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geistige Vielseitigkeit und Selbständigkeit wie durch seine Beziehungen zu den radikalen Parteien der Reformation wichtige, viel angefochtene Sebastian Franck (um 1500-1545), dessen »Weltbuch«, »Zeitbuch und Geschichtsbibel«, »Chronika des deutschen Landes« sowie die prächtigen »Auslegungen der deutschen Sprichwörter« Muster trefflicher Prosa geheißen zu werden verdienen. Lebendiger Auffassung und Darstellung begegnen wir auch in der »Bayrischen Chronik« des Johann Turnmayr von Abensberg (Aventinus, gest. 1534) und der »Schweizerchronik« des Ägidius Tschudi. Der Franckschen Sprichwörtersammlung folgte 1566 die des Johann Agricola; den Geschichtswerken schließen sich die charakteristischen Autobiographien des Götz v. Berlichingen, Thomas Platter und des schlesischen Ritters Hans v. Schweinichen an.
Die deutsche Dichtung der zweiten Hälfte des 16. Jahrh., obschon im allgemeinen noch unter der Herrschaft derselben Einwirkungen und Antriebe stehend wie die der ersten Hälfte, zeigt doch bemerkenswerte Veränderungen. Die erste frische Begeisterung der großen Erhebung war verbraust, die Hoffnung auf eine einheitliche evangelische Nationalkirche und eine gleichzeitige Erneuerung der alten Herrlichkeit des Deutschen Reichs gescheitert; die reformatorische Stimmung war im Streite der alten und neuen Kirche, des Luthertums und des Calvinismus untergegangen, das Reich, obschon noch von keinem äußern Feind angegriffen, trotz Religionsfriedens innerlich zerrütteter als je zuvor.
Der wüst werdende theologische Parteikampf und Wortstreit, in den ganz Deutschland wieder und wieder hineingezogen ward, erstickte und zertrümmerte alle nicht theologische Kultur; der Geist des Volkes verwilderte, die zunehmende Grausamkeit des deutschen Lebens machte sich gegen Ende des Jahrhunderts in der härtern, strengern Standesscheidung, den Greueln der Hexenprozesse, der stets barbarischer werdenden Justiz und tausend andern häßlichen Lebenserscheinungen mitten im materiellen Gedeihen geltend. In der Litteratur begann die volkstümliche Darstellung ins Rohe und Platte zu sinken; wo höhere Ansprüche erhoben wurden, drängten sich bereits unerfreuliche Nachahmung ausländischer Vorbilder und die Neigung zur Entfaltung von Gelehrsamkeit in die freischöpferische Thätigkeit herein.
Der hervorragendste deutsche Dichter und Schriftsteller der zweiten Hälfte des 16. Jahrh. war Johann Fischart (Mentzer, zwischen 1540 und 1589), in den Kämpfen der Zeit auf protestantischer (calvinistischer) Seite viel beteiligt, scharfer Gegner der Jesuiten und der katholischen Gegenreformation, trotz umfassender Gelehrsamkeit eine auf volkstümliche Wirkung gestellte, kraftvolle, humoristische Natur, der in seinen satirischen wie ernsthaften Dichtungen: »Eulenspiegel reimsweis«, »Flöhhatz, Weibertratz«, »Das glückhafte Schiff von Zürich", , in kleinen Prosaschriften, vor allem aber in seiner Bearbeitung des Rabelaisschen »Gargantua«: der »Affentheuerlichen Geschichtsklitterung«, ein vielseitig sprachgewaltiges, mit selbst geschaffenen Schwierigkeiten virtuos spielendes Talent entfaltete und die Fülle und den überwältigenden Reichtum der deutschen Sprache noch einmal vor einem langwährenden Niedergang vor Augen stellte.
Neben ihm traten als poetische Erzähler Wolfhart Spangenberg (»Ganskönig«),
Georg Rollenhagen (»Der Froschmeuseler«) auf; schon Bartholomäus Ringwalt (»Christliche Warnung des treuen Eckart«, »Die lautere Wahrheit«) zeigt die wachsende Verdüsterung des Sinnes sowie eine zunehmende Plattheit des Ausdrucks. Erzähler in Prosa waren in diesem Zeitabschnitt Lazarus Sandrub, Eucharius Eyering, Erasmus Widmann u. a. Die dramatische Poesie ward nicht nur durch die Zeitrichtung, sondern durch von außen hereintretende Elemente, namentlich durch die äußerlich effektreichen Stücke der herumziehenden sogen. englischen Komödianten, stark beeinflußt.
Die Schauspiele des Herzogs Heinrich Julius von Braunschweig (1564-1613) und die Dramen des nürnbergischen Dichters Jakob Ayrer (gest. 1605), dessen Tragödien, Lustspiele und Singspiele als die bedeutendsten dramatischen Produktionen vom Ende des 16. Jahrh. zu gelten haben, zeigen bei allen Vorzügen keinen reinen poetischen Sinn. Gegenüber der ersichtlichen Verwilderung der Empfindung und der Trivialität der Massenproduktion war eine unvermeidliche Wendung, daß eine kleine Gruppe von Poeten sich in Nachahmung der gebildeten Dichter des Auslandes, der Italiener und Franzosen, von der volkstümlichen Litteratur schied und, edlere Formen, größere Würde der Poesie erstrebend, eine akademische Richtung begründete, welcher zunächst Ambr. Lobwasser, Paulus Melissus Schede, Peter Denaisius, Phil. von Winnenberg und vor allen Rudolf Weckherlin (1584-1651) folgten.
VI. Zeitraum.
Der Dreißigjährige Krieg und die gelehrte Dichtung.
Die Begründung einer neuen Kunst- oder vielmehr einer spezifischen Gelehrtendichtung, zu welcher die genannten akademischen Poeten im Beginn des 17. Jahrh. den Anlauf genommen hatten, fiel mit der größten Unheilszeit, die Deutschland durchlebte, mit dem greuelvollen, Land und Leute zerrüttenden und herabbringenden Dreißigjährigen Krieg, zusammen. Der Drang nach einer akademischen Poesie ging an sich nicht aus den Ereignissen und Folgen des Kriegs hervor, die deutsche Litteratur ward vom allgemeinen Zug des 17. Jahrh. mit ergriffen.
Die Not und Verwüstung des Kriegs, die wachsende Verwilderung und Roheit des Volkes wurden für die Begründer und Fortsetzer der gelehrten Richtung eine Rechtfertigung und ein Sporn zugleich. Es schien eine rühmliche Aufgabe, sich durch eine vom Leben losgelöste Dichtung über den Jammer des umgebenden Daseins zu erheben. Doch drängte sich der Zeitgeist mit seiner blutigen Roheit, wüsten Plattheit und seinem geschmacklosen Prunk trotzdem in die Werke der gelehrten wie der ausklingenden volkstümlichen Dichtung herein.
Die Barbarei, welcher das deutsche Leben durch den Krieg verfiel, wirkte in den Seelen der Poeten wie ihres Publikums nach und trat in Dichtungen zu Tage, welche geflissentlich die weitabliegendsten Stoffe in den unvolkstümlichsten Formen behandelten. Die deutsche Sprache verlor die Kraft, den Reichtum und die lebendige Beweglichkeit des 16. Jahrh., sank in Roheit und Schwulst oder erstarrte in Pedantismus; es durfte schon als ein Verdienst der gelehrten Dichtung angesehen werden, daß sie die barbarische Sprachmengerei, die im Gefolge des Kriegs auftrat, aus ihren Schöpfungen meist fern hielt.
Die Zeit nach dem Krieg war womöglich noch trauriger als die wilde Kriegsperiode selbst. Die rohe Zuchtlosigkeit eines krieg- und blutgewöhnten Geschlechts, der nur mit hartem Regiment begegnet werden konnte, die schroffe Standessonderung, die Ausländerei der höhern Stände und namentlich ihre gegen den Ausgang des Jahrhunderts wachsende Abhängigkeit von Frankreich, der verhängnisvolle Einfluß des Hofs Ludwigs XIV., die gedrückte Servilität des einst so kräftigen und mächtigen, jetzt verarmten und herabgekommenen Bürgertums, die
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Nüchternheit und Enge, die Brutalität und der Pedantismus aller nach dem Westfälischen Frieden herrschenden Lebensanschauungen und Lebensformen, die Verödung und herzlose Veräußerlichung der streitenden Kirchen, welche zu Münster und Osnabrück notgedrungen Frieden geschlossen hatten: alle diese hoffnungslosen Zustände und Erscheinungen drückten schwer auf das geistige, zumal das litterarische Leben Deutschlands. Allerdings begann gegen den Ausgang eben dieser Epoche neben der kunststörenden, herabdrückenden Einwirkung falscher Gelehrsamkeit auf die Litteratur auch der günstige, befreiende Einfluß wirklichen Denkens, innerlicher Aufklärung im besten Wortsinn.
Obschon der große Philosoph Leibniz (1646-1716), der »genialste Polyhistor der Zeit«, wesentlich nur französisch und lateinisch schrieb, so übten die durchdringende Kraft seines Geistes, der Idealismus seiner Grundanschauungen einen tiefgehenden und heilsamen Einfluß auf das herabgekommene, innerlich verödete Geschlecht nach dem Krieg. Eine befreiende Wirkung ging auch von Leibniz' Schüler und Nachfolger Christian Wolf (1679-1754) aus, dessen in deutscher Sprache vorgetragene Metaphysik bei ihrer encyklopädischen und formalistischen Natur für die Schulung der Geister Vorzügliches leistete.
Chr. Thomasius (1655-1782) wirkte auf den verschiedensten Gebieten »vermischter philosophischer und juristischer Händel« und erwarb sich um Geltung der Philosophie und vernünftiger Sittenlehre, um geistige Freiheit und weltfrohe Gewandtheit einer deutsch redenden Wissenschaft nicht hoch genug zu schätzende Verdienste. In entgegengesetzter Richtung, aber mit gleicher Wirkung gegen die Herrschaft einer kirchlichen Orthodoxie, die in starrsinniger Beschränkung und trostloser Äußerlichkeit das ganze lebenspendende Erbe der Kirchenreformation verloren hatte, half die pietistische Bewegung mit ihrer Verinnerlichung und ihrem wahrhaft religiösen Leben die Gemüter befreien und der Litteratur einen neuen Boden bereiten. In kleinen Kreisen wirkten die mystische Theosophie des dunkeln und tiefsinnigen Jakob Böhme, des Schuhmachers von Görlitz (1575-1624), in weiterm die Lehren und Schriften der eigentlichen Begründer und Förderer des Pietismus, Philipp Jakob Spener (1635-1705) und Aug. Herm. Francke (1663-1727), nach.
Langsam aber erwuchsen aus den so ausgestreuten Samenkörnern Keime, und bis sie aufgingen, herrschte die leben- und inhaltloseste gelehrte Poesie, der oft kaum der Name einer poetischen Rhetorik zuzusprechen ist. Daß das subjektive Talent in all dieser Öde und wüsten Geschmacklosigkeit nicht erlosch und sich unter günstigen Umständen über das Niveau der Zeit erhob, ändert an der Thatsache nichts, daß die deutsche Litteratur in das Zeitalter ihres tiefsten Verfalls getreten war.
Der gelehrt-akademische Charakter der litterarischen Weiterentwickelung Deutschlands sprach sich am Eingang des 17. Jahrh. in den gepriesenen Sprachgesellschaften aus, die mit der 1617 auf Schloß Hornstein begründeten »Fruchtbringenden Gesellschaft« (Palmenorden) begannen. Die bis 1680 fortgesetzte, unter fürstlich anhaltischer und herzoglich weimarischer Protektion stehende Gesellschaft ward der florentinischen Crusca nachgebildet; sie erstreckte ihre Thätigkeit nur auf Reinhaltung der Sprache und erreichte selbst diese keineswegs bei allen ihren fürstlichen, vornehmen und gelehrten Mitgliedern.
Noch unwichtiger waren die »Aufrichtige Tannengesellschaft« (1633 in Straßburg gestiftet),
die von Philipp Zesen ins Leben gerufene »Deutschgesinnte Genossenschaft« in Hamburg (1643),
welcher der »Elbschwanenorden« (um 1660 von Johann Rist gegründet) folgte. Längeres Leben und eine gewisse Selbständigkeit zeigte der nürnbergische »Blumenorden« oder die »Gesellschaft der Schäfer an der Pegnitz« (durch Harsdörffer und Klaj 1642 gestiftet), in welcher eine besondere Richtung der Nachahmung italienischer Litteratur gedieh. Im ganzen waren die sämtlichen Orden und Gesellschaften durchaus ungeeignet, die Abhängigkeit der deutschen Dichtung ihres Jahrhunderts von fremden Mustern zu beseitigen oder auch nur einzuschränken.
Als »Vater« einer neuen deutschen Dichtung von seiner Zeit gepriesen, in Wahrheit nur der Vater der unerquicklichen gelehrten Kunst und der Begründer der »schlesischen Dichterschule«, trat während des Dreißigjährigen Kriegs Martin Opitz (1597-1639) mit frostigen, aber im Sinne einer im Büchlein »Von der deutschen Poeterey« (1624) verkündeten Theorie mit korrekten und mustergültigen Gedichten auf, die sich auf Nachbildung antiker und Ronsardscher Dichtungen gründeten.
