(spr. kongt), 1) Isidore Marie Auguste François Xavier, der Begründer der sogen. positiven Philosophie, geb. 19. Jan. 1798 zu
Montpellier, war Zögling der polytechnischen Schule, Mathematiker, Saint-Simonist und (1820) Mitarbeiter am »Organisateur«,
wurde nach seinem Bruch mit dem Saint-Simonismus (1822) Mitarbeiter an dem neugegründeten Blatt »Le Producteur«, dann Repetent
an der polytechnischen Schule (1832), Examinator für die Aufnahmszöglinge (1837), wurde, als er seit 1843 zu letzterer
Stelle nicht wieder ernannt worden war und dadurch sein bescheidenes Einkommen verlor, von einer Gesellschaft in England lebender
Verehrer seiner Schriften, unter denen sich Stuart Mill und der Bankier und Geschichtschreiber George Grote befanden, durch eine
ansehnliche Jahrespension zu der Fortsetzung seiner Arbeiten in stand gesetzt und starb, nachdem seine
Vorlesungen über die Geschichte der Humanität (seit 1849), durch welche er, von der Liebe zu Clotilde de Vaux begeistert,
der Apostel einer Religion der Humanität zu werden hoffte, von der Regierung (1851) untersagt worden waren, 5. Sept. 1857 in Paris.
Seine Lehre legte er zuerst in dem »Plan des travaux scientifiques nécessaires pour réorganiser la société«
(Par. 1822; neue Aufl., das. 1824 u. d. T.:
»Système de philosophie positive«),
dann in seinem Hauptwerk: »Cours de philosophie positive« (das. 1839, 6 Bde.; 4. Aufl.
1881),
nieder. Dieselbe, von ihm selbst »positive Philosophie« genannt (daher seine in Frankreich, England, Belgien zerstreuten
Anhänger sich »Positivisten« nennen), ist eine Kombination von (aus seiner mathematischen Bildungsepoche
stammendem) Empirismus und (aus seiner Saint-Simonistischen Periode ihm anhaftendem) Sozialismus. Aus der Periode seiner religiösen
Begeisterung, die er selbst als seine »subjektive« bezeichnet hat,
stammen die Schriften: »Système de politique positive, ou traité de sociologie« (1852-54, 4 Bde.;
neue Ausg. 1880-83),
»Catéchisme positiviste« (2. Aufl. 1872),
»Appel aux conservateurs« (1855) und »Synthèse
subjective« (1856),
deren Inhalt von einem Teil seiner Schüler, namentlich von dem bedeutendsten derselben, dem Akademiker
Littré (s. d.),
nicht anerkannt worden ist. Der Letztgenannte hat unter dem Titel: »A. Comte et la philosophie positive« (2. Aufl.,
Par. 1864) eine Biographie und Darstellung der Lehre Comtes herausgegeben, welcher 1866 eine andre Schrift:
»Auguste Comte et Stuart Mill«, folgte. In England haben Miß Martineau (1853) und Bridges (1865) seine Schriften teilweise bearbeitet,
Stuart Mill (»A. and the positivism«, Lond. 1865; deutsch von Elise Gomperz, Leipz. 1874),
Buckle, Lewes, Tylor, Caird
(»The social philosophy and religion of Comte«, Glasgow 1885) u. a., in Amerika Carey ihn vielfach berücksichtigt. Seine Briefe
an Mill erschienen unter dem Titel: »Lettres d'A. à John Stuart Mill 1841-46« (Par. 1877). Auch in Italien und Deutschland hat
er in neuerer Zeit vielfach, besonders bei den Naturforschern, Eingang gefunden.
Comtes »Philosophie positive« richtet sich in ihrem negativen Teil gegen jede Metaphysik, jede Einführung von Anfangs- oder
Endursachen. Beide Enden der Dinge sind uns unzugänglich, nur die Mitte gehört uns. Der Atheist ist für den Positivsten nur
eine Abart des Theologen, der Pantheismus nur eine Form des Atheismus. Theologie und Metaphysik, jeder Versuch,
das Universum durch Gründe zu erklären, die außer ihm sind, ist Transcendenz; Immanenz ist die
mehr
Wissenschaft, welche dasselbe durch Gründe erklärt, die innerhalb desselben sind. Seinem positiven Teil nach besteht der Positivismus
in einer neuen Auffassung der Entwickelung des Menschengeistes und in einer neuen Anordnung der Wissenschaften. Jener zufolge
durchläuft der denkende Geist notwendigerweise drei Stadien (trois états): das theologische, das metaphysische und das positive.
Während des ersten werden die Naturerscheinungen durch übernatürliche Ursachen (Wunder und persönliches Eingreifen von
Göttern), während des zweiten durch abstrakte Ursachen (scholastische Entitäten, realisierte Abstrakta) erklärt; während
des dritten begnügt man sich, den Zusammenhang der Phänomene zu konstatieren durch Beobachtung, hervorzurufen durch das Experiment,
kurz, jede Thatsache mit ihren vorangegangenen Bedingungen zu verknüpfen.
