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dieser Zeit geltend machte, schloß eine freudige, kräftige, selbst verwegene Weltlichkeit nicht aus, ja durchdrang sich in wundersamster Weise mit derselben; aus heimischem Leben und Fremde, aus Lektüre und Anschauung strömte den Dichtern eine Fülle der Stoffe wie der Empfindungen zu. Die niemals erstorbene und von den wandernden Spielleuten weiter getragene Volksdichtung erwacht gleichzeitig mit der ritterlichen Poesie zu neuem Leben, zieht höher strebende poetische Kräfte zur Neugestaltung ihrer alten großen Stoffe an, und das Mittel der Schrift wird für einzelne ihrer Bildungen in umfassenderer Weise in Anspruch genommen. Die ganze volle Entfaltung all dieses poetischen Lebens fand erst in der folgenden Periode unter den hohenstaufischen Kaisern statt, aber immerhin darf die Zeit von der Mitte des 11. bis gegen das Ende des 12. Jahrh. schon eine litterarisch reiche genannt werden.
Mit dem »Annolied«, zu Ehren des 1075 verstorbenen heil. Anno, Erzbischofs von Köln, [* 2] gedichtet, mit der poetischen »Kaiserchronik« (bis 1147 reichend),
die ältere Dichtungen in sich aufgenommen hat, mit dem »Lied von Alexander« des niederrheinischen Pfaffen Lamprecht, dem aus einem französischen Gedicht übersetzten »Rolandslied« des Pfaffen Konrad, die sämtlich der ersten Hälfte des 12. Jahrh. angehören, betreten wir das große Gebiet der epischen Dichtung, deren Stoffmischung sich schon hier offenbart. Gedichte von »König Rother«, »Orendel«, »St. Oswald«, die Sage von »Pilatus«, die »Legende der heil. Veronika« von Wernher vom Niederrhein weisen zum Teil auf die weltliche Spielmannsdichtung hin.
Wie die alten Stoffe weiter bearbeitet wurden, geht aus »Reinhart Fuchs« [* 3] von Heinrich dem Gleißner (Glichesäre), einem Elsässer, der nach französischem Vorbild dichtete, hervor. Vertreter der eigentlichen Kunstlyrik und der Anfänge des nachmals so ausgebreiteten Minnesanges treten gleichfalls in der ersten Hälfte und um die Mitte des 12. Jahrh. auf: so der Österreicher von Kürenberg (zwischen 1120-40), der sich der Nibelungenstrophe bedient, und dem darum einzelne Forscher die Dichtung des Nibelungenliedes selbst zuschreiben wollen;
so sein Landsmann Dietmar von Aiste, der Schwabe Meinloh von Sevelingen, der Burggraf von Regensburg [* 4] und Friedrich von Hausen, der als Kreuzfahrer 1190 im Heiligen Land blieb.
Mit dem letztern begann die Herübernahme der Weisen romanischer Lyrik in die deutsche Dichtung; rasch entfaltete sich eine große Abwechselung der Formen und der Liederarten. Die »Taglieder«, »Klagelieder«, »Leiche«, »Tanzlieder«, »Lob- und Rügelieder«, »Kreuzlieder« in der weltlichen Lyrik, die »Marienlieder« in der geistlichen begannen von allen Seiten zu erklingen.
III. Zeitraum.
Die Blütezeit der mittelhochdeutschen Dichtung. Zeit der Hohenstaufen (Staufer).
Die höchste Blüte [* 5] der mittelhochdeutschen Dichtung, vom Ende des 12. Jahrh. an, fiel mit der ruhmreichen Herrschaft der Kaiser aus dem staufischen Haus zusammen. Selbstgefühl, Thatkraft und Wohlstand aller Stände des deutschen Volkes waren mächtig gehoben, die gewaltigen Herrschergestalten Friedrichs I. (Rotbart), Heinrichs VI. und Friedrichs II., die fortwirkenden Eindrücke großen Weltverkehrs [* 6] und siegreicher Kämpfe, gesteigerter und freudiger Lebensgenuß, namentlich an den Höfen und in den Kreisen des ritterlichen Adels, gaben der Periode den Charakter einer Glanzzeit.
