mehr
werden; seine Satire, der es an Schärfe, Kühnheit, vielleicht selbst an Einsicht in die wahren Gebrechen und Mißstände der deutschen Kulturwelt fehlte, die daher nicht die Thoren, sondern in schwächlichen Typen und höchstens in ganz untergeordneten Gestalten die Thorheit schilderte, sich in unwesentlichen Details und salzlosem Spaß in behaglichster Breite [* 2] erging, interessierte aber gleichwohl das Bürgertum, das um die Mitte des 18. Jahrh. wieder Anteil an der Litteratur zu nehmen begann.
Bleibende Bedeutung erlangte Chr. Fürchtegott Gellert (1715-69), der bei weitem einflußreichste Schriftsteller des zweiten Drittels des 18. Jahrh. Er hatte mit kleinen Liedern, mit Schäfer- und Lustspielen im französischen Stil (»Sylvia«, »Die Betschwester«, »Das Los in der Lotterie« etc.) begonnen, dann mit seinem Roman »Das Leben der schwedischen Gräfin von G.« einen kühnern Griff in die Wirklichkeit gewagt, ohne sich aus den Banden einer bis zur Unsittlichkeit und Roheit entstellten äußerlichen und konventionellen »Moral« befreien zu können.
Seine außerordentliche Popularität aber beruht hauptsächlich auf seinen »Fabeln und Erzählungen«, in denen er mit bisher nicht erreichter Leichtigkeit und Lebendigkeit des Vortrags sich als höchst selbständiger Schüler, nicht mehr als bloßer Nachahmer Lafontaines erwies und mit Schärfe und Feinheit, wenn auch immer mit moralisierender Tendenz sittliche und soziale Zustände der eignen Zeit wie allgemeine menschliche Thorheiten spiegelte. Mit seinen »Geistlichen Liedern« erfüllte er das Andachtsbedürfnis seiner Zeit; auch seine prosaischen Schriften, wie die »Briefe« nebst der »Abhandlung von dem Geschmack in Briefen« und seine »Moralischen Vorlesungen«, übten eine kaum zu berechnende Wirkung.
Gleichzeitig mit den Männern der »Bremer Beiträge« löste sich eine Gruppe jüngerer Poeten, die persönliche Freundschaft während ihrer Studienzeit an der Universität Halle [* 3] verbunden hatte, von der Gottschedschen Litteraturauffassung. Zur Halleschen Poetengruppe zählten Sam. Gotthold Lange (1711-81), der als Lyriker eine Zeitlang Ruf genoß und späterhin für seine unzulängliche Horaz-Übersetzung von Lessing hart verurteilt und einer unerfreulichen Unsterblichkeit überliefert wurde;
Immanuel Pyra (1715-44), dessen Schrift »Beweis, daß die Gottschedianische Sekte den Geschmack verderbe« die Streitschriften der Schweizer an Heftigkeit überbot;
Nikolaus Götz (1721-81), der mit Uz die Oden Anakreons übertrug und in eignen Gedichten die griechischen Lyriker nachzubilden suchte;
der von leichten, tändelnden Gedichten im (vermeinten) Stil Anakreons, von Nachahmung der Popeschen komischen Epik im »Sieg des Liebesgottes« späterhin zur ernsten Ode und dem Lehrgedicht überging;
endlich Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803), seit 1747 Sekretär [* 4] des Domkapitels zu Halberstadt, [* 5] dem eine der wunderlichsten litterarischen Laufbahnen beschieden war. In allen Formen und nach allen Mustern ein anempfindendes Talent, als tändelnder Anakreontiker, patriotischer Liederdichter, Fabel- und Spruchdichter, Erzähler und redseliger Didaktiker von unerschöpflicher, nie versiegender Produktionslust, aber äußerlich und flüchtig bis zur völligen Flachheit, erhob sich Gleim nur in den vom Siebenjährigen Krieg hervorgerufenen »Liedern eines preußischen Grenadiers« und in einer Anzahl Fabeln und Sinngedichten zu einiger Selbständigkeit.