Das Formprinzip, welches Opitz aufstellte, fand allgemeine Nachachtung, und selbst Dichter, die ihn an dichtender Kraft und Darstellungskunst weit überragten, bekannten sich als dankbare Schüler des »Boberschwans«. Unter den Genossen der ersten schlesischen Dichterschule wurden Andr. Tscherning, Dan. v. Czepko, A. Büchner, Dietrich von dem Werder bei ihren Zeitgenossen gepriesen. Über die gemachte Dichtung zur wirklichen, lebenerfüllten erhoben sich der Lyriker Paul Fleming (1609-40), der Dramatiker Andreas Gryphius (1616-64), dessen Tragödien große Züge wirklicher Menschendarstellung enthalten, und dessen Lustspiele: »Horribilicribrifax« und »Peter Squenz« samt den Bauernszenen im Singspiel »Die geliebte Dornrose« bestätigen, daß er mehr von der aus seinen Lebensschicksalen erwachsenen Verdüsterung als von der Opitzschen Theorie in seiner vollen Entfaltung gehemmt ward;
endlich der Epigrammatist Friedrich Logau (1604 bis 1655).
Einzelne echte lyrische Töne schlugen auch mitten im Ungeschmack die Männer des Königsberger Dichterkreises: Simon Dach, Heinrich Albert, Robert Roberthin, an. Dafür wurde die künstliche, verbildete und innerlich leere Litteratur durch die Thätigkeit der Nürnberger Pegnitzschäfer: Ph. Harsdörffer, Joh. Klaj, Siegmund v. Birken, durch die Romane und Dichtungen Phil. v. Zesens, durch Joh. Rist, Schottelius nur gefördert. Die Nachwirkungen der großen volkstümlichen Litteratur des 16. Jahrh. konnten freilich nicht mit einemmal verdrängt werden, und in einigen besondern poetischen Gattungen behauptete das wirkliche Leben noch eine Zeitlang sein Recht.
Die evangelische geistliche Liederdichtung gedieh durch die tiefe Trostbedürftigkeit des in und nach dem Krieg duldenden Volkes zu einem neuen Aufschwung. Dichter wie J. ^[Johann] Heermann, J. V. ^[Johann Valentin] Andreä, Val. Herberger, Martin Rinckart, J. M. ^[Johann Michael] Dilher, Johann Frank ließ der größte geistliche Poet der Unheilszeit, der alle weltliche und geistliche Dichtung jener Tage an echter poetischer Kraft überragende Paul Gerhardt (1606-76; »Befiehl du deine Wege«),
hinter sich. Im katholischen Deutschland vertraten der edle Jesuit Friedrich Spe mit seiner »Trutz-Nachtigall« und der Konvertit Angelus Silesius (Scheffler, 1624-77) mit den Liedern »Heilige Seelenlust« und den Sprüchen des »Cherubinischen Wandersmannes« die religiöse Vertiefung, die seit der Gegenreformation auch auf dieser Seite eingetreten war. Den geistlichen Liederdichtern, die in
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der Opitzschen Form einen wirklichen Empfindungsgehalt zu geben hatten, treten eine kleine Zahl von Schriftstellern zur Seite, welche die Fähigkeit bewahrten, Leben und Menschen mit voller Deutlichkeit zu sehen und zu schildern. Daß es zumeist unerfreuliches und unschönes Leben war, was sie wiederzugeben hatten, lag in der Zeit; daß auch sie unter den Einwirkungen des Auslandes, namentlich der spanischen Schelmenromane und Erzählungen, standen, gehört einmal zur Signatur der ganzen Litteraturperiode.
J. M. ^[Johann Michael] Moscherosch (1601-69) mit den »Wunderlichen und wahrhaftigen Gesichten Philanders von Sittewald«; Johann Balthasar Schupp (1610-61) mit zahlreichen satirischen Schriften halb darstellender, halb didaktischer Natur, ferner Christoph v. Grimmelshausen (gest. 1675),
welcher im Roman »Der abenteuerliche Simplicissimus« und einer Reihe Simplicianischer Schriften die Wirkungen des großen Kriegs auf das deutsche Volk mit innerstem Anteil und genialer Schilderungskraft am besten darstellte, im weitern Sinn der niederdeutsche Satiriker Joh. Lauremberg (gest. 1659) und am Ausgang des Zeitraums der burleske volkstümliche Moralist Abraham a Santa Clara (Ulrich Megerle, gest. 1709) gehören zu dieser Gruppe.
Im ganzen aber ging die Umbildung der deutschen Dichtung zu einer reinen Gelehrtenpoesie, welche bei der Ausländerei der obern Stände und der tiefen Gedrücktheit und geistigen Armseligkeit des nicht gelehrten Bürgertums kein andres Publikum hatte als wiederum die Gelehrten, unaufhaltsam ihren Weg. Einige Jahrzehnte nach dem Frieden erlosch die Widerstandskraft der volkstümlichen Richtung. In der zweiten schlesischen Dichterschule verband sich jetzt eine höfisch und vornehm sein wollende Galanterie, eine gewisse Üppigkeit der Phantasie mit der brutalen und plumpen Unsitte, welche das deutsche Leben beherrschte, mit der rohen Grausamkeit, die in den Gemütern lebte, in wunderlichster und widerwärtigster Weise.
Dabei suchte sich ein unausrottbarer philiströser und nüchterner Sinn mit der Versicherung zu beruhigen, daß diese Dichtung weder äußeres noch inneres Leben spiegele, daß ein andres gemeint, ein andres gedichtet werde. Die gefeierten Talente dieser Zeit: der lüsterne Lyriker Chr. Hoffmann von Hoffmannswaldau (1618-79), der umsonst Marinis weiche Sinnlichkeit und schmeichelnden Wohllaut der Sprache nach Deutschland zu verpflanzen suchte, aber Marinischen Schwulst in Ansehen setzte; der »große« Dichter des neuesten Stils, Dan. Kaspar v. Lohenstein (1635-1683),
welcher mit seinen von Schmutz und Schwulst starrenden rhetorischen Tragödien (»Ibrahim Bassa«, »Agrippina«, »Ibrahim Sultan«),
mit seinem von wüster und prahlerischer Vielwisserei und geschmacklos-hochtrabender Rhetorik aufgebauschten Roman »Großmütiger Feldherr Arminius nebst seiner durchlauchtigsten Thusnelda« (Staats-, Liebes- und Heldengeschichte) nacheifernden Talenten die Wege zur Erhabenheit wies;
ferner die Romandichter Andreas Heinr. Buchholtz (gest. 1671 als Superintendent zu Braunschweig) mit seiner »Wundergeschichte des christlichen deutschen Großfürsten Herkules und der böhmischen königlichen Fräulein Valisca«;
Herzog Anton Ulrich von Braunschweig (gest. 1714) mit »Aramena« und »Octavia«;
Hans Anselm v. Ziegler und Klipphausen (gest. 1697) mit dem gelesensten Buch der Zeit: »Asiatische Banise«, welche alle diese Wege wandelten, trieben die immer deutsche Litteraturimmer tiefer in Barbarei hinein.
Die Dichtung ward mehr und mehr zu einem Mittel, äußeres Ansehen zu erwerben; das Übergewicht des schmeichlerischen und bombastischen Gelegenheitsgedichts ward offen anerkannt. Die »Hofpoeten« R. L. v. Canitz, J. V. ^[Johann Valentin] Pietsch, Johann v. Besser, Johann Ulrich König u. a. setzten die Lohensteinsche Richtung ebenso ins 18. Jahrh. hinein fort wie die Poeten der Hamburger »Oper«, welche, seit 1678 eröffnet, ein paar Jahrzehnte lang in Chr. Richter, Postel, Feind, Hunold u. a. fleißige Verfasser musikalischer Dramen mit schwülstiger Diktion besaß.
Die schlesischen Lyriker Chr. Gryphius (Sohn des Andreas), Benjamin Schmolcke (der den Lohensteinianismus ins Erbauliche übersetzte), H. Aßmann Freiherr v. Abschatz, H. Mühlpfort, die Romanschreiber G. Ch. Lehms, Joachim Meier, Werner Eberhard Happel (der im »Asiatischen Onogambo« und »Insularischen Mandorell« Plattheit, Schwulst und die gespreizte Vielwisserei der Zeit wie kein andrer vereinigte), Aug. Bohse (Talander), Rost u. a. verstärkten lediglich das Bild allgemeiner Geschmacklosigkeit und Abwesenheit jeglichen Ideals.
Als ein Fortschritt mußte es schon gelten, daß unter dem Einfluß der allmählich wachsenden Aufklärung und einer von vornherein nur allzu bewußten Verstandeskultur eine gegen den Schwulst der Lohensteinianer gerichtete, durch und durch nüchterne, platte Dichtung aufkam, die rasch genug in überschwemmende, wässerige Reimerei ausartete. Die Anfänge zu derselben finden sich bei Dan. Georg Morhof (1639-91) und dessen Schüler, dem Epigrammatisten Chr. Warnecke, der die Hamburger Opernpoeten verhöhnte; Hauptrepräsentant war der Zittauer Schulrektor Christian Weise 1642-1708), der in »Überflüssigen Gedanken der grünenden Jugend«, in sogen. »politischen« Romanen (»Die drei ärgsten Erznarren«, »Die drei klügsten Leute der ganzen Welt«),
in zahlreichen als »Zittauer Schulkomödien« aufgeführten Trauerspielen, Lustspielen und Schwänken trivial-gesunde Lebensanschauung, verständige moralische Tendenzen, äußerliche Fähigkeit der Charakteristik und Sprachbeherrschung an den Tag legte und vom Muster der Italiener auf das der neuern Franzosen hinwies. In seiner Richtung dichteten und schrieben Erdmann Neumeister, Joachim Burkard, Menke (Philander von der Linde), Daniel Stoppe, Deutsche W. Triller, die zum Teil schon in eine andre Litteraturperiode hinüberreichen.
Eine wirkliche Besserung erfolgte zuerst im Eingang des 18. Jahrh., wo eine Reihe individueller Talente, durch Naturell und Lebenseindrücke begünstigt, in der Nachahmung ausländischer Muster feinfühliger, der deutschen Dichtung zuerst wieder einen Inhalt, phantasievolle Erfindung, Leidenschaft und Wärme der Stimmung, eine gewisse Wahrheit der Schilderungen gaben und in sinniger Betrachtung oder munter-geselligem Ton sich vom Schwulst wie von der Plattheit entfernt zu halten trachteten.
Hierher gehören Berthold Heinr. Brockes (1680-1747) mit dem breit ausgesponnenen, aber im einzelnen feinsinnigen und liebenswürdigen »Irdischen Vergnügen in Gott«; Christian Günther (1695-1723), der durch die Unmittelbarkeit und frische Sinnlichkeit seiner persönlichen Empfindung zur wirklichen Lyrik durchdrang und selbst das wild wuchernde Gelegenheitsgedicht der in seinen Tagen noch grünenden »poetischen Wälder« in lebendige Poesie umwandelte, wenn auch sein Geschmack in Bildern und seine Diktion noch vielfach an die zweite schlesische Schule erinnern; hierher Albrecht v. Haller aus Bern (1708-1777),
der gleichfalls noch von den schlesischen Marinisten beeinflußt war, aber sich durch aus lebendiger Anschauung und Freude an der Wirklichkeit stammende
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Schilderung (namentlich im beschreibenden Gedicht »Die Alpen«) und durch einen Kern echter Empfindung über seine Vorbilder erhob; hierher der phantasievolle, wenn auch künstlerisch nicht durchbildete Romandichter Joh. Gottfr. Schnabel (1695-1750?),
dessen weitverbreitete Robinsonade »Die Insel Felsenburg« ein eigenartiges Stück Leben und die tiefe Sehnsucht zahlreicher Gemüter nach einem weltfernen, harmonischen, stillumfriedeten Dasein verkörperte; hierher der Liederdichter und poetische Erzähler Friedrich v. Hagedorn (1708-54), der sich an die heitern Dichtungen der Franzosen und jüngern Engländer anlehnte und zugleich das eigne Lebensbehagen im leichten Flusse seiner kleinen Gedichte ausdrückte.
Indes tauchten alle diese Talente vereinzelt auf und blieben insofern wirkungslos, als man die Hauptsache, durch welche sie sich von der Masse der Schreibenden und Dichtenden unterschieden, die selbständige Empfindung und den Bezug auf das Leben, gar nicht wahrnahm. Die Vorstellung, daß die poetische Kunst ein Anhängsel der Gelehrsamkeit sei, daß alles, was zur »Belustigung des Verstandes und Witzes« diene, entweder erworben werden könne, oder von Haus aus mit einer bestimmten Art der Bildung vorhanden sein müsse, die Überzeugung, daß eine vollendete und vollkommene Dichtung durch Befolgung gewisser Regeln und Vermeidung gewisser Irrtümer erreicht werden könne, war noch allgemein.
