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beißende und sprachgewandte Satiren schrieb; Brauman Tullin (gest. 1765), der besonders das Lehrgedicht, daneben aber auch die Satire pflegte; Hans Adolf Brorson (gest. 1764), dessen »Troens rare Klenodie« zu dem Schönsten gehört, was die geistliche Dichtung in Dänemark hervorgebracht hat. Weitaus der hervorragendste Nachfolger Holbergs und Ewalds ist indessen der Norweger Johan Herman Wessel (1742-1785), der allerdings in seinen Schriften vielfach norwegische Ausdrücke und Redewendungen gebraucht, seiner ganzen Individualität nach aber mehr Däne als Norweger ist. Er war sehr jung nach Dänemark gekommen und hatte dort eine Litteratur vorgefunden, welche schon auf dem besten Weg war, die von Holberg und Ewald vorgezeichneten nationalen Bahnen zu verlassen.
Wie in Deutschland, hatte nämlich auch in Dänemark das sogen. klassische französische Drama seinen Eingang gefunden, und wie dort Lessing, so trat hier Wessel gegen dasselbe auf, aber nicht wie der deutsche Gelehrte in der schweren Rüstung der Wissenschaft, sondern wie einst Holberg in dem leichten Gewand der Satire. So entstand sein »Trauerspiel«: »Kjærlighed uden Strømper« (»Liebe ohne Strümpfe«, 1772), eine in ihrer Art einzig dastehende Parodie. Durch dieselbe machte er mit Einem Schlag das französische Drama in Dänemark unmöglich; leider aber besaß er nicht den nötigen sittlichen Halt, um selbst die Erbschaft Holbergs und Ewalds anzutreten. Zerrüttete finanzielle Verhältnisse führten ihn dem Trunk in die Arme, und als er im Alter von 43 Jahren starb, war »Kjærlighed uden Strømper« sein einziges größeres Werk. Mit seinem Tod schließt die Glanzperiode der dänischen Litteratur.
Die folgende Epoche, von Wessels Tod bis zum Anfang dieses Jahrhunderts, brachte kaum etwas Nennenswertes hervor. Ihr Hauptmerkmal ist überspannter Rationalismus, ebenso überspannter Patriotismus, widerliches Strebertum und eine daraus entspringende wüste Polemik aller gegen alle. Daß dabei die Politik mit der Dichtkunst verquickt wurde, ja in ihren Erzeugnissen oft genug die Hauptrolle spielte, kann in einem Zeitalter, welches sich unmittelbar an die glänzende Karriere Brandts und Struensees anschließt, nicht wundernehmen; träumte doch damals jeder Dutzendmensch, sein Leben möglicherweise noch in einem Ministerfauteuil beschließen zu können.
Eine rühmliche Ausnahme von diesen Leuten bildet Peder Andreas Heiberg (1758-1841). Allerdings ist auch seine Hauptstärke in der Polemik zu suchen, aber man muß wenigstens zugeben, daß er sich derselben nicht um äußerer Vorteile willen bediente. Im Gegenteil, sein Auftreten gegen die Reaktion, welche in der Abschaffung der Preßfreiheit gipfelte, war ein so energisches, daß er nach Beendigung mehrerer politischer Prozesse 1799 des Landes verwiesen wurde.
Ein Geistesverwandter von Heiberg war Malthe Konrad Brun (1775-1826). Schon im Alter von 19 Jahren gab er eine Zeitung: »Vækkeren«, heraus, in welcher er für die Prinzipien der französischen Revolution eintrat. Als sie unterdrückt wurde, schrieb er »Jerusalem Skomagers Reise til Maanen« und »Aristokraternes Katekismus« (1796),
gründete dann wieder eine Zeitschrift: »Fluesmækkeren«, und wurde endlich in einen Prozeß verwickelt, dem er sich durch die Flucht nach Paris entzog. Hier ist er später als Geograph unter dem Namen Malte-Brun berühmt geworden. Ein andrer, nicht minder bekannter Schriftsteller dieser Periode war Knud Lyne Rahbäk (1760-1830), der sich besonders als Ästhetiker einen Namen erworben hat, in den letzten 30 Jahren seines Lebens aber vollständig vom öffentlichen Leben zurücktrat. Er gab mit dem Norweger Kristen Pram (1756-1821) die ästhetische Zeitschrift »Minerva« (1785-89 und 1791-1806) heraus, durch welche er energisch in die litterarischen Streitigkeiten der damaligen Zeit eingriff und einen nicht unbedeutenden Einfluß ausübte. Zu erwähnen sind noch: Ole Johan Samsö, der Verfasser des Dramas »Dyveke«;
Levin Sander, dessen nationales Trauerspiel »Niels Ebbesen« mit großer Begeisterung aufgenommen wurde und lange Zeit hindurch als Vorbild galt;
ferner der gefühlswarme Lyriker Thomas Thaarup und, als Bindeglied zwischen dieser Periode und der folgenden, der wegen seines lyrischen und komischen Talents auch in Deutschland bekannte Jens Baggesen (1764-1826).
