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Offenbarung des Göttlichen im menschlichen Geist betrachtete, dessen »System der Naturphilosophie«, »System des transcendentalen Idealismus« die philosophische Begründung der romantischen Doktrinen abgaben, während sein Buch über »Philosophie und Religion« die Verbindung der romantischen Litteratur mit der alten Kirche gewissermaßen anbahnte, wurden von entscheidender Bedeutung. Durften verwandte Bestrebungen, wie die ästhetischen Solgers, die »Symbolik« Creuzers, die Naturphilosophie Steffens', Schuberts u. a., vielleicht erst als Folgen der romantischen Poesie angesehen werden, so fand zwischen den bezeichneten Philosophen und den spezifisch litterarischen Begründern der Schule, denen im Beginn auch eine so eigentümlich geniale und universell gebildete Kraft [* 2] wie der Theologe Fr. E. Deutsche [* 3] Schleiermacher (1768-1834) zur Seite trat, eine in der Kürze schwer definierbare tausendfältige Wechselwirkung statt.
Die doktrinären Häupter der Schule wurden durch ihre kritischen Erstlingsschriften die Brüder Friedrich v. Schlegel (1772-1829) und Aug. Wilh. v. Schlegel (1767-1845), deren »Athenäum« um die Wende des Jahrhunderts das erste spezifisch romantische Organ war. Sie verkündeten, daß es »der Anfang aller Poesie sei, den Gang [* 4] und die Gesetze der vernünftig denkenden Vernunft wieder aufzuheben und uns wieder in die schöne Verirrung der Phantasie, in das ursprüngliche Chaos der menschlichen Natur zu versetzen«, und stellten es als obersten Grundsatz der neuen romantischen, durch keine Theorie zu erschöpfenden, allein unendlichen wie allein freien Dichtart auf, »daß die Willkür des Dichters kein Gesetz (also auch nicht das der Natur und innern Wahrheit) über sich leide«.
Welche Willkür, welche leidige Vermischung von Poesie, Religion und mystischer Philosophie, welche phantastisch schönfärbende Begünstigung entlegener Lebenserscheinungen (Ritter-, Heiligen- und Legendenpoesie), welche Exzentritäten und Monstrositäten durch diese Anschauungen veranlaßt wurden, ist in der Regel mehr hervorgehoben, als das wirklich bedeutsame Verdienst der Romantik um die Erkenntnis und Geschichte der eignen Vergangenheit, des deutschen Volkslebens wie um Erschließung großer geistiger Gebiete anerkannt worden.
Die Brüder Schlegel, selbst mehr kritische als produktive Naturen, die dichterischen Versuche beider, lyrische Gedichte und Romanzen, Fr. Schlegels lüstern-prätentioser Roman »Lucinde« und sein Drama »Alarkos«, A. W. Schlegels Drama »Ion«, hatten wesentlich nur formelle Verdienste; eine wahrhafte Bereicherung und Befruchtung der [* 5] deutschen Litteratur gab A. W. Schlegel mit seiner unübertrefflichen Übertragung der Shakespeareschen Dramen. Tieferes poetisches Talent erwiesen einige andre Genossen der romantischen Schule, so vor allen der früh verstorbene Friedrich v. Hardenberg (»Novalis« genannt, 1772-1801),
der in seinen gemütstiefen Liedern und dem bedeutsamen Romanfragment »Heinrich von Ofterdingen« gleichsam die Inkarnation der romantischen Sehnsucht nach einer nicht sowohl Verklärung als vielmehr Auflösung des gesamten Lebens in Poesie darstellte. Zu längster Wirksamkeit gelangte Ludwig Tieck (1773-1853), der mit überlebendiger Phantasie und einem kühn improvisatorischen Talent mannigfache Eigentümlichkeiten einer nüchtern-verständigen, ja zersetzenden Verstandesanlage zeigte, dessen romantische Dramen, Märchen, Erzählungen wie seine spätern künstlerisch reinen und abgewogenen Novellen daher nicht nur die denkbarste Mannigfaltigkeit poetischer Gestalten und Situationen, sondern auch die größten Ungleichheiten, ja Zwiespältigkeiten des Wertes und Eindrucks aufweisen.
