vermag keiner den andern zu überweisen, weil jedem das logische
Denken des andern für unlogisch gilt. Von diesen dagegen
ist anzunehmen, da sie dieselben Beweisgesetze anerkennen, daß der Vorzug einer gewissen
Denkungsart vor allen übrigen dereinst
für sie sämtlich einleuchtend gemacht werden kann. Die Verschiedenheit der Denkarten erstreckt ihren Einfluß
über das ganze, jene der
Denkungsarten dagegen nur über ein besonderes Gedankengebiet; erstere hat in ihrem
Gefolge entgegengesetzte
Weltanschauungen, diese dagegen nur entgegengesetzte Auffassungen auf begrenztem, z. B. politischem,
religiösem, moralischem oder ästhetischem, Gebiet.
Der
Grund der Verschiedenheit der letztern liegt ausschließlich in der Verschiedenheit des
Stoffes, welcher dem
Denker zur
Verarbeitung geboten, der
Grund der Verschiedenheit jener (z. B. des
Platonischen und des
Aristotelischen Lehrgebäudes) überdies
in der Verschiedenheit der
Denkgesetze, nach welchen derselbe verarbeitet wird. Die Verschiedenheit des
Stoffes aber hat ihren
Ursprung in der Verschiedenheit dessen, was dem Einzelnen oder einer Mehrheit von solchen (einem
Stand,
Volk, einer kirchlichen
oder politischen
Partei, einer nach
Thatsachen der
Erfahrung in
Natur und Geschichte oder nach einem Wertmesser menschlicher
Handlungen und Kunstschöpfungen forschenden
Schule) als positive
Thatsache (theoretische) oder als ausgemachter Wert (praktische
Denkungsart, mit
Recht oder Unrecht) gilt. Zu dem Mangel an Übereinstimmung über dasjenige, was als
Thatsache gelten darf,
tragen Umstände des
Ortes und der Zeit, welche die eigne
Beobachtung entweder erschweren, oder gänzlich
unmöglich machen, die Zeugnisse fremder
Wahrnehmung aber verdächtig erscheinen lassen, u. dgl.
bei.
Der Mangel an Übereinstimmung über dasjenige, was als (sittlich) gut im
Wollen, als (ästhetisch) schön im
Schaffen angesehen
werden solle, wird gleichfalls durch äußere Umstände, durch die (nach
Stand, Land,
Zeitalter) abweichende
Erziehung,
Unterricht,
Umgang,
Beispiel u. dgl., verursacht. In Bezug auf
das, was als
Thatsache oder als ausgemachter Wert von jedermann anerkannt werden müsse, läßt sich eine gläubige (leicht)
und eine skeptische (schwer zu befriedigende), in Bezug auf den
Kreis
[* 2] derjenigen, innerhalb deren Übereinstimmung
der
Denkungsart herrscht, eine vereinzelte, eine partikuläre (d. h. einem
Stand,
Volk,
Zeitalter, einer bestimmten politischen
oder kirchlichen
Partei, einer wissenschaftlichen
Schule oder allgemeinen Bildungsstufe eigne) und eine universale (d. h. für
jedermann, zu jeder Zeit und an jedem
Ort gültige)
Denkungsart unterscheiden.
Der
Träger
[* 3] der ersten erscheint alsSonderling, jener der zweiten als
Repräsentant jener Mehrheit (jenes
Standes,
Volkes, jener
Partei etc.), deren
Denkungsart er zu der seinen gemacht hat, jener der dritten als
Stimme der unpersönlichen
(theoretischen oder praktischen) Vernunftidee.
Alle drei können als theoretische
Denkungsart in der Form sowohl des geschulten
(als Gedankensystem) wie des ungeschultenDenkens (als
Volks- und Spruchweisheit), als praktische in der
Form sowohl des von der Einsicht beherrschten bewußten (als
Charakter) wie des unbewußten
Wollens (als
Naturell) auftreten.
Die
Denkungsart eines
Standes,
Volkes,
Zeitalters etc. macht dasjenige aus, was man den
Standes-,
Volks-,
Zeitgeist etc. nennt.
im allgemeinen (formalen)
Sinn jedes Vorstellen, das im
Gegensatz zum Einzelvorstellen (Empfinden
und Anschauen) Mannigfaltiges in
Eins zusammenfaßt; im
engern (materialen)
Sinn aber jedes Vorstellen, das mit dem Anspruch
auf Geltung auftritt, ohne sich zur
Rechtfertigung desselben auf die unmittelbare
Anschauung des Gedachten, sei es durch den
äußern oder einen innern
Sinn, zu stützen. In jenem
Sinn legt man auch dem
Kind und
Narren ein Denken bei;
in diesem wird gesagt, daß der Empiriker, der sich auf das
Zeugnis des äußern, wie der
Mystiker auf jenes eines (angeblichen)
innern
Sinnes beruft, nicht denke, sondern anschaue.
