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wird er stets als der Hauptvertreter der naturalistischen Schule in Dänemark [* 2] betrachtet werden müssen, denn das Wenige, was er hervorgebracht, steht alles in seiner Art einzig da. Neben Jacobsen verdient in erster Linie Holger Drachmann (geb. 1846) genannt zu werden. Er ist unbedingt weitaus der begabteste Vertreter der modernen Richtung, aber die Leichtigkeit, mit der er produziert, veranlaßt nicht selten, daß er Werke erscheinen läßt, an die er bei näherer Betrachtung selbst die Feile [* 3] würde angelegt haben.
Dennoch gibt es unter seinen zahlreichen Werken kaum eins, welches nicht sofort den genialen Dichter verrät. In neuerer Zeit hat sich übrigens Drachmann von den »Brandesianern« losgesagt (»Skyggebilleder fra Rejser i Ind- og Udlandet«, 1883), ohne deswegen, wie seine Gegner zuweilen behaupten, ins Lager [* 4] der Romantiker überzugehen. Eine sehr interessante und liebenswürdige Dichterpersönlichkeit ist Sophus Schandorph (geb. 1836). Wie Jacobsen früher Naturforscher und Drachmann Marinemaler, so war Schandorph Gymnasiallehrer, bis er, wie so viele andre, durch Brandes zum Bewußtsein seiner dichterischen Befähigung erweckt wurde.
Schandorph steht einzig da in der Schilderung des seeländischen Bauernlebens wie des Kopenhagener Kleinbürgertums. Sein »Smaafolk«, »Thomas Fris's Historie«, »Stine bliver Gaardmandskone«, »Kjærlighed paa Trommesalen« (in »Novelletter«) und »Et Levnetsløb fortalt paa Kirkegaarden« (in »Fem Fortællinger«) sind nach dieser Seite hin wahre Perlen. Reich begabt ist auch Herman Bang (geb. 1858), aber sein ungemein exzentrisches Wesen scheint ihn an der nötigen Vertiefung zu hindern. Er ist Romanschriftsteller, Dramatiker, Schauspieler, Recitator, Wanderredner und Feuilletonist und wird, wenn erst in seinem Streben eine gewisse Stabilität Platz greift, auf jedem dieser Gebiete Bedeutendes leisten können. - Auf dem Gebiet des Dramas ist Edvard Brandes (geb. 1847), der Bruder Georg Brandes', der Hauptvertreter der neuern Richtung. Man merkt ihm freilich an, daß er von Henrik Ibsen ziemlich stark beeinflußt ist; doch bezieht sich das mehr auf die Wahl seiner Stoffe als auf die Behandlung derselben. Sein hervorragendstes Werk dürfte »Et Besøg« sein; ferner hat er geschrieben: »Lægemidler«, »Gyngende Grund« und »Et Brud«. Auch Peder Nansen ist ein vielversprechender junger Dramatiker.
Wissenschaftliche Litteratur.
Wie in der Dichtkunst, so war auch in der wissenschaftlichen Litteratur mit Holberg eine neue Epoche angebrochen; namentlich begann man, der Geschichte eine gründliche wissenschaftliche Behandlung zu teil werden zu lassen. Auszeichnung verdienen in dieser Beziehung außer Holberg selbst, der eine vortreffliche »Danmarks Historie« in 3 Bänden (das erste populäre Werk dieser Art) und eine »Almindelig Kirkehistorie« schrieb, der Isländer Arne Magnusson (gest. 1730) als Quellensammler, Hans Gram (1685-1748) und sein Schüler Jakob Langebäk (1710-1775),
der Herausgeber der »Scriptores rerum danicarum«, denen sich der spätere Fred. Suhm (1728-1798),
der Verfasser einer 14bändigen, dennoch unvollendeten »Historie af Danmark«, anreiht. Ein sehr fruchtbarer und verdienstvoller Schriftsteller der Holbergschen Zeit war außerdem Erik Pontoppidan (1698-1764), der außer geschichtlichen und statistischen auch naturwissenschaftliche und theologische Werke in dänischer, deutscher und lateinischer Sprache [* 5] verfaßte, während F. Christian Eilschow (gest. 1750) für Popularisierung der Philosophie thätig war und Jens Höjsgaard (gest. 1773) als Forscher auf dem Gebiet der dänischen Sprache Bedeutendes leistete.
