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Truppentransporte seitens der Regierung in Aussicht genommen und 1884 entsprechende Pläne vorbereitet. Vor zwei Jahren erlangten englische Ingenieure die Erlaubnis zum Bau einer Eisenbahn von Schukautschung bei Tiëntsin zu den Kohlenminen von Kaiping (13 km), die auch gelegentlich zur Personenbeförderung benutzt wird. Die erste Telegraphenlinie wurde 1874 eröffnet, dieselbe diente aber, wie einige kleinere darauf folgende, nur dem lokalen Bedürfnis. Die erste Linie für den internationalen Dienst (Schanghai-Tiëntsin, 1510 km) datiert von 1881, darauf folgten rasch die Linien Tiëntsin-Taku und Tiëntsin-Peking; augenblicklich (1885) steht Schanghai [* 2] mit den wichtigsten Vertragshäfen in Verbindung, und ein Drahtnetz über alle Teile des Reichs dürfte nicht lange aus sich warten lassen. Die Insel Formosa hat gleichfalls eine Telegraphenlinie. Die unterseeischen Linien an den Küsten befinden sich sämtlich im Besitz fremder Gesellschaften.
Münz- und Währungsverhältnisse. Die einzigen Münzen, [* 3] welche in China [* 4] selbst geprägt werden, sind die Käsch oder Tungtsin aus Kupfer [* 5] von verschiedenem Werte; durchschnittlich gehen 1120 auf einen mexikanischen Dollar. Der Haikuan Tael ist eine Rechnungsmünze, deren Wertverhältnis zum mexikanischen Dollar durch Verträge festgestellt ist. Der Haikuan Tael, in dem die Zölle bezahlt werden und die Werte der Zollstatistik berechnet sind, gilt etwas über 1½ mexikan. Dollar, was im Durchschnitt der Kursschwankungen für 1884: 5 Shill. 7 P. = 5,60 Mk. = 7,06 Frank ergibt.
Mexikanische [* 6] Dollars zirkulieren vorwiegend in den südlichen Vertragshäfen, in Schanghai nur für den Kleinverkehr. Größere Zahlungen erfolgen in Silberbarren (engl. shoes), die von einer Bank nach ihrem Gehalt gestempelt sind; solche Barren wiegen gewöhnlich 50 Taels à 37,783 g. Kleinere Zahlungen macht man mittels kleiner Stücke ungestempelten Silbers, die bei jeder Zahlung gewogen werden; doch sind die Handelsusancen in diesem Punkt sehr verschieden. Im Innern sind Silberbarren und Kupferkäsch (oder Sapeken) noch immer die Hauptzahlmittel.
Geldtransaktionen mit London [* 7] und Paris [* 8] vermitteln nach dem Kurs des Schanghai Tael (5 Shill. = 6,38 Fr.) die in den Vertragshäfen etablierten sechs englischen Banken und eine französische (Comptoir d'Escompte de Paris). Einheimische Banken bestehen in sehr großer Zahl; von der Regierung zur Erhebung der Taxen und Steuern verwendet, ist es ihnen gestattet, gegen einige Sicherheit für den Ankauf von Landesprodukten Noten auszugeben, die auf starkes, grobes Papier gedruckt und, um der Fälschung vorzubeugen, mit einer Menge Stempel versehen sind.
Dies Papiergeld zirkuliert in Abschnitten von 100 bis zu 1000 Käsch und ist außerordentlichen Schwankungen unterworfen. Regierungspapiergeld gab es früher gleichfalls, schon seit der Dynastie Thang (7.-10. Jahrh.); es kam aber durch die betrügerischen Manipulationen der Mongolenkaiser (1280-1333) in Mißkredit und wurde abgeschafft. Das chinesische Banksystem datiert bis ins 1. Jahrh. v. Chr. zurück, und die chinesischen Bankiers, die meist zugleich Pfandleiher sind, bilden eine einflußreiche Gilde.
Maße und Gewichte. Längenmaß ist das Tschih (3,55 m) = 10 Tsuns = 100 Fens, Wegmaß das Li = 360 Pus = 556,5 m, Landmaß das Mou = 6,13 Ar, Hohlmaß das Scheng = 10,51 Lit. Einheitsgewicht ist für gewöhnliche Ware das Tschin oder Katti = 604,53 g = 16 Liangs oder Taels (100 Tschin = 1 Tan oder Pikul), für wertvollere der Liang oder Tael = 37,783 g.