Teils durch das Studium der deutschen Philosophen Kant und Fichte, für welches Baggesen das Interesse rege gemacht hatte, teils durch die Anregung Schellings, dessen Ideen in dem jungen Norweger Henrik Steffens (1773-1845) einen ebenso beredten wie begeisterten Anwalt fanden, teils auch infolge der strengen Zensurverordnung vom Jahr 1799 wurde zu Anfang dieses Jahrhunderts in Dänemark eine durchaus neue Richtung in der Litteratur angebahnt. Hatte man sich gegen Ende des vorigen mit einem geradezu naiven Eifer um unbedeutende ästhetische Fragen oder gleichgültige rationalistische Theorien herumgestritten, so begann jetzt die Periode einer ernsten und ersprießlichen wissenschaftlichen Forschung.
Aber neben diesem höhern Streben, welches naturgemäß nur die obern Schichten des Volkes erfassen konnte, machte sich auch ein volkstümliches breit, welches sehr günstig gegen die Verschwommenheit und Charakterlosigkeit der voraufgegangenen Zeit abstach. Die Ereignisse, welche gegen Ende des vorigen Jahrhunderts ganz Europa in Aufruhr versetzt hatten, dann die Beteiligung Dänemarks an den Napoleonischen Kriegen, die Wegnahme der dänischen Flotte durch die Engländer, der Krieg mit den Schweden (1808) und der Verlust Norwegens (1814): alles dies trug dazu bei, freiheitliche Ideen und ein erhöhtes Nationalbewußtsein im Volk zu entflammen.
Der Mann, welcher dieser Stimmung am besten Ausdruck zu geben verstand und dadurch das Haupt der neuen Schule wurde, war Adam Gottlob Öhlenschläger (1779-1850). Durch Steffens für die Ideen der deutschen Romantiker gewonnen, begann er 1802 seine dichterische Laufbahn als Lyriker (»Digte«, »Freias Alter«, »Langelandsreisen« und »Jesu Liv i den tilbagevendende Natur«) und als Epiker (»Thors Reise til Jotunheim« und »Vaulundurs Saga«),
worauf er durch seinen abenteuerlich-romantischen »Aladdin eller den vidunderlige Lampe« zum tragischen Drama überging. Auf diesem Gebiet hat er seine schönsten Erfolge errungen, so durch »Hakon Jarl« (1807),
»Baldur hin Gode« (1807),
»Palnatoke« (1807) und »Axel og Valborg« (1808). Leider besaß er den Ehrgeiz, auch deutscher Dichter sein zu wollen, und übersetzte zu diesem Zweck seine Werke ins Deutsche. Ja, das Drama »Correggio« (1809) gab er sogar ursprünglich nur in der fremden Sprache heraus. Sein deutscher Stil war aber viel zu schwerfällig und seine ganze Weltanschauung viel zu spezifisch dänisch, als daß dieses Streben von Erfolg hätte gekrönt sein können. In Dänemark galt er indessen noch bis in die 70er Jahre hinein, ja gilt in gewissen Kreisen heute noch als der hervorragendste Dichter, den die skandinavischen Völker jemals hervorgebracht haben. Sein Hauptnebenbuhler war
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Nikolai Frederik Severin Grundtvig (1783-1872), welcher ein größeres episches Werk, ebenfalls in altnordischem Geist, schrieb (»Optrin af Kæmpelivets Undergang i Norden«, 1808), aber trotz dieser und ähnlicher Schriften als Dichter keinen nennenswerten Erfolg errang. Glücklicher war er als Theolog und später als Freiheitskämpfer. Ein begabterer Dichter war der gleichgesinnte Adolf Vilhelm Schack v. Staffeldt (1769-1826), der indessen trotz seiner Gedankentiefe und seines Phantasiereichtums wenig beachtet wurde und erst in neuerer Zeit durch Georg Brandes richtig gewürdigt worden ist.
