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Schilderung (namentlich im beschreibenden Gedicht »Die Alpen«) und durch einen Kern echter Empfindung über seine Vorbilder erhob; hierher der phantasievolle, wenn auch künstlerisch nicht durchbildete Romandichter Joh. Gottfr. Schnabel (1695-1750?),
dessen weitverbreitete Robinsonade »Die Insel Felsenburg« ein eigenartiges Stück Leben und die tiefe Sehnsucht zahlreicher Gemüter nach einem weltfernen, harmonischen, stillumfriedeten Dasein verkörperte; hierher der Liederdichter und poetische Erzähler Friedrich v. Hagedorn (1708-54), der sich an die heitern Dichtungen der Franzosen und jüngern Engländer anlehnte und zugleich das eigne Lebensbehagen im leichten Flusse seiner kleinen Gedichte ausdrückte.
Indes tauchten alle diese Talente vereinzelt auf und blieben insofern wirkungslos, als man die Hauptsache, durch welche sie sich von der Masse der Schreibenden und Dichtenden unterschieden, die selbständige Empfindung und den Bezug auf das Leben, gar nicht wahrnahm. Die Vorstellung, daß die poetische Kunst ein Anhängsel der Gelehrsamkeit sei, daß alles, was zur »Belustigung des Verstandes und Witzes« diene, entweder erworben werden könne, oder von Haus aus mit einer bestimmten Art der Bildung vorhanden sein müsse, die Überzeugung, daß eine vollendete und vollkommene Dichtung durch Befolgung gewisser Regeln und Vermeidung gewisser Irrtümer erreicht werden könne, war noch allgemein.
Seit der Schwulst der zweiten schlesischen Schule, deren Blüte gerade in die Zeit fiel, wo die französische Litteratur ihren größten Aufschwung nahm, in Verruf gekommen war, richteten sich die hoffenden Blicke nach Frankreich. Ohne Verständnis dafür, daß die großen Leistungen der französischen Poesie aus den Tagen Ludwigs XIV. nur Resultat eines außerordentlichen Aufschwungs des gesamten französischen Lebens seien, ohne schärfere Empfindung für den innern Gehalt des Pariser Klassizismus und nur bemüht, die korrekte Form und klare Übersichtlichkeit der französischen Dichtungen zu erreichen, pries man die Mustergültigkeit französischer Poesie.
Das eigentliche Haupt einer mit Verwerfung aller bisher geltenden Muster die Franzosen nachahmenden Schule in der deutschen Litteratur ward Johann Christoph Gottsched (1705-66), als Leipziger Professor der Poesie und Beredsamkeit in den 30er und 40er Jahren des 18. Jahrh. der deutsche Geschmacksdiktator, welcher mit seiner »Kritischen Dichtkunst«, seinen verschiedenen Zeitschriften und zum Teil sehr verdienstlichen Sammlungen, mit seinen Briefen, seiner Deutschen Gesellschaft, mit zahlreichen Übersetzungen, eignen rhetorischen Gedichten und seiner nach französischen und englisch-französischen Vorbildern zurechtgeschnittenen Tragödie »Der sterbende Cato« der deutschen Litteratur den Weg zur echten Klassizität zu bahnen vermeinte.
Ehrlich für den Gedanken einer glänzenden und würdevollen Stellung der Litteratur begeistert, nicht ohne Verdienste um manche litterarische Einsichten, um die Wiederanknüpfung einer Verbindung zwischen dem Theater und der Litteratur, war er doch zu trocken und dürr, um auch nur den Pope, geschweige den Boileau und Racine Deutschlands vorstellen zu können, und erweckte sich überdies durch seinen Hochmut und seine beschränkte Rechthaberei zahlreiche Gegner.
Eine treue Mitarbeiterin fand er an seiner Gattin Luise Adelgunde Viktorie, geborne Culmus (gest. 1762), eifrige Schüler an J. ^[wohl eher Samuel Gotthold] Lange, J. ^[Johann] Joachim Schwabe, an dem Hamburger Kaufherrn Georg Behrmann (Dichter der Tragödien: »Die Horatier« und »Timoleon«),
an Otto, Freiherrn v. Schönaich (1725-1807),
dessen steifes und wertloses Heldengedicht »Hermann« Gottsched zum deutschen Nationalepos emporzuloben hoffte, an Christian Aug. Clodius, J. J. ^[Johann Jakob] Dusch und einer ganzen Reihe von dichtenden Magistern und Übersetzern. Gottsched war der Hauptrepräsentant der unbedingten Nachahmung der Franzosen, der letzte Vertreter einer »gelehrten« Dichtung im engsten und bedenklichsten Sinn des Wortes; beides aber, Franzosennachahmung und unlebendige Gelehrtenpoesie, erstreckten naturgemäß ihre Nachwirkungen noch weit in die folgende Periode und in alle Anstrengungen hinein, die gemacht wurden, um zu einer lebendigen, der gesamten Nation wiederum angehörigen Litteratur zu gelangen.
VII. Zeitraum.
Zeit der Übergänge und des beginnenden Aufschwungs.
Theoretisch waren die von Gottsched geübte Geschmacksherrschaft und die einseitige Dürftigkeit seiner litterarischen Anschauungen bereits seit den 30er Jahren von den »Schweizern«, d. h. den Züricher Gelehrten Joh. Jakob Bodmer (1698-1783) und J. J. ^[Johann Jakob] Breitinger (1701-76),
bekämpft worden, die in den »Diskursen der Maler«, in ihrer Vertretung Miltons, in Breitingers »Kritischer Dichtkunst« (1740) im Grund nur den entscheidenden Satz verfochten, daß zur Dichtung ein positives Element gehöre und die Vollkommenheit nicht in lauter Negationen gesetzt werden dürfe. Bei dem verkommenen Zustand der deutschen Litteratur war auch das Fortschritt und Gewinn. Den Schweizer Kritikern schlossen sich Zollikofer, Heinr. Meister, K. F. Drollinger u. a. an. Wichtiger und folgenreicher erwies sich die Wirksamkeit einer Gruppe von jungen Poeten und Schöngeistern, die, größtenteils Sachsen und an der Universität Leipzig studierend, anfänglich von Gottsched beeinflußt, sich von ihm loslösten und, zunächst ein Publikum suchend, das der gesamten deutschen Litteratur fehlte, bei Franzosen und Engländern die gewinnenden, anmutigern Formen der Dichtung, die frische Wiedergabe von Eindrücken und Zügen des Lebens, die Fähigkeit des Unterhaltens durch die Litteratur zu erlauschen suchten.
Das deutsche Leben selbst kam ihnen zu wenig entgegen, um ein rasches und volles Gelingen ihrer Absichten zu ermöglichen. Dennoch waren die »Bremer Beiträger«, wie sie wohl nach den von ihnen herausgegebenen, in Bremen verlegten »Neuen Beiträgen zum Vergnügen des Verstandes und Witzes« genannt werden, die ersten Schriftsteller, deren Wirkungen wieder in weite und verschiedenartige Kreise reichten, »wieder die ersten wahrhaft volkstümlichen, fast möchte man sagen, die ersten wahrhaft deutschen Dichter und Schriftsteller« (Hettner). Zu dieser Gruppe gehörten die Lyriker J. Anton ^[richtig: Johann Arnold] Ebert, Karl Christian Gärtner, Nik. Dietr. Giseke, J. A. ^[Johann Andreas Cramer] Kramer, Adolf Schlegel, ferner der Dramatiker J. ^[Johann] Elias Schlegel (1718-49), dessen theoretische Erkenntnis und instinktive Einsicht in das Wesen des Dramas, wie er sie in seinen dramaturgischen Abhandlungen bethätigte, freilich seine eignen dramatischen Versuche in Tragödie (»Kanut«) und Komödie (»Der Triumph der guten Frauen«, »Die stumme Schönheit«) weit überragten. Unmittelbarer aus dem Leben schöpfte Friedr. Wilh. Zachariä (1726-77),
der sich als deskriptiver Poet und Verfasser komischer Heldengedichte (»Der Renommist«, »Die Tageszeiten«, »Murner in der Hölle«) geltend machte. Der gefeierte Satiriker unter den »Beiträgern«, Gottl. Wilh. Rabener (1714-71),
konnte eben nur in seiner eignen schwächlichen Zeit als »der deutsche Swift« angesehen
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werden; seine Satire, der es an Schärfe, Kühnheit, vielleicht selbst an Einsicht in die wahren Gebrechen und Mißstände der deutschen Kulturwelt fehlte, die daher nicht die Thoren, sondern in schwächlichen Typen und höchstens in ganz untergeordneten Gestalten die Thorheit schilderte, sich in unwesentlichen Details und salzlosem Spaß in behaglichster Breite erging, interessierte aber gleichwohl das Bürgertum, das um die Mitte des 18. Jahrh. wieder Anteil an der Litteratur zu nehmen begann.
Bleibende Bedeutung erlangte Chr. Fürchtegott Gellert (1715-69), der bei weitem einflußreichste Schriftsteller des zweiten Drittels des 18. Jahrh. Er hatte mit kleinen Liedern, mit Schäfer- und Lustspielen im französischen Stil (»Sylvia«, »Die Betschwester«, »Das Los in der Lotterie« etc.) begonnen, dann mit seinem Roman »Das Leben der schwedischen Gräfin von G.« einen kühnern Griff in die Wirklichkeit gewagt, ohne sich aus den Banden einer bis zur Unsittlichkeit und Roheit entstellten äußerlichen und konventionellen »Moral« befreien zu können.
Seine außerordentliche Popularität aber beruht hauptsächlich auf seinen »Fabeln und Erzählungen«, in denen er mit bisher nicht erreichter Leichtigkeit und Lebendigkeit des Vortrags sich als höchst selbständiger Schüler, nicht mehr als bloßer Nachahmer Lafontaines erwies und mit Schärfe und Feinheit, wenn auch immer mit moralisierender Tendenz sittliche und soziale Zustände der eignen Zeit wie allgemeine menschliche Thorheiten spiegelte. Mit seinen »Geistlichen Liedern« erfüllte er das Andachtsbedürfnis seiner Zeit; auch seine prosaischen Schriften, wie die »Briefe« nebst der »Abhandlung von dem Geschmack in Briefen« und seine »Moralischen Vorlesungen«, übten eine kaum zu berechnende Wirkung.
Gleichzeitig mit den Männern der »Bremer Beiträge« löste sich eine Gruppe jüngerer Poeten, die persönliche Freundschaft während ihrer Studienzeit an der Universität Halle verbunden hatte, von der Gottschedschen Litteraturauffassung. Zur Halleschen Poetengruppe zählten Sam. Gotthold Lange (1711-81), der als Lyriker eine Zeitlang Ruf genoß und späterhin für seine unzulängliche Horaz-Übersetzung von Lessing hart verurteilt und einer unerfreulichen Unsterblichkeit überliefert wurde;
Immanuel Pyra (1715-44), dessen Schrift »Beweis, daß die Gottschedianische Sekte den Geschmack verderbe« die Streitschriften der Schweizer an Heftigkeit überbot;
Nikolaus Götz (1721-81), der mit Uz die Oden Anakreons übertrug und in eignen Gedichten die griechischen Lyriker nachzubilden suchte;
Peter Uz (1720-1796),
der von leichten, tändelnden Gedichten im (vermeinten) Stil Anakreons, von Nachahmung der Popeschen komischen Epik im »Sieg des Liebesgottes« späterhin zur ernsten Ode und dem Lehrgedicht überging;
endlich Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803), seit 1747 Sekretär des Domkapitels zu Halberstadt, dem eine der wunderlichsten litterarischen Laufbahnen beschieden war. In allen Formen und nach allen Mustern ein anempfindendes Talent, als tändelnder Anakreontiker, patriotischer Liederdichter, Fabel- und Spruchdichter, Erzähler und redseliger Didaktiker von unerschöpflicher, nie versiegender Produktionslust, aber äußerlich und flüchtig bis zur völligen Flachheit, erhob sich Gleim nur in den vom Siebenjährigen Krieg hervorgerufenen »Liedern eines preußischen Grenadiers« und in einer Anzahl Fabeln und Sinngedichten zu einiger Selbständigkeit.
Vor vielen andern in äußerlich begünstigter Lage, voll guten Willens, allen Hilfsbedürftigen beizustehen, unterstützte und regte er überall die Talente an, »hätte ebensowohl des Atemholens entbehrt wie des Dichtens und Schenkens und gewann sich so viele Freunde, Schuldner und Abhängige, daß man ihm seine breite Poesie gern gelten ließ, weil man ihm für die reichlichen Wohlthaten nichts zu erwidern vermochte als Duldung seiner Gedichte« (Goethe). Zum Kreis, den sich Gleim in Halberstadt zu bilden suchte, gehörten der Fabeldichter Magnus Gottfr. Lichtwer (1719-83), der Lyriker Joh. Georg Jacobi (1740-1814), der Fabel- und Operettendichter J. B. ^[Johann Benjamin] Michaelis (1746-72), Klamer Eberhard Schmidt (1746-1824) u. a. Der Richtung auf das Idyll und das leichte, beschreibende Gedicht, welche durch die Hallenser gegeben war, zeigte sich Chr. Ewald v. Kleist (1715-59) verwandt, dessen beschreibendes Gedicht »Der Frühling« als ein Lenz auch für die Dichtung gepriesen wurde, und in dessen besten Gedichten uns eine feine Naturempfindung und das Gefühl männlicher Würde, das den ernst-soldatischen Dichter erfüllte, erfreulich entgegentreten.