Staatsverfassung und Verwaltung.
Die Staatsverfassung Chinas ist monarchisch und den Staatsgrundgesetzen nach, wie sie in den ersten vier Büchern des Konfutse enthalten sind, patriarchalisch; in Wirklichkeit ist die Regierung jedoch in eine Willkürherrschaft der Provinzvorstände ausgeartet. An der Spitze steht der Kaiser, er wird als der Vater seines Volkes betrachtet und besitzt über alle seine Unterthanen unumschränkte Gewalt. Er ist ein geistliches Oberhaupt, wie viele europäische Herrscher es sind, zugleich höchster Richter und Anführer im Krieg.
Man verehrt den Kaiser in abgöttischer Weise, indem man sich in den Staub wirft, sobald er erscheint, ja sogar vor dem leeren Thron. [* 9] Nie läßt er sich öffentlich sehen, ohne daß Scharen von Polizeidienern voraufgehen und eine ungeheure Leibgarde folgt. Das Recht der Nachfolge beruht nicht auf der Erstgeburt, sondern der Kaiser wählt sich seinen Nachfolger unter den Söhnen seiner ersten drei Gemahlinnen; jedoch wird seine Wahl erst bei seinem Tod bekannt gemacht.
Die Mitglieder der kaiserlichen Familie genießen als solche nur geringe Auszeichnung von seiten des Staats. Die Regierung des Landes ist eine ziemlich verwickelte. Ein umfassendes Staatshandbuch in 920 Bänden, das Tatsing Huitien, ist ausschließlich der Darstellung der Regierungsverhältnisse gewidmet. Staats- und Hofämter, auch Zivil- und Militäranstellungen sind oft in Eine Hand [* 10] gelegt; für die Kultus- und Unterrichtsanstalten bestehen besondere Behörden.
Seit Beginn des 18. Jahrh. werden die wichtigsten Staatsangelegenheiten von einem Kabinett von Ministern unter dem Titel Künkitschu in Gegenwart des Kaisers meist in den frühen Morgenstunden (von 5 bis 6 Uhr) [* 11] verhandelt. Nächst diesem, dem »hohen Rat«, steht nominell die oberste Leitung der Verwaltung bei der »innern Ratskammer« (Nuiko) von vier Mitgliedern (zwei von tatarischer und zwei von chinesischer Abkunft). Unter den Befehlen dieser Mitglieder arbeiten die sechs Regierungsabteilungen, welche die innern Angelegenheiten besorgen. Es sind dies folgende sechs Tribunale (Liupu): für Zivilbeamte, deren Ernennung etc.;
für Finanzen (das fremde Seezollwesen untersteht dem auswärtigen Amt);
für Gebräuche und Zeremonien;
für Kriegswesen;
für Strafsachen;
für öffentliche Arbeiten.
Für die Nebenländer (Mongolei etc.) besteht das Fremdenamt (Lifanjuan). Im J. 1860 wurde das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten (Tsunglijamen) eingesetzt, dem die von Europäern geleiteten Anstalten unterstellt sind. An die Zentralverwaltung berichtet der »Rat der öffentlichen Zensoren« (Tutschajuen). Diese höchst merkwürdige Institution zählt etwa 60 Mitglieder unter 2 Präsidenten (der eine von chinesischer, der andre von tatarischer Abkunft).
Ihre Mitglieder besitzen das Vorrecht, gegen jede Regierungsmaßregel auf politischem wie wirtschaftlichem Gebiet zu remonstrieren und dem Kaiser Gegenvorstellungen zu machen. Dieser Rat hat seine Vertreter in jeder Provinz, die teils den Sitzungen der Provinzialbehörden anwohnen, teils die Provinz bereisen und über ihre Wahrnehmungen an den Rat berichten. Zu den Instituten der Zentralverwaltung gehört noch eine Art kaiserlicher Akademie der Wissenschaften, das Kollegium der Hanlin, bestehend aus den ersten wissenschaftlichen Autoritäten des Landes.