Vor vielen andern in äußerlich begünstigter Lage, voll guten Willens, allen Hilfsbedürftigen beizustehen, unterstützte und regte er überall die Talente an, »hätte ebensowohl des Atemholens entbehrt wie des Dichtens und Schenkens und gewann sich so viele Freunde, Schuldner und Abhängige, daß man ihm seine breite Poesie gern gelten ließ, weil man ihm für die reichlichen Wohlthaten nichts zu erwidern vermochte als Duldung seiner Gedichte« (Goethe). Zum Kreis, [* 6] den sich Gleim in Halberstadt zu bilden suchte, gehörten der Fabeldichter Magnus Gottfr. Lichtwer (1719-83), der Lyriker Joh. Georg Jacobi (1740-1814), der Fabel- und Operettendichter J. B. ^[Johann Benjamin] Michaelis (1746-72), Klamer Eberhard Schmidt (1746-1824) u. a. Der Richtung auf das Idyll und das leichte, beschreibende Gedicht, welche durch die Hallenser gegeben war, zeigte sich Chr. Ewald v. Kleist (1715-59) verwandt, dessen beschreibendes Gedicht »Der Frühling« als ein Lenz auch für die Dichtung gepriesen wurde, und in dessen besten Gedichten uns eine feine Naturempfindung und das Gefühl männlicher Würde, das den ernst-soldatischen Dichter erfüllte, erfreulich entgegentreten.
Auch in den größern Formen der dramatischen Dichtung strebte man seit den 50er Jahren über Gottsched und die äußerlichste Franzosennachahmung hinauszukommen, sah sich aber freilich immer wieder zurückgeworfen und vermochte kaum die Fesseln der französischen Form (des Alexandriners) abzuwerfen, geschweige denn einen eignen Lebensgehalt künstlerisch zu gestalten. Die vielbelobten Anläufe, welche J. F. ^[Johann Friedrich] v. Cronegk (1731-59) mit dem Trauerspiel »Codrus«, J. W. ^[Joachim Wilhelm] v. Brawe (1738-58) mit den Tragödien: »Brutus« und »Der Freigeist«, L. v. Ayrenhoff (1733-1819) mit »Aurelius«, »Tumelicus«, »Antonius und Kleopatra«, »Antiope« u. a. nahmen, erwiesen, wie unselbständig und innerlich leblos die deutsche Dichtung in den Hauptsachen noch war.
Auch die Lustspieldichter Joh. Chr. Krüger, J. Ch. ^[Johann Christian] Brandes, die beiden Stephani ragen nicht höher. Ein echter Repräsentant des Eklektizismus, der aus der Nachahmung so verschiedenartiger Muster erwuchs, aber immer wieder in die Abhängigkeit von der französischen Litteratur zurückfiel, war Chr. Felix Weiße (1726-1804), welcher als fruchtbarer Poet auf allen Gebieten, als Verfasser von ernsten und scherzhaften, Amazonen- und Kinderliedern, als Übersetzer, Bearbeiter, Jugendschriftsteller, als Opern- und Lustspieldichter wie als vielgepriesener Tragiker die Bescheidenheit und Genügsamkeit der Ansprüche des deutschen Publikums erwies.
Daß die lange Gewöhnung an die Herrschaft des französischen Geschmacks noch bis in die Zeit des völligen Umschwungs hinein ihre Nachwirkungen hatte, zeigten Dichter wie Fr. Wilhelm Gotter (1746-97), der trotz seiner Beziehungen zu Goethe als Lyriker und Operndichter ein reiner Nachbildner der Franzosen war, wie die Leipziger Lustspielpoeten J. G. ^[Johann Gottfried] Dyk ^[auch: Dyck], Anton Wall u. a. bis zum Ausgang des Jahrhunderts. Indessen durften alle diese Produktionen und Bestrebungen als nichtsbedeutende von dem Augenblick an angesehen werden, in welchem wahrhaft schöpferische Geister der deutschen Litteratur selbständige, große Ziele gegeben und die tiefe Kluft zwischen Leben und Dichtung endlich geschlossen hatten.