Auch in den größern Formen der dramatischen Dichtung strebte man seit den 50er Jahren über Gottsched und die äußerlichste Franzosennachahmung hinauszukommen, sah sich aber freilich immer wieder zurückgeworfen und vermochte kaum die Fesseln der französischen Form (des Alexandriners) abzuwerfen, geschweige denn einen eignen Lebensgehalt künstlerisch zu gestalten. Die vielbelobten Anläufe, welche J. F. ^[Johann Friedrich] v. Cronegk (1731-59) mit dem Trauerspiel »Codrus«, J. W. ^[Joachim Wilhelm] v. Brawe (1738-58) mit den Tragödien: »Brutus« und »Der Freigeist«, L. v. Ayrenhoff (1733-1819) mit »Aurelius«, »Tumelicus«, »Antonius und Kleopatra«, »Antiope« u. a. nahmen, erwiesen, wie unselbständig und innerlich leblos die deutsche Dichtung in den Hauptsachen noch war.
Auch die Lustspieldichter Joh. Chr. Krüger, J. Ch. ^[Johann Christian] Brandes, die beiden Stephani ragen nicht höher. Ein echter Repräsentant des Eklektizismus, der aus der Nachahmung so verschiedenartiger Muster erwuchs, aber immer wieder in die Abhängigkeit von der französischen Litteratur zurückfiel, war Chr. Felix Weiße (1726-1804), welcher als fruchtbarer Poet auf allen Gebieten, als Verfasser von ernsten und scherzhaften, Amazonen- und Kinderliedern, als Übersetzer, Bearbeiter, Jugendschriftsteller, als Opern- und Lustspieldichter wie als vielgepriesener Tragiker die Bescheidenheit und Genügsamkeit der Ansprüche des deutschen Publikums erwies.
Daß die lange Gewöhnung an die Herrschaft des französischen Geschmacks noch bis in die Zeit des völligen Umschwungs hinein ihre Nachwirkungen hatte, zeigten Dichter wie Fr. Wilhelm Gotter (1746-97), der trotz seiner Beziehungen zu Goethe als Lyriker und Operndichter ein reiner Nachbildner der Franzosen war, wie die Leipziger Lustspielpoeten J. G. ^[Johann Gottfried] Dyk ^[auch: Dyck], Anton Wall u. a. bis zum Ausgang des Jahrhunderts. Indessen durften alle diese Produktionen und Bestrebungen als nichtsbedeutende von dem Augenblick an angesehen werden, in welchem wahrhaft schöpferische Geister der deutschen Litteratur selbständige, große Ziele gegeben und die tiefe Kluft zwischen Leben und Dichtung endlich geschlossen hatten.
In demselben Jahrzehnt, in welchem die frühsten bescheidenen Regungen eines neuen Geistes sich in den Arbeiten der »Bremer Beiträger« kundgaben, erfolgte das Auftreten des ersten wahrhaft genialen Dichters, den Deutschland seit der Blütezeit der mittelhochdeutschen Poesie wieder erhielt. »Mit Klopstocks Erscheinung wurde offenbar, daß die Dichtung auf einer ursprünglichen genialen Begabung beruhe
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und durch Studium nicht erlernt werden könne.« Friedrich Gottlieb Klopstock (1724-1803) ward schon epochemachend durch die Anfänge seines bereits als Schüler geplanten, als Student begonnenen, erst nach Jahrzehnten (1773) vollendeten Gedichts »Der Messias«, dessen erste Gesänge die »Bremer Beiträge« nicht ohne manche Bedenken ihrer Herausgeber 1748 veröffentlichten. Mit dem sichern Instinkt des Genies hatte Klopstock gefühlt, daß der religiöse Stoff zur Zeit der einzige sei, welcher auf Phantasie und Empfindung großer Kreise, namentlich des deutschen Bürgertums, zu wirken vermochte; ihn selbst erfüllten die erhabensten Vorstellungen von jener »heiligen Dichtkunst«, für die er nur ein erhabenes Vorbild, Milton, kannte.
Da er aber eine überwiegend lyrische Natur voll hohen Schwunges, voll sittlichen Ernstes, voll Innigkeit und voll ursprünglicher Sprachgewalt war, zudem bewußtermaßen auf die Rührung seiner Leser hinarbeitete, so überwog in seinem epischen Gedicht eine Fülle rührseliger Stimmungen und wehmütiger Betrachtungen die feste Gestaltung, die Anschaulichkeit der Handlung und Charakteristik. Indes hatte seit Luther kein Dichter über den Reichtum und die Macht der Sprache geboten wie jetzt Klopstock, so daß der Enthusiasmus für seine in der That unvergleichliche Leistung voll berechtigt war.
Neben dem großen epischen Gedicht verdankte Klopstock seinen Hauptruhm seinen »Oden«, deren ernster, feierlicher Ton, deren edle Rhythmik und sprachliche Schönheit die Generation, der alles dies neu war, wohl berauschen und sie über die eigentümliche Enge und Einseitigkeit der Klopstockschen Empfindung und Kunstanschauung hinwegsehen lassen konnten. Stärker trat diese Einseitigkeit hervor, als Klopstock nach Vollendung des »Messias« sich in biblischen und patriotischen Dramen versuchte.
»Adams Tod«, »Salomo«, »David«, namentlich aber die sogen. Bardiete: »Hermannsschlacht«, »Hermann und die Fürsten« und »Hermanns Tod« entbehrten allen dramatischen Lebens und selbst der lyrischen Innerlichkeit. Bei der Autorität, die Klopstock rasch erworben, folgten jedem von ihm eingeschlagenen Pfad zahlreiche ältere und jüngere Talente. Das biblische Epos fand Nachahmer; selbst der alternde Bodmer, der zu Klopstocks frühsten und glühendsten Bewunderern gehört hatte, dichtete ein Epos: »Noah« (»Die Noachide«),
und eine ganze Reihe biblischer Dramen, der pietistische Staatsmann K. Friedr. v. Moser einen »Daniel in der Löwengrube« (Heldengedicht in Prosa),
S. Henning einen »Joseph«, Joh. Kaspar Lavater (1741-1801),
der mit frischen und patriotischen »Schweizerliedern« im Stil der Gleimschen Grenadierlieder begonnen hatte, einen zweiten »Jesus Messias« und einen »Joseph von Arimathia«, Em. Wessely eine »Mosaide«. Andre versuchten die rhetorische Wirkung des Klopstockschen Epos zu übersteigern und verirrten sich, wie der letzte Klopstockianer, Franz v. Sonnenberg (1779-1805),
in »Donatoa oder das Weltende«, in einen neuen sinnlosern Schwulst. Die Klopstockschen Bardiete gaben Anlaß zur Entstehung einer Bardenschule, deren Vertreter mit archaistischem Patriotismus und seelenlosen Phrasen Deutschheit und Tugend besangen, besten Falls ganz moderne Gesinnungen und Empfindungen in Phantasiestücke kleideten, bei denen keltische, deutsche und nordische Namen und Bilder wild durcheinander liefen. Hier glänzten der Wiener Jesuit Michael Denis (1729-1800) mit den »Liedern Sineds des Barden«, K. F. Kretschmann (1738-1809) mit dem »Gesang Rhingulfs des Barden«, G. Hartmann (Telynhard, 1752-75) und Heinr. Wilhelm v. Gerstenberg (1737-1823) mit den »Gedichten eines Skalden« und dem tragischen Melodrama »Minona«, welchem sich unter den Anregungen der Sturm- und Drangperiode das Schauderdrama »Ugolino« hinzugesellte.
Von der Odendichtung Klopstocks wurde die gesamte deutsche Poesie berührt; als unmittelbare Nachahmer traten J. G. ^[Johann Gottlieb] Willamov, Küttner u. a. auf. Selbständiger in Empfindung und Form, mit bewußter Nachahmung der Antike und einseitiger Pflege der Form dichtete Karl Wilhelm Ramler (1725-98), dessen Oden und lyrische Gedichte samt seiner Horaz-Übersetzung in ihrer formellen Glätte und pomphaften Äußerlichkeit, in der »die einfachsten und geringfügigsten Dinge zur Personifikation hohler Scheingestalten hinaufgeschraubt werden oder sich in volltönenden Worten die albernsten Umschreibungen gefallen lassen müssen«, einen großen Einfluß auf jüngere Dichter übten.
Abseits von den norddeutschen Vertretern der Litteratur stand der Schweizer Salomon Geßner (1730-88),
dessen zierliche, aber jeden natürlichen Hauches entbehrende Idylle derselben weichen Stimmung der Zeit entsprachen, welche die rührseligen Momente des »Messias« allen andern des biblischen Gedichts vorziehen ließ. Hier war überall weder Innerlichkeit noch frische Natur, sondern ein unbestimmtes, hin- und hertastendes Sehnen nach der verlornen Innerlichkeit und der entrückten Natur.
Den schärfsten Gegensatz zu der Richtung, welche Klopstock der gesamten deutschen Litteratur zu geben suchte, bildete ein Schriftsteller heraus, dessen Anfänge ganz und gar unter den Einwirkungen Klopstocks gestanden, und der die höchsten Gipfel der seraphischen Poesie im ersten Anlauf zu ersteigen gesucht hatte. Chr. Martin Wieland (1733-1813), dessen epikureische, liebenswürdig heitere und weltlich verständige Natur schon früh über die anempfundene Schwärmerei und das moralisierende Pathos siegten, entwickelte in einem langen Leben voll der mannigfaltigsten Thätigkeit eine in der deutschen Litteratur völlig neue Anmut, schalkhafte Lebendigkeit und graziöse Leichtigkeit.
Von seinen frühsten erzählenden Gedichten: »Musarion«, »Idris« und »Der neue Amadis«, und den Romanen: »Die Abenteuer des Don Sylvio von Rosalva«, »Agathon«, »Der goldene Spiegel« bis zu den Meisterwerken der 70er und 80er Jahre: dem »Oberon«, der »Geschichte der Abderiten«, den spätern poetischen Erzählungen entfaltete Wieland eine beständig wachsende Sicherheit und lebensfrohe Behaglichkeit des Erzählens und Darstellens, die sich, obschon er französischen Mustern viel verdankte, sehr wesentlich von der frühern unselbständigen Franzosennachahmung unterschieden.
Daneben erwarb er als Herausgeber des »Deutschen Merkur«, der ersten bedeutsamen litterarisch-belletristischen Zeitschrift in Deutschland, durch zahlreiche größere und kleine Arbeiten gemischter Natur, seine wichtige Übersetzerthätigkeit (erste deutsche Übertragung der Werke Shakespeares 1762-66) einen außerordentlichen Einfluß, zog sich freilich auch den ganzen Haß der strengern Naturen zu, welche nur Klopstocks Art und Weise innerhalb der deutschen Litteratur gelten lassen wollten. Die mittelbare und unmittelbare Nachwirkung Wielands brachte der deutschen Dichtung eine Fülle von heiterer Anmut, guter Lebensbeobachtung, seither nicht gekannter Beweglichkeit und litterarischer Vielseitigkeit; zugleich aber rief sie bedenkliche Frivolität und Flachheit, geschmacklose und hohle Vielproduktion hervor, denn gerade an Wielands schwächste Seiten, an die gelegentliche
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Lüsternheit und den Eudämonismus seiner Lebensanschauung, heftete sich das Heer der Nachahmer. Unter den bessern von Wieland angeregten Schriftstellern gediehen der frivol-graziöse M. A. v. Thümmel (1738-1817), der Verfasser des prosaischen Gedichts »Wilhelmine« und der »Reise in die mittägigen Provinzen von Frankreich«, und Karl Aug. Musäus (1735-87) mit dem »Deutschen Grandison« und den unterhaltend erzählten »Volksmärchen der Deutschen« zu bleibenden Leistungen.
Sonstige Belletristen ähnlicher Richtung waren: Joh. Tim. Hermes (1738-1821),
dessen Roman »Sophiens Reise von Memel nach Sachsen« ein Lieblingsbuch der Zeit ward;
Wielands Jugendgeliebte Sophie v. La Roche (1730-1807),
Verfasserin der »Geschichte des Fräuleins von Sternheim«;
A. G. Meißner (1753-1807),
dessen »Skizzen« und Roman »Alcibiades« nebst einer langen Reihe von historisch-romantischen Gemälden nicht ohne das Verdienst einer gewissen Anschaulichkeit und Lebendigkeit waren;
der Lustspiel- und komische Romandichter J. Fr. ^[Johann Friedrich] Jünger (1759-97);
Ad. v. Knigge (1752-96), dessen Buch »Über den Umgang mit Menschen« seinen Namen länger erhielt als seine Reiseschilderungen und Romane;
der scherzhafte Erzähler F. A. Langbein (1757-1835) u. a. Indessen konnten sie alle nur vorübergehende Bedeutung haben.
