die längst eingebürgerten, ausmerzen und schlug dafür neugebildete
Wörter vor, die oft ebenso sinnlos wie
abgeschmackt waren. Zu seinen Gegnern gehörte besonders
Schuppius. Der
Verein erweiterte sich nach und
nach in vier
Zünfte
(Rosen-,
Lilien-, Nägelein- und Rautenzunft) und hielt sich bis in die ersten Jahre des 18. Jahrh.
die Mitglieder der Religionsgesellschaft, welche sich 1844 von der römisch-katholischen
Kirche
in
Deutschland
[* 9] getrennt und neue Glaubensbekenntnisse aufgestellt hat. Die nähere Veranlassung zu dieser
Trennung gab die damals vom
BischofArnoldi angeordnete
Ausstellung des heiligen
Rockes in
Trier,
[* 10] die selbst unter den aufgeklärten
Katholiken großen Anstoß erregte, das
Signal aber ein Sendschreiben des katholischen
PriestersRonge (s. d.) an den
BischofArnoldi vonTrier, worin jene
Ausstellung ein den
Aberglauben undFanatismus beförderndes Götzenfest genannt
ward.
So weit hatte sich die
Bewegung verbreitet, als die erste
Kirchenversammlung der Deutschkatholiken zu
Leipzig gehalten wurde, wo im allgemeinen
der
TypusRonges durchdrang. In fünf
Sitzungen (23.-26. März) vereinigte man sich über folgende »allgemeine
Grundsätze und
Bestimmungen der deutschkatholischen
Kirche«: Die Grundlage des christlichen
Glaubens soll einzig und allein
die der
Auslegung der
Vernunft anheimgegebene
Heilige Schrift sein. Als allgemeiner
Inhalt der deutschkatholischen
Glaubenslehren
wird aufgestellt der
Glaube an Gott den
¶
Erste Pflicht
des Christen ist, den Glauben durch Werke christlicher Liebe zu bethätigen. Der Gottesdienst besteht wesentlich aus Belehrung
und Erbauung; seine äußere Form soll sich nach dem Bedürfnis der Zeit und des Ortes richten. Der Gebrauch
der lateinischen Sprache wird abgeschafft. Die Gemeindeverfassung steht auf demokratischer Basis; die Gemeinde gebraucht ihr
altes Recht, sich ihre Geistlichen und ihren Vorstand frei zu wählen. Den Geistlichen steht die Verwaltung der geistlichen Verrichtungen,
den Ältesten mit dem aus ihrer Mitte auf ein Jahr von ihnen selbst gewählten Vorstand die Verwaltung
aller übrigen Gemeindeangelegenheiten zu. Die Beschlüsse der allgemeinen Kirchenversammlungen erlangen nur dann allgemeine
Gültigkeit, wenn sie von der Mehrzahl sämtlicher einzelner Gemeinden angenommen worden sind.
Auch das Verhältnis, in welches sich die Staatsgewalten in den übrigen Gebieten zu der deutschkatholischen
Bewegung stellten, war meist ein ungünstiges. Im KönigreichSachsen erging unterm 26. März eine Verordnung, wonach die Deutschkatholiken hinsichtlich
der bei ihnen vorkommenden seelsorgerlichen Handlungen mit Ausschluß der Beichte und des Abendmahls bis auf weiteres an den
betreffenden protestantischen Orts- oder Bezirksgeistlichen gewiesen wurden. Nach einem königlichen Reskript
in Preußen
[* 52] vom ward ihnen der Mitgebrauch evangelischer Kirchen verweigert, wie ihre Prediger auch nicht für Geistliche
geachtet werden und deren Amtshandlungen keine bürgerliche Gültigkeit besitzen sollten. Aber gerade um der entschiedenen
Abneigung willen, welche die Regierungsgewalten der deutschkatholischen Bewegung gegenüber bewiesen,
fand diese immer weitere Verbreitung. Ende August 1845 bestanden im ganzen 173 Gemeinden; davon kamen auf Preußen allein 118,
von den übrigen auf Sachsen 22, Mecklenburg
[* 53] 7, Braunschweig 1, beide Hessen
[* 54] 15, Nassau 2, Baden
[* 55] 3, Württemberg
[* 56] 2, Frankfurt
[* 57] a. M.
1, Bremen
[* 58] 1, Lübeck
[* 59] 1.