In demselben Jahrzehnt, in welchem die frühsten bescheidenen Regungen eines neuen Geistes sich in den Arbeiten der »Bremer Beiträger« kundgaben, erfolgte das Auftreten des ersten wahrhaft genialen Dichters, den Deutschland [* 7] seit der Blütezeit der mittelhochdeutschen Poesie wieder erhielt. »Mit Klopstocks Erscheinung wurde offenbar, daß die Dichtung auf einer ursprünglichen genialen Begabung beruhe ¶
mehr
und durch Studium nicht erlernt werden könne.« Friedrich Gottlieb Klopstock (1724-1803) ward schon epochemachend durch die Anfänge seines bereits als Schüler geplanten, als Student begonnenen, erst nach Jahrzehnten (1773) vollendeten Gedichts »Der Messias«, dessen erste Gesänge die »Bremer Beiträge« nicht ohne manche Bedenken ihrer Herausgeber 1748 veröffentlichten. Mit dem sichern Instinkt des Genies hatte Klopstock gefühlt, daß der religiöse Stoff zur Zeit der einzige sei, welcher auf Phantasie und Empfindung großer Kreise, [* 9] namentlich des deutschen Bürgertums, zu wirken vermochte; ihn selbst erfüllten die erhabensten Vorstellungen von jener »heiligen Dichtkunst«, für die er nur ein erhabenes Vorbild, Milton, kannte.
Da er aber eine überwiegend lyrische Natur voll hohen Schwunges, voll sittlichen Ernstes, voll Innigkeit und voll ursprünglicher Sprachgewalt war, zudem bewußtermaßen auf die Rührung seiner Leser hinarbeitete, so überwog in seinem epischen Gedicht eine Fülle rührseliger Stimmungen und wehmütiger Betrachtungen die feste Gestaltung, die Anschaulichkeit der Handlung und Charakteristik. Indes hatte seit Luther kein Dichter über den Reichtum und die Macht der Sprache [* 10] geboten wie jetzt Klopstock, so daß der Enthusiasmus für seine in der That unvergleichliche Leistung voll berechtigt war.
Neben dem großen epischen Gedicht verdankte Klopstock seinen Hauptruhm seinen »Oden«, deren ernster, feierlicher Ton, deren edle Rhythmik und sprachliche Schönheit die Generation, der alles dies neu war, wohl berauschen und sie über die eigentümliche Enge und Einseitigkeit der Klopstockschen Empfindung und Kunstanschauung hinwegsehen lassen konnten. Stärker trat diese Einseitigkeit hervor, als Klopstock nach Vollendung des »Messias« sich in biblischen und patriotischen Dramen versuchte.
»Adams Tod«, »Salomo«, »David«, namentlich aber die sogen. Bardiete: »Hermannsschlacht«, »Hermann und die Fürsten« und »Hermanns Tod« entbehrten allen dramatischen Lebens und selbst der lyrischen Innerlichkeit. Bei der Autorität, die Klopstock rasch erworben, folgten jedem von ihm eingeschlagenen Pfad zahlreiche ältere und jüngere Talente. Das biblische Epos fand Nachahmer; selbst der alternde Bodmer, der zu Klopstocks frühsten und glühendsten Bewunderern gehört hatte, dichtete ein Epos: »Noah« (»Die Noachide«),
und eine ganze Reihe biblischer Dramen, der pietistische Staatsmann K. Friedr. v. Moser einen »Daniel in der Löwengrube« (Heldengedicht in Prosa),
S. Henning einen »Joseph«, Joh. Kaspar Lavater (1741-1801),
der mit frischen und patriotischen »Schweizerliedern« im Stil der Gleimschen Grenadierlieder begonnen hatte, einen zweiten »Jesus Messias« und einen »Joseph von Arimathia«, Em. Wessely eine »Mosaide«. Andre versuchten die rhetorische Wirkung des Klopstockschen Epos zu übersteigern und verirrten sich, wie der letzte Klopstockianer, Franz v. Sonnenberg (1779-1805),
in »Donatoa oder das Weltende«, in einen neuen sinnlosern Schwulst. Die Klopstockschen Bardiete gaben Anlaß zur Entstehung einer Bardenschule, deren Vertreter mit archaistischem Patriotismus und seelenlosen Phrasen Deutschheit und Tugend besangen, besten Falls ganz moderne Gesinnungen und Empfindungen in Phantasiestücke kleideten, bei denen keltische, deutsche und nordische Namen und Bilder wild durcheinander liefen. Hier glänzten der Wiener Jesuit Michael Denis (1729-1800) mit den »Liedern Sineds des Barden«, K. F. Kretschmann (1738-1809) mit dem »Gesang Rhingulfs des Barden«, [* 11] G. Hartmann (Telynhard, 1752-75) und Heinr. Wilhelm v. Gerstenberg (1737-1823) mit den »Gedichten eines Skalden« und dem tragischen Melodrama »Minona«, welchem sich unter den Anregungen der Sturm- und Drangperiode das Schauderdrama »Ugolino« hinzugesellte.