Einheitlicher und mächtiger stellte sich das große Talent des Dramatikers und Erzählers Heinrich v. Kleist (1777-1811) dar, der zwar in Äußerlichkeiten und einzelnen Gefühlsmomenten von der übersteigerten Phantastik der romantischen Schule angekränkelt erscheint, aber im Kern eine schlichte, warme, gestaltungskräftige Dichternatur, die bedeutendste der Romantik blieb, dessen beste Dramen (»Der zerbrochene Krug«, »Penthesilea«, »Käthchen von Heilbronn«, [* 6] »Die Hermannsschlacht«, »Der Prinz von Homburg«) [* 7] und Erzählungen die Behauptung von der nur vorübergehenden Bedeutung der ganzen Bewegung entscheidend widerlegen.
Launenhafter und willkürlicher war Achim v. Arnim (1781-1831),
dessen beste Novellen und der historische Roman »Die Kronenwächter« die Wirrnis und Unerquicklichkeit andrer seiner Produkte wett machen. Arnims Schwager Klemens Brentano (1778-1842) hingegen repräsentiert nicht nur in der wilden Genialität seiner lyrischen und lyrisch-epischen Gedichte (»Romanzen vom Rosenkranz«),
seiner phantastisch-humoristischen Erzählungen und formlosen Dramen, sondern auch in seinen katholisierenden Tendenzen die äußersten Konsequenzen der ganzen Romantik. Auch der Dramatiker Zacharias Werner (1768-1823), der zwischen Schiller und der neuen Schule stehen wollte, seine dramatische Kraft in halben Zerrbildern ausgab (»Kreuz [* 8] an der Ostsee«, »Die Weihe der Kraft«, »Attila«, »Wanda«, »Der 24. Februar") und der Begründer der sogen. Schicksalstragik ward, suchte im Schoß der alten Kirche Frieden und Zuflucht vor der eignen Phantastik. Zu den romantischen Talenten zweiten Ranges gehörten Friedr. de la Motte Fouqué (1777-1843), der in Epen, Romanen und Novellen die mittelalterliche Ritterwelt zu einem Scheinleben erweckte («Der Zauberring«, »Undine« etc.); E. T. A. Hoffmann (1776-1822), der die romantische Neigung für die unheimlichsten Regionen der Phantasie und für Gespensterspuk in einer Reihe zum Teil vorzüglich erzählter Novellen voll befriedigte; Adalbert v. Chamisso (1781-1838), dessen Märchen »Peter Schlemihl« zu den besten kleinen Schöpfungen der romantischen Periode zählt, während die lyrischen Gedichte und poetischen Erzählungen Chamissos schon zum Teil einen andern, modernen Geist atmen.
Die »Nachromantiker«, Dichter, welche zumeist erst nach den Befreiungskriegen vor die Nation traten, zeichneten sich im allgemeinen dadurch aus, daß sie sich von den Extremen und Einseitigkeiten der ersten Romantikergeneration größtenteils frei hielten. Die kirchlich-katholische Tendenz vertrat unter ihnen nur Joseph v. Eichendorff (1788-1857), dessen lyrisches und novellistisches Talent daneben doch die erfreulichsten Blüten (»Gedichte«, das prächtige Phantasiestück »Aus dem Leben eines Taugenichts«) trieb.