Damals leuchtete eben Öhlenschlägers Licht noch so hell, daß ein andres daneben nicht oder kaum bemerkt wurde. Eine Ausnahme von dieser Regel bildete jedoch Bernhard Severin Ingemann (1789-1862), welcher jahrzehntelang der beliebteste Romanschriftsteller Dänemarks war und noch heute der Liebling der heranwachsenden Jugend ist. Seine Romane beruhen sämtlich auf historischen Ereignissen, die er indessen mit großer Freiheit für seine Zwecke umgemodelt hat; außerdem schrieb er Novellen und Gedichte, von welch letztern besonders die geistlichen berühmt geworden sind.
Als Gegner Ingemanns und Grundtvigs trat Johan Ludvig Heiberg (1781-1860) auf. Seine geistvolle Auffassung des Lebens wie seine leichte Sprachbehandlung machen alle seine Schöpfungen gleich ansprechend. Die meisten Erfolge errang er als Dramatiker, besonders als Vaudevillendichter und -Bearbeiter; doch steht er auch als Lyriker ziemlich hoch. Außerdem dichtete er das national-romantische Schauspiel »Elverhøi« (1828), welches seiner Zeit sehr viel Aufsehen erregte und noch heute oft gegeben wird.
Als Direktor des königlichen Theaters in Kopenhagen, an welchem seine Frau lange Jahre als hervorragendste Schauspielerin des Nordens wirkte, hat er auch indirekt sehr viel für die Hebung des dänischen Dramas gethan. Auch Karsten Hauch (1791-1872) erntete mit seinen Dramen und Romanen reichen Erfolg und trug durch seine ästhetischen Abhandlungen wesentlich zur Läuterung des poetischen Geschmacks bei. Noch glücklicher war Steen Steensen Blicher (1782-1848), der besonders durch seine jütländischen Novellen die Herzen des Volkes im Sturm eroberte.
Blicher hat als erster das Genre bearbeitet, welches später durch Gotthelf und Auerbach in Deutschland unter dem Namen »Dorfgeschichten« bekannt geworden ist; außerdem war er einer der ersten Dialektdichter der dänischen Litteratur. Halb durch Ingemann, halb durch Blicher beeinflußt ist Johan C. Chr. Brosböll (Carit Etlar, geb. 1820), welcher in Dänemark noch heute die sogen. alte Schule repräsentiert. Seine Hauptvorzüge sind eine glühende Phantasie und eine erstaunliche Kombinationsgabe.
Unter den Novellisten ragt in dieser Periode hervor Frau Gyllembourg-Ehrenswärd (1773-1856), die Mutter Heibergs, welche in ihrem 53. Lebensjahr in der von ihrem Sohn redigierten »Flyvende Post« mit der Erzählung »En Hverdagshistorie« debütierte und sich bald einen geachteten Namen in der Geschichte der dänischen Litteratur erwarb. In mehrfacher Beziehung mit ihr verwandt ist de Saint-Aubain (Karl Bernhard, 1798-1865), der jedoch mit Bezug auf die Tiefe des Gefühls hinter ihr zurücksteht.
Volkstümlicher noch als die beiden letztgenannten wurde Christian Winther (1796-1876). Er hat als Sänger des Landlebens die dänische Litteratur mit zahlreichen Romanen und lyrischen Gedichten bereichert, in denen sich Wahrheit, Ursprünglichkeit und Tiefe in trefflichster Weise zu einem harmonischen Ganzen vereinigen. Sein hervorragendstes Werk ist wohl das romantische Epos »Hjortens Flugt« (1856). Winther ist ohne Zweifel derjenige, welcher, ohne direkt ein Schüler Heibergs zu sein, am meisten dazu beigetragen hat, die ästhetischen Grundsätze des letztern zum schnellen und allgemeinen Durchbruch zu bringen.
Ebenfalls ein bedeutender Lyriker ist Henrik Hertz (1798-1870), der eine Wiederbelebung der Baggesenschen Muse anstrebte und zu diesem Zweck im »Gjengangerbreve« (1830) eine scharfe Polemik gegen Öhlenschläger und Heiberg führte. Außerdem ist er als dramatischer Dichter bekannt geworden, so durch das romantische »Kong René's Datter« und verschiedene andre Arbeiten leichtern Kalibers. Auch in Thomas Overskou (1798-1874) gewann die Bühne einen gewandten und oft sinnigen Dramatiker, während die übermütigen Studentenkomödien Jens Chr. Hostrups (geb. 1818) der Schauspielkunst ein neues und ergiebiges Feld eröffneten.