Auch die Nachahmer der Wielandschen romantischen Epik, J. B. ^[Johann Baptist] Alxinger (1755-97) mit den Rittergedichten: »Doolin von Mainz« und »Bliomberis«, L. H. v. Nicolay (1737-1820), der seine Poesie hauptsächlich aus Ariost schöpfte, und die travestierenden Poeten, welche Wielands Ironie und humoristische Behandlung des Ernsthaften popularisieren halfen, wie Al. Blumauer (1755-98, »Travestierte Äneide«) und K. A. Kortum (1745-1824, »Jobsiade« und »Adams Hochzeitsfeier«),
erwiesen, wie rasch sich die Gegensätze zu dem ehrbar-steifen, gelehrt-würdevollen Ton des vorausgegangenen Menschenalters herausgebildet hatten. Die satirischen Werke von Lichtenberg (1742-99) sind hier gleichfalls zu erwähnen.
Gewaltiger, tiefer und vielseitiger in die ganze geistige Bewegung der Zeit eingreifend, in eigenartiger Durchdringung von schaffender und kritischer Thätigkeit selbstgesteckte Ziele kühn erreichend und sich wie der gesamten deutschen Litteratur solche steckend, hinter denen man mit Ehren zurückbleiben kann, trat gleichzeitig mit Klopstock und Wieland Gotthold Ephraim Lessing (1729-81) hervor, der mit Recht ein Erwecker und Befreier der Litteratur geheißen werden durfte, insofern er auf den verschiedensten Gebieten das erlösende Wort sprach und mustergültige Originalwerke im höchsten Sinn schuf. In seinen Jugenddramen: »Der junge Gelehrte«, »Der Freigeist«, »Der Schatz« noch französischen Vorbildern folgend, in seiner frühsten kritischen Thätigkeit von der herrschenden Anschauung und den ganzen Voraussetzungen der Gelehrtenpoesie noch mannigfach abhängig, durchbrach seine kühne und hochstrebende, nach klaren Anschauungen wie ganzen Leistungen ringende Natur rasch die Schranken.
Durch die Nachempfindung und Nachbildung der englisch-bürgerlichen Dichtung hindurch, der seine Tragödie »Miß Sara Sampson« entstammte, gedieh Lessing zu höchster Selbständigkeit und innerer Freiheit. Während seine großen kritischen Werke: die von ihm herrührenden Teile der »Litteraturbriefe«, »Laokoon, oder über die Grenzen der Poesie und Malerei« und die »Hamburgische Dramaturgie«, die unerläßlichen Voraussetzungen und Grundbedingungen einer ganz auf eignen Füßen stehenden, Großes erstrebenden und leistenden Dichtung endlich und allmählich zum Bewußtsein brachten, schöpfte er in seinen dramatischen Meisterwerken (Meisterwerke vor allem nach der Seite einer konsequent entwickelten Handlung und einer geistvollen, lebendigen Charakteristik): dem Soldatenlustspiel »Minna von Barnhelm«, der bürgerlichen Tragödie »Emilia Galotti« und dem Drama »Nathan der Weise«, mit fester Sicherheit aus der Fülle des umgebenden Lebens und aus der Tiefe der die Zeit erfüllenden großen Kämpfe, an denen er so unerschrocken wie würdevoll Anteil nahm. Wo die Erkenntnis durchdrang, daß die Dichtung in erster Linie Menschendarstellung sei, empfand man auch die Macht des Lessingschen poetischen Talents trotz des Mangels an lyrischem Stimmungshauch und Farbenfülle.
Gesellten sich hierzu die beinahe unberechenbare Wirkung der mannhaften, edlen und ernsten, gegen alles Scheinwesen, alle Halbheit und anmaßende Mittelmäßigkeit gerichteten Lessingschen Polemik, seines furchtlosen Wahrheitsdranges, der ihn zum »Aufklärer« im besten Sinn des Wortes erhob und doch von der flachen und selbstgefälligen Begnügsamkeit der spezifischen Aufklärung unwiderruflich schied, die bildende Kraft seiner geistreich geschmackvollen Behandlung der verschiedensten ästhetischen, litterarischen, philologischen, philosophischen und theologischen Fragen, der geistige Reiz seines klar durchgebildeten Stils, den selbst die kleinsten Arbeiten aufwiesen: so ergibt sich, wie allseitig und tiefgehend die Wirkung von Lessings Leben und Thun für die Litteratur werden mußte.
Seine Stellung war bei alledem immer eine isolierte gewesen; eigentliche Schüler und Nachfolger konnte er umso weniger haben, je seltener sich die kritisch-dialektische Schärfe und der produktive poetische Trieb vereinigt finden. In den Kreisen der Berliner Aufklärer, in denen Lessing viel gelebt, erhob man wohl den unberechtigten Anspruch, seine Richtung allein zu vertreten und weiterzubilden, und setzte sich unter irrtümlicher Berufung auf Lessing gegen den Ausgang des Jahrhunderts jeder bedeutsamen Weiterentwickelung der Litteratur entgegen.
Der Mitherausgeber der »Litteraturbriefe«, der Buchhändler Friedr. Nicolai (1733-1811),
vertrat in zahlreichen Schriften den Standpunkt der »Aufklärung des Verstandes«, welche ihm meist mit der plattesten Nüchternheit und Utilitätsrichtung zusammenfiel und sich eng an die preußischen Zustände der Zeit Friedrichs d. Gr. anschloß. Von seinen Werken mit poetischem Anspruch war der aufklärerische Roman »Leben und Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker« der bedeutendste und fand manche Nachahmer, so in Joh. Gottwerth Müller (1744-1828) mit »Siegfried von Lindenberg« und dem komischen Roman »Emmerich«, in Chr. W. Kindleben (1748-85) mit »Wilibald Schluterius« und »Emanuel Hartenstein«.
Viel höher als alle diese stand J. J. ^[Johann Jakob] Engel (1741-1802),
in seinen Schauspielen: »Pflicht und Ehre«, »Der Edelknabe«, in den Abhandlungen und kleinen Erzählungen des »Philosophen für die Welt« und dem bürgerlichen Roman »Lorenz Stark« der letzte namhafte, nicht unverdienstliche Vertreter der ausschließlichen Verstandesrichtung in der poetischen Litteratur. Der Einfluß Lessings auf das Drama gab sich hauptsächlich durch die eifrige Pflege der bürgerlichen Tragödie und des bürgerlichen Schauspiels nach englischem Muster kund; die wilde Flut von Soldatenlustspielen, die der »Minna von Barnhelm« folgte, hatte keine Bedeutung für die Litteratur und erwies nur,
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daß der kaum hergestellte Zusammenhang zwischen der Gesamtentwickelung der Dichtung und der deutschen Bühne jeden Augenblick wieder durch das theatralische Bedürfnis in Frage gestellt ward. Die Schau- und Lustspiele von Fr. Ludw. Schröder (»Das Porträt der Mutter«),
H. P. Sturz (»Julie«),
Otto Heinr. v. Gemmingen (»Der deutsche Hausvater«),
G. W. Großmann (»Nicht mehr als sechs Schüsseln«, »Henriette«) ragten schon zum Teil in die Sturm- und Drangperiode hinüber und wurden von deren geistigen Stimmungen ebenso beeinflußt wie von den Lessingschen Dramen. Ward Lessing selbst der Hauptbegründer einer klassischen deutschen Prosa, so daß ein großer Teil der besten Prosaisten des nächsten Zeitraums sich wesentlich nach ihm bildete, so waren doch neben ihm eine Reihe andrer Schriftsteller auf verschiedenen Gebieten aufgetreten, die durch die Form ihrer Werke die Entwickelung der Nationallitteratur fördern halfen.
Noch dem vorigen Zeitraum hatten Gottfried Arnolds »Unparteiische Kirchen- und Ketzerhistorie«, Mascovs »Geschichte der Teutschen« und H. v. Bünaus »Teutsche Kaiser- und Reichshistorie«, die Anfänge einer pragmatischen deutschen Geschichtschreibung, angehört. Der größte Zeitgenosse Lessings, Johann Joachim Winckelmann (1717-68),
übte durch seine epochemachende »Geschichte der Kunst des Altertums« (1764) eine tiefgehende, befreiende Wirkung auf die gesamte deutsche Litteratur und das Erwachen einer lebendigen, sichern, aus Anschauung und Genuß erwachsenden Empfindung für das Schöne. Viel unbedeutendern, aber immerhin nicht zu vergessenden Einfluß erlangte J. A. ^[richtig: J. G.] Sulzer (1720-79) mit seiner »Theorie der schönen Künste«. Als Popularphilosophen, welche einzelne Untersuchungen und Betrachtungen in mustergültiger Form weitern Kreisen der Bildung vermittelten, sich mit Lessings Bestrebungen vielfach berührten, ohne ihm irgend gleichzukommen, traten hervor Moses Mendelssohn (1729-86), der erste Israelit, welcher eine maßgebende und einflußreiche Stellung in der deutschen Litteratur gewann, der Verfasser des »Phädon, oder über die Unsterblichkeit der Seele« und der »Morgenstunden, oder Vorlesungen über das Dasein Gottes«; der Schweizer Isaak Iselin (1728-82) mit den »Philosophischen und patriotischen Träumen eines Menschenfreundes« und der Abhandlung »Über die Geschichte der Menschheit«; der Österreicher Joseph v. Sonnenfels (1733-1817),
der direkt Lessing nachahmte, aber mit seiner mannigfach aufklärenden Vielgeschäftigkeit sich zu dauernd wertvollen Leistungen nicht erhob, obschon seine »Briefe über die wienerische Schaubühne« und die Abhandlung »Über die Abschaffung der Tortur« zu ihrer Zeit hoch gepriesen wurden;
Thomas Abbt (1738-66) mit den Abhandlungen: »Vom Verdienst« und »Vom Tod für das Vaterland«;
Joh. Georg Zimmermann (1728-95) mit den vielgelesenen »Betrachtungen über die Einsamkeit«;
Christian Garve (1742-98),
der in seinen »Versuchen« und »Vermischten Aufsätzen« mannigfache Themata des Lebens, der Moral und Litteratur mit bemerkenswerter Klarheit und Schönheit der Darstellung vom Standpunkt der Aufklärung aus besprach.
VIII. Zeitraum.
Die Sturm- und Drangperiode und die Periode der klassischen Dichtung.
Die Herrschaft der Aufklärung, wesentlich gefördert durch die lange und auf allen Gebieten ruhmreiche Regierung Friedrichs d. Gr. in Preußen, welcher die aufklärenden und aufgeklärten Fürsten in den mittlern und kleinern deutschen Gebieten nachfolgten, war um das Jahr 1770 entschieden. Trotz mannigfacher Irrtümer, Härten und Ausschreitungen wirkte der aufgeklärte Despotismus segensreich und beseitigte den größern Teil der noch nachwirkenden Folgen des unseligen Dreißigjährigen Kriegs.
Während aber der Kampf dieses Systems mit verrotteten Mißbräuchen und trübseligen öffentlichen Zuständen noch fortdauerte und auch ein guter Teil der deutschen Schriftsteller in diesem Kampf seine Hauptaufgabe erblickte, bereitete sich schon ein neuer, größerer Umschwung vor. Auch die siegreiche Aufklärung hatte nichts oder nur wenig zur Überwindung der engen, gepreßten, harten und nüchternen Lebenszustände und Lebensgewohnheiten gethan, welche mit der emporstrebenden Bildung, namentlich der bürgerlichen Schichten, in so unerfreulichem Widerspruch standen. An hundert Stellen zugleich erwachte daher das Gefühl, daß die gesamte Aufklärungsbildung doch öde, unzulänglich und armselig sei, daß das deutsche Leben aller Frische und innern Fülle entbehre, daß Kultur und Sitte der letzten Jahrhunderte mit der menschlichen Natur in einen argen Zwiespalt geraten seien, der am besten durch die Rückkehr zur Natur überwunden werde.
Das Auftreten Jean Jacques Rousseaus in Frankreich übte auf die Bewegung und Stimmung der Geister in Deutschland einen außerordentlichen Einfluß. Aus der allgemein werdenden Sehnsucht, das Leben poetischer zu gestalten und die Poesie nur mit wirklichem Leben zu erfüllen, ging eine denkwürdige geistig-revolutionäre Bewegung, die Sturm- und Drangperiode, hervor, welche mit dem wildesten Ansturm gegen alle seither geltenden Schranken in Leben und Kunst begann, und aus der schließlich in der That eine Neugestaltung des deutschen Lebens und eine letzte, höchste Erhebung der Nationallitteratur erwuchsen. Es ist daher im höchsten Grad einseitig, im »Sturm und Drang« nur einen Rückfall in die Barbarei zu sehen und die gesamte Periode als die einer Entfesselung der egoistischen Begehrlichkeit, des überreizten Selbstgefühls, des pflichtlosen Verlangens nach Glück und der zügellosen Leidenschaft zu verurteilen.
