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des Inhalts doch verwandten Zweck hatten mit unsern Gesetzbüchern. Aus dem 13. oder 12. Jahrh. v. Chr. stammt das von Biot ins Französische übersetzte Tschéuli, eine wahre Fundgrube für die Kenntnis der Kulturzustände seiner Zeit, heute wohl auch für die Chinesen nur noch von geschichtlichem Interesse. Das mehr als tausend Jahre jüngere Liki, ein lose gefügtes Sammelwerk aus ältern Quellen, steht dafür noch heute in praktischem Ansehen und pflegt den King angereiht zu werden. Überraschend sinnig ist die Würdigung, welche die Musik in diesem Buch findet: wie das Li die Handlungen, so mäßigt die Tonkunst die Gefühle der Menschen;
jenes sondert, diese vereinigt, versöhnt;
dort trennende Ordnung, hier verbindende Harmonie.
Den King als klassische Schriften zunächst stehen die Sseschu, worunter man vier kurz nach des Konfucius Zeit entstandene philosophische Bücher versteht: das kurze Tahio (»die große Lehre«), [* 2]
ein Abriß der sittlichen und politischen Grundlehren;
Tschung-yung (etwa »das Beharren in der Mitte«),
eine schön geschriebene Abhandlung über das Einhalten der rechten Mittelstraße als Norm des sittlichen Verhaltens;
Lüniü (»Gespräche«),
eine Aufzeichnung von Aussprüchen des Konfucius, meist in Form kurzer Zwiegespräche, bei aller Trockenheit doch reich an trefflichen Kernsprüchen des Weisen über sittliche und Lebenswahrheiten.
Von verwandtem Inhalt, aber von belebterm Stil ist das vierte, das Buch Mengtse, so genannt nach dem gleichnamigen Lebensphilosophen, dem Mencius der katholischen Sendboten, nach heutiger Ansicht dem hervorragendsten Jünger des großen Meisters. Gleich diesem suchte Mengtse praktisch ins Staats- und Volksleben einzugreifen, indem er bei verschiedenen Lehnsfürsten des Reichs in Dienste [* 3] trat und überall entschieden, wenn schon oft in diplomatisch milderer Form als sein Vorgänger, die ihm begegnenden Mißstände bekämpfte. Das Buch, das einzelne seiner Unterredungen wiedergibt, ist dank der Anmut und der verhältnismäßigen Leichtigkeit seines Stils wie kaum ein zweites geeignet, uns in das Studium der altchinesischen Litteratur einzuführen. Beste Übersetzung der King und Sseschu von Legge (»The Chinese classics«, bisher 8 Bde., Lond. 1861 ff.), des Mengtse von Stanislas Julien.
Der Jugendunterricht soll zunächst als Vorstufe zur weitern humanistischen Bildung, d. h. zum Verständnis der Sseschu und der King, dienen. Wahre Elementarbücher sind vor allen das Santseking (»Drei-Wort-Kanon«) und das Tsiantsewen (»Tausend-Wort-Lehre«),
gereimte Büchlein, die, auswendig gelernt und nachgeschrieben, den Schüler in die Lese- und Schreibekunst einführen. Das Siaohio (»Kleine Lehre«) enthält Verhaltungsregeln, das Hiaoking (»Pietätskanon«) die Lehre von den kindlichen Pflichten. Für den Unterricht der Mädchen sind analoge Werkchen im Gebrauch.
Was man als chinesische Staatsreligion zu bezeichnen pflegt, ist eben die Lehre des Konfucius und seiner Schüler. In dieser tritt das religiös-dogmatische Element weit hinter dem praktisch-moralischen zurück. Dieses aber ist so menschlich schön darin entfaltet, die Übereinstimmung des wahrhaft Sittlichguten mit dem wahrhaft Nützlichen so entschieden, oft so schlagend darin durchgeführt, daß man begreift, wie der ostasiatische Riesenstaat sich unter der Herrschaft solcher Grundsätze Jahrtausende hindurch behaupten konnte.