Alle diese Männer werden indessen weit überragt von Hans Christ. Andersen (1805 bis 1875), der in seinen weltberühmt gewordenen Märchen selbst den unscheinbarsten Vorgängen und Erscheinungen Poesie einzuhauchen versteht. Ebenso naiv und sinnig wie seine Märchen sind auch seine lyrischen Gedichte, von denen Chamisso einige ins Deutsche übertragen hat (»Es geht bei gedämpfter Trommel Klang« u. a.). Als Romanschriftsteller und als Dramatiker dagegen war Andersen minder erfolgreich; selbst sein Roman »O. T.« (Odense Tugthus) hat nur vorübergehend das Interesse der dänischen Lesewelt fesseln können.
Gedankenreicher und tiefer, aber ebendarum dem großen Publikum weniger zugänglich als Andersen war Fr. Paludan Müller (1809-76). Er debütierte 1832 mit dem auch in Deutschland bekannt gewordenen romantischen Schauspiel »Kjærlighed ved Hoffet« (»Liebe am Hof«) und ließ von da ab lyrische und romantitische ^[richtig: romantische] Dramen, gereimte Märchen, poetische Erzählungen, epische, lyrische und didaktische Gedichte in bunter Reihenfolge erscheinen.
Weitaus am hervorragendsten unter diesen vielen Zeichen seiner erstaunlichen Produktivität ist indessen das umfangreiche Epos »Adam Homo«, dessen erster Teil 1841 und dessen Schluß erst 1848 erschien. Es ist sehr breit angelegt und darum hier und da etwas ermüdend, aber es steckt so voll tiefer Gedanken und ist so durch und durch originell, daß kaum irgend eine Litteratur eine Parallele dazu dürfte aufweisen können. Eine eigenartige Dichternatur ist auch Erik Bögh (geb. 1822), wenn auch freilich in ganz anderm Sinn als Paludan-Müller. Was ihn auszeichnet, ist hauptsächlich seine leichte, angenehme Schreibart und sein nie versiegender Humor. Er ist in erster Linie Feuilletonist, und man darf wohl sagen, daß er während der 60er Jahre als solcher den Geschmack der litterarischen Kreise Kopenhagens so gut wie ausschließlich beherrschte. In jeder Beziehung streng konservativ, war er einer der erbittertsten Gegner von Georg Brandes und der von ihm vertretenen Litteraturrichtung (s. unten). Am bekanntesten sind seine »Forelæsninger« und die unter dem Titel »Dit og Dat« gesammelten Feuilletons. Außerdem hat er etwa ein Hundert Theaterstücke ins Dänische übersetzt oder bearbeitet sowie einige Originale geschrieben, von denen »Fastelavnsgildet« und »Huldrebakken« die erwähnenswertesten sind. Nach dem Durchbruch der neuern Richtung in der dänischen Litteratur ist er vom öffentlichen Leben fast ganz zurückgetreten. Ein ebenso unversöhnlicher Feind der
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neuern Schule wie Bögh ist Parmo Karl Ploug (geb. 1813), der Hauptvertreter und Hauptsänger des sogen. Skandinavismus, einer politischen Richtung, welche eine engere Vereinigung der drei skandinavischen Reiche herbeizuführen strebte. Hervorragender als Bögh und Ploug ist Chr. Knud Fr. Molbech (geb. 1821), ebenfalls ein Vertreter der ältern Schule. Seine lyrischen Gedichte sind vielleicht das Vollendetste und jedenfalls das Wohlklingendste, was man nach dieser Richtung hin in der dänischen Litteratur besitzt.
Auch als Dramatiker ist er hervorragend; so zeugt z. B. sein Trauerspiel »Dante« von einer dramatischen Kraft und (besonders in der von ihm selbst umgearbeiteten deutschen Übersetzung) von einer Bühnenkenntnis, wie man sie bei dänischen Schriftstellern sehr selten antrifft. Auch sein »Ambrosius« enthält zahlreiche und hohe Schönheiten, obwohl die Sentimentalität des Helden einigermaßen unangenehm wirkt. Außerdem ist Molbech durch eine vorzügliche Übersetzung von Dantes »Göttlicher Komödie« bekannt und berühmt geworden.
Minder vielseitig, aber auf dem Gebiet des Romans und der Novelle recht bedeutend ist Vilhelm Bergsöe (geb. 1835). Er war zuerst Zoolog, mußte aber infolge eines Augenleidens, welches ihn seiner Sehkraft beraubte, diesen Beruf aufgeben und widmete sich fortan der Litteratur. Sein erstes größeres Werk war der Novellencyklus »Fra Piazza del Popolo«; doch hat er erst mit dem Roman »Fra den gamle Fabrik« einen durchschlagenden Erfolg erzielt. Seine populären naturwissenschaftlichen Abhandlungen hat er unter dem Titel »Fra Mark og Skov« gesammelt erscheinen lassen. Eine eigenartige Stellung in der dänischen Litteratur nimmt Meir Aron Goldschmidt (geb. 1819) ein.