Schwächlicher war der Epiker Ernst Schulze (1789-1817),
dessen romantische Dichtungen (»Cäcilie« und »Die bezauberte Rose«) eine wahre Flut von Gedichten in Oktaven im Gefolge hatten. Als ein Talent ersten Ranges, der volkstümlichste und gesündeste aller Romantiker, in seiner durchsichtigen Klarheit den Klassikern, in der Kraft seiner vaterländischen Empfindung den Sängern des Freiheitskriegs verwandt, wirkte Ludwig Uhland (1787-1862), dessen lyrische Dichtungen und Balladen (nicht so seine Dramen: »Ernst von Schwaben« und »Ludwig der Bayer«) tief in ¶
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alle Schichten des Volkes drangen und die Muster für die lyrische und lyrisch-epische Poesie der »schwäbischen Dichterschule« abgaben. Zu der Gruppe mehr oder minder verdienstlicher württembergischer Poeten gehörten der mystisch-originelle Justinus Kerner (gest. 1862),
ferner Gustav Schwab (gest. 1850),
W. Waiblinger (gest. 1830),
Karl Mayer (gest. 1870), Albert Knapp (gest. 1864), Eduard Mörike (gest. 1875, »Gedichte«, der Roman »Maler Nolten«),
der frische und liebenswürdige Erzähler Wilhelm Hauff (gest. 1827, »Lichtenstein«, »Märchen«, »Phantasien im Bremer Ratskeller«). Eine minder erfreuliche Gruppe von dramatischen Dichtern, die »Schicksalstragöden«, folgte den Spuren Zacharias Werners, so A. Müllner (gest. 1829, »Die Schuld«, »König Yngurd«, »Die Albaneserin«),
Ernst v. Houwald (gest. 1845, »Das Bild«, »Der Leuchtturm«) u. a.
Übrigens gelang es den Romantikern nicht, die deutsche Litteratur dauernd oder ausschließlich zu beherrschen. Schon von den Dichtern der Befreiungskriege 1813-15 gehörte trotz der unzweifelhaft vaterländischen Gesinnung aller Romantiker und ihrer Verdienste um die Stärkung des vaterländischen Gefühls in der Zeit der Fremdherrschaft im Grund nur Max v. Schenkendorf (1783-1817) der eigentlichen Romantik an. Von den wirksamern Sängern der großen Erhebung stammte E. M. Arndt (1769-1860) aus einer ältern Poetengeneration; Theodor Körner (1791-1813), dessen »Leier und Schwert« der poetische Ausdruck des Idealismus der Erhebung wurde, war in diesen Dichtungen wie in seinen Dramen (»Zriny«, »Rosamunde«) ein Schüler Schillers.
Auch in der Dichtung der Restaurationsepoche, so sehr dieselbe gewisse Richtungen und Tendenzen der Romantik begünstigte, machten sich die Nachwirkungen der klassischen Epoche und ihrer Humanitätsideale wieder entschiedener und stärker geltend. Zahlreiche Talente nahmen zwar die lebensvollen und vollberechtigten Elemente, welche die Romantik der deutschen Litteratur gebracht, mit in sich auf; aber ihr eigentlicher Lebensgehalt und ihre Kunstrichtung wurden nicht von der romantischen Doktrin bestimmt.
Franz Grillparzer (1791-1872), der mit dem Trauerspiel »Die Ahnfrau« als Schicksalstragöde begann, erhob sich in seinen spätern dramatischen Dichtungen (»Sappho«, »Medea«, »König Ottokar«, »Des Meeres und der Liebe Wellen«, [* 10] »Kaiser Rudolf II.«) in reinere und freiere Regionen. Friedrich Rückert (1789-1866),
in seiner gesunden Klarheit eine Goethe verwandte Lyrikernatur, bewährte sich in überzahlreichen lyrischen (»Geharnischte Sonette«, »Liebesfrühling«, »Ghaselen« etc.) u. didaktischen Dichtungen (»Weisheit des Brahmanen«) und Nachdichtungen orientalischer Muster als ein Sprachvirtuose ersten Ranges. Als Lyriker und Balladendichter zeichneten sich Wilhelm Müller (1794-1827, »Griechenlieder«),
J. Chr. ^[Joseph Christian] v. Zedlitz (1790-1862, »Totenkränze«, »Waldfräulein«, auch Dramen),
H. Stieglitz (1803-49),
als didaktischer Poet und Novellist Leopold Schefer (1784-1862, »Laienbrevier«) aus. Den Bedürfnissen des großen Publikums näher standen die Dramatiker einer gewissen eklektisch-rhetorischen Richtung, der überfruchtbare Ernst Raupach (gest. 1852, Hohenstaufendramen),
die deklamatorischen Tragöden E. v. Schenk (gest. 1841, »Belisar«, »Albrecht Dürer«),
Michael Beer (gest. 1833, »Paria«, »Struensee«),
Joseph v. Auffenberg (gest. 1857),
ferner Fr. v. Üchtritz (gest. 1875),
Ludw. Deinhardstein (gest. 1859, Künstlerdramen),
Ferd. Raimund (gest. 1836, Zauberspiele: »Der Verschwender« etc.). Novellistik und Romanlitteratur begannen in der leseseligen, stillen Friedenszeit zwischen 1815 und 1830 schon gewaltig ins Kraut zu schießen. Die federfertige Belletristik trug bereits so viele Siege über die anspruchsvollere und innerlich gehaltvollere Dichtung davon, daß ein hervorragendes Dichtertalent wie August Graf von Platen (1796-1835) am Ausgang dieser Zeit in der strengen Betonung [* 11] einer gewissen Kunstwürde und in der Forderung formeller, sprachlicher Vollendung berechtigtes Pathos entwickeln und mit seinen formschönen Gedichten und Märchen (»Die Abbassiden«, Märchenepos; »Die verhängnisvolle Gabel« und »Der romantische Ödipus«, dramatische Satiren) der neuern Litteratur einen Pfad zeigen konnte.