Von der Odendichtung Klopstocks wurde die gesamte deutsche Poesie berührt; als unmittelbare Nachahmer traten J. G. ^[Johann Gottlieb] Willamov, Küttner u. a. auf. Selbständiger in Empfindung und Form, mit bewußter Nachahmung der Antike und einseitiger Pflege der Form dichtete Karl Wilhelm Ramler (1725-98), dessen Oden und lyrische Gedichte samt seiner Horaz-Übersetzung in ihrer formellen Glätte und pomphaften Äußerlichkeit, in der »die einfachsten und geringfügigsten Dinge zur Personifikation hohler Scheingestalten hinaufgeschraubt werden oder sich in volltönenden Worten die albernsten Umschreibungen gefallen lassen müssen«, einen großen Einfluß auf jüngere Dichter übten.
Abseits von den norddeutschen Vertretern der Litteratur stand der Schweizer Salomon Geßner (1730-88),
dessen zierliche, aber jeden natürlichen Hauches entbehrende Idylle derselben weichen Stimmung der Zeit entsprachen, welche die rührseligen Momente des »Messias« allen andern des biblischen Gedichts vorziehen ließ. Hier war überall weder Innerlichkeit noch frische Natur, sondern ein unbestimmtes, hin- und hertastendes Sehnen nach der verlornen Innerlichkeit und der entrückten Natur.
Den schärfsten Gegensatz zu der Richtung, welche Klopstock der gesamten deutschen Litteratur zu geben suchte, bildete ein Schriftsteller heraus, dessen Anfänge ganz und gar unter den Einwirkungen Klopstocks gestanden, und der die höchsten Gipfel der seraphischen Poesie im ersten Anlauf [* 12] zu ersteigen gesucht hatte. Chr. Martin Wieland (1733-1813), dessen epikureische, liebenswürdig heitere und weltlich verständige Natur schon früh über die anempfundene Schwärmerei und das moralisierende Pathos siegten, entwickelte in einem langen Leben voll der mannigfaltigsten Thätigkeit eine in der deutschen Litteratur völlig neue Anmut, schalkhafte Lebendigkeit und graziöse Leichtigkeit.
Von seinen frühsten erzählenden Gedichten: »Musarion«, »Idris« und »Der neue Amadis«, und den Romanen: »Die Abenteuer des Don Sylvio von Rosalva«, »Agathon«, »Der goldene Spiegel« [* 13] bis zu den Meisterwerken der 70er und 80er Jahre: dem »Oberon«, der »Geschichte der Abderiten«, den spätern poetischen Erzählungen entfaltete Wieland eine beständig wachsende Sicherheit und lebensfrohe Behaglichkeit des Erzählens und Darstellens, die sich, obschon er französischen Mustern viel verdankte, sehr wesentlich von der frühern unselbständigen Franzosennachahmung unterschieden.
Daneben erwarb er als Herausgeber des »Deutschen Merkur«, [* 14] der ersten bedeutsamen litterarisch-belletristischen Zeitschrift in Deutschland, durch zahlreiche größere und kleine Arbeiten gemischter Natur, seine wichtige Übersetzerthätigkeit (erste deutsche Übertragung der Werke Shakespeares 1762-66) einen außerordentlichen Einfluß, zog sich freilich auch den ganzen Haß der strengern Naturen zu, welche nur Klopstocks Art und Weise innerhalb der deutschen Litteratur gelten lassen wollten. Die mittelbare und unmittelbare Nachwirkung Wielands brachte der deutschen Dichtung eine Fülle von heiterer Anmut, guter Lebensbeobachtung, seither nicht gekannter Beweglichkeit und litterarischer Vielseitigkeit; zugleich aber rief sie bedenkliche Frivolität und Flachheit, geschmacklose und hohle Vielproduktion hervor, denn gerade an Wielands schwächste Seiten, an die gelegentliche ¶