Pietät gegen die Toten, gegen die Obrigkeit, die Eltern und den ältern Bruder, Wohlwollen und Gerechtigkeit gegen Gleichgestellte und Untergebene sollen das Leben des Volkes und der Familie beherrschen, Lernbegierde und Fleiß das allgemeine Wohl fördern: Achtung daher auch vor der Wissenschaft und ihren Vertretern! Laotse, ein etwas älterer Zeitgenosse des Konfucius, war im Gegensatz zu diesem ein Theosoph von der tiefsinnigsten Mystik. Sein Werk Taoteking, der Kanon von der Vernunft (Gott) und der Tugend, dessen Worte von Stanislas Julien, dessen Geist von Viktor v. Strauß [* 4] gedeutet worden, steht innerhalb der chinesischen Litteratur fast vereinzelt da. Selbstbefreiung, der Weltvernunft ähnlich werden, ist das Ziel des menschlichen Lebens und Strebens. An Konfucius und Laotse reihen sich fünf, bez. vier spätere Denker an, die, nächst ersterm Meister für die bedeutendsten gehalten, samt Laotse unter dem Namen zehn Philosophen zusammengefaßt werden.
Sie schmiegen sich teils dicht an ihre Vorbilder an, teils suchen sie deren Lehren [* 5] selbständig weiterzubilden, zuweilen sie zu verbessern. Einer von ihnen, Sünking, wendet sich geradezu gegen eine Grundlehre seines Meisters Konfucius, indem er die menschliche Natur nicht, wie dieser, als ursprünglich gut, sondern als von Haus aus böse bezeichnet. Im Gegensatz zu diesen zehn werden zwei selbständige Denker schlechthin als Irrlehrer genannt: Miti, der in allgemeiner gegenseitiger Liebe die Grundlage des irdischen Glückes zu finden meinte und dabei die besondere, vorzugsweise Liebe, die man Einzelnen schuldet, hintansetzte, und Yangtschü, der im persönlichen Wohlbefinden das höchste Gut erblickte und somit die Moral in ihren Grundlagen verneinte. Beide Irrtümer werden von Mengtse bekämpft.
Der Stil dieser alten Philosophen ist oft bis zur Dunkelheit kurz und sententiös, ihre Gedankenfolge springend, nicht Schritt für Schritt einem Ziel zugehend. Die logischen Mittelglieder wollen gesucht, erraten werden, und oft erschweren Anspielungen auf wenig bekannte Personen und Thatsachen das Verständnis vollends. Und was wir von der altchinesischen Litteratur besitzen, sind doch nur große Trümmer. Denn um 200 v. Chr. hieß Kaiser Schihoangti, der landesüblichen Altertümelei gram, bei Androhung harter Strafe alle im Reich vorhandenen Bücher verbrennen und 460 Gelehrte, die ihre Schätze vor der Vernichtung retten wollten, bei lebendigem Leibe begraben.
Was jener Verheerung entging, ist im Verhältnis zu dem Verlornen sehr wenig, und manches, das nachmals aus der Erinnerung alter Leute wieder aufgezeichnet wurde, ist entschieden lücken- und fehlerhaft auf uns gekommen. Man sieht, es gilt viel Dunkles zu erklären, viel Fehlendes zu ergänzen. Der Textkritik und Interpretation ist damit ein Feld geöffnet, das seitdem von den chinesischen Kommentatoren mit namenlosem Fleiß, vielfach mit großer Umsicht bebaut worden ist.
Schade nur, daß durch derlei Arbeiten viele der besten Köpfe dem selbständigen Denken entzogen wurden. Unter den Meistern in diesem Fache gebührt dem Tschuhi (gest. 1200 n. Chr.), dem »Fürsten der Litteratur«, der erste Rang. Vielseitiges Wissen, scharfer kritischer Verstand, unermüdlicher Fleiß und fein gebildeter Geschmack sind ihm in gleich hohem Grad eigen. Seine Werke, 18 an der Zahl, zusammen 66 Bücher einnehmend, sind epochemachend geblieben und zählen noch heute zu den tüchtigsten Lehrmitteln. Tschuhi begnügte sich nicht mit der Kritik und Auslegung vorhandener Texte, sondern er faßte auch die Früchte seines eignen Denkens in selbständig geordneten Schriften zusammen, er schuf Kompendien der Moral, der Pädagogik, der ¶
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Musik, der Naturphilosophie, der Politik etc. Er war, wenigstens unsers Wissens, der letzte Philosoph von Bedeutung. An die Schule des Laotse hat sich unter dem Namen Taosse eine religiöse Sekte angelehnt, deren Lehre mit jener ihres Meisters nur wenig mehr zu schaffen hat. Ihre Bücher, soweit wir von ihnen Kunde haben, sind teils moralischen, teils toll abergläubischen Inhalts; das von Julien übersetzte Spruchbuch »Über Belohnungen und Strafen« gehört in die erstere Gattung. Die religiösen Schriften der Buddhisten sind für uns wertvoll, teils weil sie die Entwickelung dieses Glaubens in China [* 7] abspiegeln, teils weil sie manches im indischen Urtext verloren gegangene Werk aufbewahrt haben. Näheres über sie gehört aber mehr in die Geschichte jener Religion als in die der chinesischen Litteratur.