Seit der Schwulst der zweiten schlesischen Schule, deren Blüte gerade in die Zeit fiel, wo die französische Litteratur ihren größten Aufschwung nahm, in Verruf gekommen war, richteten sich die hoffenden Blicke nach Frankreich. Ohne Verständnis dafür, daß die großen Leistungen der französischen Poesie aus den Tagen Ludwigs XIV. nur Resultat eines außerordentlichen Aufschwungs des gesamten französischen Lebens seien, ohne schärfere Empfindung für den innern Gehalt des Pariser Klassizismus und nur bemüht, die korrekte Form und klare Übersichtlichkeit der französischen Dichtungen zu erreichen, pries man die Mustergültigkeit französischer Poesie.
Das eigentliche Haupt einer mit Verwerfung aller bisher geltenden Muster die Franzosen nachahmenden Schule in der deutschen Litteratur ward Johann Christoph Gottsched (1705-66), als Leipziger Professor der Poesie und Beredsamkeit in den 30er und 40er Jahren des 18. Jahrh. der deutsche Geschmacksdiktator, welcher mit seiner »Kritischen Dichtkunst«, seinen verschiedenen Zeitschriften und zum Teil sehr verdienstlichen Sammlungen, mit seinen Briefen, seiner Deutschen Gesellschaft, mit zahlreichen Übersetzungen, eignen rhetorischen Gedichten und seiner nach französischen und englisch-französischen Vorbildern zurechtgeschnittenen Tragödie »Der sterbende Cato« der deutschen Litteratur den Weg zur echten Klassizität zu bahnen vermeinte.
Ehrlich für den Gedanken einer glänzenden und würdevollen Stellung der Litteratur begeistert, nicht ohne Verdienste um manche litterarische Einsichten, um die Wiederanknüpfung einer Verbindung zwischen dem Theater und der Litteratur, war er doch zu trocken und dürr, um auch nur den Pope, geschweige den Boileau und Racine Deutschlands vorstellen zu können, und erweckte sich überdies durch seinen Hochmut und seine beschränkte Rechthaberei zahlreiche Gegner.
Eine treue Mitarbeiterin fand er an seiner Gattin Luise Adelgunde Viktorie, geborne Culmus (gest. 1762), eifrige Schüler an J. ^[wohl eher Samuel Gotthold] Lange, J. ^[Johann] Joachim Schwabe, an dem Hamburger Kaufherrn Georg Behrmann (Dichter der Tragödien: »Die Horatier« und »Timoleon«),
an Otto, Freiherrn v. Schönaich (1725-1807),
dessen steifes und wertloses Heldengedicht »Hermann« Gottsched zum deutschen Nationalepos emporzuloben hoffte, an Christian Aug. Clodius, J. J. ^[Johann Jakob] Dusch und einer ganzen Reihe von dichtenden Magistern und Übersetzern. Gottsched war der Hauptrepräsentant der unbedingten Nachahmung der Franzosen, der letzte Vertreter einer »gelehrten« Dichtung im engsten und bedenklichsten Sinn des Wortes; beides aber, Franzosennachahmung und unlebendige Gelehrtenpoesie, erstreckten naturgemäß ihre Nachwirkungen noch weit in die folgende Periode und in alle Anstrengungen hinein, die gemacht wurden, um zu einer lebendigen, der gesamten Nation wiederum angehörigen Litteratur zu gelangen.
VII. Zeitraum.
Zeit der Übergänge und des beginnenden Aufschwungs.
Theoretisch waren die von Gottsched geübte Geschmacksherrschaft und die einseitige Dürftigkeit seiner litterarischen Anschauungen bereits seit den 30er Jahren von den »Schweizern«, d. h. den Züricher Gelehrten Joh. Jakob Bodmer (1698-1783) und J. J. ^[Johann Jakob] Breitinger (1701-76),
bekämpft worden, die in den »Diskursen der Maler«, in ihrer Vertretung Miltons, in Breitingers »Kritischer Dichtkunst« (1740) im Grund nur den entscheidenden Satz verfochten, daß zur Dichtung ein positives Element gehöre und die Vollkommenheit nicht in lauter Negationen gesetzt werden dürfe. Bei dem verkommenen Zustand der deutschen Litteratur war auch das Fortschritt und Gewinn. Den Schweizer Kritikern schlossen sich Zollikofer, Heinr. Meister, K. F. Drollinger u. a. an. Wichtiger und folgenreicher erwies sich die Wirksamkeit einer Gruppe von jungen Poeten und Schöngeistern, die, größtenteils Sachsen und an der Universität Leipzig studierend, anfänglich von Gottsched beeinflußt, sich von ihm loslösten und, zunächst ein Publikum suchend, das der gesamten deutschen Litteratur fehlte, bei Franzosen und Engländern die gewinnenden, anmutigern Formen der Dichtung, die frische Wiedergabe von Eindrücken und Zügen des Lebens, die Fähigkeit des Unterhaltens durch die Litteratur zu erlauschen suchten.
Das deutsche Leben selbst kam ihnen zu wenig entgegen, um ein rasches und volles Gelingen ihrer Absichten zu ermöglichen. Dennoch waren die »Bremer Beiträger«, wie sie wohl nach den von ihnen herausgegebenen, in Bremen verlegten »Neuen Beiträgen zum Vergnügen des Verstandes und Witzes« genannt werden, die ersten Schriftsteller, deren Wirkungen wieder in weite und verschiedenartige Kreise reichten, »wieder die ersten wahrhaft volkstümlichen, fast möchte man sagen, die ersten wahrhaft deutschen Dichter und Schriftsteller« (Hettner). Zu dieser Gruppe gehörten die Lyriker J. Anton ^[richtig: Johann Arnold] Ebert, Karl Christian Gärtner, Nik. Dietr. Giseke, J. A. ^[Johann Andreas Cramer] Kramer, Adolf Schlegel, ferner der Dramatiker J. ^[Johann] Elias Schlegel (1718-49), dessen theoretische Erkenntnis und instinktive Einsicht in das Wesen des Dramas, wie er sie in seinen dramaturgischen Abhandlungen bethätigte, freilich seine eignen dramatischen Versuche in Tragödie (»Kanut«) und Komödie (»Der Triumph der guten Frauen«, »Die stumme Schönheit«) weit überragten. Unmittelbarer aus dem Leben schöpfte Friedr. Wilh. Zachariä (1726-77),
der sich als deskriptiver Poet und Verfasser komischer Heldengedichte (»Der Renommist«, »Die Tageszeiten«, »Murner in der Hölle«) geltend machte. Der gefeierte Satiriker unter den »Beiträgern«, Gottl. Wilh. Rabener (1714-71),
konnte eben nur in seiner eignen schwächlichen Zeit als »der deutsche Swift« angesehen
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werden; seine Satire, der es an Schärfe, Kühnheit, vielleicht selbst an Einsicht in die wahren Gebrechen und Mißstände der deutschen Kulturwelt fehlte, die daher nicht die Thoren, sondern in schwächlichen Typen und höchstens in ganz untergeordneten Gestalten die Thorheit schilderte, sich in unwesentlichen Details und salzlosem Spaß in behaglichster Breite erging, interessierte aber gleichwohl das Bürgertum, das um die Mitte des 18. Jahrh. wieder Anteil an der Litteratur zu nehmen begann.
Bleibende Bedeutung erlangte Chr. Fürchtegott Gellert (1715-69), der bei weitem einflußreichste Schriftsteller des zweiten Drittels des 18. Jahrh. Er hatte mit kleinen Liedern, mit Schäfer- und Lustspielen im französischen Stil (»Sylvia«, »Die Betschwester«, »Das Los in der Lotterie« etc.) begonnen, dann mit seinem Roman »Das Leben der schwedischen Gräfin von G.« einen kühnern Griff in die Wirklichkeit gewagt, ohne sich aus den Banden einer bis zur Unsittlichkeit und Roheit entstellten äußerlichen und konventionellen »Moral« befreien zu können.
Seine außerordentliche Popularität aber beruht hauptsächlich auf seinen »Fabeln und Erzählungen«, in denen er mit bisher nicht erreichter Leichtigkeit und Lebendigkeit des Vortrags sich als höchst selbständiger Schüler, nicht mehr als bloßer Nachahmer Lafontaines erwies und mit Schärfe und Feinheit, wenn auch immer mit moralisierender Tendenz sittliche und soziale Zustände der eignen Zeit wie allgemeine menschliche Thorheiten spiegelte. Mit seinen »Geistlichen Liedern« erfüllte er das Andachtsbedürfnis seiner Zeit; auch seine prosaischen Schriften, wie die »Briefe« nebst der »Abhandlung von dem Geschmack in Briefen« und seine »Moralischen Vorlesungen«, übten eine kaum zu berechnende Wirkung.
Gleichzeitig mit den Männern der »Bremer Beiträge« löste sich eine Gruppe jüngerer Poeten, die persönliche Freundschaft während ihrer Studienzeit an der Universität Halle verbunden hatte, von der Gottschedschen Litteraturauffassung. Zur Halleschen Poetengruppe zählten Sam. Gotthold Lange (1711-81), der als Lyriker eine Zeitlang Ruf genoß und späterhin für seine unzulängliche Horaz-Übersetzung von Lessing hart verurteilt und einer unerfreulichen Unsterblichkeit überliefert wurde;
Immanuel Pyra (1715-44), dessen Schrift »Beweis, daß die Gottschedianische Sekte den Geschmack verderbe« die Streitschriften der Schweizer an Heftigkeit überbot;
Nikolaus Götz (1721-81), der mit Uz die Oden Anakreons übertrug und in eignen Gedichten die griechischen Lyriker nachzubilden suchte;
Peter Uz (1720-1796),
der von leichten, tändelnden Gedichten im (vermeinten) Stil Anakreons, von Nachahmung der Popeschen komischen Epik im »Sieg des Liebesgottes« späterhin zur ernsten Ode und dem Lehrgedicht überging;
endlich Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803), seit 1747 Sekretär des Domkapitels zu Halberstadt, dem eine der wunderlichsten litterarischen Laufbahnen beschieden war. In allen Formen und nach allen Mustern ein anempfindendes Talent, als tändelnder Anakreontiker, patriotischer Liederdichter, Fabel- und Spruchdichter, Erzähler und redseliger Didaktiker von unerschöpflicher, nie versiegender Produktionslust, aber äußerlich und flüchtig bis zur völligen Flachheit, erhob sich Gleim nur in den vom Siebenjährigen Krieg hervorgerufenen »Liedern eines preußischen Grenadiers« und in einer Anzahl Fabeln und Sinngedichten zu einiger Selbständigkeit.
Vor vielen andern in äußerlich begünstigter Lage, voll guten Willens, allen Hilfsbedürftigen beizustehen, unterstützte und regte er überall die Talente an, »hätte ebensowohl des Atemholens entbehrt wie des Dichtens und Schenkens und gewann sich so viele Freunde, Schuldner und Abhängige, daß man ihm seine breite Poesie gern gelten ließ, weil man ihm für die reichlichen Wohlthaten nichts zu erwidern vermochte als Duldung seiner Gedichte« (Goethe). Zum Kreis, den sich Gleim in Halberstadt zu bilden suchte, gehörten der Fabeldichter Magnus Gottfr. Lichtwer (1719-83), der Lyriker Joh. Georg Jacobi (1740-1814), der Fabel- und Operettendichter J. B. ^[Johann Benjamin] Michaelis (1746-72), Klamer Eberhard Schmidt (1746-1824) u. a. Der Richtung auf das Idyll und das leichte, beschreibende Gedicht, welche durch die Hallenser gegeben war, zeigte sich Chr. Ewald v. Kleist (1715-59) verwandt, dessen beschreibendes Gedicht »Der Frühling« als ein Lenz auch für die Dichtung gepriesen wurde, und in dessen besten Gedichten uns eine feine Naturempfindung und das Gefühl männlicher Würde, das den ernst-soldatischen Dichter erfüllte, erfreulich entgegentreten.
Auch in den größern Formen der dramatischen Dichtung strebte man seit den 50er Jahren über Gottsched und die äußerlichste Franzosennachahmung hinauszukommen, sah sich aber freilich immer wieder zurückgeworfen und vermochte kaum die Fesseln der französischen Form (des Alexandriners) abzuwerfen, geschweige denn einen eignen Lebensgehalt künstlerisch zu gestalten. Die vielbelobten Anläufe, welche J. F. ^[Johann Friedrich] v. Cronegk (1731-59) mit dem Trauerspiel »Codrus«, J. W. ^[Joachim Wilhelm] v. Brawe (1738-58) mit den Tragödien: »Brutus« und »Der Freigeist«, L. v. Ayrenhoff (1733-1819) mit »Aurelius«, »Tumelicus«, »Antonius und Kleopatra«, »Antiope« u. a. nahmen, erwiesen, wie unselbständig und innerlich leblos die deutsche Dichtung in den Hauptsachen noch war.
Auch die Lustspieldichter Joh. Chr. Krüger, J. Ch. ^[Johann Christian] Brandes, die beiden Stephani ragen nicht höher. Ein echter Repräsentant des Eklektizismus, der aus der Nachahmung so verschiedenartiger Muster erwuchs, aber immer wieder in die Abhängigkeit von der französischen Litteratur zurückfiel, war Chr. Felix Weiße (1726-1804), welcher als fruchtbarer Poet auf allen Gebieten, als Verfasser von ernsten und scherzhaften, Amazonen- und Kinderliedern, als Übersetzer, Bearbeiter, Jugendschriftsteller, als Opern- und Lustspieldichter wie als vielgepriesener Tragiker die Bescheidenheit und Genügsamkeit der Ansprüche des deutschen Publikums erwies.