Großartig ist dann der Aufschwung, welcher sich mit Beginn des 19. Jahrh. und im Verlauf desselben auf allen Gebieten wissenschaftlicher Thätigkeit kundgibt. Die Leistungen in dieser Periode nach allen Richtungen hin sind so zahlreich, daß hier nur der hervorragendsten Erscheinungen in jedem Fach gedacht werden kann. Auf dem Felde der Theologie ist in erster Reihe der schon oben als Dichter erwähnte Grundtvig zu nennen, der den Kampf gegen den Unglauben und Rationalismus der Zeit mit Erfolg aufnahm, zugleich für den nordischen Einheitsgedanken und die Entwickelung eines freien und kräftigen Volkslebens wirkte und auf das geistige Leben in Dänemark von tiefgreifendem Einfluß war.
Neben Grundtvig sind als die bedeutendsten Theologen anzuführen: Jakob Peder Mynster (1775-1850), Bischof von Seeland, und Henrik Nikolai Clausen (1793-1877), der namhafteste Vertreter der kritischen Richtung innerhalb der Theologie. Auch Hans Lassen Martensen (geb. 1808), der Verfasser von »Den christelige Ethik«, gelangte zu einer weit über Dänemark hinausreichenden Berühmtheit. Als Übergangsglied zwischen Theologie und Philosophie kann Sören Aaby Kierkegaard (1813-55) gelten, der »größte Denker Dänemarks«, der das Grundprinzip des Christentums in einer höchst eigentümlichen Weise auffaßte und in gewisser Hinsicht eine Parallele [* 6] zu L. Feuerbach bildet.
Die eigentliche Philosophie fand Vertretung durch Frederik Christian Sibbern (1785-72), der, von Schelling wesentlich beeinflußt, als Professor an der Kopenhagener Universität großen Einfluß auf die studierende Jugend ausübte, im übrigen nicht nur als philosophischer Schriftsteller, sondern auch als Dichter (»Udaf Gabrielis' Breve til og fra Hjemmet«) mit Erfolg thätig war; ferner durch Rasmus Nielsen (geb. 1809),
der, in Kierkegaards Fußstapfen tretend, den Kampf gegen die Theologie als Wissenschaft fortführte und in seinen Vorträgen wie in seinen Schriften (»Grundideernes Logik«, »Natur og Aand« etc.) eine hinreißende Beredsamkeit entwickelte. Den entschiedenen Gegensatz von Nielsens Auffassung des religiösen Prinzips bildet Hans Bröchner (1820-1876), der auch wertvolle Beiträge zur Geschichte der Philosophie lieferte. Auf dem Gebiet der Naturwissenschaften ist vor andern Hans Christian Örsted (1777-1851), der Entdecker des Elektromagnetismus [* 7] und Verfasser zahlreicher gediegener Schriften über Gegenstände der Physik, hervorzuheben.
Besondere Erwähnung verdient sein weitverbreitetes Buch »Aanden i Naturen«, worin er seine naturphilosophischen Ideen geistvoll und anziehend entwickelt. Außer ihm sind als Naturforscher ersten Ranges zu nennen: der Botaniker und Pflanzengeograph Joachim Frederik Schouw (1789-1852), der Geolog und Chemiker Johan Georg Forchhammer (1794 bis 1864) und der Zoolog Japetus Steenstrup (geb. 1813), welch letzterer sich auch um die Archäologie verdient gemacht hat.