Das Studium der alten Schriftsteller erheischt das ihrer Sprache, [* 8] die Richtigstellung und Erklärung der Texte setzt eine Philologie voraus. In dieser Wissenschaft haben die Chinesen Erhebliches geleistet. Freilich sind sie wohl nie darauf verfallen, ihre Sprache grammatisch zu bearbeiten; die Formlosigkeit derselben lud dazu nicht ein. Ihre Wörterbücher aber sind um so bedeutender, das größte derselben umfaßt 237 Bände. Dazu kommen Werke über alte Schriftzeichen und Inschriften, über die Aussprachen der verschiedenen Dialekte, über auffallende Sprachgebräuche einzelner Schriftsteller, endlich Wörterbücher, ja sogar Grammatiken der mongolischen, mandschuischen und noch mancher andrer Sprachen.
Bis zu einer vergleichenden Linguistik in unserm Sinn hat man es nicht gebracht. Die chinesische Geschichtschreibung kann, was Vollständigkeit und Zuverlässigkeit des Erzählten betrifft, mustergültig genannt werden, nicht aber hinsichtlich ihrer Darstellungsweise. Der trockne Annalenton des »Tschhünthsiéu« (s. oben) klingt fast überall nach, allenfalls gewinnt das Erzählte durch tieferes Eingehen in Einzelheiten an Lebendigkeit; fast überall aber bleibt ein übersichtliches Bild der jeweiligen Zustände und ein klares Entwickeln der Ereignisse aus diesen zu vermissen.
Seit der Dynastie Hia (2207-1767) besteht bis auf den heutigen Tag das Amt der Reichsgeschichtschreiber, und die Vasallenfürsten unterhielten für ihre Staaten ähnliche Ämter. Die damit betrauten Männer, jetzt das ganze Hanli-Kollegium, scheinen stets einer Unabhängigkeit genossen zu haben, die Vertrauen in die Wahrheit ihrer Berichte erweckt. Durch den großen Bücherbrand ist natürlich, was sich bis dahin von jenen Quellen erhalten hatte, vollends zu Grunde gegangen.
Das Sseki des Ssematsian aus dem 1. Jahrh. v. Chr. ist nächst dem Schuking und dem Tschhünthsiéu das wichtigste Werk für Chinas ältere Geschichte. Der Verfasser hat mit unendlichem Fleiß die vorhandenen Urkunden, Denkmäler und Sagen durchforscht, um so ein Werk zu schaffen, das die Geschichte von beinahe dritthalb Jahrtausenden, vom Kaiser Hoangti bis 122 v. Chr., in sich faßt. Er ordnet seinen Stoff in fünf Teile:
1) Lebensbeschreibungen der Kaiser mit nur kurzer Erwähnung der reichsgeschichtlichen Ereignisse;
2) chronologische Aufzählung von Belehnungen und Ernennungen;
3) Geschichte von Ritual, Musik, Gesetzen, Zeitbestimmung, Astronomie, [* 9] Opfern, Staatsbauten und Maß und Gewicht;
4) Genealogie der lehnsfürstlichen und andrer durch Grundbesitz bedeutender Häuser;
5) Biographien hervorragender Männer, nicht selten verbunden mit ausführlichen Erzählungen wichtiger geschichtlicher Begebenheiten. Diese Einteilung des Stoffs gilt noch heute der offiziellen Geschichtschreibung als Muster. Das Sseki eröffnet die Reihe der sogen. »vierundzwanzig Geschichtswerke«, d. h. der Reichsannalen. Die nächstfolgenden Werke sind Privatarbeiten; seit dem 7. Jahrh. v. Chr. aber besteht die Einrichtung, daß jede Dynastie amtlich die Geschichte der vorhergehenden bearbeiten läßt. Neben diesen Werken gibt es dann noch die Geschichten einzelner Lehnsreiche und Provinzen und eine Menge zum Teil sehr umfangreicher Privatarbeiten, unter denen das »Thongkian« des Ssemakuang und seiner Nachfolger für das bedeutendste gilt.