Daß die lange Gewöhnung an die Herrschaft des französischen Geschmacks noch bis in die Zeit des völligen Umschwungs hinein ihre Nachwirkungen hatte, zeigten Dichter wie Fr. Wilhelm Gotter (1746-97), der trotz seiner Beziehungen zu Goethe als Lyriker und Operndichter ein reiner Nachbildner der Franzosen war, wie die Leipziger Lustspielpoeten J. G. ^[Johann Gottfried] Dyk ^[auch: Dyck], Anton Wall u. a. bis zum Ausgang des Jahrhunderts. Indessen durften alle diese Produktionen und Bestrebungen als nichtsbedeutende von dem Augenblick an angesehen werden, in welchem wahrhaft schöpferische Geister der deutschen Litteratur selbständige, große Ziele gegeben und die tiefe Kluft zwischen Leben und Dichtung endlich geschlossen hatten.
In demselben Jahrzehnt, in welchem die frühsten bescheidenen Regungen eines neuen Geistes sich in den Arbeiten der »Bremer Beiträger« kundgaben, erfolgte das Auftreten des ersten wahrhaft genialen Dichters, den Deutschland seit der Blütezeit der mittelhochdeutschen Poesie wieder erhielt. »Mit Klopstocks Erscheinung wurde offenbar, daß die Dichtung auf einer ursprünglichen genialen Begabung beruhe
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und durch Studium nicht erlernt werden könne.« Friedrich Gottlieb Klopstock (1724-1803) ward schon epochemachend durch die Anfänge seines bereits als Schüler geplanten, als Student begonnenen, erst nach Jahrzehnten (1773) vollendeten Gedichts »Der Messias«, dessen erste Gesänge die »Bremer Beiträge« nicht ohne manche Bedenken ihrer Herausgeber 1748 veröffentlichten. Mit dem sichern Instinkt des Genies hatte Klopstock gefühlt, daß der religiöse Stoff zur Zeit der einzige sei, welcher auf Phantasie und Empfindung großer Kreise, namentlich des deutschen Bürgertums, zu wirken vermochte; ihn selbst erfüllten die erhabensten Vorstellungen von jener »heiligen Dichtkunst«, für die er nur ein erhabenes Vorbild, Milton, kannte.
Da er aber eine überwiegend lyrische Natur voll hohen Schwunges, voll sittlichen Ernstes, voll Innigkeit und voll ursprünglicher Sprachgewalt war, zudem bewußtermaßen auf die Rührung seiner Leser hinarbeitete, so überwog in seinem epischen Gedicht eine Fülle rührseliger Stimmungen und wehmütiger Betrachtungen die feste Gestaltung, die Anschaulichkeit der Handlung und Charakteristik. Indes hatte seit Luther kein Dichter über den Reichtum und die Macht der Sprache geboten wie jetzt Klopstock, so daß der Enthusiasmus für seine in der That unvergleichliche Leistung voll berechtigt war.
Neben dem großen epischen Gedicht verdankte Klopstock seinen Hauptruhm seinen »Oden«, deren ernster, feierlicher Ton, deren edle Rhythmik und sprachliche Schönheit die Generation, der alles dies neu war, wohl berauschen und sie über die eigentümliche Enge und Einseitigkeit der Klopstockschen Empfindung und Kunstanschauung hinwegsehen lassen konnten. Stärker trat diese Einseitigkeit hervor, als Klopstock nach Vollendung des »Messias« sich in biblischen und patriotischen Dramen versuchte.
»Adams Tod«, »Salomo«, »David«, namentlich aber die sogen. Bardiete: »Hermannsschlacht«, »Hermann und die Fürsten« und »Hermanns Tod« entbehrten allen dramatischen Lebens und selbst der lyrischen Innerlichkeit. Bei der Autorität, die Klopstock rasch erworben, folgten jedem von ihm eingeschlagenen Pfad zahlreiche ältere und jüngere Talente. Das biblische Epos fand Nachahmer; selbst der alternde Bodmer, der zu Klopstocks frühsten und glühendsten Bewunderern gehört hatte, dichtete ein Epos: »Noah« (»Die Noachide«),
und eine ganze Reihe biblischer Dramen, der pietistische Staatsmann K. Friedr. v. Moser einen »Daniel in der Löwengrube« (Heldengedicht in Prosa),
S. Henning einen »Joseph«, Joh. Kaspar Lavater (1741-1801),
der mit frischen und patriotischen »Schweizerliedern« im Stil der Gleimschen Grenadierlieder begonnen hatte, einen zweiten »Jesus Messias« und einen »Joseph von Arimathia«, Em. Wessely eine »Mosaide«. Andre versuchten die rhetorische Wirkung des Klopstockschen Epos zu übersteigern und verirrten sich, wie der letzte Klopstockianer, Franz v. Sonnenberg (1779-1805),
in »Donatoa oder das Weltende«, in einen neuen sinnlosern Schwulst. Die Klopstockschen Bardiete gaben Anlaß zur Entstehung einer Bardenschule, deren Vertreter mit archaistischem Patriotismus und seelenlosen Phrasen Deutschheit und Tugend besangen, besten Falls ganz moderne Gesinnungen und Empfindungen in Phantasiestücke kleideten, bei denen keltische, deutsche und nordische Namen und Bilder wild durcheinander liefen. Hier glänzten der Wiener Jesuit Michael Denis (1729-1800) mit den »Liedern Sineds des Barden«, K. F. Kretschmann (1738-1809) mit dem »Gesang Rhingulfs des Barden«, G. Hartmann (Telynhard, 1752-75) und Heinr. Wilhelm v. Gerstenberg (1737-1823) mit den »Gedichten eines Skalden« und dem tragischen Melodrama »Minona«, welchem sich unter den Anregungen der Sturm- und Drangperiode das Schauderdrama »Ugolino« hinzugesellte.
Von der Odendichtung Klopstocks wurde die gesamte deutsche Poesie berührt; als unmittelbare Nachahmer traten J. G. ^[Johann Gottlieb] Willamov, Küttner u. a. auf. Selbständiger in Empfindung und Form, mit bewußter Nachahmung der Antike und einseitiger Pflege der Form dichtete Karl Wilhelm Ramler (1725-98), dessen Oden und lyrische Gedichte samt seiner Horaz-Übersetzung in ihrer formellen Glätte und pomphaften Äußerlichkeit, in der »die einfachsten und geringfügigsten Dinge zur Personifikation hohler Scheingestalten hinaufgeschraubt werden oder sich in volltönenden Worten die albernsten Umschreibungen gefallen lassen müssen«, einen großen Einfluß auf jüngere Dichter übten.
Abseits von den norddeutschen Vertretern der Litteratur stand der Schweizer Salomon Geßner (1730-88),
dessen zierliche, aber jeden natürlichen Hauches entbehrende Idylle derselben weichen Stimmung der Zeit entsprachen, welche die rührseligen Momente des »Messias« allen andern des biblischen Gedichts vorziehen ließ. Hier war überall weder Innerlichkeit noch frische Natur, sondern ein unbestimmtes, hin- und hertastendes Sehnen nach der verlornen Innerlichkeit und der entrückten Natur.
Den schärfsten Gegensatz zu der Richtung, welche Klopstock der gesamten deutschen Litteratur zu geben suchte, bildete ein Schriftsteller heraus, dessen Anfänge ganz und gar unter den Einwirkungen Klopstocks gestanden, und der die höchsten Gipfel der seraphischen Poesie im ersten Anlauf zu ersteigen gesucht hatte. Chr. Martin Wieland (1733-1813), dessen epikureische, liebenswürdig heitere und weltlich verständige Natur schon früh über die anempfundene Schwärmerei und das moralisierende Pathos siegten, entwickelte in einem langen Leben voll der mannigfaltigsten Thätigkeit eine in der deutschen Litteratur völlig neue Anmut, schalkhafte Lebendigkeit und graziöse Leichtigkeit.
Von seinen frühsten erzählenden Gedichten: »Musarion«, »Idris« und »Der neue Amadis«, und den Romanen: »Die Abenteuer des Don Sylvio von Rosalva«, »Agathon«, »Der goldene Spiegel« bis zu den Meisterwerken der 70er und 80er Jahre: dem »Oberon«, der »Geschichte der Abderiten«, den spätern poetischen Erzählungen entfaltete Wieland eine beständig wachsende Sicherheit und lebensfrohe Behaglichkeit des Erzählens und Darstellens, die sich, obschon er französischen Mustern viel verdankte, sehr wesentlich von der frühern unselbständigen Franzosennachahmung unterschieden.
Daneben erwarb er als Herausgeber des »Deutschen Merkur«, der ersten bedeutsamen litterarisch-belletristischen Zeitschrift in Deutschland, durch zahlreiche größere und kleine Arbeiten gemischter Natur, seine wichtige Übersetzerthätigkeit (erste deutsche Übertragung der Werke Shakespeares 1762-66) einen außerordentlichen Einfluß, zog sich freilich auch den ganzen Haß der strengern Naturen zu, welche nur Klopstocks Art und Weise innerhalb der deutschen Litteratur gelten lassen wollten. Die mittelbare und unmittelbare Nachwirkung Wielands brachte der deutschen Dichtung eine Fülle von heiterer Anmut, guter Lebensbeobachtung, seither nicht gekannter Beweglichkeit und litterarischer Vielseitigkeit; zugleich aber rief sie bedenkliche Frivolität und Flachheit, geschmacklose und hohle Vielproduktion hervor, denn gerade an Wielands schwächste Seiten, an die gelegentliche
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Lüsternheit und den Eudämonismus seiner Lebensanschauung, heftete sich das Heer der Nachahmer. Unter den bessern von Wieland angeregten Schriftstellern gediehen der frivol-graziöse M. A. v. Thümmel (1738-1817), der Verfasser des prosaischen Gedichts »Wilhelmine« und der »Reise in die mittägigen Provinzen von Frankreich«, und Karl Aug. Musäus (1735-87) mit dem »Deutschen Grandison« und den unterhaltend erzählten »Volksmärchen der Deutschen« zu bleibenden Leistungen.
Sonstige Belletristen ähnlicher Richtung waren: Joh. Tim. Hermes (1738-1821),
dessen Roman »Sophiens Reise von Memel nach Sachsen« ein Lieblingsbuch der Zeit ward;
Wielands Jugendgeliebte Sophie v. La Roche (1730-1807),
Verfasserin der »Geschichte des Fräuleins von Sternheim«;
A. G. Meißner (1753-1807),
dessen »Skizzen« und Roman »Alcibiades« nebst einer langen Reihe von historisch-romantischen Gemälden nicht ohne das Verdienst einer gewissen Anschaulichkeit und Lebendigkeit waren;
der Lustspiel- und komische Romandichter J. Fr. ^[Johann Friedrich] Jünger (1759-97);
Ad. v. Knigge (1752-96), dessen Buch »Über den Umgang mit Menschen« seinen Namen länger erhielt als seine Reiseschilderungen und Romane;
der scherzhafte Erzähler F. A. Langbein (1757-1835) u. a. Indessen konnten sie alle nur vorübergehende Bedeutung haben.
Auch die Nachahmer der Wielandschen romantischen Epik, J. B. ^[Johann Baptist] Alxinger (1755-97) mit den Rittergedichten: »Doolin von Mainz« und »Bliomberis«, L. H. v. Nicolay (1737-1820), der seine Poesie hauptsächlich aus Ariost schöpfte, und die travestierenden Poeten, welche Wielands Ironie und humoristische Behandlung des Ernsthaften popularisieren halfen, wie Al. Blumauer (1755-98, »Travestierte Äneide«) und K. A. Kortum (1745-1824, »Jobsiade« und »Adams Hochzeitsfeier«),
erwiesen, wie rasch sich die Gegensätze zu dem ehrbar-steifen, gelehrt-würdevollen Ton des vorausgegangenen Menschenalters herausgebildet hatten. Die satirischen Werke von Lichtenberg (1742-99) sind hier gleichfalls zu erwähnen.
Gewaltiger, tiefer und vielseitiger in die ganze geistige Bewegung der Zeit eingreifend, in eigenartiger Durchdringung von schaffender und kritischer Thätigkeit selbstgesteckte Ziele kühn erreichend und sich wie der gesamten deutschen Litteratur solche steckend, hinter denen man mit Ehren zurückbleiben kann, trat gleichzeitig mit Klopstock und Wieland Gotthold Ephraim Lessing (1729-81) hervor, der mit Recht ein Erwecker und Befreier der Litteratur geheißen werden durfte, insofern er auf den verschiedensten Gebieten das erlösende Wort sprach und mustergültige Originalwerke im höchsten Sinn schuf. In seinen Jugenddramen: »Der junge Gelehrte«, »Der Freigeist«, »Der Schatz« noch französischen Vorbildern folgend, in seiner frühsten kritischen Thätigkeit von der herrschenden Anschauung und den ganzen Voraussetzungen der Gelehrtenpoesie noch mannigfach abhängig, durchbrach seine kühne und hochstrebende, nach klaren Anschauungen wie ganzen Leistungen ringende Natur rasch die Schranken.