Alle diese Dämonen waren naturgemäß mit entfesselt, aber sie verursachten und tragen nicht allein die Bewegung; höhere Kräfte und bessere Antriebe standen im Vordergrund, und mit innerer Notwendigkeit wurden alle bedeutenden Naturen in die wilde Gärung hineingezogen, während es nur den besten und kräftigsten beschieden war, an der nachfolgenden Läuterung Anteil zu nehmen. Die litterarische Seite der großen Bewegung war die wichtigste, weil Hunderttausende die in der Wirklichkeit zunächst versagte Befriedigung der neuen Herzensansprüche und Phantasieforderungen in der Dichtung suchten und die poetisch-litterarische Thätigkeit eine bisher nicht erhörte Bedeutung und Wirkung gewann. Es war das Eigentümliche der Sturm- und Drangperiode, daß in ihr die verschiedensten, ja die gegensätzlichsten geistigen Richtungen und Bestrebungen gleichzeitig die Köpfe und Gemüter der Menschen ergriffen und in unbestimmtem Enthusiasmus und Originalitätsdrang zu einer Einheit zusammenfassen. So konnte es geschehen, daß in denselben Jahrzehnten und zum Teil von denselben Kreisen die Gefühlsphilosophie der Hamann und Jacobi und die unerbittliche logische Kritik Kants, die machtvolle, lebenswarme Dichtung Goethes und die wesenlose poetische Rhetorik der Stolberg und Schubart, der scharfe Realismus Justus Mösers und die Phantastik Lavaters neben und
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miteinander bewundert wurden. Der gemeinsame Grundzug aller Bestrebungen und Zeitstimmungen blieb der Gegensatz zur phantasielosen Nüchternheit, zur begnügsamen Halbheit und zur hohlen Selbstgefälligkeit des Rationalismus.
Der größte Repräsentant des »Sturms und Dranges« (wie die Bewegung später nach dem Titel eines wildphantastischen Dramas von F. M. Klinger getauft ward) war Johann Gottfried Herder (1744 bis 1803), in dessen zahlreichen und vielartigen Schriften sich alle geistigen Elemente der Bewegung begegneten. Die Genialität, der Gedankenreichtum und die ethische Hoheit Herders wirkten mächtig auf die ganze Litteratur der Zeit ein; speziell für die Dichtung wurde seine Anschauung über das Wesen der Ur- und Volkspoesie ganz entscheidend.
Was Herder in den Hauptwerken seiner zweiten klassischen Periode, dem Buch »Vom Geiste der ebräischen Poesie«, den »Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit« (1785-94),
den Dichtungen und Abhandlungen der »Zerstreuten Blätter« gab, war nur Läuterung und weitere Ausführung der in seinen Jugendarbeiten gegebenen Anregungen. Als selbständiger Dichter blieb Herder vorwiegend didaktisch und reflektierend; seinen eignen Forderungen an die Poesie kam er am nächsten in den von ihm übertragenen und gesammelten »Volksliedern« und dem Romanzenkranz »Der Cid«. An Herders erster Entwickelung hatte eine kleine Gruppe von Königsberger Schriftstellern bedeutenden Anteil, die ihrerseits mit der geistigen Welt und den Lebensregungen des deutschen Pietismus zusammenhängen, der während der Sturm- und Drangperiode auch von andrer Seite her sich in der Litteratur Geltung verschaffte.
Unter diesen Königsbergern finden wir G. Hamann (1730-88), dessen »Sibyllinische Blätter« die Keime zu Herders Ideen einschließen, und Th. G. v. Hippel (1741-96),
dessen humoristische Romane: »Lebensläufe nach aufsteigender Linie« und »Kreuz- und Querzüge des Ritters A-Z« eine denkwürdige Mischung rationalistischer und frommgläubiger Anschauungen und Empfindungen verbanden. Stärker noch erscheint das pietistische Element mit dem kraftgenialen gemischt in den Dichtungen und Volksschriften des »Wandsbecker Boten« Matthias Claudius (1740-1815),
der zu den ersten gehörte, welche den Ton des echten, herzgebornen Volksliedes wiederum trafen, und in den Schriften von Heinrich Jung, genannt Stilling (1740-1817),
dessen Selbstbiographie »Heinrich Stillings Leben« nebst den Romanen »Geschichte des Herrn von Morgenthau« und »Florentin von Fahlendorn« die eigentümlichen Lebensanschauungen und Erlebnisse der »Stillen im Lande« spiegelten. Zu den Schwärmern und Mystikern hinüber neigte auch Fr. Heinrich Jacobi (1743-1819),
dessen religionsphilosophische Schriften und Romane (»Eduard Allwills Papiere« und »Woldemar«) die bedenklichen Seiten eines schwelgenden Gefühlslebens und der Rousseauschen Einwirkungen offenbarten.
Die große dichterische Aufgabe der Zeit blieb die Rückgewinnung der Natur, und die jugendlichen Lyriker rangen mit allen Kräften, nicht nur den Ausdruck für die unmittelbare Empfindung, sondern auch neue, ausdruckswerte Gefühle zu gewinnen. Von besonderer Bedeutung hierfür ward die Gruppe junger Dichter, die sich im (Göttinger) sogen. Hainbund zusammengeschlossen hatte. Zu ihr gehörten außer H. Chr. Boie (1744-1806), dem Herausgeber des »Musenalmanachs«, zu welchem sich auch andre Kräfte scharten, die beiden Brüder Christian (1748-1821) und Friedrich Leopold (1750-1819),
Grafen zu Stolberg, Johann Martin Miller aus Ulm (1750 bis 1814),
der mit einigen Liedern und dem sentimentalen Roman »Siegwart, eine Klostergeschichte« nachmals zu einer vorübergehenden Bedeutung gelangte, Karl Friedr. Cramer (1752-1807),
Joh. Fr. Hahn (gest. 1779),
Anton Leisewitz (1752-1806),
dessen Tragödie »Julius von Tarent« große, unerfüllt bleibende Hoffnungen erregte; ferner der liebenswürdige, naiv-fröhliche und innige Liederdichter Ludwig Heinrich Christoph Hölty (1748-76) und Johann Heinrich Voß (1751-1826), die eigentliche Seele des Bundes. Letzterer repräsentiert schon die Entwickelung vom Sturm und Drang zu klassischen, bleibend wertvollen Dichtungen. Seine Natur drängte ihn in der reinen Lyrik zur Reflexion und zum breiten Moralisieren; zur Vollendung gelangte er als Idyllendichter in einer Reihe kleiner Meisterstücke und den besten Episoden seines Gedichts »Luise«; die größte Wirkung und Nachwirkung aber gewann er durch seine meisterhaften Übertragungen der Homerischen »Ilias« und »Odyssee«. Den Göttingern nahe stand, obschon er dem studentischen Dichterbund nicht angehörte, Gottfried August Bürger (1748-94), der die neuen Forderungen an den Dichter mit seinen besten Liedern und kraftvollen Balladen zuerst ganz erfüllte, zuerst echt volkstümliche, herzergreifende Töne, die unmittelbarste Lebendigkeit der Erzählung und Schilderung, sinnliche Frische und hinreißende Macht des Ausdrucks besaß. - Während die Lyriker solchergestalt zur vollen Selbständigkeit erwuchsen, vertauschten die dramatischen Talente der Sturm- und Drangperiode die seither geltenden Muster mit dem Anschluß an Shakespeare, der mit Homer, Rousseau und dem nebelhaften Ossian den ganzen Enthusiasmus der brausenden, nach Leben und Originalität begehrenden Jugend erweckte und nährte.
Die meisten glaubten durch Nachahmung der vermeinten Formlosigkeit Shakespeares seine gewaltige Wirkung zu erreichen, und so entschiedene Anstrengung die damalige Bühne auch machte, mit der dramatischen Dichtung in Verbindung zu bleiben, so war die Entstehung zahlloser Buchdramen um so weniger zu hindern, als in sehr vielen Fällen das Drama nur den Vorwand abgab und Szenen und Dialoge zum Vehikel der gärenden Neuerungsideen und selbst, wie bei Lenz, subjektiver Grillen, ja Verrücktheiten dienten. Zu den Geniedramatikern gehörten M. F. Klinger (1752 bis 1771), dessen wildleidenschaftliche Dramen und spätere Romane uns Geist und innere Widersprüche der Zeit ebenso vergegenwärtigen, wie dies das Leben des Dichters selbst thut;
M. Reinhold Lenz (1750 bis 1792), der in den Dramen: »Der Hofmeister«, »Die Soldaten« und »Der neue Menoza« Fratze und lebensvolle Genialität unerquicklich verband;
Friedrich Müller (»Maler Müller«, 1750-1825),
dessen »Pfalzgräfin Genoveva« und »Faust« wenigstens Ansätze zu echter Charakteristik und Lebensdarstellung enthielten;
Fr. v. Goué (gest. 1789),
Heinrich Leopold Wagner (1747-83),
Ludwig Philipp Hahn (1748-87),
J. F. ^[Johann Friedrich] Schink (1755-1834) u. a. An Goethes »Götz von Berlichingen« schlossen sich die Verfasser von Ritterdramen, Jakob Maier (1739-1784, »Fust von Stromberg«, »Der Sturm von Boxberg«),
J. A. ^[Joseph August] v. Törring (1754-1826, »Kaspar der Thorringer«, »Agnes Bernauerin«),
Franz Marius v. Babo (1756-1822, »Otto von Wittelsbach«),
an. Eine andre Gruppe von Dramatikern übertrug den Sturm und Drang, das Verlangen nach neuem Leben und die Darstellung desselben ins
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Bürgerliche. Hier ging A. W. Iffland (1759-1814) allen voran, der in der langen Reihe seiner bürgerlichen Dramen und Rührstücke ein höchst charakteristischer Sprecher der gegen die alten Gesellschaftszustände aufbäumenden, mit Rousseauschen Ideen genährten Zeitstimmung war. -
Die dehnbare und schwankende Form des Romans bot natürlich noch weit mehr Gelegenheit als das Drama, die Phantasien, die Empfindungen, die heftigen und leidenschaftlichen Wünsche und Weltverbesserungsansichten der jugendlichen Generation darzulegen. Eine Anzahl der »Kraftgenies« und der ringenden Naturen der Periode bediente sich dieser praktischen Form; selbst eine so scharf verständige und kaustisch-nüchterne Natur wie Goethes Darmstädter Freund J. H. ^[Johann Heinrich] Merck (1742-91) entwarf einige kleinere Romane und Sittenbilder (»Lindor«, »Herr Oheim der jüngere«).
Unter den Stürmern und Drängern sind hier zu nennen: Wilhelm Heinse (1749-1803),
in seinen Romanen: »Ardinghello, oder die glückseligen Inseln« und »Hildegard von Hohenthal« feurige Kunstbegeisterung und schwelgerisch-üppige Sinnlichkeit verbindend;
J. K. ^[Johann Karl] Wezel (1747-1819, »Hermann und Ulrike«),
Joach. Chr. Schulz (1762-98, zahlreiche Romane),
Karl Ph. Moritz (1757-93);
dessen »Anton Reiser«, ein autobiographischer Roman von eigentümlichster Bedeutung, einen vollen Einblick in die Gegensätze und die Gärung der Zeit verstattet. -
An die Romandichter reihen sich jene Prosaiker der Periode an, welche in schildernden und historisch darstellenden Schriften die ganze bunte Mannigfaltigkeit, das Durcheinanderwogen der Bestrebungen und Meinungen repräsentieren, und unter denen es an einer Reihe von Originalgestalten, die Träger der entschiedensten geistigen Gegensätze waren, gleichfalls nicht fehlte. Hier sei erinnert an Justus Möser (1720-94), in seinen »Osnabrückschen Geschichten« ein geistvoller Historiker, in seinen »Patriotischen Phantasien« der beredte Lobredner des deutschen Individualismus und einer natürlich-gesunden Grundlage aller gesellschaftlichen Zustände; an den Weltumsegler Georg Forster (1754-94),
dessen »Schilderungen aus der Südsee« und »Ansichten vom Niederrhein« von Rousseauschem Geist erfüllt waren; an den volkstümlichen Journalisten und Poeten Chr. Daniel Schubart (1743 bis 1791),
den Herausgeber der »Deutschen Chronik«.
In und aus der wilden Gärung der eigentlichen Sturm- und Drangperiode rangen sich die größten Naturen und vorzüglichsten Geister der deutschen Litteratur zu reiner und bleibender Wirkung empor. Galt dies schon von Herder, Voß u. a., so kam es in erhöhtem Maß zum Bewußtsein bei den beiden größten Dichterbegabungen der Nation, welche mit ihren Anfängen und einem guten Teil ihrer Entwickelung im Sturm und Drang wurzelten und sich nur insofern von demselben lösten, als sie die bleibenden Lebenselemente und Forderungen, welche der Periode entstammten, in ihren Dichtungen zum unverlierbaren Besitz der Nation, zur Voraussetzung der gesamten deutschen Bildung wandelten.
Johann Wolfgang Goethe (1749-1832), mit seinen Erstlingswerken, dem Drama »Götz von Berlichingen« und dem Roman »Die Leiden des jungen Werther«, welche die Forderung warm natürlicher unmittelbarer Lebensdarstellung über die hochfliegendsten Hoffnungen hinaus erfüllten, sofort der gefeiertste Dichter der Sturm- und Drangperiode, erhob sich im Verlauf seiner mächtigen und einzigen Entwickelung zum größten Dichter der Nation und der letzten Jahrhunderte überhaupt.
Lyriker von unvergleichlicher Tiefe und höchstem Empfindungsreichtum, als Epiker und Dramatiker Schöpfer einer ganzen Reihe von Werken des tiefsten Gehalts und der edelsten Form, die sämtlich die Macht seiner Phantasie, den Adel seiner Natur, die größte Weltkenntnis und Weltbeherrschung neben der unbeirrbaren Simplizität und beinahe unversieglichen Frische einer großen Künstlernatur erwiesen, wirkte Goethe tief auf die deutsche Entwickelung und weit über die Nation hinaus auf andre Litteraturen.