Schon im Alter von 21 Jahren gründete er das satirische Wochenblatt »Korsaren«, welches die nicht ausgesprochene Tendenz hatte, für den Sturz des Absolutismus im Volk zu wirken, und bald einen ungeheuern Einfluß errang. Aber das befriedigte den kühnen Redakteur noch nicht; er unternahm eine längere Reise ins Ausland, um die großen sozialen und politischen Bewegungen zu studieren, und gründete nach seiner Rückkehr (1847) die Monatsschrift »Nord og Syd«, welche später als »Ude og Hjemme« fortgesetzt wurde.
Durch diese Zeitschriften, welche er mit sehr großem Geschick redigierte, hat er auf seine Zeit einen gewaltigen Einfluß ausgeübt. Später verlegte er sich indessen ausschließlich auf die dichterische Produktion und schrieb eine große Reihe von Novellen und Romanen sowie ein zweibändiges Werk unter dem Titel: »Livs-Erindringer og Resultater«. In dem letztern neigt er sich sehr einem seltsamen Mystizismus zu, der sich am ehesten mit der Hartmannschen Lehre vom Unbewußten vergleichen läßt.
Wenig gelesen, aber recht lesenswert ist Hans Peder Holst (geb. 1811), der als Lyriker und Epiker viel Schönes hervorgebracht und auch einige allerliebste Novellen geschrieben hat, ebenso Hans Vilhelm Kaalund (geb. 1818), dessen Gedichtsammlungen »Et Foraar« und »Et Efteraar« kaum ein einziges Gedicht enthalten, welches nicht mit Ehren seinen Platz verteidigen könnte. Ferner sind zu erwähnen: der geschmackvolle Lyriker Emil Aarestrup (1800-1856), der Romanschriftsteller Hermann Fr. Ewald (geb. 1821) und der verdienstvolle Übersetzer Shakespeares, Edvard Lembcke (geb. 1815).
Der Hauptzug in der Dichtung der 50er und 60er Jahre war jene eigentümliche Duselei, welche sich als Skandinavismus bezeichnete. Dieselbe ist wohl in erster Linie zurückzuführen auf die Schwärmerei für die altnordische Vorzeit, welche in Dänemark durch die Dichtungen Öhlenschlägers und in Schweden durch Ling, Tegnér, Geijer u. a. wachgerufen worden war. Dazu kam der Krieg von 1848 bis 1850, der in den skandinavischen Ländern einen derartigen Deutschenhaß hervorrief, daß man den geistigen Verkehr mit Deutschland so gut wie ganz aufgab.
Dadurch aber verstopfte man sich zugleich den Kanal, durch welchen man bisher so ziemlich mit allen Kulturvölkern in Verbindung gestanden hatte. Es war das freilich ein Resultat der skandinavischen Bewegung, welches die Führer derselben nicht vorausgesehen hatten; da es nun aber einmal eingetreten war, mußte die bittere Pille wenigstens etwas überzuckert werden. Dies geschah dadurch, daß man alles, was nicht skandinavisch war, als faul und verrottet hinstellte, daß man alles Nordische besang als etwas halb Übernatürliches und die »nordische Kraft, welche die Welt hätte beherrschen können«, als das einzige Mittel pries, um »der Sache der Menschheit den Sieg zu erringen« (Ploug).
Diese phantastische Idee von der hohen weltgeschichtlichen Mission der skandinavischen Völker hatte sich damals in den Köpfen fast aller »Gebildeten« eingenistet, und es konnte also nicht ausbleiben, daß sie auch in der Litteratur und speziell in der Lyrik zur Geltung kam. Aber ebenso unumgänglich notwendig war es, daß gegen eine so einseitige Bewegung über kurz oder lang eine kräftige Reaktion eintreten mußte, und daß dann der beschränkte Nationalismus umschlagen mußte in einen ebenso vagen Kosmopolitismus.
