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von Rob. Koch 1883 nach Ägypten [* 2] gesandt wurde, vorbehalten, diese Frage zu lösen. Koch fand in dem Darminhalt von Cholerakranken, in der Darmwand von Choleraleichen, in der Wäsche und im Boden infizierter Ortschaften einen eigentümlichen, noch bei 1000facher Vergrößerung sehr kleinen Spaltpilz, welcher wegen leichter Krümmungen seiner Fädchen von ihm als Kommabacillus bezeichnet wurde. Dieser Pilz [* 3] fand sich konstant in jeder Choleraleiche, aber nur im Darm, [* 4] nicht im Blut oder in andern Organen.
Die Menge der Pilze [* 5] war eine ungeheure, sie stand in geradem Verhältnis zur Schwere der Darmerkrankung, zuweilen waren alle andern sonst im Darm vorkommenden Bakterien durch den Kommabacillus verdrängt. Es gelang Koch, den Pilz rein zu züchten, wobei sich ein Aussehen und ein Verhalten beim Wachstum herausstellten, durch die sich dieser Pilz von allen bisher bekannten in charakteristischer Weise unterscheidet (S. 63, [* 1] Fig. 1). Übertragungen des Pilzes in den Magen [* 6] von Tieren blieben unschädlich, jedoch scheint z. B. beim Meerschweinchen eine wirkliche Cholera zu entstehen, wenn der Mageninhalt vor dem Einbringen der Kommabacillen neutralisiert oder alkalisch gemacht und durch Opium die Darmbewegung gehemmt wird.
Eine natürliche Übertragung, welche Koch in Indien beobachtete, ersetzt indessen den Mangel exakter Tierversuche, da der Bacillus sich in den Pfützen und Wasserlöchern, aus welchen die sehr unsaubern indischen Bewohner Kalkuttas trinken, in solchen Ortschaften, welche von der Seuche befallen waren, massenhaft vorfand, während er an cholerafreien Orten fehlte. Da der Bacillus später in Toulon, [* 7] in Paris [* 8] und Italien [* 9] ganz regelmäßig bei allen Cholerakranken gefunden wurde und sonst nirgends vorkommt, wo nicht Cholera herrscht, so ist nicht zu zweifeln, daß er die Ursache der Seuche u. das bei der Übertragung wirksame »Choleragift« darstellt.
Hierdurch ist nun auch die Möglichkeit gegeben, die asiatische Cholera von jeder Art von anderm Brechdurchfall zu unterscheiden, da nur der eigentlichen Cholera der Kommabacillus eigen ist. Sehr leicht ist diese Unterscheidung übrigens nicht, da es andre in Komma- oder Spirillenform auftretende Pilze gibt, welche mit den echten Cholerapilzen verwechselt werden können.
Am ähnlichsten ist ihm ein Kommabacillus, welchen Prior und Finkler 1884 bei Fällen von einheimischer Cholera fanden [* 1] (Fig. 2), und demnächst eine Spirille, welche Miller aus dem Mundspeichel [* 1] (Fig. 3) gesunder Personen zuerst rein züchtete. Diese Ähnlichkeit [* 10] bezieht sich jedoch nur auf die Gestalt der einzelnen Kommastäbchen, denn wenn die Pilze auf Gelatine in einem Reagenzglas kultiviert werden (s. Figuren, S. 63), so bildet der Cholerapilz höchst charakteristische Figuren, eine Luftblase, von welcher ein dünner weißer Faden [* 11] abgeht, während die andern ähnlichen Bakterien schneller wachsen und die Gelatine mehr gleichmäßig verflüssigen und Figuren bilden, welche einem länglichen Beutel [* 12] gleichen.
Auch wenn die
Bakterien auf Glasplatten in dünnen
Schichten von
Gelatine kultiviert werden
[* 1]
(Fig. 4), bilden die Cholerabacillen
[* 13] sehr eigentümliche
Figuren, leicht ausgezackte
Ringe mit weißem Pünktchen, welche durch Verflüssigung
der
Gelatine tief eingesunken sind und so im
Durchschnitt die Gestalt eines
Napfes
[* 1]
(Fig. 5) erlangen; diese
Figuren in Reinkulturen
sind von denen aller übrigen
Bakterien bestimmt zu unterscheiden, u. nur durch solche
Kulturen kann in zweifelhaften
Fällen
festgestellt werden, ob einheimische oder asiatische Cholera vorliegt.
Dieser Pilz vermehrt sich außerhalb des menschlichen Körpers in Flüssigkeiten, welche das nötige Nährmaterial enthalten, z. B. Trink-, Grund- und andern Wassern mit tierischen Abfallstoffen, äußerst schnell, vermag dagegen sich nicht in trocknem Zustand zu erhalten und geht bei Temperaturen von 17° und darunter zu Grunde. Die Entstehung des Kommabacillus verlegt Koch in den südlichen Teil des Gangesdelta, wo eine zwischen den Flußläufen gelegene Niederung mit üppigster Vegetation regelmäßigen Überschwemmungen zur Zeit der Meeresflut unterliegt und bei der hohen Temperatur eine wahre Brutstätte für alle Bakterien bildet, denn von hier aus verbreitet sich die Cholera regelmäßig nach Norden [* 14] über das übrige Gangesdelta, und zwar wird die Verschleppung in Indien selbst durch ein außerordentlich frequentiertes Pilgerwesen sehr begünstigt.