Durch die Nachempfindung und Nachbildung der englisch-bürgerlichen Dichtung hindurch, der seine Tragödie »Miß Sara Sampson« entstammte, gedieh Lessing zu höchster Selbständigkeit und innerer Freiheit. Während seine großen kritischen Werke: die von ihm herrührenden Teile der »Litteraturbriefe«, »Laokoon, oder über die Grenzen der Poesie und Malerei« und die »Hamburgische Dramaturgie«, die unerläßlichen Voraussetzungen und Grundbedingungen einer ganz auf eignen Füßen stehenden, Großes erstrebenden und leistenden Dichtung endlich und allmählich zum Bewußtsein brachten, schöpfte er in seinen dramatischen Meisterwerken (Meisterwerke vor allem nach der Seite einer konsequent entwickelten Handlung und einer geistvollen, lebendigen Charakteristik): dem Soldatenlustspiel »Minna von Barnhelm«, der bürgerlichen Tragödie »Emilia Galotti« und dem Drama »Nathan der Weise«, mit fester Sicherheit aus der Fülle des umgebenden Lebens und aus der Tiefe der die Zeit erfüllenden großen Kämpfe, an denen er so unerschrocken wie würdevoll Anteil nahm. Wo die Erkenntnis durchdrang, daß die Dichtung in erster Linie Menschendarstellung sei, empfand man auch die Macht des Lessingschen poetischen Talents trotz des Mangels an lyrischem Stimmungshauch und Farbenfülle.
Gesellten sich hierzu die beinahe unberechenbare Wirkung der mannhaften, edlen und ernsten, gegen alles Scheinwesen, alle Halbheit und anmaßende Mittelmäßigkeit gerichteten Lessingschen Polemik, seines furchtlosen Wahrheitsdranges, der ihn zum »Aufklärer« im besten Sinn des Wortes erhob und doch von der flachen und selbstgefälligen Begnügsamkeit der spezifischen Aufklärung unwiderruflich schied, die bildende Kraft seiner geistreich geschmackvollen Behandlung der verschiedensten ästhetischen, litterarischen, philologischen, philosophischen und theologischen Fragen, der geistige Reiz seines klar durchgebildeten Stils, den selbst die kleinsten Arbeiten aufwiesen: so ergibt sich, wie allseitig und tiefgehend die Wirkung von Lessings Leben und Thun für die Litteratur werden mußte.
Seine Stellung war bei alledem immer eine isolierte gewesen; eigentliche Schüler und Nachfolger konnte er umso weniger haben, je seltener sich die kritisch-dialektische Schärfe und der produktive poetische Trieb vereinigt finden. In den Kreisen der Berliner Aufklärer, in denen Lessing viel gelebt, erhob man wohl den unberechtigten Anspruch, seine Richtung allein zu vertreten und weiterzubilden, und setzte sich unter irrtümlicher Berufung auf Lessing gegen den Ausgang des Jahrhunderts jeder bedeutsamen Weiterentwickelung der Litteratur entgegen.
Der Mitherausgeber der »Litteraturbriefe«, der Buchhändler Friedr. Nicolai (1733-1811),
vertrat in zahlreichen Schriften den Standpunkt der »Aufklärung des Verstandes«, welche ihm meist mit der plattesten Nüchternheit und Utilitätsrichtung zusammenfiel und sich eng an die preußischen Zustände der Zeit Friedrichs d. Gr. anschloß. Von seinen Werken mit poetischem Anspruch war der aufklärerische Roman »Leben und Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker« der bedeutendste und fand manche Nachahmer, so in Joh. Gottwerth Müller (1744-1828) mit »Siegfried von Lindenberg« und dem komischen Roman »Emmerich«, in Chr. W. Kindleben (1748-85) mit »Wilibald Schluterius« und »Emanuel Hartenstein«.
Viel höher als alle diese stand J. J. ^[Johann Jakob] Engel (1741-1802),
in seinen Schauspielen: »Pflicht und Ehre«, »Der Edelknabe«, in den Abhandlungen und kleinen Erzählungen des »Philosophen für die Welt« und dem bürgerlichen Roman »Lorenz Stark« der letzte namhafte, nicht unverdienstliche Vertreter der ausschließlichen Verstandesrichtung in der poetischen Litteratur. Der Einfluß Lessings auf das Drama gab sich hauptsächlich durch die eifrige Pflege der bürgerlichen Tragödie und des bürgerlichen Schauspiels nach englischem Muster kund; die wilde Flut von Soldatenlustspielen, die der »Minna von Barnhelm« folgte, hatte keine Bedeutung für die Litteratur und erwies nur,
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daß der kaum hergestellte Zusammenhang zwischen der Gesamtentwickelung der Dichtung und der deutschen Bühne jeden Augenblick wieder durch das theatralische Bedürfnis in Frage gestellt ward. Die Schau- und Lustspiele von Fr. Ludw. Schröder (»Das Porträt der Mutter«),
H. P. Sturz (»Julie«),
Otto Heinr. v. Gemmingen (»Der deutsche Hausvater«),
G. W. Großmann (»Nicht mehr als sechs Schüsseln«, »Henriette«) ragten schon zum Teil in die Sturm- und Drangperiode hinüber und wurden von deren geistigen Stimmungen ebenso beeinflußt wie von den Lessingschen Dramen. Ward Lessing selbst der Hauptbegründer einer klassischen deutschen Prosa, so daß ein großer Teil der besten Prosaisten des nächsten Zeitraums sich wesentlich nach ihm bildete, so waren doch neben ihm eine Reihe andrer Schriftsteller auf verschiedenen Gebieten aufgetreten, die durch die Form ihrer Werke die Entwickelung der Nationallitteratur fördern halfen.
Noch dem vorigen Zeitraum hatten Gottfried Arnolds »Unparteiische Kirchen- und Ketzerhistorie«, Mascovs »Geschichte der Teutschen« und H. v. Bünaus »Teutsche Kaiser- und Reichshistorie«, die Anfänge einer pragmatischen deutschen Geschichtschreibung, angehört. Der größte Zeitgenosse Lessings, Johann Joachim Winckelmann (1717-68),
übte durch seine epochemachende »Geschichte der Kunst des Altertums« (1764) eine tiefgehende, befreiende Wirkung auf die gesamte deutsche Litteratur und das Erwachen einer lebendigen, sichern, aus Anschauung und Genuß erwachsenden Empfindung für das Schöne. Viel unbedeutendern, aber immerhin nicht zu vergessenden Einfluß erlangte J. A. ^[richtig: J. G.] Sulzer (1720-79) mit seiner »Theorie der schönen Künste«. Als Popularphilosophen, welche einzelne Untersuchungen und Betrachtungen in mustergültiger Form weitern Kreisen der Bildung vermittelten, sich mit Lessings Bestrebungen vielfach berührten, ohne ihm irgend gleichzukommen, traten hervor Moses Mendelssohn (1729-86), der erste Israelit, welcher eine maßgebende und einflußreiche Stellung in der deutschen Litteratur gewann, der Verfasser des »Phädon, oder über die Unsterblichkeit der Seele« und der »Morgenstunden, oder Vorlesungen über das Dasein Gottes«; der Schweizer Isaak Iselin (1728-82) mit den »Philosophischen und patriotischen Träumen eines Menschenfreundes« und der Abhandlung »Über die Geschichte der Menschheit«; der Österreicher Joseph v. Sonnenfels (1733-1817),
der direkt Lessing nachahmte, aber mit seiner mannigfach aufklärenden Vielgeschäftigkeit sich zu dauernd wertvollen Leistungen nicht erhob, obschon seine »Briefe über die wienerische Schaubühne« und die Abhandlung »Über die Abschaffung der Tortur« zu ihrer Zeit hoch gepriesen wurden;
Thomas Abbt (1738-66) mit den Abhandlungen: »Vom Verdienst« und »Vom Tod für das Vaterland«;
Joh. Georg Zimmermann (1728-95) mit den vielgelesenen »Betrachtungen über die Einsamkeit«;
Christian Garve (1742-98),
der in seinen »Versuchen« und »Vermischten Aufsätzen« mannigfache Themata des Lebens, der Moral und Litteratur mit bemerkenswerter Klarheit und Schönheit der Darstellung vom Standpunkt der Aufklärung aus besprach.
VIII. Zeitraum.
Die Sturm- und Drangperiode und die Periode der klassischen Dichtung.
Die Herrschaft der Aufklärung, wesentlich gefördert durch die lange und auf allen Gebieten ruhmreiche Regierung Friedrichs d. Gr. in Preußen, welcher die aufklärenden und aufgeklärten Fürsten in den mittlern und kleinern deutschen Gebieten nachfolgten, war um das Jahr 1770 entschieden. Trotz mannigfacher Irrtümer, Härten und Ausschreitungen wirkte der aufgeklärte Despotismus segensreich und beseitigte den größern Teil der noch nachwirkenden Folgen des unseligen Dreißigjährigen Kriegs.
Während aber der Kampf dieses Systems mit verrotteten Mißbräuchen und trübseligen öffentlichen Zuständen noch fortdauerte und auch ein guter Teil der deutschen Schriftsteller in diesem Kampf seine Hauptaufgabe erblickte, bereitete sich schon ein neuer, größerer Umschwung vor. Auch die siegreiche Aufklärung hatte nichts oder nur wenig zur Überwindung der engen, gepreßten, harten und nüchternen Lebenszustände und Lebensgewohnheiten gethan, welche mit der emporstrebenden Bildung, namentlich der bürgerlichen Schichten, in so unerfreulichem Widerspruch standen. An hundert Stellen zugleich erwachte daher das Gefühl, daß die gesamte Aufklärungsbildung doch öde, unzulänglich und armselig sei, daß das deutsche Leben aller Frische und innern Fülle entbehre, daß Kultur und Sitte der letzten Jahrhunderte mit der menschlichen Natur in einen argen Zwiespalt geraten seien, der am besten durch die Rückkehr zur Natur überwunden werde.
Das Auftreten Jean Jacques Rousseaus in Frankreich übte auf die Bewegung und Stimmung der Geister in Deutschland einen außerordentlichen Einfluß. Aus der allgemein werdenden Sehnsucht, das Leben poetischer zu gestalten und die Poesie nur mit wirklichem Leben zu erfüllen, ging eine denkwürdige geistig-revolutionäre Bewegung, die Sturm- und Drangperiode, hervor, welche mit dem wildesten Ansturm gegen alle seither geltenden Schranken in Leben und Kunst begann, und aus der schließlich in der That eine Neugestaltung des deutschen Lebens und eine letzte, höchste Erhebung der Nationallitteratur erwuchsen. Es ist daher im höchsten Grad einseitig, im »Sturm und Drang« nur einen Rückfall in die Barbarei zu sehen und die gesamte Periode als die einer Entfesselung der egoistischen Begehrlichkeit, des überreizten Selbstgefühls, des pflichtlosen Verlangens nach Glück und der zügellosen Leidenschaft zu verurteilen.
Alle diese Dämonen waren naturgemäß mit entfesselt, aber sie verursachten und tragen nicht allein die Bewegung; höhere Kräfte und bessere Antriebe standen im Vordergrund, und mit innerer Notwendigkeit wurden alle bedeutenden Naturen in die wilde Gärung hineingezogen, während es nur den besten und kräftigsten beschieden war, an der nachfolgenden Läuterung Anteil zu nehmen. Die litterarische Seite der großen Bewegung war die wichtigste, weil Hunderttausende die in der Wirklichkeit zunächst versagte Befriedigung der neuen Herzensansprüche und Phantasieforderungen in der Dichtung suchten und die poetisch-litterarische Thätigkeit eine bisher nicht erhörte Bedeutung und Wirkung gewann. Es war das Eigentümliche der Sturm- und Drangperiode, daß in ihr die verschiedensten, ja die gegensätzlichsten geistigen Richtungen und Bestrebungen gleichzeitig die Köpfe und Gemüter der Menschen ergriffen und in unbestimmtem Enthusiasmus und Originalitätsdrang zu einer Einheit zusammenfassen. So konnte es geschehen, daß in denselben Jahrzehnten und zum Teil von denselben Kreisen die Gefühlsphilosophie der Hamann und Jacobi und die unerbittliche logische Kritik Kants, die machtvolle, lebenswarme Dichtung Goethes und die wesenlose poetische Rhetorik der Stolberg und Schubart, der scharfe Realismus Justus Mösers und die Phantastik Lavaters neben und
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miteinander bewundert wurden. Der gemeinsame Grundzug aller Bestrebungen und Zeitstimmungen blieb der Gegensatz zur phantasielosen Nüchternheit, zur begnügsamen Halbheit und zur hohlen Selbstgefälligkeit des Rationalismus.
Der größte Repräsentant des »Sturms und Dranges« (wie die Bewegung später nach dem Titel eines wildphantastischen Dramas von F. M. Klinger getauft ward) war Johann Gottfried Herder (1744 bis 1803), in dessen zahlreichen und vielartigen Schriften sich alle geistigen Elemente der Bewegung begegneten. Die Genialität, der Gedankenreichtum und die ethische Hoheit Herders wirkten mächtig auf die ganze Litteratur der Zeit ein; speziell für die Dichtung wurde seine Anschauung über das Wesen der Ur- und Volkspoesie ganz entscheidend.