Weit mehr Eintrag als hemmende Regierungsmaßregeln und die Angriffe, welche von der römischen Partei auf
die sich bildende Kirche gemacht wurden, that dieser die in ihrem eignen Schoß immer mehr hervortretende Differenz. Abgesehen
davon, daß die Gemeinden, welche die RichtungCzerskis teilten, 22.-24. Juli 1846 zu
Schneidemühl ein biblisches Glaubensbekenntnis
aufstellten, entspannen sich im Schoß einzelner GemeindenFeindschaften, namentlich in Breslau, wo sich
Ronge mit Theiner, welcher gleich anfangs den radikalen Glaubensansichten und lärmenden Triumphreisen des Agitators abgeneigt
gewesen war, verfeindete. So geriet der rasche Aufschwung, den die neue Kirche genommen hatte, schon 1847 ins Stocken, und
auf dem zweiten Hauptkonzil, welches 70 Abgeordnete von 142 selbständigen Gemeinden in Berlin
abhielten, kam es zur Absonderung der Strenggläubigen von der neuen Kirche.
Die politische Bewegung von 1848 schien für den Deutschkatholizismus eine neue Blütezeit herbeizuführen: die deutschen Grundrechte
verkündeten unbeschränkte Religions- und Glaubensfreiheit, Österreich
[* 60] und Bayern öffneten jetzt ihre Grenzen
der neuen Bewegung. An andern Orten nahm Ronge seine Thätigkeit wieder auf, aber sein jetzt ganz offen hervortretendes politisches
Treiben erregte immer entschiedenern Anstoß; von Leipzig und Darmstadt
[* 61] aus erfolgten förmliche Lossagungen von seiner Person,
und die christkatholische Gemeinde in Posen veröffentlichte 1849 einen Protest gegen Dowiat, welcher die neue
Kirchengemeinschaft zu einem politischen Klub herabwürdigte und in demselben die Realisierung der sogen. sozialdemokratischen
Republik anstrebte.
Gleichwohl wendete sich die Reaktion auch gegen die neuen Gemeinden. In Österreich wurden sie schon 1849 wieder verboten, in
Bayern ihnen 1850 nur eine beschränkte Duldung gewährt. Auch wo von seiten der Staatsregierungen nicht
hemmend eingegriffen wurde, lösten sich an manchen Orten die Gemeinden auf; an andern erfolgten Rücktritte zur katholischen
Kirche, an noch andern, z. B. in Dresden, traten die angesehensten Mitglieder der neuen Kirche zur protestantischen über. In
Breslau trat mit dem Professor Regenbrecht eine gewichtige Autorität ab. Ronge wandte sich nach Frankreich
und England.
Die meisten der fortbestehenden deutschkatholischen Gemeinden gaben ihre Sympathien mit den seit 1848 zahlreicher gewordenen
»freien Gemeinden« immer unverhohlener kund, und auf einer Versammlung zu Darmstadt an der 20-30 Abgeordnete aus
dem südwestlichen Deutschland teilnahmen, wurde der Wunsch nach voller Vereinigung ausgesprochen. Dieselbe wirklich durchzuführen,
war die Aufgabe des zweiten LeipzigerKonzils; welches zusammentrat, seine Sitzungen aber wegen polizeilicher Maßnahmen
nach Köthen
[* 62] verlegen mußte.
Hier wurde nach längern Debatten ein Bund verabredet, welcher den Namen »Religionsgesellschaft freier Gemeinden« führen sollte.
In der neuern Zeit hat sich die öffentliche Meinung in Bezug auf den Deutschkatholizismus immer entschiedener
dahin ausgesprochen, daß er die Hoffnungen, die sich an sein Entstehen knüpften (vgl. Gervinus, Die Mission der Deutschkatholiken, Heidelb.
1846), nicht erfüllt hat. Dagegen hat der sogen. Altkatholizismus (s. d.) seit 1870 Gelegenheit gehabt, von den Fehlern,
welche die Deutschkatholiken insbesondere durch Hereinziehung der gesamten dogmatischen Debatte begingen, zu lernen.
Über dieser neuern, reifern Bewegung ist die frühere zurückgetreten. Die meisten deutschkatholischen Gemeinden haben sich
wieder aufgelöst, die zu Schneidemühl 1857. In Preußen betrug die Anzahl der Deutschkatholiken 1861: 6395, 1867: 10,920; im KönigreichSachsen 1849: 1772, 1871: 3015.