mehr
Wissenschaft, welche dasselbe durch Gründe erklärt, die innerhalb desselben sind. Seinem positiven Teil nach besteht der Positivismus in einer neuen Auffassung der Entwickelung des Menschengeistes und in einer neuen Anordnung der Wissenschaften. Jener zufolge durchläuft der denkende Geist notwendigerweise drei Stadien (trois états): das theologische, das metaphysische und das positive. Während des ersten werden die Naturerscheinungen durch übernatürliche Ursachen (Wunder und persönliches Eingreifen von Göttern), während des zweiten durch abstrakte Ursachen (scholastische Entitäten, realisierte Abstrakta) erklärt; während des dritten begnügt man sich, den Zusammenhang der Phänomene zu konstatieren durch Beobachtung, hervorzurufen durch das Experiment, kurz, jede Thatsache mit ihren vorangegangenen Bedingungen zu verknüpfen.
Diele Methode hat die moderne Wissenschaft geschaffen und ist bestimmt, die Stelle der alten Metaphysik einzunehmen. In dem Maß, als eine wissenschaftliche Frage eine experimentale Lösung zuläßt, tritt sie aus dem metaphysischen Nebel in das klare Licht [* 2] der Wissenschaft über; was sich nicht experimentell verifizieren läßt, gehört nicht in die Wissenschaft. Die Anordnung des Wissens (welcher im allgemeinen die Baconsche Einteilung der Wissenschaften zu Grunde liegt, und) welche er die »natürliche Hierarchie der Wissenschaften« nennt, geht vom Einfachen zum Zusammengesetzten.
Die Grundlage von allem bildet die Mathematik; dann folgen die Astronomie, [* 3] die Physik, die Chemie, die Biologie und die Soziologie, deren jede die Vorstufe und Voraussetzung der nächsten ausmacht. Die Gesellschaftswissenschaft ist nicht möglich ohne die Wissenschaft vom Leben, diese nicht ohne Chemie, die ihrerseits die Physik wie diese die Astronomie und diese die Mathematik zur Basis hat. Diese Ordnung der Logik wird durch die Geschichte bestätigt. Die Psychologie ist nur ein Teil der Physiologie (Phrenologie); die Moral beruht auf dem geselligen Trieb und weist Eigennutz und Selbstsucht zurück, indem sie an die Stelle des eignen Vorteils als Motiv des Handelns (Egoismus) den des »andern« (Altruismus) und das allgemeine Wohl über das jedes Einzelnen setzt.
Über seine Beziehungen zu Kant vgl. Zimmermann, Kant und die positive Philosophie (Wien [* 4] 1874). Comtes »Politique positive« enthält das bis ins Detail ausgearbeitete Ideal der künftigen Organisation der menschlichen Gesellschaft, welche dadurch charakteristisch ist, daß in derselben den »positiven« Philosophen (ähnlich wie den Wissenden in der Platonischen Republik) die herrschende Stellung eingeräumt und unter denselben eine Art Hierarchie mit einem Oberhaupt an der Spitze (ähnlich wie im katholischen Priestertum mit dem römischen Papst) eingerichtet wird, daher die »positive« Gesellschaft von Gegnern als »Katholizismus ohne Christentum« bezeichnet worden ist.
Nach dem Muster derselben sind von Anhängern Comtes in England (Congreve, Bridges u. a.) Positivistengemeinden gegründet und an verschiedenen Orten Kirchen (in London [* 5] zwei) eröffnet worden, in welchen »positivistischer« Gottesdienst abgehalten, ein (dem katholischen nachgebildetes) »positivistisches« Ritual und sogar ein »positivistischer« Kalender beobachtet wird. In neuester Zeit sind unter den Mitgliedern Spaltungen eingetreten, infolge deren ein Teil der (übrigens niemals zahlreich gewesenen) »Positivisten« sich der herrschenden Kirche genähert hat, so daß der Rest der Anhänger von der strengen Observanz kaum über 100 betragen soll. Einen populären Auszug aus Comtes sechsbändigem Hauptwerk, dem »Cours«, veranstaltete neuerdings Jules Rig: »La philosophie positive par Auguste Comte Résumé« (Par. 1880, 2 Bde.) und eine deutsche Bearbeitung des letztern v. Kirchmann (Heidelb. 1883, 2 Bde.).
2) Pierre Charles, franz. Maler, geb. 1815 zu Lyon, [* 6] wurde in Paris [* 7] Schüler von Robert-Fleury und stellte 1847 eine Lady Jane Gray aus, die, von trefflicher Komposition, korrekter Zeichnung und lebensvoller Charakteristik, Erwartungen erregte, die er nachher in den Bildern: Heinrichs III. Begegnung mit dem Herzog von Guise (1855, im Luxembourg), Jeanne d'Arc bei der Krönung Karls VII. (1861, Museum in Reims) [* 8] und noch mehr in der Leonore von Este, Witwe des Herzogs von Guise, die ihren Sohn Heinrich schwören läßt, seinen ermordeten Vater zu rächen (1864, Museum in Lyon), in reichem Maß erfüllte. Unter seinen spätern Bildern nennen wir den letzten Besuch Karls V. im Schloß zu Gent [* 9] nach seiner Thronentsagung (1866), Zigeuner vor dem kranken Ludwig XI. (1869), Katharina von Medicis im Schloß Chaumont, Franz I. bei Benvenuto Cellini, Marie Touchet, die Sage von den vergifteten Handschuhen der Königin Johanna von Navarra, der Mutter Heinrichs IV., die Nichte Don Quichottes (1877) und den 1878 ausgestellten Dante.