Was Herder in den Hauptwerken seiner zweiten klassischen Periode, dem Buch »Vom Geiste der ebräischen Poesie«, den »Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit« (1785-94),
den Dichtungen und Abhandlungen der »Zerstreuten Blätter« gab, war nur Läuterung und weitere Ausführung der in seinen Jugendarbeiten gegebenen Anregungen. Als selbständiger Dichter blieb Herder vorwiegend didaktisch und reflektierend; seinen eignen Forderungen an die Poesie kam er am nächsten in den von ihm übertragenen und gesammelten »Volksliedern« und dem Romanzenkranz »Der Cid«. An Herders erster Entwickelung hatte eine kleine Gruppe von Königsberger Schriftstellern bedeutenden Anteil, die ihrerseits mit der geistigen Welt und den Lebensregungen des deutschen Pietismus zusammenhängen, der während der Sturm- und Drangperiode auch von andrer Seite her sich in der Litteratur Geltung verschaffte.
Unter diesen Königsbergern finden wir G. Hamann (1730-88), dessen »Sibyllinische Blätter« die Keime zu Herders Ideen einschließen, und Th. G. v. Hippel (1741-96),
dessen humoristische Romane: »Lebensläufe nach aufsteigender Linie« und »Kreuz- und Querzüge des Ritters A-Z« eine denkwürdige Mischung rationalistischer und frommgläubiger Anschauungen und Empfindungen verbanden. Stärker noch erscheint das pietistische Element mit dem kraftgenialen gemischt in den Dichtungen und Volksschriften des »Wandsbecker Boten« Matthias Claudius (1740-1815),
der zu den ersten gehörte, welche den Ton des echten, herzgebornen Volksliedes wiederum trafen, und in den Schriften von Heinrich Jung, genannt Stilling (1740-1817),
dessen Selbstbiographie »Heinrich Stillings Leben« nebst den Romanen »Geschichte des Herrn von Morgenthau« und »Florentin von Fahlendorn« die eigentümlichen Lebensanschauungen und Erlebnisse der »Stillen im Lande« spiegelten. Zu den Schwärmern und Mystikern hinüber neigte auch Fr. Heinrich Jacobi (1743-1819),
dessen religionsphilosophische Schriften und Romane (»Eduard Allwills Papiere« und »Woldemar«) die bedenklichen Seiten eines schwelgenden Gefühlslebens und der Rousseauschen Einwirkungen offenbarten.
Die große dichterische Aufgabe der Zeit blieb die Rückgewinnung der Natur, und die jugendlichen Lyriker rangen mit allen Kräften, nicht nur den Ausdruck für die unmittelbare Empfindung, sondern auch neue, ausdruckswerte Gefühle zu gewinnen. Von besonderer Bedeutung hierfür ward die Gruppe junger Dichter, die sich im (Göttinger) sogen. Hainbund zusammengeschlossen hatte. Zu ihr gehörten außer H. Chr. Boie (1744-1806), dem Herausgeber des »Musenalmanachs«, zu welchem sich auch andre Kräfte scharten, die beiden Brüder Christian (1748-1821) und Friedrich Leopold (1750-1819),
Grafen zu Stolberg, Johann Martin Miller aus Ulm (1750 bis 1814),
der mit einigen Liedern und dem sentimentalen Roman »Siegwart, eine Klostergeschichte« nachmals zu einer vorübergehenden Bedeutung gelangte, Karl Friedr. Cramer (1752-1807),
Joh. Fr. Hahn (gest. 1779),
Anton Leisewitz (1752-1806),
dessen Tragödie »Julius von Tarent« große, unerfüllt bleibende Hoffnungen erregte; ferner der liebenswürdige, naiv-fröhliche und innige Liederdichter Ludwig Heinrich Christoph Hölty (1748-76) und Johann Heinrich Voß (1751-1826), die eigentliche Seele des Bundes. Letzterer repräsentiert schon die Entwickelung vom Sturm und Drang zu klassischen, bleibend wertvollen Dichtungen. Seine Natur drängte ihn in der reinen Lyrik zur Reflexion und zum breiten Moralisieren; zur Vollendung gelangte er als Idyllendichter in einer Reihe kleiner Meisterstücke und den besten Episoden seines Gedichts »Luise«; die größte Wirkung und Nachwirkung aber gewann er durch seine meisterhaften Übertragungen der Homerischen »Ilias« und »Odyssee«. Den Göttingern nahe stand, obschon er dem studentischen Dichterbund nicht angehörte, Gottfried August Bürger (1748-94), der die neuen Forderungen an den Dichter mit seinen besten Liedern und kraftvollen Balladen zuerst ganz erfüllte, zuerst echt volkstümliche, herzergreifende Töne, die unmittelbarste Lebendigkeit der Erzählung und Schilderung, sinnliche Frische und hinreißende Macht des Ausdrucks besaß. - Während die Lyriker solchergestalt zur vollen Selbständigkeit erwuchsen, vertauschten die dramatischen Talente der Sturm- und Drangperiode die seither geltenden Muster mit dem Anschluß an Shakespeare, der mit Homer, Rousseau und dem nebelhaften Ossian den ganzen Enthusiasmus der brausenden, nach Leben und Originalität begehrenden Jugend erweckte und nährte.
Die meisten glaubten durch Nachahmung der vermeinten Formlosigkeit Shakespeares seine gewaltige Wirkung zu erreichen, und so entschiedene Anstrengung die damalige Bühne auch machte, mit der dramatischen Dichtung in Verbindung zu bleiben, so war die Entstehung zahlloser Buchdramen um so weniger zu hindern, als in sehr vielen Fällen das Drama nur den Vorwand abgab und Szenen und Dialoge zum Vehikel der gärenden Neuerungsideen und selbst, wie bei Lenz, subjektiver Grillen, ja Verrücktheiten dienten. Zu den Geniedramatikern gehörten M. F. Klinger (1752 bis 1771), dessen wildleidenschaftliche Dramen und spätere Romane uns Geist und innere Widersprüche der Zeit ebenso vergegenwärtigen, wie dies das Leben des Dichters selbst thut;
M. Reinhold Lenz (1750 bis 1792), der in den Dramen: »Der Hofmeister«, »Die Soldaten« und »Der neue Menoza« Fratze und lebensvolle Genialität unerquicklich verband;
Friedrich Müller (»Maler Müller«, 1750-1825),
dessen »Pfalzgräfin Genoveva« und »Faust« wenigstens Ansätze zu echter Charakteristik und Lebensdarstellung enthielten;
Fr. v. Goué (gest. 1789),
Heinrich Leopold Wagner (1747-83),
Ludwig Philipp Hahn (1748-87),
J. F. ^[Johann Friedrich] Schink (1755-1834) u. a. An Goethes »Götz von Berlichingen« schlossen sich die Verfasser von Ritterdramen, Jakob Maier (1739-1784, »Fust von Stromberg«, »Der Sturm von Boxberg«),
J. A. ^[Joseph August] v. Törring (1754-1826, »Kaspar der Thorringer«, »Agnes Bernauerin«),
Franz Marius v. Babo (1756-1822, »Otto von Wittelsbach«),
an. Eine andre Gruppe von Dramatikern übertrug den Sturm und Drang, das Verlangen nach neuem Leben und die Darstellung desselben ins
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Bürgerliche. Hier ging A. W. Iffland (1759-1814) allen voran, der in der langen Reihe seiner bürgerlichen Dramen und Rührstücke ein höchst charakteristischer Sprecher der gegen die alten Gesellschaftszustände aufbäumenden, mit Rousseauschen Ideen genährten Zeitstimmung war. -
Die dehnbare und schwankende Form des Romans bot natürlich noch weit mehr Gelegenheit als das Drama, die Phantasien, die Empfindungen, die heftigen und leidenschaftlichen Wünsche und Weltverbesserungsansichten der jugendlichen Generation darzulegen. Eine Anzahl der »Kraftgenies« und der ringenden Naturen der Periode bediente sich dieser praktischen Form; selbst eine so scharf verständige und kaustisch-nüchterne Natur wie Goethes Darmstädter Freund J. H. ^[Johann Heinrich] Merck (1742-91) entwarf einige kleinere Romane und Sittenbilder (»Lindor«, »Herr Oheim der jüngere«).
Unter den Stürmern und Drängern sind hier zu nennen: Wilhelm Heinse (1749-1803),
in seinen Romanen: »Ardinghello, oder die glückseligen Inseln« und »Hildegard von Hohenthal« feurige Kunstbegeisterung und schwelgerisch-üppige Sinnlichkeit verbindend;
J. K. ^[Johann Karl] Wezel (1747-1819, »Hermann und Ulrike«),
Joach. Chr. Schulz (1762-98, zahlreiche Romane),
Karl Ph. Moritz (1757-93);
dessen »Anton Reiser«, ein autobiographischer Roman von eigentümlichster Bedeutung, einen vollen Einblick in die Gegensätze und die Gärung der Zeit verstattet. -
An die Romandichter reihen sich jene Prosaiker der Periode an, welche in schildernden und historisch darstellenden Schriften die ganze bunte Mannigfaltigkeit, das Durcheinanderwogen der Bestrebungen und Meinungen repräsentieren, und unter denen es an einer Reihe von Originalgestalten, die Träger der entschiedensten geistigen Gegensätze waren, gleichfalls nicht fehlte. Hier sei erinnert an Justus Möser (1720-94), in seinen »Osnabrückschen Geschichten« ein geistvoller Historiker, in seinen »Patriotischen Phantasien« der beredte Lobredner des deutschen Individualismus und einer natürlich-gesunden Grundlage aller gesellschaftlichen Zustände; an den Weltumsegler Georg Forster (1754-94),
dessen »Schilderungen aus der Südsee« und »Ansichten vom Niederrhein« von Rousseauschem Geist erfüllt waren; an den volkstümlichen Journalisten und Poeten Chr. Daniel Schubart (1743 bis 1791),
den Herausgeber der »Deutschen Chronik«.
In und aus der wilden Gärung der eigentlichen Sturm- und Drangperiode rangen sich die größten Naturen und vorzüglichsten Geister der deutschen Litteratur zu reiner und bleibender Wirkung empor. Galt dies schon von Herder, Voß u. a., so kam es in erhöhtem Maß zum Bewußtsein bei den beiden größten Dichterbegabungen der Nation, welche mit ihren Anfängen und einem guten Teil ihrer Entwickelung im Sturm und Drang wurzelten und sich nur insofern von demselben lösten, als sie die bleibenden Lebenselemente und Forderungen, welche der Periode entstammten, in ihren Dichtungen zum unverlierbaren Besitz der Nation, zur Voraussetzung der gesamten deutschen Bildung wandelten.
Johann Wolfgang Goethe (1749-1832), mit seinen Erstlingswerken, dem Drama »Götz von Berlichingen« und dem Roman »Die Leiden des jungen Werther«, welche die Forderung warm natürlicher unmittelbarer Lebensdarstellung über die hochfliegendsten Hoffnungen hinaus erfüllten, sofort der gefeiertste Dichter der Sturm- und Drangperiode, erhob sich im Verlauf seiner mächtigen und einzigen Entwickelung zum größten Dichter der Nation und der letzten Jahrhunderte überhaupt.
Lyriker von unvergleichlicher Tiefe und höchstem Empfindungsreichtum, als Epiker und Dramatiker Schöpfer einer ganzen Reihe von Werken des tiefsten Gehalts und der edelsten Form, die sämtlich die Macht seiner Phantasie, den Adel seiner Natur, die größte Weltkenntnis und Weltbeherrschung neben der unbeirrbaren Simplizität und beinahe unversieglichen Frische einer großen Künstlernatur erwiesen, wirkte Goethe tief auf die deutsche Entwickelung und weit über die Nation hinaus auf andre Litteraturen.
Die eigentümlichste Durchdringung von objektiv angeschautem und dargestelltem Leben mit der Leidenschaft und dem subjektiven Gehalt seines Busens, die Versöhnung der ausgebreitetsten und vielseitigsten Bildung mit der ursprünglichsten Leidenschaft und Stärke, die ethische wie die künstlerische Läuterung seines Genius, für welche seine Werke Zeugnisse sind, wurden erst ganz begriffen, als die Reihe seiner größern und kleinern Werke, vor allen die dramatischen Dichtungen: »Egmont«, »Iphigenia«, »Torquato Tasso«, die epische Dichtung »Hermann und Dorothea«, die Romane: »Wilhelm Meisters Lehrjahre« und »Die Wahlverwandtschaften«, die klassischen Spätlingswerke: »Aus meinem Leben. Wahrheit und Dichtung« und »Westöstlicher Diwan«, endlich die über Goethes ganzes Leben sich erstreckende Dichtung »Faust« (das weltumfassendste und tiefste poetische Werk der neuhochdeutschen Litteratur überhaupt), die Fülle seiner Lieder und übrigen lyrischen Gedichte, die ganze Summe seiner schaffenden, forschenden und bildenden Thätigkeit, mit der er gestrebt hatte, sich ein Ganzes zu erbauen, überblicken ließ.