Die poetische Litteratur in allen Formen der erzählenden Dichtung, der Lyrik und Lehrdichtung, spärlich nur in dramatischen Gebilden, erlangt eine beinahe überwältigende Fülle und erstaunliche Breite. [* 7] Ihre Hauptrepräsentanten waren jetzt nicht mehr Geistliche, sondern Männer ritterlichen Standes. Nahmen an der Minnedichtung Fürsten und Herren, selbst die staufischen Kaiser und Könige Anteil, so machten doch vorwiegend Glieder [* 8] des niedern Adels, denen sich vereinzelt bürgerliche Meister anschlossen, die Dichtung zum Lebensberuf und suchten durch unablässiges Anrufen der »Milde« hochgepriesener Gönner Unterhalt und gelegentlichen Überfluß zu gewinnen.
Daß neben diesen ritterlichen Sängern die fahrenden Spielleute nicht verschwanden, braucht kaum hervorgehoben zu werden. Soweit Namen und Gestalten erkennbar sind, bevorzugten die ritterlich-höfischen Dichter die neuen weltlichen welschen Stoffe, die ihnen meist aus französischen Quellen zuflossen; indes bleibt es Thatsache, daß die endgültigen Gestaltungen der großen, auf rein deutschen Überlieferungen beruhenden Nationalepen, das »Nibelungenlied« und »Gudrunlied«, in die Blütezeit der ritterlichen Dichtung fallen und in Südostdeutschland der Entfaltung der ritterlichen Epik auf Grund fremder Sagen und Erfindungen zur Seite standen, vielleicht vorangingen.
Auf alle Fälle sind die Volksepen, voran »Der Nibelungen Not«, die großartigsten Denkmäler dieser Blütezeit deutscher Poesie. Das »Nibelungenlied« vereinigt die hervorragendsten Gestalten des niederrheinischen und burgundischen mit einzelnen des gotischen Sagenkreises; es sucht an erzählender und charakterisierender Kraft, [* 9] an innerm Reichtum und gewaltiger hochdramatischer Steigerung, namentlich in der zweiten Hälfte, seinesgleichen. Wieviel auch in einzelnen Liedern und Abenteuern vorhanden gewesen sein mag, an der nun niedergeschriebenen Gestaltung, die in den Anfang dieser Periode hinaufreicht, muß eine mächtige dichterische Begabung entscheidenden Anteil gehabt haben. In mindern, aber noch immer hohem Grad begegnen uns die eindringlichen Vorzüge der volkstümlichen Epik im »Gudrunlied«, welches friesisch-normännische Sagen mit dem Hintergrund der See- und Raubzüge und der Kämpfe altgermanischer Seekönige gestaltet und namentlich im unübertrefflich schönen, seelisch tiefen letzten Teil auf einen großen Dichter zurückweist.
Ferner im Zeitalter der ritterlichen Dichtung entstandene und wahrscheinlich ritterlichen Sängern angehörige Gestaltungen alter Sagenstoffe waren: »Die Rabenschlacht« und »Dietrichs Flucht« (beide von einem Heinrich dem Vogler),
»Alphart«, »Walther und Hildegunde« (von einem steirischen Dichter, nur bruchstückweise erhalten),
»Ortnit«, »Wolfdietrich«, »Der große Rosengarten«, »Biterolf«, »Laurin«, »Der kleine Rosengarten«, »Der Nibelungen Klage«, »Das Eckenlied«, »Dietrichs Drachenkämpfe«, »Goldemar« (von einem Tiroler Ritter, Albrecht von Kemenaten), von denen denn freilich ein Teil nur in spätern Überarbeitungen und Handschriften erhalten blieb.