Diese Umwandlung vollzog sich zu Anfang der 70er Jahre vornehmlich unter dem Einfluß von Georg Brandes (geb. 1842). Er bewirkte dies hauptsächlich durch eine Reihe von Vorträgen, welche er im Winter 1871/72 über die »Hauptströmungen in der Litteratur des 19. Jahrhunderts« hielt, und welche später im Druck erschienen sind. Er wies darin nach, daß man in andern Ländern, namentlich in Frankreich, Deutschland und England, schon längst die Reaktion überwunden habe, welche zu Anfang dieses Jahrhunderts gegen die Litteratur der Aufklärungszeit angekämpft habe, daß aber in Dänemark wie in den skandinavischen Ländern überhaupt diese Reaktion noch in vollster Blüte stehe.
Diese Vorträge riefen eine derartige Aufregung hervor, daß Brandes es vorzog, sein Vaterland zu verlassen. Aber die Saat hatte schon Früchte getragen, und zudem kämpfte Brandes von Berlin aus, wohin er sich begeben hatte, in der von ihm und seinem Bruder Edvard Brandes herausgegebenen Zeitschrift »Det nittende Aarhundrede« noch unerschrocken weiter. So gelang es ihm, in wenigen Jahren eine Schule zu bilden, welche jetzt nicht allein in Dänemark, sondern auch in Norwegen und Schweden fast die alleinherrschende ist.
Einer der ersten und hervorragendsten Schüler des so schnell zur Berühmtheit gelangten Meisters war der Botaniker Jens Peder Jacobsen (1847-85), der bisher nur als energischer Vertreter der Darwinschen Theorien und Übersetzer der Werke Darwins hervorgetreten war. Seine erste Novelle: »Mogens« (1872) bildet, gewissermaßen den Grenzstein zwischen der ältern und der neuern Litteraturrichtung im Norden. Später hat er noch einige Novellen geschrieben, die mit dem »Mogens« zu einem Band vereinigt sind (»Mogens og andre Noveller«),
sowie zwei Romane: »Fru Marie Grubbe« und »Niels Lyhne«. Dauernde Kränklichkeit und finanzielle Sorgen drückten ihn indessen so nieder, daß er in den letzten Jahren seines Lebens nichts Weiteres produziert hat. Dennoch aber
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wird er stets als der Hauptvertreter der naturalistischen Schule in Dänemark betrachtet werden müssen, denn das Wenige, was er hervorgebracht, steht alles in seiner Art einzig da. Neben Jacobsen verdient in erster Linie Holger Drachmann (geb. 1846) genannt zu werden. Er ist unbedingt weitaus der begabteste Vertreter der modernen Richtung, aber die Leichtigkeit, mit der er produziert, veranlaßt nicht selten, daß er Werke erscheinen läßt, an die er bei näherer Betrachtung selbst die Feile würde angelegt haben.
Dennoch gibt es unter seinen zahlreichen Werken kaum eins, welches nicht sofort den genialen Dichter verrät. In neuerer Zeit hat sich übrigens Drachmann von den »Brandesianern« losgesagt (»Skyggebilleder fra Rejser i Ind- og Udlandet«, 1883), ohne deswegen, wie seine Gegner zuweilen behaupten, ins Lager der Romantiker überzugehen. Eine sehr interessante und liebenswürdige Dichterpersönlichkeit ist Sophus Schandorph (geb. 1836). Wie Jacobsen früher Naturforscher und Drachmann Marinemaler, so war Schandorph Gymnasiallehrer, bis er, wie so viele andre, durch Brandes zum Bewußtsein seiner dichterischen Befähigung erweckt wurde.
Schandorph steht einzig da in der Schilderung des seeländischen Bauernlebens wie des Kopenhagener Kleinbürgertums. Sein »Smaafolk«, »Thomas Fris's Historie«, »Stine bliver Gaardmandskone«, »Kjærlighed paa Trommesalen« (in »Novelletter«) und »Et Levnetsløb fortalt paa Kirkegaarden« (in »Fem Fortællinger«) sind nach dieser Seite hin wahre Perlen. Reich begabt ist auch Herman Bang (geb. 1858), aber sein ungemein exzentrisches Wesen scheint ihn an der nötigen Vertiefung zu hindern. Er ist Romanschriftsteller, Dramatiker, Schauspieler, Recitator, Wanderredner und Feuilletonist und wird, wenn erst in seinem Streben eine gewisse Stabilität Platz greift, auf jedem dieser Gebiete Bedeutendes leisten können. - Auf dem Gebiet des Dramas ist Edvard Brandes (geb. 1847), der Bruder Georg Brandes', der Hauptvertreter der neuern Richtung. Man merkt ihm freilich an, daß er von Henrik Ibsen ziemlich stark beeinflußt ist; doch bezieht sich das mehr auf die Wahl seiner Stoffe als auf die Behandlung derselben. Sein hervorragendstes Werk dürfte »Et Besøg« sein; ferner hat er geschrieben: »Lægemidler«, »Gyngende Grund« und »Et Brud«. Auch Peder Nansen ist ein vielversprechender junger Dramatiker.