Einer raschern Wirkung erfreute sich Friedrich Schiller (1759-1805), der dem Freiheits- und Humanitätsdrang des 18. Jahrh. den mächtigsten und poetisch schwungvollsten Ausdruck in seinen Dichtungen gab. Mit den Dramen: »Die Räuber«, »Fiesco«, »Kabale und Liebe« und »Don Karlos« beginnend, deren jedes eine Sehnsucht und Forderung der Zeit gewaltig fortreißend aussprach und lebendig verkörperte, durch seine historischen Schriften (»Geschichte des Abfalls der Vereinigten Niederlande«, »Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs«) bahnbrechend für eine gedankenreiche, farbenvolle und fesselnde Prosadarstellung, leitete Schiller mit seinen philosophisch-kritischen Abhandlungen (namentlich mit den »Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschengeschlechts«) die Versöhnung zwischen den Anschauungen der Gärungsepoche und der strengen Ethik der Kantschen Philosophie ein und dokumentierte jenen einzigen subjektiven Idealismus, jene wunderbare Selbstläuterung, jene Durchbildung zur künstlerischen Vollendung in seinem Sinn, welche ihn mit Goethe in geistigen Einklang setzte und alle Gedichte seiner zweiten Periode sowie die Reihe seiner Meisterdramen (»Wallenstein«, »Maria Stuart«, »Die Jungfrau von Orléans«, »Die Braut von Messina«, »Wilhelm Tell«, den Torso des »Demetrius«) durchdringt und verklärt.
Neben den großen Gestalten Goethes und Schillers erschienen die Zeitgenossen kleiner, als sie waren. Das Publikum freilich ließ sich das Recht nicht nehmen, auf seine eigne Weise neben den Heroen Größen zu schaffen und anzuerkennen. Bald bewunderte es die geistvolle und phantasiereiche, aber fragmentarische und schon frühzeitig manieristische Weise von Jean Paul Friedrich Richter (Jean Paul, 1763-1825), dessen beste Romane, wie »Hesperus«, »Titan«, »Siebenkäs«, »Die Flegeljahre«, es einigermaßen rechtfertigten, wenn man ihn als den klassischen Humoristen bezeichnete; bald hielt es sich an Poeten, welche auf einem kleinen, beschränkten Gebiet Vorzügliches
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oder Treffliches leisteten. Hierher gehören Lyriker wie der weiche und elegante Fr. v. Matthisson (gest. 1831), sein kräftigerer Freund J. G. ^[Johann Gaudenz] v. Salis (gest. 1834), A. Mahlmann (gest. 1826), Chr. Aug. Tiedge (gest. 1840, »Urania«),
J. A. ^[richtig: G. A. für Gerhard Anton] v. Halem (gest. 1819),
K. Ph. Conz (gest. 1827),
Schmidt von Lübeck (gest. 1849, populär gewordene Lieder: »Von allen Ländern in der Welt« etc.),
Karl Lappe (gest. 1843, »Nord oder Süd«),
Fr. Wilh. Aug. Schmidt von Werneuchen (gest. 1832),
den Goethe in dem Gedicht »Musen und Grazien in der Mark« verspottete, Ludw. Theobul Kosegarten (gest. 1818),
dessen ländliches Gedicht »Jucunde« eine Zeitlang viel bewundert ward, u. a.; hierher Dramatiker einer dürren Regelmäßigkeit, welche sich neben der eigentlich klassischen lebensvollen Kunst geltend zu machen suchte, wie Joh. Heinrich v. Collin (gest. 1811, »Regulus«, »Coriolan«),
oder Originalgenies vom Schlag des derben, knorrigen Joh. G. Seume (1763-1810),
dessen autobiographische Schriften (»Spaziergang nach Syrakus«, »Mein Sommer« u. a.) größeres Verdienst hatten als seine Dichtungen. Daneben standen jene Autoren in hohem Ansehen, welche die Gefühls- und Gedankenelemente der letzten Jahrzehnte mit den Überlieferungen der Aufklärungsperiode äußerlich und zum Zweck der Unterhaltung verbanden, so A. v. Kotzebue (1761-1819), der fruchtbare und erfindungsreiche, aber charakterlose Theaterschriftsteller, dessen Lustspiele und Dramen die Bühnen förmlich überschwemmten und fast in Alleinbesitz nahmen;
so August Lafontaine (1758-1831), dessen rührselige Romane und »Gemälde des menschlichen Herzens« Tausende von weichlichen Naturen entzückten;
so Fr. W. v. Meyern (gest. 1829),
dessen Roman »Dya-na-Sore« ein echtes Produkt der Gärungsperiode am Ende des 18. Jahrh. war;
so August v. Klingemann (1777-1831),
der in hohlen Romanen und Dramen (er dichtete einen »Schweizerbund« wie einen »Faust«) Schiller und Goethe die Spitze zu bieten suchte;
so Heinrich Zschokke (1771-1848),
der, mit Schauerdramen (»Abällino, der große Bandit«) und sentimentalen Romanen (»Alamontade, der Galeerensklave«) beginnend, sich zu einem gewandten Erzähler leichter Art wandelte.
Unter dem unmittelbaren Einfluß der weimarischen Freunde standen nur einige Talente zweiten Ranges, neben den Dichterinnen Sophie Mereau (gest. 1806) und Amalie v. Helvig, geborne v. Imhof (gest. 1831, »Die Schwestern von Lesbos«),
Schillers Schwägerin Karoline v. Wolzogen (gest. 1847, »Agnes von Lilien«),
Chr. Ludwig Neuffer (gest. 1839, »Die Herbstfeier«, »Der Tag auf dem Lande«),
die Erzähler Friedrich Rochlitz (gest. 1842) und Ernst Wagner (gest. 1812, »Willibalds Ansichten des Lebens«, »Die reisenden Maler«). Höheres erstrebte Schillers begabtester Schüler, Friedr. Hölderlin (1770-1843),
dessen schwungvolle lyrische Dichtungen, der Roman »Hyperion« und das Fragment »Empedokles«, einer leidenschaftlichen Sehnsucht nach einer höchsten, unerreichbaren Freiheit und Schönheit des Lebens Ausdruck geben. Zu klassischer Vollendung bildete J. P. ^[Johann Peter] Hebel (1768 bis 1826) in den »Erzählungen des rheinländischen Hausfreundes« die volkstümliche Erzählung aus und bewährte in seinen »Gedichten in alemannischer Mundart« eine tief gemütvolle, schalkhaft-liebenswürdige Natur.
Selbst Jean Paul fand Nachfolger und Nachahmer im Grafen Bentzel-Sternau (1767-1849),
dessen Romane (»Das goldene Kalb« und »Pygmäenbriefe«) die Mängel des Vorbildes lebhafter empfinden lassen als die Vorzüge desselben; in August Emil, Herzog zu Sachsen-Gotha (gest. 1822, »Kyllenion«),
Karl Julius Weber (gest. 1832, »Demokritos«) u. a. Auch die Prosalitteratur dieses Zeitraums nahm in fortwährender Wechselwirkung mit der Dichtung einen glänzenden Aufschwung.
Der stärkste und segensreichste geistige Einfluß, der außer dem Goethe-Schillerschen auf die damalige und manche folgende Generation stattfand, ging von dem größten deutschen Philosophen, Immanuel Kant (1724-1804), aus, dessen Hauptwerke: die »Kritik der reinen Vernunft« (1781),
die »Grundlegung zur Metaphysik der Sitten«, die »Kritik der praktischen Vernunft« und »Kritik der Urteilskraft«, mit ihrer unerbittlichen Kritik eine klärende und mit ihrer Betonung des sittlichen Willens, des Prinzips der Freiheit, eine mächtig erhebende Wirkung ausübten. Die philosophischen Schriftsteller K. L. Reinhold, L. H. v. Jacob, J. F. ^[Jakob Friedrich] Fries, G. E. Schulze halfen die Kantschen Ideen in weite Kreise verbreiten. Aus der Gruppe selbständiger und eigentümlicher Denker, welche zur kritischen Philosophie und zur klassischen Dichtung in Bezug treten, sind noch hervorzuheben: Wilhelm v. Humboldt (1767-1835), ästhetisch-philosophischer Schriftsteller von seltener Tiefe, und dessen jüngerer Bruder, Alexander v. Humboldt (1769-1859), der große Reisende und Naturforscher, der mit seinen in glänzender Darstellung auftretenden »Ansichten der Natur« und dem Spätlingswerk »Kosmos«, in dessen Anlage und Stil die klassische Periode gleichsam noch einmal auflebte, nicht nur der Wissenschaft, sondern auch der Nationallitteratur angehört.
Die Geschichtsdarstellung ward durch Johannes v. Müller (1752-1809) namentlich in den »Geschichten der schweizerischen Eidgenossenschaft« auf die Höhe klassischer Litteraturleistungen erhoben und behauptete sich auf derselben mit den Werken von Ludw. Tim. v. Spittler (»Geschichte des Papsttums«),
Ludw. Heeren (»Ideen über Politik, Verkehr und Handel der alten Völker«, »Geschichte der Staaten des Altertums«),
Chr. Friedr. Schlosser (»Geschichte der bilderstürmenden Kaiser«, »Geschichte des 18. Jahrhunderts«) u. a.
IX. Zeitraum.
Die Romantik und die Übergänge zur Litteratur des 19. Jahrhunderts.
Noch während der letzten Periode der schöpferischen Thätigkeit Goethes und Schillers, ehe die Ideale der klassischen Litteratur auch nur entfernt die Massen ergriffen und durchdrungen hatten, schien sich eine neue Entwickelung des deutschen Geisteslebens, speziell der Dichtung, vorzubereiten. Gleich dem »Sturm und Drang« ging die neuauftretende Romantik vom Kampf gegen die Plattheit und Nüchternheit der in Norddeutschland noch immer herrschenden Aufklärung, von der Sehnsucht nach lebendiger Poesie und poetischem Leben aus, sah in ihren ersten Regungen die Goetheschen Jugenddichtungen als die eigentlichen Muster der echten Poesie an und strebte durch Aneignung der großen Dichter des Auslandes (Shakespeare, Dante, Cervantes, Calderon etc.) den eignen poetischen Horizont zu erweitern.
Bald freilich gesellten sich neue Momente der Entwickelung hinzu. Die philosophischen Anschauungen J. G. ^[Johann Gottlieb] Fichtes (1762-1814), dessen strenger Idealismus in seiner »Wissenschaftslehre« alles, was außerhalb des geistigen Ichs liegt, als Produkt des Ichs betrachtete, und Friedrich Wilhelm Joseph v. Schellings (1775-1855),
dessen Identitätsphilosophie das Ideale und Reale in der Idee des Absoluten aufzuheben strebte, und der speziell die Kunst als
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Offenbarung des Göttlichen im menschlichen Geist betrachtete, dessen »System der Naturphilosophie«, »System des transcendentalen Idealismus« die philosophische Begründung der romantischen Doktrinen abgaben, während sein Buch über »Philosophie und Religion« die Verbindung der romantischen Litteratur mit der alten Kirche gewissermaßen anbahnte, wurden von entscheidender Bedeutung. Durften verwandte Bestrebungen, wie die ästhetischen Solgers, die »Symbolik« Creuzers, die Naturphilosophie Steffens', Schuberts u. a., vielleicht erst als Folgen der romantischen Poesie angesehen werden, so fand zwischen den bezeichneten Philosophen und den spezifisch litterarischen Begründern der Schule, denen im Beginn auch eine so eigentümlich geniale und universell gebildete Kraft wie der Theologe Fr. E. Deutsche Schleiermacher (1768-1834) zur Seite trat, eine in der Kürze schwer definierbare tausendfältige Wechselwirkung statt.
Die doktrinären Häupter der Schule wurden durch ihre kritischen Erstlingsschriften die Brüder Friedrich v. Schlegel (1772-1829) und Aug. Wilh. v. Schlegel (1767-1845), deren »Athenäum« um die Wende des Jahrhunderts das erste spezifisch romantische Organ war. Sie verkündeten, daß es »der Anfang aller Poesie sei, den Gang und die Gesetze der vernünftig denkenden Vernunft wieder aufzuheben und uns wieder in die schöne Verirrung der Phantasie, in das ursprüngliche Chaos der menschlichen Natur zu versetzen«, und stellten es als obersten Grundsatz der neuen romantischen, durch keine Theorie zu erschöpfenden, allein unendlichen wie allein freien Dichtart auf, »daß die Willkür des Dichters kein Gesetz (also auch nicht das der Natur und innern Wahrheit) über sich leide«.
Welche Willkür, welche leidige Vermischung von Poesie, Religion und mystischer Philosophie, welche phantastisch schönfärbende Begünstigung entlegener Lebenserscheinungen (Ritter-, Heiligen- und Legendenpoesie), welche Exzentritäten und Monstrositäten durch diese Anschauungen veranlaßt wurden, ist in der Regel mehr hervorgehoben, als das wirklich bedeutsame Verdienst der Romantik um die Erkenntnis und Geschichte der eignen Vergangenheit, des deutschen Volkslebens wie um Erschließung großer geistiger Gebiete anerkannt worden.