Die ritterlich-höfische Epik im engern Sinn, mit Trägern, von deren Leben und Schicksalen wir meist einige Nachrichten besitzen, Dichtern, denen mehrere Werke angehören, und die beinahe alle auch in den Reihen der Lyriker (Minnesänger) stehen, hatte einen raschen Aufschwung, eine glänzende Entfaltung und verhältnismäßig raschen Verfall. Ihr erster namhafter Vertreter war Heinrich von Veldeke (zwischen 1175-90), aus dem Limburgischen, ein Edelmann vom Niederrhein, der auch sprachlich insofern Bedeutung hat, als er den Übergang vom »Mitteldeutschen« ¶
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zum eigentlichen Mittelhochdeutschen vertritt. Er schrieb außer einem legendarischen »Servatius« und Minneliedern seine »Eneide« (nach französischem Vorbild),
deren Anlage und Ausführung auf die nachfolgende ritterliche Dichtung stark einwirkte. Gleichzeitig und wenig später entstanden der »Eraclius« des Meisters Otto, der »Karlmeinet« eines ungenannten Dichters, das »Lied von Troja« [* 11] (Trojanerkrieg) des Herbart von Fritzlar. Höher in Weltauffassung und Kunst erhoben sich die großen Epiker der ersten Jahrzehnte des 13. Jahrh.: Hartmann von Aue, der in den Gedichten: »Der arme Heinrich«, »Erec«, »Gregorius vom Stein«, »Iwein« die verschiedensten Stoffe behandelt;
Gottfried von Straßburg, dessen viel angefochtener »Tristan« durch glutvolle Leidenschaft und höchste Formvorzüge wie kein andres Gedicht der Zeit ausgezeichnet ist;
Wolfram von Eschenbach, der tiefsinnigste, innigste, sprachgewaltigste und phantasiereichste ritterliche Dichter des deutschen Mittelalters, welcher im »Parzival« die über Frankreich nach Deutschland [* 12] gelangte keltische Sage in wunderbarer und eigenartiger Richtung neu gestaltete, im Gedicht »Willehalm« einen Stoff des karolingischen Sagenkreises bearbeitete, im unvollendeten »Schionatulander« aber auf seine frühere Stoffwelt zurückgriff.
Der Blütezeit gehören an Dichtungen von tieferm Gehalt und durchgebildeter Kunst noch an: »Flore und Blanscheflur« des Konrad Flecke, »Wigalois« des Wirnt von Gravenberg, »Lancelot« des Ulrich von Zatzikhoven. Gottfried von Straßburg fand später Fortsetzer in Ulrich von Türheim und Heinrich von Freiberg, Wolfram von Eschenbach gleichfalls in dem Türheimer, in Ulrich von dem Türlin, Albrecht von Scharffenberg und den unbekannten Dichtern des »Wartburgkriegs« und des »Lohengrin«.
Auch die Zeit zwischen 1220-60, obschon den ritterlichen Dichtern bereits minder günstig, brachte noch hervorragende Leistungen. Der Stricker dichtete außer den größern Epen »Daniel von Blumenthal« und »Karl« einzelne Fabeln und die im »Amis« vereinten Schwänke; Rudolf von Ems bewährte sich als fruchtbarer und glücklicher poetischer Erzähler im »Guten Gerhard«, »Baarlam und Josaphat«, »Wilhelm von Orlienz«, im »Alexander« und der unvollendeten »Weltchronik«; der »Pleier«, aus einem steirischen Geschlecht, vollendete nicht weniger als drei Epen aus dem Artuskreis: »Garel vom blühenden Thal«, [* 13] »Tandarois und Flordibel«, »Meleranz von Frankreich«. Am höchsten unter allen erzählenden Gedichten der Nachblüte steht wohl der vortreffliche »Meier Helmbrecht« von Wernher dem Gartener, einem bayrischen Geistlichen zwischen 1234 und 1250. Selbst rein geistliche Stoffe wurden im Stil des höfischen Epos behandelt, so: »Die Kindheit Jesu« von Konrad von Fußesbrunn und die »Himmelfahrt Maria« von Konrad von Heimesfurt.
Gegen den Schluß des Jahrhunderts, unter ungünstigen Zeitumständen und bei rasch eintretender Kunstverwilderung, erhob sich noch ein fruchtbarer, phantasievoller Dichter bürgerlichen Ursprungs, Meister Konrad von Würzburg, der in lyrischen Gedichten und einer besondern »Klage der Kunst« freilich schon andeutet, daß guter Gesang jetzt bei Hof [* 14] minder gefällt als schmähliche Worte, aber mit einer ganzen Reihe von erzählenden Gedichten: »Alexius«, »Silvester«, »Die goldene Schmiede«, »Engelhart und Engeltrud«, »Kaiser Otte«, »Das Herze«, »Partonopier und Meliur«, und dem ungeheuerlich großen Gedicht »Der Trojanische Krieg« die spröden Zeitgenossen zu gewinnen trachtete.