Wissenschaftliche Litteratur.
Wie in der Dichtkunst, so war auch in der wissenschaftlichen Litteratur mit Holberg eine neue Epoche angebrochen; namentlich begann man, der Geschichte eine gründliche wissenschaftliche Behandlung zu teil werden zu lassen. Auszeichnung verdienen in dieser Beziehung außer Holberg selbst, der eine vortreffliche »Danmarks Historie« in 3 Bänden (das erste populäre Werk dieser Art) und eine »Almindelig Kirkehistorie« schrieb, der Isländer Arne Magnusson (gest. 1730) als Quellensammler, Hans Gram (1685-1748) und sein Schüler Jakob Langebäk (1710-1775),
der Herausgeber der »Scriptores rerum danicarum«, denen sich der spätere Fred. Suhm (1728-1798),
der Verfasser einer 14bändigen, dennoch unvollendeten »Historie af Danmark«, anreiht. Ein sehr fruchtbarer und verdienstvoller Schriftsteller der Holbergschen Zeit war außerdem Erik Pontoppidan (1698-1764), der außer geschichtlichen und statistischen auch naturwissenschaftliche und theologische Werke in dänischer, deutscher und lateinischer Sprache verfaßte, während F. Christian Eilschow (gest. 1750) für Popularisierung der Philosophie thätig war und Jens Höjsgaard (gest. 1773) als Forscher auf dem Gebiet der dänischen Sprache Bedeutendes leistete.
Großartig ist dann der Aufschwung, welcher sich mit Beginn des 19. Jahrh. und im Verlauf desselben auf allen Gebieten wissenschaftlicher Thätigkeit kundgibt. Die Leistungen in dieser Periode nach allen Richtungen hin sind so zahlreich, daß hier nur der hervorragendsten Erscheinungen in jedem Fach gedacht werden kann. Auf dem Felde der Theologie ist in erster Reihe der schon oben als Dichter erwähnte Grundtvig zu nennen, der den Kampf gegen den Unglauben und Rationalismus der Zeit mit Erfolg aufnahm, zugleich für den nordischen Einheitsgedanken und die Entwickelung eines freien und kräftigen Volkslebens wirkte und auf das geistige Leben in Dänemark von tiefgreifendem Einfluß war.
Neben Grundtvig sind als die bedeutendsten Theologen anzuführen: Jakob Peder Mynster (1775-1850), Bischof von Seeland, und Henrik Nikolai Clausen (1793-1877), der namhafteste Vertreter der kritischen Richtung innerhalb der Theologie. Auch Hans Lassen Martensen (geb. 1808), der Verfasser von »Den christelige Ethik«, gelangte zu einer weit über Dänemark hinausreichenden Berühmtheit. Als Übergangsglied zwischen Theologie und Philosophie kann Sören Aaby Kierkegaard (1813-55) gelten, der »größte Denker Dänemarks«, der das Grundprinzip des Christentums in einer höchst eigentümlichen Weise auffaßte und in gewisser Hinsicht eine Parallele zu L. Feuerbach bildet.
Die eigentliche Philosophie fand Vertretung durch Frederik Christian Sibbern (1785-72), der, von Schelling wesentlich beeinflußt, als Professor an der Kopenhagener Universität großen Einfluß auf die studierende Jugend ausübte, im übrigen nicht nur als philosophischer Schriftsteller, sondern auch als Dichter (»Udaf Gabrielis' Breve til og fra Hjemmet«) mit Erfolg thätig war; ferner durch Rasmus Nielsen (geb. 1809),
der, in Kierkegaards Fußstapfen tretend, den Kampf gegen die Theologie als Wissenschaft fortführte und in seinen Vorträgen wie in seinen Schriften (»Grundideernes Logik«, »Natur og Aand« etc.) eine hinreißende Beredsamkeit entwickelte. Den entschiedenen Gegensatz von Nielsens Auffassung des religiösen Prinzips bildet Hans Bröchner (1820-1876), der auch wertvolle Beiträge zur Geschichte der Philosophie lieferte. Auf dem Gebiet der Naturwissenschaften ist vor andern Hans Christian Örsted (1777-1851), der Entdecker des Elektromagnetismus und Verfasser zahlreicher gediegener Schriften über Gegenstände der Physik, hervorzuheben.