Die eigentümlichste Durchdringung von objektiv angeschautem und dargestelltem Leben mit der Leidenschaft und dem subjektiven Gehalt seines Busens, die Versöhnung der ausgebreitetsten und vielseitigsten Bildung mit der ursprünglichsten Leidenschaft und Stärke, die ethische wie die künstlerische Läuterung seines Genius, für welche seine Werke Zeugnisse sind, wurden erst ganz begriffen, als die Reihe seiner größern und kleinern Werke, vor allen die dramatischen Dichtungen: »Egmont«, »Iphigenia«, »Torquato Tasso«, die epische Dichtung »Hermann und Dorothea«, die Romane: »Wilhelm Meisters Lehrjahre« und »Die Wahlverwandtschaften«, die klassischen Spätlingswerke: »Aus meinem Leben. Wahrheit und Dichtung« und »Westöstlicher Diwan«, endlich die über Goethes ganzes Leben sich erstreckende Dichtung »Faust« (das weltumfassendste und tiefste poetische Werk der neuhochdeutschen Litteratur überhaupt), die Fülle seiner Lieder und übrigen lyrischen Gedichte, die ganze Summe seiner schaffenden, forschenden und bildenden Thätigkeit, mit der er gestrebt hatte, sich ein Ganzes zu erbauen, überblicken ließ.
Einer raschern Wirkung erfreute sich Friedrich Schiller (1759-1805), der dem Freiheits- und Humanitätsdrang des 18. Jahrh. den mächtigsten und poetisch schwungvollsten Ausdruck in seinen Dichtungen gab. Mit den Dramen: »Die Räuber«, »Fiesco«, »Kabale und Liebe« und »Don Karlos« beginnend, deren jedes eine Sehnsucht und Forderung der Zeit gewaltig fortreißend aussprach und lebendig verkörperte, durch seine historischen Schriften (»Geschichte des Abfalls der Vereinigten Niederlande«, »Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs«) bahnbrechend für eine gedankenreiche, farbenvolle und fesselnde Prosadarstellung, leitete Schiller mit seinen philosophisch-kritischen Abhandlungen (namentlich mit den »Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschengeschlechts«) die Versöhnung zwischen den Anschauungen der Gärungsepoche und der strengen Ethik der Kantschen Philosophie ein und dokumentierte jenen einzigen subjektiven Idealismus, jene wunderbare Selbstläuterung, jene Durchbildung zur künstlerischen Vollendung in seinem Sinn, welche ihn mit Goethe in geistigen Einklang setzte und alle Gedichte seiner zweiten Periode sowie die Reihe seiner Meisterdramen (»Wallenstein«, »Maria Stuart«, »Die Jungfrau von Orléans«, »Die Braut von Messina«, »Wilhelm Tell«, den Torso des »Demetrius«) durchdringt und verklärt.
Neben den großen Gestalten Goethes und Schillers erschienen die Zeitgenossen kleiner, als sie waren. Das Publikum freilich ließ sich das Recht nicht nehmen, auf seine eigne Weise neben den Heroen Größen zu schaffen und anzuerkennen. Bald bewunderte es die geistvolle und phantasiereiche, aber fragmentarische und schon frühzeitig manieristische Weise von Jean Paul Friedrich Richter (Jean Paul, 1763-1825), dessen beste Romane, wie »Hesperus«, »Titan«, »Siebenkäs«, »Die Flegeljahre«, es einigermaßen rechtfertigten, wenn man ihn als den klassischen Humoristen bezeichnete; bald hielt es sich an Poeten, welche auf einem kleinen, beschränkten Gebiet Vorzügliches
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oder Treffliches leisteten. Hierher gehören Lyriker wie der weiche und elegante Fr. v. Matthisson (gest. 1831), sein kräftigerer Freund J. G. ^[Johann Gaudenz] v. Salis (gest. 1834), A. Mahlmann (gest. 1826), Chr. Aug. Tiedge (gest. 1840, »Urania«),
J. A. ^[richtig: G. A. für Gerhard Anton] v. Halem (gest. 1819),
K. Ph. Conz (gest. 1827),
Schmidt von Lübeck (gest. 1849, populär gewordene Lieder: »Von allen Ländern in der Welt« etc.),
Karl Lappe (gest. 1843, »Nord oder Süd«),
Fr. Wilh. Aug. Schmidt von Werneuchen (gest. 1832),
den Goethe in dem Gedicht »Musen und Grazien in der Mark« verspottete, Ludw. Theobul Kosegarten (gest. 1818),
dessen ländliches Gedicht »Jucunde« eine Zeitlang viel bewundert ward, u. a.; hierher Dramatiker einer dürren Regelmäßigkeit, welche sich neben der eigentlich klassischen lebensvollen Kunst geltend zu machen suchte, wie Joh. Heinrich v. Collin (gest. 1811, »Regulus«, »Coriolan«),
oder Originalgenies vom Schlag des derben, knorrigen Joh. G. Seume (1763-1810),
dessen autobiographische Schriften (»Spaziergang nach Syrakus«, »Mein Sommer« u. a.) größeres Verdienst hatten als seine Dichtungen. Daneben standen jene Autoren in hohem Ansehen, welche die Gefühls- und Gedankenelemente der letzten Jahrzehnte mit den Überlieferungen der Aufklärungsperiode äußerlich und zum Zweck der Unterhaltung verbanden, so A. v. Kotzebue (1761-1819), der fruchtbare und erfindungsreiche, aber charakterlose Theaterschriftsteller, dessen Lustspiele und Dramen die Bühnen förmlich überschwemmten und fast in Alleinbesitz nahmen;
so August Lafontaine (1758-1831), dessen rührselige Romane und »Gemälde des menschlichen Herzens« Tausende von weichlichen Naturen entzückten;
so Fr. W. v. Meyern (gest. 1829),
dessen Roman »Dya-na-Sore« ein echtes Produkt der Gärungsperiode am Ende des 18. Jahrh. war;
so August v. Klingemann (1777-1831),
der in hohlen Romanen und Dramen (er dichtete einen »Schweizerbund« wie einen »Faust«) Schiller und Goethe die Spitze zu bieten suchte;
so Heinrich Zschokke (1771-1848),
der, mit Schauerdramen (»Abällino, der große Bandit«) und sentimentalen Romanen (»Alamontade, der Galeerensklave«) beginnend, sich zu einem gewandten Erzähler leichter Art wandelte.
Unter dem unmittelbaren Einfluß der weimarischen Freunde standen nur einige Talente zweiten Ranges, neben den Dichterinnen Sophie Mereau (gest. 1806) und Amalie v. Helvig, geborne v. Imhof (gest. 1831, »Die Schwestern von Lesbos«),
Schillers Schwägerin Karoline v. Wolzogen (gest. 1847, »Agnes von Lilien«),
Chr. Ludwig Neuffer (gest. 1839, »Die Herbstfeier«, »Der Tag auf dem Lande«),
die Erzähler Friedrich Rochlitz (gest. 1842) und Ernst Wagner (gest. 1812, »Willibalds Ansichten des Lebens«, »Die reisenden Maler«). Höheres erstrebte Schillers begabtester Schüler, Friedr. Hölderlin (1770-1843),
dessen schwungvolle lyrische Dichtungen, der Roman »Hyperion« und das Fragment »Empedokles«, einer leidenschaftlichen Sehnsucht nach einer höchsten, unerreichbaren Freiheit und Schönheit des Lebens Ausdruck geben. Zu klassischer Vollendung bildete J. P. ^[Johann Peter] Hebel (1768 bis 1826) in den »Erzählungen des rheinländischen Hausfreundes« die volkstümliche Erzählung aus und bewährte in seinen »Gedichten in alemannischer Mundart« eine tief gemütvolle, schalkhaft-liebenswürdige Natur.
Selbst Jean Paul fand Nachfolger und Nachahmer im Grafen Bentzel-Sternau (1767-1849),
dessen Romane (»Das goldene Kalb« und »Pygmäenbriefe«) die Mängel des Vorbildes lebhafter empfinden lassen als die Vorzüge desselben; in August Emil, Herzog zu Sachsen-Gotha (gest. 1822, »Kyllenion«),
Karl Julius Weber (gest. 1832, »Demokritos«) u. a. Auch die Prosalitteratur dieses Zeitraums nahm in fortwährender Wechselwirkung mit der Dichtung einen glänzenden Aufschwung.
Der stärkste und segensreichste geistige Einfluß, der außer dem Goethe-Schillerschen auf die damalige und manche folgende Generation stattfand, ging von dem größten deutschen Philosophen, Immanuel Kant (1724-1804), aus, dessen Hauptwerke: die »Kritik der reinen Vernunft« (1781),
die »Grundlegung zur Metaphysik der Sitten«, die »Kritik der praktischen Vernunft« und »Kritik der Urteilskraft«, mit ihrer unerbittlichen Kritik eine klärende und mit ihrer Betonung des sittlichen Willens, des Prinzips der Freiheit, eine mächtig erhebende Wirkung ausübten. Die philosophischen Schriftsteller K. L. Reinhold, L. H. v. Jacob, J. F. ^[Jakob Friedrich] Fries, G. E. Schulze halfen die Kantschen Ideen in weite Kreise verbreiten. Aus der Gruppe selbständiger und eigentümlicher Denker, welche zur kritischen Philosophie und zur klassischen Dichtung in Bezug treten, sind noch hervorzuheben: Wilhelm v. Humboldt (1767-1835), ästhetisch-philosophischer Schriftsteller von seltener Tiefe, und dessen jüngerer Bruder, Alexander v. Humboldt (1769-1859), der große Reisende und Naturforscher, der mit seinen in glänzender Darstellung auftretenden »Ansichten der Natur« und dem Spätlingswerk »Kosmos«, in dessen Anlage und Stil die klassische Periode gleichsam noch einmal auflebte, nicht nur der Wissenschaft, sondern auch der Nationallitteratur angehört.
Die Geschichtsdarstellung ward durch Johannes v. Müller (1752-1809) namentlich in den »Geschichten der schweizerischen Eidgenossenschaft« auf die Höhe klassischer Litteraturleistungen erhoben und behauptete sich auf derselben mit den Werken von Ludw. Tim. v. Spittler (»Geschichte des Papsttums«),
Ludw. Heeren (»Ideen über Politik, Verkehr und Handel der alten Völker«, »Geschichte der Staaten des Altertums«),
Chr. Friedr. Schlosser (»Geschichte der bilderstürmenden Kaiser«, »Geschichte des 18. Jahrhunderts«) u. a.
IX. Zeitraum.
Die Romantik und die Übergänge zur Litteratur des 19. Jahrhunderts.
Noch während der letzten Periode der schöpferischen Thätigkeit Goethes und Schillers, ehe die Ideale der klassischen Litteratur auch nur entfernt die Massen ergriffen und durchdrungen hatten, schien sich eine neue Entwickelung des deutschen Geisteslebens, speziell der Dichtung, vorzubereiten. Gleich dem »Sturm und Drang« ging die neuauftretende Romantik vom Kampf gegen die Plattheit und Nüchternheit der in Norddeutschland noch immer herrschenden Aufklärung, von der Sehnsucht nach lebendiger Poesie und poetischem Leben aus, sah in ihren ersten Regungen die Goetheschen Jugenddichtungen als die eigentlichen Muster der echten Poesie an und strebte durch Aneignung der großen Dichter des Auslandes (Shakespeare, Dante, Cervantes, Calderon etc.) den eignen poetischen Horizont zu erweitern.
Bald freilich gesellten sich neue Momente der Entwickelung hinzu. Die philosophischen Anschauungen J. G. ^[Johann Gottlieb] Fichtes (1762-1814), dessen strenger Idealismus in seiner »Wissenschaftslehre« alles, was außerhalb des geistigen Ichs liegt, als Produkt des Ichs betrachtete, und Friedrich Wilhelm Joseph v. Schellings (1775-1855),
dessen Identitätsphilosophie das Ideale und Reale in der Idee des Absoluten aufzuheben strebte, und der speziell die Kunst als
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Offenbarung des Göttlichen im menschlichen Geist betrachtete, dessen »System der Naturphilosophie«, »System des transcendentalen Idealismus« die philosophische Begründung der romantischen Doktrinen abgaben, während sein Buch über »Philosophie und Religion« die Verbindung der romantischen Litteratur mit der alten Kirche gewissermaßen anbahnte, wurden von entscheidender Bedeutung. Durften verwandte Bestrebungen, wie die ästhetischen Solgers, die »Symbolik« Creuzers, die Naturphilosophie Steffens', Schuberts u. a., vielleicht erst als Folgen der romantischen Poesie angesehen werden, so fand zwischen den bezeichneten Philosophen und den spezifisch litterarischen Begründern der Schule, denen im Beginn auch eine so eigentümlich geniale und universell gebildete Kraft wie der Theologe Fr. E. Deutsche Schleiermacher (1768-1834) zur Seite trat, eine in der Kürze schwer definierbare tausendfältige Wechselwirkung statt.