Diele Methode hat die moderne Wissenschaft geschaffen und ist bestimmt, die Stelle der alten Metaphysik einzunehmen. In dem Maß,
als eine wissenschaftliche Frage eine experimentale Lösung zuläßt, tritt sie aus dem metaphysischen Nebel in das klare Licht
der Wissenschaft über; was sich nicht experimentell verifizieren läßt, gehört nicht in die Wissenschaft.
Die Anordnung des Wissens (welcher im allgemeinen die Baconsche Einteilung der Wissenschaften zu Grunde liegt, und) welche er
die »natürliche Hierarchie der Wissenschaften« nennt, geht vom Einfachen zum Zusammengesetzten.
Die Grundlage von allem bildet die Mathematik; dann folgen die Astronomie, die Physik, die Chemie, die Biologie
und die Soziologie, deren jede die Vorstufe und Voraussetzung der nächsten ausmacht. Die Gesellschaftswissenschaft ist nicht
möglich ohne die Wissenschaft vom Leben, diese nicht ohne Chemie, die ihrerseits die Physik wie diese die Astronomie und diese
die Mathematik zur Basis hat. Diese Ordnung der Logik wird durch die Geschichte bestätigt. Die Psychologie
ist nur ein Teil der Physiologie (Phrenologie); die Moral beruht auf dem geselligen Trieb und weist Eigennutz und Selbstsucht zurück,
indem sie an die Stelle des eignen Vorteils als Motiv des Handelns (Egoismus) den des »andern« (Altruismus) und das allgemeine
Wohl über das jedes Einzelnen setzt.
Über seine Beziehungen zu Kant vgl. Zimmermann, Kant und die positive Philosophie (Wien 1874). Comtes »Politique
positive« enthält das bis ins Detail ausgearbeitete Ideal der künftigen Organisation der menschlichen Gesellschaft, welche
dadurch charakteristisch ist, daß in derselben den »positiven« Philosophen (ähnlich wie den Wissenden in der Platonischen
Republik) die herrschende Stellung eingeräumt und unter denselben eine Art Hierarchie mit einem Oberhaupt
an der Spitze (ähnlich wie im katholischen Priestertum mit dem römischen Papst) eingerichtet wird, daher die »positive« Gesellschaft
von Gegnern als »Katholizismus ohne Christentum« bezeichnet worden ist.
Nach dem Muster derselben sind von Anhängern Comtes in England (Congreve, Bridges u. a.) Positivistengemeinden
gegründet und an verschiedenen Orten Kirchen (in London zwei) eröffnet worden, in welchen »positivistischer« Gottesdienst abgehalten,
ein (dem katholischen nachgebildetes) »positivistisches« Ritual und sogar ein »positivistischer« Kalender beobachtet wird.
In neuester Zeit sind unter den Mitgliedern Spaltungen eingetreten, infolge deren ein Teil der (übrigens niemals zahlreich
gewesenen) »Positivisten« sich der herrschenden Kirche genähert hat, so daß der Rest der Anhänger von der
strengen Observanz kaum über 100 betragen soll. Einen
populären Auszug aus Comtes sechsbändigem Hauptwerk, dem »Cours«, veranstaltete
neuerdings Jules Rig: »La philosophie positive par Auguste Comte Résumé« (Par. 1880, 2 Bde.)
und eine deutsche Bearbeitung des letztern v. Kirchmann (Heidelb. 1883, 2 Bde.).
2) Pierre Charles, franz. Maler, geb. 1815 zu Lyon, wurde in Paris Schüler von Robert-Fleury und stellte 1847 eine Lady Jane Gray
aus, die, von trefflicher Komposition, korrekter Zeichnung und lebensvoller Charakteristik, Erwartungen erregte, die er nachher
in den Bildern: Heinrichs III. Begegnung mit dem Herzog von Guise (1855, im Luxembourg), Jeanne d'Arc bei
der Krönung Karls VII. (1861, Museum in Reims) und noch mehr in der Leonore von Este, Witwe des Herzogs von Guise, die ihren Sohn
Heinrich schwören läßt, seinen ermordeten Vater zu rächen (1864, Museum in Lyon), in reichem Maß erfüllte. Unter
seinen spätern Bildern nennen wir den letzten Besuch Karls V. im Schloß zu Gent nach seiner Thronentsagung (1866), Zigeuner
vor dem kranken Ludwig XI. (1869), Katharina von Medicis im Schloß Chaumont, Franz I. bei Benvenuto Cellini, Marie Touchet, die
Sage von den vergifteten Handschuhen der Königin Johanna von Navarra, der Mutter Heinrichs IV., die Nichte Don
Quichottes (1877) und den 1878 ausgestellten Dante.