Das Denken ist keine ursprüngliche (wie das Empfinden und Anschauen durch den äußern oder einen
innern
Sinn), sondern eine abgeleitete Thätigkeit und setzt ein entweder (sensualistisch) durch den äußern oder (intuitiv)
durch einen innern
Sinn dargebotenes
Material, die unverbundenen Einzelvorstellungen
(Empfindungen und
Anschauungen), voraus.
Mit Rücksicht auf diese, welche gleichsam die
Bausteine darstellen, aus welchen das Denken seinen
Bau aufführt,
kann es auch als die höhere Thätigkeit angesehen werden.
Die Zusammenfassung selbst zeigt verschiedene Form, je nachdem das Zusammengefaßte verschieden ist. Besteht das letztere
aus Einzelvorstellungen
(Empfindungen und
Anschauungen), so heißt das Zusammenfassen derselben Begreifen, die Zusammenfassung
selbst
Begriff; sind die in
Eins zusammenzufassenden
Vorstellungen dagegen selbst schon
Begriffe, so heißt
deren Zusammenfassen, wenn es unmittelbar, d. h. ohne
Hilfe von Zwischenbegriffen, erfolgt,
Urteilen, die Zusammenfassung selbst
ein
Urteil, wenn es mittelbar erfolgt, d. h. durch Zwischenbegriffe, Schließen und die Zusammenfassung
selbst ein
Schluß.
Begreifen,
Urteilen und Schließen sind die
Formen, in welchen jedes Denken sich vollzieht, und die daher Denkformen
heißen. In Bezug auf die Art, wie die Zusammenfassung vor sich geht, läßt sich willkürliches und notwendiges (besser
gesagt: willenloses) Denken unterscheiden. Ersteres, bei welchem die Verknüpfung des Mannigfaltigen weder infolge
äußern
Zwanges noch innerer
Nötigung, sondern nach der gesetzlosen
Laune des Verknüpfenden erfolgt, wird gewöhnlich nicht
Denken, sondern Dichten genannt, hat aber doch mit jenem die Denkformen gemein.
Dasselbe bringt seiner phantastischen, weder durch den
Gang
[* 4] der
Natur noch den
Zwang des Denkinhalts geregelten
Freiheit gemäß
eine durchaus willkürliche, märchenhafte Gedankenwelt hervor, in welcher das dem
Ort und der Zeit nach Entlegenste aneinander
gerückt, das dem
Sinne nach Unverträglichste zusammen gedacht wird, und die sowohl mit der
Erfahrung
als mit der
Vernunft im
Widerspruch stehen kann. Das notwendige (willenlose) aber ist entweder ein durch die
Gewalt derNaturgesetze
des (psychischen) Vorstellens auf- oder durch die Macht der Normalgesetze des (logischen) Denkens abgenötigtes.
Ersteres bewirkt, daß gleichzeitig oder nacheinander Gegebenes (es sei seinem
Inhalt nach verträglich
oder nicht) zusammen gedacht werden muß; letzteres befiehlt, daß seinem
Inhalt nach Unverträgliches (auch wenn es gegeben
ist) nicht zusammen gedacht werden darf. Jenes wird empirisches, dieses logisches Denken, letzteres auch wohl im strengen
Sinn des
Wortes allein wirkliches Denken genannt. Die Eigentümlichkeit des erstern besteht darin,
daß die Zusammenfassung des gleichzeitig oder nacheinander Gegebenen in
Eins (der empirische
Begriff) zwar unvermeidlich,
aber, wenn die zusammengefaßten Merkmale einen
Widerspruch einschließen, vom logischen Standpunkt aus doch unerlaubt sein
kann.
Tritt dieser
Fall ein (wie es bei gewissen Erfahrungsbegriffen, z. B. dem
Begriff desDinges mit
¶
mehr
mehreren Merkmalen, der Materie, der Veränderung u. a., wirklich geschieht), so hat das empirische Denken, wenn
es nicht unlogisch (antilogisch) sein will, sich einer Bearbeitung nach den Normalgesetzen des Denkens (d. h.
nach den Denkgesetzen, s. d.) so lange zu unterziehen, bis es für logisches, d. h.
denkbares, Denken gelten darf. Die so gewonnenen Begriffe sind Kunstprodukte des logischen Denkens, die durch
den Denkgesetzen entsprechende Bearbeitung der Naturprodukte des empirischen Denkens hervorgebracht werden.
Die Wissenschaft von den Naturgesetzen des Denkens ist ein Teil der Psychologie, jene von dessen Normalgesetzen dagegen die
Denklehre, Logik (s. d.). Die Anweisung zu der Bearbeitung des empirischen nach den Normalgesetzen des logischen
Denkens bildet die logische Kunstlehre, die sich zur Logik so verhält wie die Kunstlehren der einzelnen Künste (Tonkunst etc.)
zu deren Ästhetiken (d. h. zu den Lehren
[* 6] von deren Normalgesetzen); die Bearbeitung selbst ist die logische Kunst, die Denkbarmachung
(Rationalisierung) des empirisch Gedachten, deren Frucht die Philosophie (s. d.), d. h.
diejenige Wissenschaft ist, welche durch Bearbeitung von Begriffen entsteht.