Die doktrinären Häupter der Schule wurden durch ihre kritischen Erstlingsschriften die Brüder Friedrich v. Schlegel (1772-1829) und Aug. Wilh. v. Schlegel (1767-1845), deren »Athenäum« um die Wende des Jahrhunderts das erste spezifisch romantische Organ war. Sie verkündeten, daß es »der Anfang aller Poesie sei, den Gang und die Gesetze der vernünftig denkenden Vernunft wieder aufzuheben und uns wieder in die schöne Verirrung der Phantasie, in das ursprüngliche Chaos der menschlichen Natur zu versetzen«, und stellten es als obersten Grundsatz der neuen romantischen, durch keine Theorie zu erschöpfenden, allein unendlichen wie allein freien Dichtart auf, »daß die Willkür des Dichters kein Gesetz (also auch nicht das der Natur und innern Wahrheit) über sich leide«.
Welche Willkür, welche leidige Vermischung von Poesie, Religion und mystischer Philosophie, welche phantastisch schönfärbende Begünstigung entlegener Lebenserscheinungen (Ritter-, Heiligen- und Legendenpoesie), welche Exzentritäten und Monstrositäten durch diese Anschauungen veranlaßt wurden, ist in der Regel mehr hervorgehoben, als das wirklich bedeutsame Verdienst der Romantik um die Erkenntnis und Geschichte der eignen Vergangenheit, des deutschen Volkslebens wie um Erschließung großer geistiger Gebiete anerkannt worden.
Die Brüder Schlegel, selbst mehr kritische als produktive Naturen, die dichterischen Versuche beider, lyrische Gedichte und Romanzen, Fr. Schlegels lüstern-prätentioser Roman »Lucinde« und sein Drama »Alarkos«, A. W. Schlegels Drama »Ion«, hatten wesentlich nur formelle Verdienste; eine wahrhafte Bereicherung und Befruchtung der deutschen Litteratur gab A. W. Schlegel mit seiner unübertrefflichen Übertragung der Shakespeareschen Dramen. Tieferes poetisches Talent erwiesen einige andre Genossen der romantischen Schule, so vor allen der früh verstorbene Friedrich v. Hardenberg (»Novalis« genannt, 1772-1801),
der in seinen gemütstiefen Liedern und dem bedeutsamen Romanfragment »Heinrich von Ofterdingen« gleichsam die Inkarnation der romantischen Sehnsucht nach einer nicht sowohl Verklärung als vielmehr Auflösung des gesamten Lebens in Poesie darstellte. Zu längster Wirksamkeit gelangte Ludwig Tieck (1773-1853), der mit überlebendiger Phantasie und einem kühn improvisatorischen Talent mannigfache Eigentümlichkeiten einer nüchtern-verständigen, ja zersetzenden Verstandesanlage zeigte, dessen romantische Dramen, Märchen, Erzählungen wie seine spätern künstlerisch reinen und abgewogenen Novellen daher nicht nur die denkbarste Mannigfaltigkeit poetischer Gestalten und Situationen, sondern auch die größten Ungleichheiten, ja Zwiespältigkeiten des Wertes und Eindrucks aufweisen.
Einheitlicher und mächtiger stellte sich das große Talent des Dramatikers und Erzählers Heinrich v. Kleist (1777-1811) dar, der zwar in Äußerlichkeiten und einzelnen Gefühlsmomenten von der übersteigerten Phantastik der romantischen Schule angekränkelt erscheint, aber im Kern eine schlichte, warme, gestaltungskräftige Dichternatur, die bedeutendste der Romantik blieb, dessen beste Dramen (»Der zerbrochene Krug«, »Penthesilea«, »Käthchen von Heilbronn«, »Die Hermannsschlacht«, »Der Prinz von Homburg«) und Erzählungen die Behauptung von der nur vorübergehenden Bedeutung der ganzen Bewegung entscheidend widerlegen.
Launenhafter und willkürlicher war Achim v. Arnim (1781-1831),
dessen beste Novellen und der historische Roman »Die Kronenwächter« die Wirrnis und Unerquicklichkeit andrer seiner Produkte wett machen. Arnims Schwager Klemens Brentano (1778-1842) hingegen repräsentiert nicht nur in der wilden Genialität seiner lyrischen und lyrisch-epischen Gedichte (»Romanzen vom Rosenkranz«),
seiner phantastisch-humoristischen Erzählungen und formlosen Dramen, sondern auch in seinen katholisierenden Tendenzen die äußersten Konsequenzen der ganzen Romantik. Auch der Dramatiker Zacharias Werner (1768-1823), der zwischen Schiller und der neuen Schule stehen wollte, seine dramatische Kraft in halben Zerrbildern ausgab (»Kreuz an der Ostsee«, »Die Weihe der Kraft«, »Attila«, »Wanda«, »Der 24. Februar") und der Begründer der sogen. Schicksalstragik ward, suchte im Schoß der alten Kirche Frieden und Zuflucht vor der eignen Phantastik. Zu den romantischen Talenten zweiten Ranges gehörten Friedr. de la Motte Fouqué (1777-1843), der in Epen, Romanen und Novellen die mittelalterliche Ritterwelt zu einem Scheinleben erweckte («Der Zauberring«, »Undine« etc.); E. T. A. Hoffmann (1776-1822), der die romantische Neigung für die unheimlichsten Regionen der Phantasie und für Gespensterspuk in einer Reihe zum Teil vorzüglich erzählter Novellen voll befriedigte; Adalbert v. Chamisso (1781-1838), dessen Märchen »Peter Schlemihl« zu den besten kleinen Schöpfungen der romantischen Periode zählt, während die lyrischen Gedichte und poetischen Erzählungen Chamissos schon zum Teil einen andern, modernen Geist atmen.
Die »Nachromantiker«, Dichter, welche zumeist erst nach den Befreiungskriegen vor die Nation traten, zeichneten sich im allgemeinen dadurch aus, daß sie sich von den Extremen und Einseitigkeiten der ersten Romantikergeneration größtenteils frei hielten. Die kirchlich-katholische Tendenz vertrat unter ihnen nur Joseph v. Eichendorff (1788-1857), dessen lyrisches und novellistisches Talent daneben doch die erfreulichsten Blüten (»Gedichte«, das prächtige Phantasiestück »Aus dem Leben eines Taugenichts«) trieb.
Schwächlicher war der Epiker Ernst Schulze (1789-1817),
dessen romantische Dichtungen (»Cäcilie« und »Die bezauberte Rose«) eine wahre Flut von Gedichten in Oktaven im Gefolge hatten. Als ein Talent ersten Ranges, der volkstümlichste und gesündeste aller Romantiker, in seiner durchsichtigen Klarheit den Klassikern, in der Kraft seiner vaterländischen Empfindung den Sängern des Freiheitskriegs verwandt, wirkte Ludwig Uhland (1787-1862), dessen lyrische Dichtungen und Balladen (nicht so seine Dramen: »Ernst von Schwaben« und »Ludwig der Bayer«) tief in
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alle Schichten des Volkes drangen und die Muster für die lyrische und lyrisch-epische Poesie der »schwäbischen Dichterschule« abgaben. Zu der Gruppe mehr oder minder verdienstlicher württembergischer Poeten gehörten der mystisch-originelle Justinus Kerner (gest. 1862),
ferner Gustav Schwab (gest. 1850),
W. Waiblinger (gest. 1830),
Karl Mayer (gest. 1870), Albert Knapp (gest. 1864), Eduard Mörike (gest. 1875, »Gedichte«, der Roman »Maler Nolten«),
der frische und liebenswürdige Erzähler Wilhelm Hauff (gest. 1827, »Lichtenstein«, »Märchen«, »Phantasien im Bremer Ratskeller«). Eine minder erfreuliche Gruppe von dramatischen Dichtern, die »Schicksalstragöden«, folgte den Spuren Zacharias Werners, so A. Müllner (gest. 1829, »Die Schuld«, »König Yngurd«, »Die Albaneserin«),
Ernst v. Houwald (gest. 1845, »Das Bild«, »Der Leuchtturm«) u. a.
Übrigens gelang es den Romantikern nicht, die deutsche Litteratur dauernd oder ausschließlich zu beherrschen. Schon von den Dichtern der Befreiungskriege 1813-15 gehörte trotz der unzweifelhaft vaterländischen Gesinnung aller Romantiker und ihrer Verdienste um die Stärkung des vaterländischen Gefühls in der Zeit der Fremdherrschaft im Grund nur Max v. Schenkendorf (1783-1817) der eigentlichen Romantik an. Von den wirksamern Sängern der großen Erhebung stammte E. M. Arndt (1769-1860) aus einer ältern Poetengeneration; Theodor Körner (1791-1813), dessen »Leier und Schwert« der poetische Ausdruck des Idealismus der Erhebung wurde, war in diesen Dichtungen wie in seinen Dramen (»Zriny«, »Rosamunde«) ein Schüler Schillers.
Auch in der Dichtung der Restaurationsepoche, so sehr dieselbe gewisse Richtungen und Tendenzen der Romantik begünstigte, machten sich die Nachwirkungen der klassischen Epoche und ihrer Humanitätsideale wieder entschiedener und stärker geltend. Zahlreiche Talente nahmen zwar die lebensvollen und vollberechtigten Elemente, welche die Romantik der deutschen Litteratur gebracht, mit in sich auf; aber ihr eigentlicher Lebensgehalt und ihre Kunstrichtung wurden nicht von der romantischen Doktrin bestimmt.
Franz Grillparzer (1791-1872), der mit dem Trauerspiel »Die Ahnfrau« als Schicksalstragöde begann, erhob sich in seinen spätern dramatischen Dichtungen (»Sappho«, »Medea«, »König Ottokar«, »Des Meeres und der Liebe Wellen«, »Kaiser Rudolf II.«) in reinere und freiere Regionen. Friedrich Rückert (1789-1866),
in seiner gesunden Klarheit eine Goethe verwandte Lyrikernatur, bewährte sich in überzahlreichen lyrischen (»Geharnischte Sonette«, »Liebesfrühling«, »Ghaselen« etc.) u. didaktischen Dichtungen (»Weisheit des Brahmanen«) und Nachdichtungen orientalischer Muster als ein Sprachvirtuose ersten Ranges. Als Lyriker und Balladendichter zeichneten sich Wilhelm Müller (1794-1827, »Griechenlieder«),
J. Chr. ^[Joseph Christian] v. Zedlitz (1790-1862, »Totenkränze«, »Waldfräulein«, auch Dramen),
Egon Ebert (1801-83),
H. Stieglitz (1803-49),
als didaktischer Poet und Novellist Leopold Schefer (1784-1862, »Laienbrevier«) aus. Den Bedürfnissen des großen Publikums näher standen die Dramatiker einer gewissen eklektisch-rhetorischen Richtung, der überfruchtbare Ernst Raupach (gest. 1852, Hohenstaufendramen),
die deklamatorischen Tragöden E. v. Schenk (gest. 1841, »Belisar«, »Albrecht Dürer«),
Michael Beer (gest. 1833, »Paria«, »Struensee«),
Joseph v. Auffenberg (gest. 1857),
ferner Fr. v. Üchtritz (gest. 1875),
Ludw. Deinhardstein (gest. 1859, Künstlerdramen),
Ferd. Raimund (gest. 1836, Zauberspiele: »Der Verschwender« etc.). Novellistik und Romanlitteratur begannen in der leseseligen, stillen Friedenszeit zwischen 1815 und 1830 schon gewaltig ins Kraut zu schießen. Die federfertige Belletristik trug bereits so viele Siege über die anspruchsvollere und innerlich gehaltvollere Dichtung davon, daß ein hervorragendes Dichtertalent wie August Graf von Platen (1796-1835) am Ausgang dieser Zeit in der strengen Betonung einer gewissen Kunstwürde und in der Forderung formeller, sprachlicher Vollendung berechtigtes Pathos entwickeln und mit seinen formschönen Gedichten und Märchen (»Die Abbassiden«, Märchenepos; »Die verhängnisvolle Gabel« und »Der romantische Ödipus«, dramatische Satiren) der neuern Litteratur einen Pfad zeigen konnte.
Von der Romantik zur modernen Poesie rang sich gleichfalls das kraftvolle, aber spröde und schwerflüssige Talent Karl Immermanns (1796 bis 1840) hindurch, dessen beste Dichtungen (»Tulifäntchen«, »Alexis«, »Merlin«, die Romane: »Die Epigonen« und »Münchhausen«) für die positive Entwickelung der deutschen Poesie wichtig wurden. Als letzten Romantiker und ganz moderne Natur feierte sich selbst Heinrich Heine (1799-1857), dessen träumerische, weich lyrische Anlage seltsam mit einem ätzend satirischen und spöttisch-frivolen Grundzug seines Wesen kontrastierte, so daß sich bei ihm der Bruch mit der Romantik in der Form ironischer und höhnischer Negation beinahe aller idealen Regungen vollzog. Heines satirische Geißel traf darum fast gleichmäßig Edelsinn wie Gemeinheit, ernste wie leere und verächtliche Bestrebungen. Die unvergänglichen Lieder und Romanzen des Dichters wirkten minder nachhaltig als seine journalistische Thätigkeit, deren verhängnisvolle Konsequenzen sich in der jungdeutschen Periode wie bis auf die Gegenwart geltend machen sollten.