Die Brüder Schlegel, selbst mehr kritische als produktive Naturen, die dichterischen Versuche beider, lyrische Gedichte und Romanzen, Fr. Schlegels lüstern-prätentioser Roman »Lucinde« und sein Drama »Alarkos«, A. W. Schlegels Drama »Ion«, hatten wesentlich nur formelle Verdienste; eine wahrhafte Bereicherung und Befruchtung der deutschen Litteratur gab A. W. Schlegel mit seiner unübertrefflichen Übertragung der Shakespeareschen Dramen. Tieferes poetisches Talent erwiesen einige andre Genossen der romantischen Schule, so vor allen der früh verstorbene Friedrich v. Hardenberg (»Novalis« genannt, 1772-1801),
der in seinen gemütstiefen Liedern und dem bedeutsamen Romanfragment »Heinrich von Ofterdingen« gleichsam die Inkarnation der romantischen Sehnsucht nach einer nicht sowohl Verklärung als vielmehr Auflösung des gesamten Lebens in Poesie darstellte. Zu längster Wirksamkeit gelangte Ludwig Tieck (1773-1853), der mit überlebendiger Phantasie und einem kühn improvisatorischen Talent mannigfache Eigentümlichkeiten einer nüchtern-verständigen, ja zersetzenden Verstandesanlage zeigte, dessen romantische Dramen, Märchen, Erzählungen wie seine spätern künstlerisch reinen und abgewogenen Novellen daher nicht nur die denkbarste Mannigfaltigkeit poetischer Gestalten und Situationen, sondern auch die größten Ungleichheiten, ja Zwiespältigkeiten des Wertes und Eindrucks aufweisen.
Einheitlicher und mächtiger stellte sich das große Talent des Dramatikers und Erzählers Heinrich v. Kleist (1777-1811) dar, der zwar in Äußerlichkeiten und einzelnen Gefühlsmomenten von der übersteigerten Phantastik der romantischen Schule angekränkelt erscheint, aber im Kern eine schlichte, warme, gestaltungskräftige Dichternatur, die bedeutendste der Romantik blieb, dessen beste Dramen (»Der zerbrochene Krug«, »Penthesilea«, »Käthchen von Heilbronn«, »Die Hermannsschlacht«, »Der Prinz von Homburg«) und Erzählungen die Behauptung von der nur vorübergehenden Bedeutung der ganzen Bewegung entscheidend widerlegen.
Launenhafter und willkürlicher war Achim v. Arnim (1781-1831),
dessen beste Novellen und der historische Roman »Die Kronenwächter« die Wirrnis und Unerquicklichkeit andrer seiner Produkte wett machen. Arnims Schwager Klemens Brentano (1778-1842) hingegen repräsentiert nicht nur in der wilden Genialität seiner lyrischen und lyrisch-epischen Gedichte (»Romanzen vom Rosenkranz«),
seiner phantastisch-humoristischen Erzählungen und formlosen Dramen, sondern auch in seinen katholisierenden Tendenzen die äußersten Konsequenzen der ganzen Romantik. Auch der Dramatiker Zacharias Werner (1768-1823), der zwischen Schiller und der neuen Schule stehen wollte, seine dramatische Kraft in halben Zerrbildern ausgab (»Kreuz an der Ostsee«, »Die Weihe der Kraft«, »Attila«, »Wanda«, »Der 24. Februar") und der Begründer der sogen. Schicksalstragik ward, suchte im Schoß der alten Kirche Frieden und Zuflucht vor der eignen Phantastik. Zu den romantischen Talenten zweiten Ranges gehörten Friedr. de la Motte Fouqué (1777-1843), der in Epen, Romanen und Novellen die mittelalterliche Ritterwelt zu einem Scheinleben erweckte («Der Zauberring«, »Undine« etc.); E. T. A. Hoffmann (1776-1822), der die romantische Neigung für die unheimlichsten Regionen der Phantasie und für Gespensterspuk in einer Reihe zum Teil vorzüglich erzählter Novellen voll befriedigte; Adalbert v. Chamisso (1781-1838), dessen Märchen »Peter Schlemihl« zu den besten kleinen Schöpfungen der romantischen Periode zählt, während die lyrischen Gedichte und poetischen Erzählungen Chamissos schon zum Teil einen andern, modernen Geist atmen.
Die »Nachromantiker«, Dichter, welche zumeist erst nach den Befreiungskriegen vor die Nation traten, zeichneten sich im allgemeinen dadurch aus, daß sie sich von den Extremen und Einseitigkeiten der ersten Romantikergeneration größtenteils frei hielten. Die kirchlich-katholische Tendenz vertrat unter ihnen nur Joseph v. Eichendorff (1788-1857), dessen lyrisches und novellistisches Talent daneben doch die erfreulichsten Blüten (»Gedichte«, das prächtige Phantasiestück »Aus dem Leben eines Taugenichts«) trieb.
Schwächlicher war der Epiker Ernst Schulze (1789-1817),
dessen romantische Dichtungen (»Cäcilie« und »Die bezauberte Rose«) eine wahre Flut von Gedichten in Oktaven im Gefolge hatten. Als ein Talent ersten Ranges, der volkstümlichste und gesündeste aller Romantiker, in seiner durchsichtigen Klarheit den Klassikern, in der Kraft seiner vaterländischen Empfindung den Sängern des Freiheitskriegs verwandt, wirkte Ludwig Uhland (1787-1862), dessen lyrische Dichtungen und Balladen (nicht so seine Dramen: »Ernst von Schwaben« und »Ludwig der Bayer«) tief in
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alle Schichten des Volkes drangen und die Muster für die lyrische und lyrisch-epische Poesie der »schwäbischen Dichterschule« abgaben. Zu der Gruppe mehr oder minder verdienstlicher württembergischer Poeten gehörten der mystisch-originelle Justinus Kerner (gest. 1862),
ferner Gustav Schwab (gest. 1850),
W. Waiblinger (gest. 1830),
Karl Mayer (gest. 1870), Albert Knapp (gest. 1864), Eduard Mörike (gest. 1875, »Gedichte«, der Roman »Maler Nolten«),
der frische und liebenswürdige Erzähler Wilhelm Hauff (gest. 1827, »Lichtenstein«, »Märchen«, »Phantasien im Bremer Ratskeller«). Eine minder erfreuliche Gruppe von dramatischen Dichtern, die »Schicksalstragöden«, folgte den Spuren Zacharias Werners, so A. Müllner (gest. 1829, »Die Schuld«, »König Yngurd«, »Die Albaneserin«),
Ernst v. Houwald (gest. 1845, »Das Bild«, »Der Leuchtturm«) u. a.
Übrigens gelang es den Romantikern nicht, die deutsche Litteratur dauernd oder ausschließlich zu beherrschen. Schon von den Dichtern der Befreiungskriege 1813-15 gehörte trotz der unzweifelhaft vaterländischen Gesinnung aller Romantiker und ihrer Verdienste um die Stärkung des vaterländischen Gefühls in der Zeit der Fremdherrschaft im Grund nur Max v. Schenkendorf (1783-1817) der eigentlichen Romantik an. Von den wirksamern Sängern der großen Erhebung stammte E. M. Arndt (1769-1860) aus einer ältern Poetengeneration; Theodor Körner (1791-1813), dessen »Leier und Schwert« der poetische Ausdruck des Idealismus der Erhebung wurde, war in diesen Dichtungen wie in seinen Dramen (»Zriny«, »Rosamunde«) ein Schüler Schillers.
Auch in der Dichtung der Restaurationsepoche, so sehr dieselbe gewisse Richtungen und Tendenzen der Romantik begünstigte, machten sich die Nachwirkungen der klassischen Epoche und ihrer Humanitätsideale wieder entschiedener und stärker geltend. Zahlreiche Talente nahmen zwar die lebensvollen und vollberechtigten Elemente, welche die Romantik der deutschen Litteratur gebracht, mit in sich auf; aber ihr eigentlicher Lebensgehalt und ihre Kunstrichtung wurden nicht von der romantischen Doktrin bestimmt.
Franz Grillparzer (1791-1872), der mit dem Trauerspiel »Die Ahnfrau« als Schicksalstragöde begann, erhob sich in seinen spätern dramatischen Dichtungen (»Sappho«, »Medea«, »König Ottokar«, »Des Meeres und der Liebe Wellen«, »Kaiser Rudolf II.«) in reinere und freiere Regionen. Friedrich Rückert (1789-1866),
in seiner gesunden Klarheit eine Goethe verwandte Lyrikernatur, bewährte sich in überzahlreichen lyrischen (»Geharnischte Sonette«, »Liebesfrühling«, »Ghaselen« etc.) u. didaktischen Dichtungen (»Weisheit des Brahmanen«) und Nachdichtungen orientalischer Muster als ein Sprachvirtuose ersten Ranges. Als Lyriker und Balladendichter zeichneten sich Wilhelm Müller (1794-1827, »Griechenlieder«),
J. Chr. ^[Joseph Christian] v. Zedlitz (1790-1862, »Totenkränze«, »Waldfräulein«, auch Dramen),
Egon Ebert (1801-83),
H. Stieglitz (1803-49),
als didaktischer Poet und Novellist Leopold Schefer (1784-1862, »Laienbrevier«) aus. Den Bedürfnissen des großen Publikums näher standen die Dramatiker einer gewissen eklektisch-rhetorischen Richtung, der überfruchtbare Ernst Raupach (gest. 1852, Hohenstaufendramen),
die deklamatorischen Tragöden E. v. Schenk (gest. 1841, »Belisar«, »Albrecht Dürer«),
Michael Beer (gest. 1833, »Paria«, »Struensee«),
Joseph v. Auffenberg (gest. 1857),
ferner Fr. v. Üchtritz (gest. 1875),
Ludw. Deinhardstein (gest. 1859, Künstlerdramen),
Ferd. Raimund (gest. 1836, Zauberspiele: »Der Verschwender« etc.). Novellistik und Romanlitteratur begannen in der leseseligen, stillen Friedenszeit zwischen 1815 und 1830 schon gewaltig ins Kraut zu schießen. Die federfertige Belletristik trug bereits so viele Siege über die anspruchsvollere und innerlich gehaltvollere Dichtung davon, daß ein hervorragendes Dichtertalent wie August Graf von Platen (1796-1835) am Ausgang dieser Zeit in der strengen Betonung einer gewissen Kunstwürde und in der Forderung formeller, sprachlicher Vollendung berechtigtes Pathos entwickeln und mit seinen formschönen Gedichten und Märchen (»Die Abbassiden«, Märchenepos; »Die verhängnisvolle Gabel« und »Der romantische Ödipus«, dramatische Satiren) der neuern Litteratur einen Pfad zeigen konnte.
Von der Romantik zur modernen Poesie rang sich gleichfalls das kraftvolle, aber spröde und schwerflüssige Talent Karl Immermanns (1796 bis 1840) hindurch, dessen beste Dichtungen (»Tulifäntchen«, »Alexis«, »Merlin«, die Romane: »Die Epigonen« und »Münchhausen«) für die positive Entwickelung der deutschen Poesie wichtig wurden. Als letzten Romantiker und ganz moderne Natur feierte sich selbst Heinrich Heine (1799-1857), dessen träumerische, weich lyrische Anlage seltsam mit einem ätzend satirischen und spöttisch-frivolen Grundzug seines Wesen kontrastierte, so daß sich bei ihm der Bruch mit der Romantik in der Form ironischer und höhnischer Negation beinahe aller idealen Regungen vollzog. Heines satirische Geißel traf darum fast gleichmäßig Edelsinn wie Gemeinheit, ernste wie leere und verächtliche Bestrebungen. Die unvergänglichen Lieder und Romanzen des Dichters wirkten minder nachhaltig als seine journalistische Thätigkeit, deren verhängnisvolle Konsequenzen sich in der jungdeutschen Periode wie bis auf die Gegenwart geltend machen sollten.
Während der Zeit der Romantik und der Übergänge zur modernen Dichtung war auch die Zahl der hervorragenden Prosaiker nicht klein. Unter vielen, von denen ein und das andre Werk der Nationallitteratur bleibend angehört, sind hier in erster Linie die unvergleichlichen Gebrüder Jakob und Wilhelm Grimm zu nennen, die neben, ja in und mit ihren spezifisch gelehrten Leistungen dem deutschen Volk die volle Poesie seiner Sagen und seiner Märchen (»Kinder- und Hausmärchen«, »Deutsche Sagen« zum Bewußtsein zu bringen wußten. In der Geschichtschreibung zeichneten sich Fr. v. Raumer (»Geschichte der Hohenstaufen«),
Heinrich Leo durch Stilvollendung aus; als der eigentliche Meister erschien Leopold v. Ranke (geb. 1795), der feinsinnigste, bedeutendste und nach reinster Vollendung der Form strebende Historiker zweier Menschenalter. Auch Jak. Ph. Fallmerayer, der orientalische Fragmentist (gest. 1860), Karl Ritter, der Begründer der wissenschaftlichen Geographie (gest. 1859), und der vielseitig gebildete biographische und Memoirenschriftsteller K. A. Varnhagen von Ense (gest. 1858) sind hier anzureihen.
X. Zeitraum.
Die jungdeutsche und politische Gärungsperiode.
Die völlige Zersetzung der Romantik und die inzwischen eingetretene Umbildung aller Lebensverhältnisse, dazu die Reihe der politischen Umwälzungen und liberalen Bestrebungen, welche mit der französischen Julirevolution von 1830 begannen, riefen eine neue Gärungsperiode in der deutschen Litteratur hervor, welche man gewöhnlich unter dem Namen der »jungdeutschen Bewegung« bezeichnet, die aber tiefere