Besondere Erwähnung verdient sein weitverbreitetes Buch »Aanden i Naturen«, worin er seine naturphilosophischen Ideen geistvoll und anziehend entwickelt. Außer ihm sind als Naturforscher ersten Ranges zu nennen: der Botaniker und Pflanzengeograph Joachim Frederik Schouw (1789-1852), der Geolog und Chemiker Johan Georg Forchhammer (1794 bis 1864) und der Zoolog Japetus Steenstrup (geb. 1813), welch letzterer sich auch um die Archäologie verdient gemacht hat.
Die Altertumsforschung ward infolge der erwachenden Begeisterung für die Vorzeit des Nordens mit besonderm Eifer betrieben. Am erfolgreichsten geschah dies durch Peder Erasmus Müller (1776-1834), den Bearbeiter der Altertumsschriften (»Sagabibliothek«),
und den Isländer Finn Magnusson (1791-1846), der mit tiefer Gelehrsamkeit besonders die Mythologie und ältere Kulturgeschichte des Nordens behandelte. Auf dem sprach- und litteraturgeschichtlichen Gebiet leistete namentlich Niels Matthias Petersen (1781
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bis 1862) Vorzügliches, während die eigentliche vorgeschichtliche Archäologie von Christian Thomsen (1785-1865) in gründlichster Weise behandelt ward und Jens Worsaae (geb. 1821) durch seine zahlreichen Schriften archäologischen und historischen Inhalts die Altertumswissenschaft auf den hohen Standpunkt erhob, den sie jetzt in Dänemark einnimmt. Als Historiker der neuern Zeit sind hervorzuheben: Erik Christian Werlauff (1781-1871), besonders als Kulturhistoriker ausgezeichnet;
Christian Molbech (1783-1857);
namentlich aber Karl Ferdinand Allen (1811-77), der Verfasser des leider unvollendet gebliebenen Werkes »De tre nordiske Rigers Historie 1497-1537«, worin sich umfassendes historisches Wissen mit bedeutendem Darstellungstalent vereinigt.
Ausgezeichnet sind auch die Arbeiten von Frederik Schjern (geb. 1816),
Kaspar Peder Paludan-Müller (»Grevens Felde«, »De første Konger af den oldenborgske Slægt«) u. a. Mit den geschichtlichen und archäologischen Forschungen gingen die Sprachstudien Hand in Hand. Große Verdienste hat sich auf diesem Gebiet (neben dem schon genannten Petersen) Christ. Molbech durch seine lexikalischen Arbeiten erworben; das Bedeutendste aber leistete Rasmus Christian Rask (1787 bis 1831), der durch seine Schriften den Grund für eine umfassende und systematische Behandlung der altnordischen Sprache legte und einer der Begründer der vergleichenden Sprachforschung war. In der klassischen Philologie endlich hat sich Johan Nikolai Madvig (geb. 1804) europäischen Ruf erworben.
Als Begründer der wissenschaftlichen dänischen Litteraturgeschichte gilt R. Nyerup durch sein Werk »Den danske Digtekonsts Middelalder« (mit Rahbäk, 1805-1808). Ihm folgten Rahbäk, Udsigt over den danske Digtekonst under Frederik V. og Christian VII. (1819-28); Molbech, Forelæsninger over den danske Litteratur (1839); Thortsen, Historisk Udsigt over den danske Litteratur indtil Aar 1814 (6. Aufl. 1866), und Petersen, Bidrag til den danske Litteraturs Historie (2. Aufl. 1871). Ferner sind zu nennen: J. L. ^[Johann Ludwig] Heiberg, Udsigt over den danske skjönne Litteratur (1831);
J. ^[richtig: T. für Torvald] Ström, Dansk Literaturhistorie (1871);
Fr. Winkel-Horn, Den danske Literaturs Historie (1880);
J. ^[richtig: S. für Sigurd] Müller, Haandbog i den danske Literatur (1880), sowie für die Blüteperiode G. Brandes, Ludvig Holberg og hans Tid (1884; deutsch, Berl. 1885).
Die Geschichte des Dramas schrieb Th. Overskou in »Den danske Skueplads i dens Historie« (1859-74). Von deutschen Quellen sind zu nennen: Strodtmann, Das geistige Leben in Dänemark (Berl. 1873);
Wollheim da Fonseca, Nationallitteratur der Skandinavier (das. 1874-1877) und namentlich Winkel-Horn, Geschichte der Litteratur des skandinavischen Nordens (Leipz. 1880).