Während der Zeit der Romantik und der Übergänge zur modernen Dichtung war auch die Zahl der hervorragenden Prosaiker nicht klein. Unter vielen, von denen ein und das andre Werk der Nationallitteratur bleibend angehört, sind hier in erster Linie die unvergleichlichen Gebrüder Jakob und Wilhelm Grimm zu nennen, die neben, ja in und mit ihren spezifisch gelehrten Leistungen dem deutschen Volk die volle Poesie seiner Sagen und seiner Märchen (»Kinder- und Hausmärchen«, »Deutsche Sagen« zum Bewußtsein zu bringen wußten. In der Geschichtschreibung zeichneten sich Fr. v. Raumer (»Geschichte der Hohenstaufen«),
Heinrich Leo durch Stilvollendung aus; als der eigentliche Meister erschien Leopold v. Ranke (geb. 1795), der feinsinnigste, bedeutendste und nach reinster Vollendung der Form strebende Historiker zweier Menschenalter. Auch Jak. Ph. Fallmerayer, der orientalische Fragmentist (gest. 1860), Karl Ritter, der Begründer der wissenschaftlichen Geographie (gest. 1859), und der vielseitig gebildete biographische und Memoirenschriftsteller K. A. Varnhagen von Ense (gest. 1858) sind hier anzureihen.
X. Zeitraum.
Die jungdeutsche und politische Gärungsperiode.
Die völlige Zersetzung der Romantik und die inzwischen eingetretene Umbildung aller Lebensverhältnisse, dazu die Reihe der politischen Umwälzungen und liberalen Bestrebungen, welche mit der französischen Julirevolution von 1830 begannen, riefen eine neue Gärungsperiode in der deutschen Litteratur hervor, welche man gewöhnlich unter dem Namen der »jungdeutschen Bewegung« bezeichnet, die aber tiefere
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Gründe und unendlich weitere Resultate hatte als die momentan bedeutsame Stellung, welche den Schriftstellern des sogen. jungen Deutschland zufiel. Auch in diesem Zeitraum übte die Philosophie auf die poetische Litteratur einen weitgehenden Einfluß. Die Philosophie G. F. W. Hegels (1770-1831) verdrängte die Schellingsche und erlangte eine Alleinherrschaft für ihren absoluten Idealismus, deren Bedeutung in tausend Verzweigungen in den litterarischen Schulen wie in zahlreichen poetischen Individuen erkennbar bleibt.
Der allein stehende pessimistische Philosoph Arthur Schopenhauer (1788-1860) bekämpfte umsonst die Hegelsche Geisteswissenschaft und gewann volle Wirkung erst auf die nachfolgende, nach 1848 auftretende Generation. Eine Radikalphilosophie eigenster Art begründete Ludwig Feuerbach (gest. 1872); auf die ganze litterarische Entwickelung wirkten die theologisch-kritischen Forschungen des Verfassers des »Lebens Jesu«, F. Strauß (gest. 1874),
entscheidend ein, der später zu litterarhistorischen und biographischen Darstellungen überging, die den Stempel der Meisterschaft tragen (»Ulrich v. Hutten«, »Voltaire«). Dazu aber gesellte sich der gänzlich neue Genuß der Besprechung der öffentlichen Zustände und ein schrankenloser Radikalismus des Subjekts, welcher die Verirrungen der Romantik noch überbot, eine Zeitlang geneigt war, die poetische Darstellung des Lebens in seiner Totalität für einen überwundenen Standpunkt zu erklären und von der ästhetisch im Grund höchst unbedeutenden fragmentarischen Belletristik und der philosophisch-politisch-belletristischen Diskussion auch der untergeordnetsten Tagesfragen das Heil der Nation und mindestens ein neues großes Zeitalter der Litteratur zu erwarten. So wurden momentan alle höhern Kräfte gering geachtet, der »Esprit« überschätzt, bis die hervorragendsten Führer der Bewegung selbst die Unfruchtbarkeit dieser Bestrebungen erkannten und mit mehr oder minder Glück zur »veralteten« Menschendarstellung zurückkehrten.
Die Genossen des vom Bundestag so getauften »jungen Deutschland« waren neben Heinrich Heine und dem scharf zersetzenden jüdischen Denker Ludwig Börne (1784-1834), der alles geistige Leben, also auch die ästhetische Kritik und die ethische Schätzung menschlicher Dinge, in den Dienst der politischen Tendenz stellte, die Belletristen L. Wienbarg (1802-1872), Gustav Kühne (geb. 1806), der erfolgreiche Dramatiker und Erzähler Heinrich Laube (1806-1884), Theodor Mundt (1807-61) und Karl Gutzkow (1811-78), letzterer entschieden der bedeutendste Repräsentant der Bewegung wie ihrer nachmals angestrebten Klärung.
Von seinen publizistischen und kritischen Anfängen seit 1830 an behauptete sich Gutzkow beständig an der Spitze der geistigen Bewegung in Deutschland und errang in fast allen Gebieten der Litteratur (mit Ausnahme der Lyrik) bedeutende Erfolge. In bühnengerechten, pointenreichen, jederzeit in die Bewegung des Augenblicks einschlagenden Dramen (»Savage«, »Werner«, »Pugatschew«, vor allem in den historischen Musterlustspielen: »Zopf und Schwert« und »Das Urbild des Tartüff« und der Tragödie »Uriel Acosta«) eroberte er der Zeittendenz das Theater.
Seit der Revolution von 1848 warf er sich vorzugsweise auf den Roman und gab in mehreren umfangreichen Werken dieser Gattung (»Ritter vom Geist«, »Der Zauberer von Rom«, »Hohenschwangau« etc.) den Beleg für den ungemein scharfen geistigen Instinkt und die Kraft, mit welcher er die verschiedensten Kundgebungen und Wandlungen des nationalen Lebens zu erfassen verstand. Die jungdeutsche Tendenz radikaler oder wenigstens entschieden liberaler Reformbestrebungen beschränkte sich aber keineswegs auf das junge Deutschland; aus ihr ging auch die politische Lyrik hervor, ihr verwandt waren zahlreiche andre litterarische Bestrebungen der 30er und 40er Jahre.
Vertreter der politischen und jener deskriptiven Lyrik, welche, wo nicht völlige Neuheit der Töne zu erreichen war, wenigstens Neuheit des Kolorits erstrebte, waren H. Hoffmann von Fallersleben (1798-1874), der seine Muse am Volkslied nährte und bildete;
Karl Beck (1817-79);
Georg Herwegh (1817-75), einer der schwungreichsten dichterischen Rhetoriker;
Ferd. Freiligrath (1810-76), welcher neue Stoffe aus entlegenen Regionen in intensivster Farbenglut und Energie vorführte und seine realistische Lebendigkeit auch in der überreizten Grundstimmung seiner revolutionären Gedichte festhielt;
der formgewandte und ironische Franz Dingelstedt (1814-81);
ferner Robert Prutz (1816-72), Anastasius Grün (Graf Auersperg, 1806-76), Friedrich v. Sallet (1812-43, »Laienevangelium«),
M. Graf Strachwitz (1822-1847),
Alfred Meißner (1822-85, »Gedichte«, »Ziska«),
Moritz Hartmann (»Kelch und Schwert«) u. a. Als kritisches Zentralorgan der liberalen Opposition und der Tendenzlitteratur wirkten bedeutsam die von Ruge und Echtermeyer herausgegebenen »Halleschen (nachher "Deutschen«) Jahrbücher« (1838 bis 1842).
Den jungdeutschen Bestrebungen verwandt war die neue dramatische Sturm- und Drangschule: Buchdramatiker, welche Originalität um jeden Preis erstrebten. Zu ihnen gehörten Chr. Deutsche Grabbe (1801 bis 1836, der Dichter der Dramen: »Die Hundert Tage«, »Barbarossa«, »Heinrich VI.«, »Don Juan und Faust«, »Hannibal«),
ein gemütarmes, formloses, aber bizarr-charakteristisches Talent; ferner Georg Büchner (1813-37),
dessen wildgeniale dramatische Skizze »Dantons Tod« bleibendes Zeugnis für die Eigenart jener Gärungsperiode ist; Alex. Fischer, F. Marlow u. a. Eine zweite Reihe von Talenten rangen und strebten im Widerspruch ihrer naiven Begabung und der Zeitforderungen, so Nikolaus Lenau (1802-50), als Lyriker durch die innige Tiefe eines weichen, aber zu düsterer Schwermut neigenden Empfindungslebens ausgezeichnet, in den episch-lyrischen Dichtungen: »Faust«, »Savonarola«, »Die Albigenser« von den Ideen des philosophischen und politischen Radikalismus ergriffen;
Emanuel Geibel (1815-84),
durch die Anmut seiner formschönen Lyrik der Liebling der Frauenwelt geworden, in seinen spätern Dichtungen auch von tieferm Gehalt;
Julius Mosen (1803-67), ein volkstümlicher Lyriker, in den Dichtungen: »Ritter Wahn«, »Ahasver« auf dem Boden der philosophischen Poesie stehend, in seinen Dramen meist tendenziöser Rhetoriker.
Unter den Dichterinnen ragte durch fast männliche Kraft und Lebensfülle Annette v. Droste (1798-1848) über alle übrigen weit hervor; neben ihr seien noch die formensichere Luise v. Plönnies (gest. 1872) und Betty Paoli (Elisab. Glück) erwähnt. Die rein naiven Begabungen wurden meist zur Seite gedrängt;
Auszeichnung erwarben: Karl Simrock (1802-76), der poetische Erneuerer des Amelungenliedes und Übertrager der großen Werke mittelalterlicher deutscher Dichtung;
ferner A. Kopisch, Franz v. Gaudy, W. Smets, Gustav Pfarrius, J. N. ^[Johann Nepomuk] Vogl, I. ^[Ignaz] Castelli, J. G. ^[Johann Gabriel] Seidl, A. Frankl, K. Dräxler-Manfred, L. Bechstein, der auch auf epischem Gebiet (»Haimonskinder«, »Totentanz«) thätig war;
E. Duller, Fr. Daumer, W. Wackernagel, F. v. Kobell, A.
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Bube, E. v. Feuchtersleben, die Elsässer Adolf und August Stöber, Ludw. Pfau, Alex. Kaufmann, Feodor Löwe, Fr. Kugler, Gottfr. Kinkel, der auch die lyrisch-epische Gattung (»Otto der Schütz« und »Der Grobschmied von Antwerpen«) mit Erfolg kultivierte; Titus Ulrich (»Hohes Lied«),
die geistlichen Liederdichter A. Knapp, Ph. Spitta u. a. Als Epiker versuchten sich außerdem O. Gruppe (gest. 1876, »Königin Bertha«, »Theudelinde«),
Friedr. v. Heyden (gest. 1851, »Das Wort der Frau«, »Der Schuster von Ispahan«),
Max Waldau (Spiller von Hauenschild, gest. 1855, »Cordula«). Der spezifischen Tendenzdichtung traten im Drama Friedr. Halm (Freih. v. Münch-Bellinghausen, 1806-71, »Griseldis«, »Sohn der Wildnis«),
K. v. Holtei (1797-1880), in gewissem Sinn die Lustspieldichter Roderich Benedix (1811-73) und Eduard v. Bauernfeld (geb. 1802),
die bühnenkundige Charlotte Birch-Pfeiffer (gest. 1868) entgegen, während R. Griepenkerl (gest. 1868, »Robespierre«),
J. L. ^[Julius Leopold] Klein (gest. 1877), A. Dulk (gest. 1884) u. a. das rhetorische Tendenz- und originelle Kraftdrama zu pflegen strebten. Der Roman und die Novelle zeigten einzelne große Begabungen ausschließlich in ihrem Dienst, so Wilibald Alexis (Wilh. Häring, 1797-1871), dessen Romane mit dem Hintergrund der preußisch-märkischen Geschichte, der norddeutschen Landschaft sich teilweise, namentlich in »Cabanis«, »Der falsche Waldemar«, »Die Hosen des Herrn von Bredow«, »Ruhe ist die erste Bürgerpflicht« und »Isegrimm«, zur vollen Höhe poetischer Meisterschaft erhoben;
so Charles Sealsfield (Postel, 1793-1864),
der in den Romanen: »Der Virey« und »Der Legitime und der Republikaner« Kraft der Gestaltung und glänzende Schilderungsgabe entfaltete;
J. P. ^[Philipp Joseph] v. Rehfues (gest. 1843, »Scipio Cicala«),
Jerem. Gotthelf (Bitzius, 1797-1854),
der drastische und getreue Darsteller schweizerischen Volkslebens;
Berthold Auerbach (1812-82),
der durch seine »Schwarzwälder Dorfgeschichten« der Erzählung neue Gebiete eröffnete, die er selbst in einer langen Folge von Novellen und größern Romanen (»Auf der Höhe«, »Das Landhaus am Rhein«, »Waldfried« etc.) bald frisch darstellend, bald allzu reflektiert bearbeitete.