Die Altertumsforschung ward infolge der erwachenden Begeisterung für die Vorzeit des Nordens mit besonderm Eifer betrieben. Am erfolgreichsten geschah dies durch Peder Erasmus Müller (1776-1834), den Bearbeiter der Altertumsschriften (»Sagabibliothek«),
und den Isländer Finn Magnusson (1791-1846), der mit tiefer Gelehrsamkeit besonders die Mythologie und ältere Kulturgeschichte des Nordens behandelte. Auf dem sprach- und litteraturgeschichtlichen Gebiet leistete namentlich Niels Matthias Petersen (1781 ¶
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bis 1862) Vorzügliches, während die eigentliche vorgeschichtliche Archäologie von Christian Thomsen (1785-1865) in gründlichster Weise behandelt ward und Jens Worsaae (geb. 1821) durch seine zahlreichen Schriften archäologischen und historischen Inhalts die Altertumswissenschaft auf den hohen Standpunkt erhob, den sie jetzt in Dänemark einnimmt. Als Historiker der neuern Zeit sind hervorzuheben: Erik Christian Werlauff (1781-1871), besonders als Kulturhistoriker ausgezeichnet;
Christian Molbech (1783-1857);
namentlich aber Karl Ferdinand Allen (1811-77), der Verfasser des leider unvollendet gebliebenen Werkes »De tre nordiske Rigers Historie 1497-1537«, worin sich umfassendes historisches Wissen mit bedeutendem Darstellungstalent vereinigt.
Ausgezeichnet sind auch die Arbeiten von Frederik Schjern (geb. 1816),
Kaspar Peder Paludan-Müller (»Grevens Felde«, »De første Konger af den oldenborgske Slægt«) u. a. Mit den geschichtlichen und archäologischen Forschungen gingen die Sprachstudien Hand [* 9] in Hand. Große Verdienste hat sich auf diesem Gebiet (neben dem schon genannten Petersen) Christ. Molbech durch seine lexikalischen Arbeiten erworben; das Bedeutendste aber leistete Rasmus Christian Rask (1787 bis 1831), der durch seine Schriften den Grund für eine umfassende und systematische Behandlung der altnordischen Sprache legte und einer der Begründer der vergleichenden Sprachforschung war. In der klassischen Philologie endlich hat sich Johan Nikolai Madvig (geb. 1804) europäischen Ruf erworben.
Als Begründer der wissenschaftlichen dänischen Litteraturgeschichte gilt R. Nyerup durch sein Werk »Den danske Digtekonsts Middelalder« (mit Rahbäk, 1805-1808). Ihm folgten Rahbäk, Udsigt over den danske Digtekonst under Frederik V. og Christian VII. (1819-28); Molbech, Forelæsninger over den danske Litteratur (1839); Thortsen, Historisk Udsigt over den danske Litteratur indtil Aar 1814 (6. Aufl. 1866), und Petersen, Bidrag til den danske Litteraturs Historie (2. Aufl. 1871). Ferner sind zu nennen: J. L. ^[Johann Ludwig] Heiberg, Udsigt over den danske skjönne Litteratur (1831);
J. ^[richtig: T. für Torvald] Ström, Dansk Literaturhistorie (1871);
Fr. Winkel-Horn, Den danske Literaturs Historie (1880);
J. ^[richtig: S. für Sigurd] Müller, Haandbog i den danske Literatur (1880), sowie für die Blüteperiode G. Brandes, Ludvig Holberg og hans Tid (1884; deutsch, Berl. 1885).
Die Geschichte des Dramas schrieb Th. Overskou in »Den danske Skueplads i dens Historie« (1859-74). Von deutschen Quellen sind zu nennen: Strodtmann, Das geistige Leben in Dänemark (Berl. 1873);
Wollheim da Fonseca, Nationallitteratur der Skandinavier (das. 1874-1877) und namentlich Winkel-Horn, Geschichte der Litteratur des skandinavischen Nordens (Leipz. 1880).