Was wir von den Leistungen der Chinesen auf den Gebieten der Länder- und Völkerkunde, der Naturgeschichte und Medizin und andrer Erfahrungswissenschaften kennen, ist wohl durchweg mehr beschreibend und aneinander reihend als systematisch gehalten. Der Wert der einschlägigen, zum Teil sehr umfangreichen Werke beruht in der Art, wie die Thatsachen beobachtet und erzählt, nicht wie sie erklärt werden. Die herkömmliche dualistische Naturphilosophie mit ihrer Theorie von den fünf Elementen: Feuer, Wasser, Erde, Metall und Holz [* 10] muß in der Arzneiwissenschaft ersetzen, was an anatomischen, physiologischen, chemischen und physikalischen Kenntnissen fehlt.
Die Berichte chinesischer Reisenden über benachbarte Länder aber versprechen eine wahrhaft unschätzbare Ausbeute, desgleichen die Schriften über Ackerbau und Gewerbe. Den uns nur wenig bekannten Werken der Gesetzgebung und Rechtswissenschaft wird Übersichtlichkeit und logische Konsequenz nachgerühmt. Überaus beliebt sind die Encyklopädien. Der kleine, aus ein, zwei Heften bestehende »Hausschatz« (Kiapao), der in der Wohnung des kleinen Mannes neben dem Kalender und einer Anzahl billiger Erzählungen fürs Volk liegt, ebenso wie die hundert- und tausendbändigen Sammelwerke in den Büchereien der Großen und Gelehrten, alle erfüllen sie den Zweck, ihrem Besitzer innerhalb des Kreises seines Bedürfnisses allseitige Belehrung zu gewähren.
Auch haben wissenschaftliche Köpfe ersten Ranges es sich angelegen sein lassen, solche Universalwerke zu verfassen. Obenan unter diesen Encyklopädisten steht Matuanlin (1245-1322), ein Mann von einem Umfang des Wissens, einer Schärfe des Urteils und Arbeitskraft, die ihm den Rang unter den größten Gelehrten der Welt sichern. Sein Buch »Wenhianthongkhao«, ein Riesenwerk von 348 Bänden in 24 Abteilungen, stellt in kraftvoll klarem Stil die gesamte chinesische Landes- und Volkskunde mit Ausschluß gewisser Teile der Naturbeschreibung, aber einschließlich der Staats-, Kultur- und Litteraturgeschichte, Astronomie, merkwürdige Naturereignisse, endlich die Zustände der bekannten ausländischen Nationen dar.
Zwei Nachträge Späterer, zusammen gegen 300 Hefte haltend, führen das Werk bis ins 18. Jahrh. hinein weiter. Man begreift, wie einer unsrer Sinologen sagen konnte, ein solches Buch wiege für sich allein eine Bibliothek auf und würde, wäre es das einzige Erzeugnis der chinesischen Litteratur, vollauf die Erlernung der chinesischen Sprache lohnen. Mit zahlreichen Abbildungen versehen, aber kaum ein Sechstel so groß ist das »Santsaithuhoei«, wahrscheinlich in Japan mehr verbreitet als in seinem Vaterland. Wir wissen aber auch, daß die kaiserliche Bibliothek zu Peking [* 11] eine Encyklopädie von 10,000 und eine von 22,870 Bänden besitzt. Die Anordnung aller dieser Werke ist nicht die bei uns beliebte lexikalische, sondern eine dem Gutdünken der Redaktoren folgende sachliche.
Dichterische Werke gehören nach chinesischer Auffassung nur dann zur höhern Litteratur, wenn sie in ¶