Auerbach fand zahlreiche Nachahmer, wie Jos. Rank (»Aus dem Böhmerwald«),
Melch. Meyr (gest. 1871, »Erzählungen aus dem Ries«),
W. O. v. Horn (W. Örtel, gest. 1867).
Im modernen und historischen Roman repräsentierten Heinrich König (1790-1869), Ida Gräfin Hahn-Hahn (gest. 1880) in ihren blasierten wie in ihren spätern ultramontan gefärbten Erfindungen, A. v. Sternberg (gest. 1868), L. Starklof u. a. die Nachwirkung der jungdeutschen Tendenzrichtung, während die Romane von Henriette Paalzow (gest. 1847, »Godwie Castle«, »Thomas Thyrnau«),
die feinen Naturbilder und Novellen Adalbert Stifters (1800-1868) in den »Studien« und »Bunten Steinen«, die Dichtungen von Ernst Koch (gest. 1858, »Prinz Rosa Stramin«),
die vortrefflich erzählten, aber fast ausschließlich der leichtern Unterhaltung dienenden Schriften des fruchtbaren Karl Spindler (gest. 1855), die Romane von K. Herloßsohn, Aug. Lewald, K. v. Wachsmann, Robert Heller und zahlreichen andern erwiesen, daß das Publikum fortfuhr, ein Bedürfnis nach einer nicht oder minder tendenziösen Litteratur zu empfinden. Die jungdeutsche Litteraturauffassung war dem Erfolg glänzender und pikanter Reiseschilderer, weltgewandter oder weltgewandt scheinender Essayisten und humoristischer Schriftsteller mit scharfem Wortwitz und zeitgemäßen Einfällen besonders günstig. Unter vielen seien hier Fürst Pückler-Muskau (Semilasso, 1785-1871), Theodor v. Kobbe (gest. 1845), M. G. Saphir (gest. 1858), Adolf Glaßbrenner (gest. 1876, »Berlin wie es ißt und trinkt«, »Neuer Reineke Fuchs«),
E. Detmold (gest. 1856, »Herr Piepmeier«) erwähnt. - In der wissenschaftlichen Prosa nahm die Zahl der vorzüglich geschriebenen Bücher während dieses Zeitraums zu, ohne daß man alle vortrefflich geschriebenen Werke von ihrem Fachgebiet hinweg zur allgemeinen Nationallitteratur rechnen dürfte.
XI. Zeitraum.
Die Zeit nach 1848.
Die litterarische Entwickelung seit 1848 ward im allgemeinen dadurch charakterisiert, daß das Übergewicht und die Alleinherrschaft der Tendenzlitteratur aufhörten, obschon weder die bezüglichen Erscheinungen noch die Anstrengungen, ausschließlich diesen Erscheinungen zur Geltung zu verhelfen, völlig verschwinden konnten. Dafür machten sich nach 1848 und namentlich vom siebenten Jahrzehnt unsers Jahrhunderts an eine unleugbare Herabstimmung der idealen Gesinnung und der künstlerischen Begeisterung (an der auch die große nationale Erhebung des Jahrs 1870 zunächst nur wenig zu ändern vermochte), weiterhin ein bedenklicher Einfluß des Industrialismus der Massenproduktion selbst auf wirkliche Talente, die Übertragung der für die Wissenschaft fruchtbaren Spezialitätsrichtung und Arbeitsteilung auf das künstlerische Gebiet geltend, wo sie verderblich wirken mußte, weil das poetische und litterarische Talent auf Durchbildung und Darlegung seiner ganzen Natur, nicht auf technische Vervollkommnung einer besondern Fertigkeit angewiesen ist.
Der Drang zu mühelosem Erwerb und rücksichtslosem Genuß mußte auf geistigem Gebiet manche Verwüstung hervorbringen, und eine immer stärkere Zersetzung der Begabungen, eine bedenkliche Überhebung und leichtfertige Urteilslosigkeit griffen in weiten Kreisen Platz, verwirrten und verwilderten das Publikum. Die Richtungen und Bestrebungen der neuesten Litteratur zeigen daher eine Reihe von harten Gegensätzen und Widersprüchen, eine so bunte Mannigfaltigkeit, daß nur wenige eigenartige Gruppen und besondere Naturen schon jetzt im Zusammenhang zu charakterisieren sind und die Aufzählung des mehr oder minder Vortrefflichen in den einzelnen Kunstformen genügen muß.
Die veränderte Stimmung des Publikums unmittelbar nach 1848 trat zuerst aus der Thatsache hervor, daß eine Art Nachromantik, hauptsächlich vertreten durch Oskar v. Redwitz mit seiner Dichtung »Amaranth«, vorübergehend geradezu glänzende Erfolge errang. Auf den Gang der Entwickelung im großen und ganzen hatten diese und noch flüchtigere äußerliche Neigungen des Publikums keinen entscheidenden Einfluß. Die nächsten Jahre brachten die Reife und die besten Leistungen namentlich solcher Talente, welche schon in den 40er Jahren hervorgetreten waren, und ließen eine Menge neuer Namen zur Geltung kommen.
Daß die Zeit eine Zeit gewaltiger äußerer und innerer Kämpfe, schwerer Zweifel und eines die reinsten Wirkungen der Kunst mannigfach gefährdenden trüben Ernstes blieb, lehrte die gesamte Produktion eines so hervorragenden Dichters wie Friedr. Hebbel (1813-63), in dessen Dramen (»Judith«, »Maria Magdalena«, »Herodes und Mariamne«, »Agnes Bernauer«, »Gyges und sein Ring«, »Die Nibelungen« u. a.) und übrigen Dichtungen (»Gedichte«, »Mutter und Kind«) sich eine gewaltige ursprüngliche Genialität und Naturkraft
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mit einer Neigung zur zersetzenden Reflexion, ein tiefes Kunstgefühl mit phantastischen Übertreibungen und Verirrungen paaren. Den Neigungen des deutschen Publikums besser entgegenkommend zeigte sich die Entwickelung einer minder genialen, aber klaren, vielseitigen Dichterbegabung wie diejenige Gustav Freytags (geb. 1816). Mit Dramen beginnend, welche moderne Lebenskreise in einer eigenartigen Mischung von Ernst und Ironie darstellten (»Die Valentine«, »Graf Waldemar«, »Die Journalisten«),
in den sozialen Romanen: »Soll und Haben« u. »Die verlorne Handschrift« mit Glück das Leben und die Ideale des gebildeten Bürgertums von heute gestaltend, in der großen Romanfolge »Die Ahnen« eine Reihe mehr oder minder wirksamer historischer Erzählungen gebend, welche die Entwickelung eines deutschen Geschlechts von den Tagen der Völkerwanderung bis zur jüngsten Vergangenheit verkörpern, als Essayist durch seine vorzüglichen »Bilder aus der deutschen Vergangenheit« ausgezeichnet, nimmt Freytag einen hohen Rang auch für diejenigen ein, welche der spezifisch »realistischen Schule«, die er mit begründet, keineswegs die gesamte Zukunft der deutschen Poesie zusprechen.
Dem Realismus gehörte auch die starke und tiefe, in Tragödien (»Der Erbförster«, »Die Makkabäer«) und Erzählungen (»Die Heithereithei« ^[richtig: Heitherethei], »Zwischen Himmel und Erde«) bethätigte Dichterkraft von Otto Ludwig (1813-65) an. Andre realistische Poeten, die vielversprechend begannen, waren Edm. Höfer (gest. 1882, »Erzählungen aus dem Volk«, »Schwanwieck«, »Gedichte«, eine lange Reihe von größern Romanen, darunter: »Altermann Ryke«, »Unter der Fremdherrschaft«),
M. A. Niendorf (gest. 1878, »Die Hegler Mühle«),
Theod. Fontane (Balladen, »Vor dem Sturm«, Roman; »Wanderungen durch die Mark Brandenburg«; stimmungsvolle Novellen),
F. Chr. Scherenberg (gest. 1881) mit den Schlachtgemälden: »Waterloo«, »Leuthen« und »Abukir«. In den zahlreichen Romanen und Erzählungen F. W. Hackländers (gest. 1877, »Bilder aus dem Soldatenleben«, »Namenlose Geschichten«, »Eugen Stillfried« etc.) verflüchtigte sich der Realismus schon wieder zu äußerlicher Genredarstellung und Unterhaltungslitteratur. Über den spezifischen Realismus hinaus strebte das kräftige und originelle lyrische und erzählende Talent des Schweizers Gottfried Keller (geb. 1819), dessen »Gedichte«, der Roman »Der grüne Heinrich«, die Novellensammlungen: »Die Leute von Seldwyla« und »Züricher Novellen«, die »Sieben Legenden« sich den besten und selbständigsten poetischen Schöpfungen der jüngsten Periode hinzugesellen.
Die Berufung einer größern Zahl von poetischen und litterarischen Talenten durch den kunstsinnigen König Maximilian II. von Bayern gab Anlaß, von einer »Münchener Dichterschule« zu sprechen, ohne daß sich indes bei den höchst verschiedenartigen Talenten, die um die poetische Tafelrunde des Bayernkönigs momentan vereinigt wurden, ein andrer gemeinsamer Grundzug nachweisen ließe als eine stärkere Betonung der poetischen Form und größere künstlerische Freude an derselben, als sonst der Litteratur der Gegenwart eigentümlich ist, eine Bevorzugung des formellen Elements, welche sich bei einzelnen schwächern, unselbständigen Talenten zu einer Art Alexandrinismus steigerte. Nächst Eman. Geibel, dessen bereits gedacht ist, erwies sich Paul Heyse (geb. 1830) in lyrisch-epischen Dichtungen (»Novellen in Versen«, »Skizzenbuch aus Italien«, »Thekla«, »Syritha«),
in Dramen (»Elisabeth Charlotte«, »Ludwig der Bayer«, »Hadrian«, »Hans Lange«, »Kolberg«, »Alkibiades«, »Don Juans Ende« u. a.),
im Roman (»Kinder der Welt«, »Im Paradies«),
namentlich aber in einer langen Reihe von fein gestimmten, farbenreichen, zum Teil vollendeten Novellen als das glücklichste und vielseitigste Talent dieses Kreises. Demselben gehörten ferner an: Fr. Bodenstedt (geb. 1819), ausgezeichnet als Übersetzer, in den eignen lyrischen Dichtungen (»Lieder des Mirza Schaffy«, »Einkehr«, »Aus Mirza Schaffys Nachlaß« u. a.) formgewandt und voll naiv-heiterer, an Hafis anklingender Lebensweisheit; der farbenreiche Herm. Lingg (geb. 1820, »Die Völkerwanderung«, »Gedichte«),
der kulturhistorische Schriftsteller und kräftige Erzähler W. H. Riehl (geb. 1824),
der Poet und Essayist Fr. v. Löher (»General Sporck«, »Reiseschilderungen«),
Julius Grosse (»Das Mädchen von Capri« und andre epische wie lyrische Dichtungen),
Will. Hertz (»Gedichte«, »Lancelot und Ginevra«, »Bruder Rausch«),
F. A. v. Schack (»Durch alle Wetter«, erzählende Dichtungen; Meisterübertragung des Firdusi). - Eine andre charakteristische Gruppe in der modernen Poesie bilden diejenigen Dichter, welche aus der Fülle der gelehrten Detailforschung neue Elemente und Farben für die Litteratur zu gewinnen strebten. Dies führte teils zu originell lebensvollen, teils zu gewaltsam erzwungenen archäologisch-philologischen Produktionen, bei denen die Poesie zu kurz kam. Der bedeutendste, kräftigste, poetisch vollberechtigte Vertreter dieser Richtung ist Joseph Viktor Scheffel (geb. 1826) mit lyrischen und lyrisch-epischen Gedichten (»Gaudeamus«, »Frau Aventiure«, »Der Trompeter von Säckingen«) und historischen Romanen aus der deutschen Vergangenheit (»Ekkehard«, »Juniperus«).
Ferner gehören hierher: R. Hamerling (»Ahasver in Rom«, »Der König von Zion«, Epen; »Aspasia«, Roman),
Georg Ebers (mit den ägyptischen Romanen: »Eine Königstochter«, »Uarda«, »Homo sum«, »Die Schwestern«, »Der Kaiser«),
Franz Trautmann (»Herzog Christoph«),
Felix Dahn (»Gedichte«, »Ein Kampf um Rom«, »Sind Götter?«, »Odhins Trost«, »Felicitas«) und zahlreiche andre. Hängt die Besonderheit dieser poetischen Richtung noch mit der Entwickelung der Wissenschaft und der wachsenden Teilnahme eines breitern Publikums an dieser Entwickelung zusammen und darf insofern autochthon genannt werden, so erscheint die Wandlung des Realismus in einen sogen. Naturalismus oder »Verismus«, der hauptsächlich im Häßlichen schwelgt und die Brutalität allein für »Wahrheit« erachtet, durchaus als Nachahmung.
Die Erfolge Zolas in Frankreich, diejenigen der naturalistischen Romandichter in Rußland haben eine Anzahl von deutschen Nachahmern erweckt, und die »Wahrheit« wird der poetischen Gestaltung und der absichtslosen Lebensfülle echter Poesie ebenso entgegengestellt wie früher die politische Tendenz. Auch die Schule der Naturalisten wird eine vorübergehende sein und der wirklichen Poesie, die über aller Mode steht und jede Mode überdauert, wiederum Raum geben.
Bei vielen noch in der Entwickelung begriffenen oder auf ein kleines Gebiet beschränkten Bestrebungen der jüngsten Vergangenheit und Gegenwart erweist sich eine Gesamtcharakteristik und Gruppierung zunächst als unmöglich. Als talentvolle Lyriker erwarben sich Anerkennung: Wolfgang Müller von Königswinter;
Julias Hammer (trefflich in gnomischen und lehrhaften Poesien);
Julius Sturm, dessen Lieder keusche und wahre Frömmigkeit atmen;
Otto Roquette, der volksmäßige Töne in jugendfrischen Liedern anschlug;
Klaus Groth, dessen plattdeutsche Dichtungen von