Von hier aus wird die Cholera auf den verschiedensten Wegen des Verkehrs von Land zu Land verschleppt, bald durch Personen, bald durch Kleider und Waren; ja, es kann durch eine Person die Verschleppung über Hunderte von Meilen erfolgen, wie dies z. B. 1866 geschah, wo die Cholera von Odessa [* 15] direkt nach Altenburg [* 16] importiert wurde. Es ist nicht nötig, daß die Person, welche die Verschleppung bewirkt, selbst an schwerer Cholera erkrankt; vielmehr können schon die Dejektionen von einem leichten Choleraanfall, der als solcher noch gar nicht erkannt ist, in einem bisher davon freien Orte die Cholera importieren. In seltenen Fällen geschieht die Übertragung in der Weise, daß die Krankheit von dem Ankömmling unmittelbar auf die mit ihm in Berührung kommenden Menschen übertragen wird (wenigstens erlangt auf diese Weise die Cholera niemals eine epidemische Verbreitung); vielmehr wird an dem bisher gesunden Orte durch die ankommenden Cholerakranken ein sogen. Infektionsherd gebildet, d. h. wahrscheinlich eine Bodenvergiftung bewirkt, und von diesem Boden aus, besonders wenn derselbe durch Feuchtigkeit zur Vermehrung der Keime beiträgt, werden die umwohnenden Menschen gefährdet. Während nun in den 30er Jahren die Cholera gemäß der damaligen Verkehrsart langsam vorrückte und vornehmlich auf der Karawanenstraße über Rußland bei ¶
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uns eingeschleppt wurde, ist heute der Weg durch den Suezkanal so erheblich abgekürzt und durch die Dampfschiffahrt die Fahrzeit eine so kurze geworden, daß in 18-20 Tagen ein Cholerakeim von Indien nach Italien und dem südlichen Frankreich importiert werden kann, während wir von der Verbreitung auf dem Landweg von Indien her kaum noch etwas zu fürchten haben dürften. Man hielt bis vor kurzem die Schiffe [* 18] im allgemeinen für wenig geeignet, den Ansteckungsstoff weiter zu übertragen, und für gewöhnliche Fahrzeuge hat sich dies auch bestätigt; indessen sind nach Koch solche Fahrzeuge, welche Massentransporte von Menschen bewirken, durchaus geeignet, den Krankheitskeim auch für eine längere Seereise zu konservieren.
Die Ansteckung des einzelnen Menschen geschieht in der Weise, daß der Krankheitskeim in die Speisewege entweder durch Trinkwasser, oder durch Übertragung mittels Insekten [* 19] auf feuchte Speisen, oder durch Berührung der letztern mit infizierten Händen gelangt und unverdaut durch den Magen in den Darmkanal dringt, wo er seine spezifische Thätigkeit entwickelt. Hierzu ist es aber nötig, daß der Magen nicht in normaler Weise funktioniert, da bei ungestörter Verdauung die Pilze zu Grunde gehen, und wir sehen deshalb die Cholera nur bei solchen Personen auftreten, welche an Verdauungsstörungen leiden, und deshalb werden auch während einer Epidemie die meisten Erkrankungen an den Montagen konstatiert, nachdem der Magen durch sonntägliche Exzesse geschwächt war.
Eine Übertragung der Krankheitserreger durch die Luft ist unwahrscheinlich, da dieselben nach Koch in trocknem Zustand (und anders können sie durch die Luft nicht fortgeführt werden) zu Grunde gehen. Im Darmkanal, zumal wenn derselbe bereits durch Verdauungsstörungen gelitten, vermehren sich die Kommabacillen äußerst schnell, gelangen aber selbst nicht in die Blutbahn; vielmehr werden die schweren Krankheitssymptome und der häufig so plötzliche Tod wahrscheinlich durch die Aufnahme von giftigen Stoffen bedingt, welche diese Bakterien erzeugen, und welche dann in die Blutbahn gelangen.
Auf diesen immerhin noch nicht völlig geklärten Erfahrungen, welche man über das Wesen und die Verbreitungsweise des Choleragifts gesammelt hat, beruhen die Maßregeln, welche man zur Abwehr dieses schlimmen Feindes ergriffen hat, und welche in neuester Zeit, als die Epidemie von 1884 von Frankreich her das Deutsche Reich [* 20] bedrohte, in dem Erlaß des preußischen Kultusministers zur Abwehr der Cholera einen geläuterten Ausdruck gefunden haben. Zunächst ist hiernach dem Eisenbahngrenzverkehr an denjenigen Orten besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden, wo ein erheblicher Zutritt von Reisenden stattfindet.