Von der Romantik zur modernen Poesie rang sich gleichfalls das kraftvolle, aber spröde und schwerflüssige Talent Karl Immermanns (1796 bis 1840) hindurch, dessen beste Dichtungen (»Tulifäntchen«, »Alexis«, »Merlin«, die Romane: »Die Epigonen« und »Münchhausen«) für die positive Entwickelung der deutschen Poesie wichtig wurden. Als letzten Romantiker und ganz moderne Natur feierte sich selbst Heinrich Heine (1799-1857), dessen träumerische, weich lyrische Anlage seltsam mit einem ätzend satirischen und spöttisch-frivolen Grundzug seines Wesen kontrastierte, so daß sich bei ihm der Bruch mit der Romantik in der Form ironischer und höhnischer Negation beinahe aller idealen Regungen vollzog. Heines satirische Geißel traf darum fast gleichmäßig Edelsinn wie Gemeinheit, ernste wie leere und verächtliche Bestrebungen. Die unvergänglichen Lieder und Romanzen des Dichters wirkten minder nachhaltig als seine journalistische Thätigkeit, deren verhängnisvolle Konsequenzen sich in der jungdeutschen Periode wie bis auf die Gegenwart geltend machen sollten.
Während der Zeit der Romantik und der Übergänge zur modernen Dichtung war auch die Zahl der hervorragenden Prosaiker nicht klein. Unter vielen, von denen ein und das andre Werk der Nationallitteratur bleibend angehört, sind hier in erster Linie die unvergleichlichen Gebrüder Jakob und Wilhelm Grimm zu nennen, die neben, ja in und mit ihren spezifisch gelehrten Leistungen dem deutschen Volk die volle Poesie seiner Sagen und seiner Märchen (»Kinder- und Hausmärchen«, »Deutsche Sagen« zum Bewußtsein zu bringen wußten. In der Geschichtschreibung zeichneten sich Fr. v. Raumer (»Geschichte der Hohenstaufen«),
Heinrich Leo durch Stilvollendung aus; als der eigentliche Meister erschien Leopold v. Ranke (geb. 1795), der feinsinnigste, bedeutendste und nach reinster Vollendung der Form strebende Historiker zweier Menschenalter. Auch Jak. Ph. Fallmerayer, der orientalische Fragmentist (gest. 1860), Karl Ritter, der Begründer der wissenschaftlichen Geographie (gest. 1859), und der vielseitig gebildete biographische und Memoirenschriftsteller K. A. Varnhagen von Ense (gest. 1858) sind hier anzureihen.
X. Zeitraum.
Die jungdeutsche und politische Gärungsperiode.
Die völlige Zersetzung der Romantik und die inzwischen eingetretene Umbildung aller Lebensverhältnisse, dazu die Reihe der politischen Umwälzungen und liberalen Bestrebungen, welche mit der französischen Julirevolution von 1830 begannen, riefen eine neue Gärungsperiode in der deutschen Litteratur hervor, welche man gewöhnlich unter dem Namen der »jungdeutschen Bewegung« bezeichnet, die aber tiefere ¶