Neben der Epik blühte eine reiche ritterliche Lyrik. Außer Heinrich von Veldeke, Hartmann von Aue und Gottfried finden wir Heinrich von Morungen, Reinmar von Hagenau [* 15] (Reinmar der Alte), Ulrich von Singenberg, Christian von Hameln, [* 16] Leutold von Säben, Gottfried von Neifen, Burkard von Hohenfels, Ulrich von Lichtenstein (dessen »Frauendienst« zugleich ein lebendig anschauliches Bild des ungesund gewordenen Minnewerbens und Minnedienstes gewährt), Hildbold von Schwangau, Ulrich von Winterstetten, Reinmar von Zweter, alle überwiegend der weltlichen Minne huldigend, gelegentlich auch (namentlich in Marienliedern) ihrer religiösen Empfindung Ausdruck gebend oder zur politischen Lyrik hinüberneigend.
Der größte lyrische Dichter der Periode, Walther von der Vogelweide (gest. 1230 bei Würzburg), [* 17] wahrscheinlich ein Tiroler oder Franke, der in Österreich [* 18] am kunstsinnigen Hof der Babenberger »singen und sagen gelernt« und am Hof Landgraf Hermanns von Thüringen gesungen, beherrscht das ganze Gebiet des Liedes. Seine Lieder lassen sich zwischen 1198 und 1228 fixieren. Ihm gelang es, in den künstlichsten Strophen der ritterlichen Lyrik die volle Frische des volkstümlichen Liedes zu erhalten; er ist »der vielseitigste, tiefste, männlichste lyrische Dichter Deutschlands«. [* 19] Unter seinen Zeitgenossen und Nachfolgern bilden Nithart von Reuenthal, der Tannhäuser, Steinmar, Konrad von Kirchberg u. a. durch die Anlehnung an die volksmäßigen (dörfischen) Reigen eine besondere Gruppe innerhalb der ritterlichen Lyrik.
Auch die didaktischen Gedichte des Zeitraums stellen höfische Sitten und Tugenden (Hofzucht) in den Vordergrund, so: »Der Winsbeke« und (minder wertvoll) »Die Winsbekin«;
»Der welsche Gast« des Thomasin von Zerclaere;
Freidanks »Bescheidenheit«, des Tannhäusers »Hofzucht« und »Der Renner« des Hugo von Trimberg, der am Ausgang dieser Zeit (zwischen 1260 und 1309) entstand und einen allgemeinern Ton der Sittenpredigt anschlägt.
IV. Zeitraum.
Der Verfall der ritterlichen Dichtung und der Übergang zur bürgerlich-lehrhaften Poesie.
Am Ausgang des 13. Jahrh. war es entschieden, daß die ritterliche Dichtung keine Zukunft habe; der höfische Adel hatte aufgehört, Träger [* 20] der besten Bildung der Zeit zu sein. Die edlen Sänger wurden wieder abgelöst von fahrenden Leuten bürgerlichen Ursprungs, welche freilich noch eine Zeitlang mit den Mitteln zu wirken suchten, durch welche die großen erzählenden Dichter und Lyriker der vergangenen Periode gewonnen hatten. Allegorie und übel angebrachte Gelehrsamkeit verdrängen das wirkliche Leben aus den epischen Dichtungen.
So in der »Martina« des Deutschordensritters Hugo von Langenstein (um 1293 gedichtet),
so im »Alexander« des Ulrich von Eschenbach (zwischen 1270-84),
so im »Apollonius von Tyrland« des Wiener Arztes Heinrich von der Neuenstadt (um 1300),
so in der »Deutschordenschronik« des Nikolaus von Jeroschin (um 1350). Einfacher blieben die großen Dichtungen geistlichen Stoffs und Gepräges, die jetzt in dem mannigfach heimgesuchten Deutschland wieder größern Beifall gefunden zu haben scheinen. Die große Legendensammlung eines ungenannten Dichters: »Das große Passional« (100,000 Verse),
die legendarische »Geschichte der heil. Elisabeth«, die »Marienleben« von Bruder Philipp dem Kartäuser und Walther von Rheinau gehören hierher. Das rein allegorische Gedicht, welches im Anfang der Verfallzeit noch mit einer gewissen ¶