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gebundener Rede verfaßt sind. Was die Chinesen in dieser Gattung geschaffen haben, mag unzählbar sein: rechnen sie doch Versemachen zu den notwendigen Künsten eines Mannes von feinerer Bildung. Was wir davon außer dem »Schiking« kennen, ist jedenfalls verschwindend wenig. Ihren höchsten Aufschwung nahm die Kunst der Lyrik unter der Dynastie Thang (618-906); damals blühten die beiden berühmtesten Meister, Tufu und Lithaipe, letzterer ein liederliches Genie der interessantesten Art, persönlicher Freund seines Kaisers, der sich den Launen und Flegeleien des seltenen Menschen zu fügen wußte.
Die Chinesen sind Naturfreunde, das beweisen ihre Gartenanlagen, und so lieben sie es auch, die Natur bis zu ihren kleinsten Erscheinungen zum Gegenstand ihrer dichterischen Ergüsse zu machen, oft den Gegenstand des Liedes sinnig zu eignen Schicksalen und Seelenzuständen in Beziehung setzend. Das Wortspiel, nach unsern Begriffen eine der niedersten Arten des Witzes, wird vielfach mit recht ernster Wirkung angewendet: die Allegorie läßt durch den Klang gewisser Stichwörter den versteckten Sinn ahnen.
Die Chinesen dichten in Reimen, und ihre Versmaße sind nicht minder mannigfaltig als die unsrigen. Die herrschende Vorliebe für allerlei uns fremde Anspielungen macht das Studium ihrer Dichtungen zu einem äußerst schwierigen. Von manchen anmutigen Romanzen und Stimmungsliedern besitzen wir gute Übersetzungen. Wenig entwickelt ist nach unsern Begriffen die dramatische Kunst. In den Bühnenstücken, deren einige uns in Übersetzungen und Bearbeitungen vorliegen, zeigt sich öfters Geschick in der Entwickelung spannender Situationen (s. Drama).
Letzteres gilt auch von manchen Romanen. Die Bücher dieser Art sind sämtlich in Prosa geschrieben. Wir kennen deren drei Hauptarten: den märchenhaften Roman, in welchem die Ereignisse von Dämonen und Feen geleitet werden, den historischen und den bürgerlichen oder Familienroman. Einzelne Werke der letztern Gattung haben auch in Europa [* 2] Beifall gefunden und das mit Recht, denn nirgends wird man so lebenswarme Schilderungen des chinesischen Treibens und Denkens finden wie hier.
Wir erinnern an das Jükiaoli (»Geschichte der beiden Kousinen«),
welche Rémusat und Julien, und an das Haokieutschuan (»Die glückliche Vereinigung«),
welche Davis u. a. übertragen haben. Das Kingphingmei aber, die Geschichte eines reichen Lüstlings, eigentlich mehr eine erfundene Biographie als ein einheitlicher Roman, würde geradezu eine Encyklopädie des Lebens im Reich der Mitte liefern, wenn es übersetzbar wäre. Der Verfasser muß ein Genie seltener Art gewesen sein: Feinheit und Konsequenz der Charakterzeichnung, lebenswahre Schilderung der verschiedensten Gesellschaftskreise und Vorkommnisse, schlagender, allzeit fertiger Witz, zuweilen wahrhaft ergreifende Poesie und Gemütsinnigkeit, aber dabei (und dies verhindert die Veröffentlichung des Werkes in einer europäischen Übersetzung) neben vielen Längen eine wahre Sucht, das Schmutzigste ohne Scham und Scheu recht grell auszumalen, zeichnen seine Werke aus. Daß Liebe und Heirat in den Lustspielen und Romanen der Chinesen nicht die Alleinherrschaft ausüben, die man ihnen bei uns gönnt, darf nicht wundernehmen; eher, daß wir auch hier nicht selten einer wahrhaft reinen Liebe begegnen. Die endliche Beförderung eines lange verkannten oder unterdrückten Talents zu einer höhern Stelle befriedigt freilich den Sinn des chinesischen Lesers ebensosehr wie uns eine schwer erkämpfte Ehe.
Die Chinesen bedienen sich zum Druck ihrer Bücher des Holzschnittes. Sie bedrucken nur eine Seite ihres dünnen Papiers. Die Blätter werden in der Mitte zusammengefalzt, und der Falz, [* 3] auf welchem Titel, Heft- und Blattzahl, oft auch die Überschrift des Kapitels oder Buches stehen, bildet die äußere Seite des Blattes. An der entgegengesetzten Seite ist das Buch geheftet. Die innere Einrichtung ist der unsern fast gleich: auf die Vorrede folgt die Inhaltsübersicht, dann der Text. Wo dieser kommentiert ist, stehen die Anmerkungen bald in kleinerm Druck oder eingerückt zwischen dem Text, bald in besondern Querabteilungen über demselben.
Minder sorgfältige Drucke entbehren der Interpunktionen.
Vgl. Abel Rémusat, Essai sur la langue et la littérature chinoises (Par. 1811);
Davis, On the poetry of the Chinese (in den »Transactions of the Royal Asiatic Society«, Lond. 1829);
Bridgman, Chinese chrestomathy (Macao 1841);
Schott, Entwurf einer Beschreibung der chinesischen Litteratur (Berl. 1854);
Derselbe, Chinesische Verskunst (das. 1857);
Derselbe, Zur Litteratur des chinesischen Buddhismus (das. 1873);
A. Wylie, Notes on Chinese literature (Schanghai [* 4] 1867), und verschiedene Abhandlungen von Plath und Pfizmaier in den Veröffentlichungen der Münchener und Wiener Akademien der Wissenschaften.