Die Reisenden sind in den Eisenbahnkoupees von Ärzten zu besichtigen, wobei das Zugpersonal und die Mitreisenden wichtige Aufschlüsse über etwanige Krankheitserscheinungen geben können. Koupees, in denen Kranke gefunden sind, müssen geräumt und desinfiziert werden. Die Sanitätsbehörden, welche durch besondere Sanitätskommissionen in den einzelnen Ortschaften unterstützt werden müssen, haben dafür zu sorgen, daß nicht durch gelegentliche, an sich unerhebliche Erkrankungen, namentlich der Verdauungsorgane, individuelle Dispositionen für die Cholera hervorgerufen werden.
Sie haben die örtlichen Verhältnisse genau zu überwachen, besonders für möglichste Sauberhaltung der Straßen und Plätze, häufige Reinigung der Rinnsteine zu sorgen; ferner ist zu verhüten, daß Abtritte und Dunggruben in der Nähe von Brunnen [* 21] angelegt werden, überhaupt muß ein Durchsickern dieser unreinen Stoffe ins Erdreich möglichst sorgfältig vermieden werden. Brunnenwasser ist vor allen Verunreinigungen zu schützen und ist da, wo Wasserleitungen bestehen, möglichst vom Gebrauch auszuschließen.
Jedes Feilhalten von gesundheitsschädlichen Nahrungsmitteln ist strengstens zu ahnden. Herbergen, Logierhäuser und Massenquartiere von Arbeitern sind vor Überfüllung zu bewahren und auf ihre Sauberkeit hin zu kontrollieren. Für den Fall des Ausbruchs der Cholera an einem Ort ist für Entsendung hinreichend zahlreicher Ärzte, besonders in die ärmern Distrikte, zu sorgen, Märkte und Messen sind eventuell aufzuheben, ebenso erforderlichen Falls die Schulen zu schließen.
Die Kranken selbst sind entweder in ihrer Wohnung zu isolieren, oder nach einer Krankenanstalt überzuführen. Alle Gegenstände, welche mit einem Cholerakranken in Berührung gekommen waren, sind zu desinfizieren, so z. B. die transportierenden Tragen und Wagen, Betten, Wäsche etc. Das Spülen von Gefäßen etc., welche mit Cholerakranken in Berührung waren, an Brunnen ist strengstens zu verbieten und das Genießen von Speisen in Krankenräumen, auch wenn dieselben bereits geleert sind, nach Möglichkeit zu vermeiden.
Die Leichen sind womöglich in besondere Räume zu bringen, die Ausstellung derselben vor dem Begräbnis zu untersagen und das Leichengefolge möglichst zu beschränken. Eine Beunruhigung der Bevölkerung [* 22] ist durchaus zu vermeiden, es muß darauf hingewirkt werden, daß jeder sich der größten Mäßigkeit und Reinlichkeit an seinem Körper befleißigt und bei jeder Verdauungsstörung, auch wenn dieselbe ihm gering erscheint, den Arzt aufsucht. Was die Desinfektion [* 23] anbetrifft, so sind die Exkremente und wertlosen Gegenstände am besten zu verbrennen; über die Desinfektion der Wäsche, Räume etc. s. Desinfektion.
Wenn nun diese Schutzmaßregeln auch bei einmal ausgebrochener Epidemie die Ausbreitung derselben in wirksamer Weise verhindern können, so ist doch die Erklärung einigermaßen schwierig, durch welche Verhältnisse eine Epidemie definitiv zum Verschwinden gebracht wird. Wenn man annehmen kann, daß nach längerm Bestehen einer Epidemie fast alle Leute wenigstens an ganz leichten Anfällen erkrankt sind, und daß das Überstehen eines Anfalls wenigstens für kurze Zeit einen Schutz gegen neue Erkrankung bietet (obwohl es auch vorgekommen ist, daß jemand während einer Epidemie zweimal erkrankte), so muß ein derartig »durchseuchter« Ort nach einiger Zeit naturgemäß eine gewisse Immunität gegen Cholera erlangen und letztere schließlich erlöschen, womit auch die Thatsache übereinstimmt, daß gegen Ende einer Epidemie die Erkrankungen stets leichter sind. Ferner findet der Cholerakeim an der Kälte unsrer Gegenden den wirksamsten Bekämpfer.
Der Ausbruch einer Epidemie geschieht in verschiedener Weise. Häufig gelangen die ersten Fälle sehr vereinzelt zur Kenntnis, und es dauert geraume Zeit, bis plötzlich gleichzeitig eine große Anzahl von Menschen erkranken, öfters in den einzelnen Stadtteilen zerstreut, öfters an einem Punkte der Stadt, und man spricht dann von einer Explosion der Cholera. Fast nie wird eine Stadt sogleich in großer Ausdehnung [* 24] ergriffen, sondern es kann vorkommen, daß mehrere Monate lang nur vereinzelte Fälle in schwachen Epidemien fortbestehen, in dieser Weise die kalte Jahreszeit überdauern und dann, besonders bei Eintritt der wärmern Jahreszeit, sich zu einer ¶