Die Mandschurei ist administrativ in drei Teile geteilt: einen südlichen (Schingking), einen mittlern (Kirin) und einen nördlichen (das chinesische Amurgebiet), jeder unter einem Gouverneur. Die ¶
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unterthänigen Landschaften: Mongolei, Dsungarei, Kuku-Nor, Chinesisch-Turkistan und Tibet, unter dem Namen Lisanjüan zusammengefaßt, stehen unter einem besondern Ministerium, von dem die Gouverneure in Urga, Kobdo, Uliassutai, Tarbagatai, Kuku-Nor sowie die Statthalter der Thianschan-Länder (chines. Sintsiang, »neues Gebiet«) ressortieren. Für die 18 Provinzen des eigentlichen China gibt es 8 Generalgouverneure oder Vizekönige (Tsungtu), von welchen die von Petschili und Setschuan über eine Provinz, der von Liangkiang über drei, die übrigen über zwei Provinzen gebieten; in den Provinzen Schantung, Schansi und Honan ist ein Gouverneur (Sünsu) die oberste Zivilstelle, doch hat auch von den unter einem Generalgouverneur stehenden Provinzen jede ihren besondern Gouverneur.
Oberbefehlshaber über die Truppen ist der Vizekönig oder Gouverneur, mit Ausnahme der tatarischen Truppen, die als Gegengewicht gegen das rein chinesische Element unter einem unabhängigen Tatarengeneral stehen. Unter dem Provinzialverwalter steht als erster General der Landtruppen der Lulutitu, als erster Admiral der Schuischititu. Das Finanzwesen leitet ein Schatzmeister; der Justiz steht der Provinzialrichter vor, der seine Sitzungen zeitweise auf Rundreisen abhält; eigne Behörden sind bestellt für die Prüfungen der Gelehrten, für Ackerbau, Accisen, Salzmonopol etc. Das Wort Mandarin für einen Beamten der neun Rangstufen, in die der gesamte Beamtenstand geteilt wird, ist nach Schott aus dem indischen mantrin (»Ratgeber, Minister«) abzuleiten, im Chinesischen bezeichnet das Wort Kuan einen Beamten; die neun Rangstufen werden durch kleine Kugeln von verschiedenem Stoff und Farbe (rot, blau, kristall, weiß, gold) unterschieden, die oben auf der Mütze getragen werden.
Die Beamten sind zahllos; der ewige Wechsel hat sie ihren Pflichten und ihrer Aufgabe so sehr entfremdet, daß ihr Bestreben nur darauf gerichtet ist, in der kurzen Zeit ihrer Amtsthätigkeit ihre Kassen zu füllen. Da die Besoldungen der öffentlichen Diener lächerlich niedrig sind, so bleibt diesen nichts übrig, als sich das nötige Geld durch Erpressungen zu verschaffen und Übergriffe ihrer Untergebenen zu dulden. Bei der Anstellung der Mandarinen gilt das Prinzip, daß keiner in der Provinz dienen darf, in der er geboren ist; auch werden höhere Beamte meist nach einer Anzahl von Jahren versetzt, damit ihr Einfluß sich bei der Bevölkerung [* 13] nicht allzusehr geltend mache.
Der Tod eines seiner Eltern zwingt den Mandarin, auf drei Jahre sein Amt niederzulegen. Die disziplinarische Verwaltung des Beamtenpersonals ist streng; Strafen sind an der Tagesordnung, besonders Gehaltsabzüge, so daß mancher Beamte aus Furcht vor einer seine Ansprüche übersteigenden Gegenrechnung an Strafgeldern seinen Gehalt nie einfordert, sondern sich mit den viel bedeutendern Nebeneinkünften in Gestalt von Erpressungen begnügt. Da in China einfache Verordnungen nicht genügen, die Staatsmaschine in Ordnung zu halten, gilt hier das Prinzip, daß jeder für die unter seiner Verwaltung entstehenden Vorkommnisse verantwortlich ist; so trifft den unschuldigsten Regierungsbeamten eine empfindliche Strafe, wenn in seinem Distrikt sich eine große Feuersbrunst ereignet; die Folge ist, daß Präventivmaßregeln mit ängstlicher Sorgfalt ergriffen werden, was durch das bloße Erteilen von Instruktionen von oben herab nie zu erreichen wäre. Höchst schwierig wird die Stellung des Mandarins in Zeiten allgemeiner Landplagen; er wird für Überschwemmungen, Hungersnot etc. verantwortlich gemacht, auch wenn die Abwendung des Naturereignisses außerhalb seiner Macht lag; schon mancher Beamte verlor hierdurch seine Stelle.
Vgl. F. Hirth, Über das Beamtenwesen in China (»Verhandlungen der Gesellschaft für Erdkunde«, [* 14] Berl. 1882).
Jede Provinz zerfällt in Distrikte: Fu, die noch immer durchschnittlich eine Bevölkerung von 2 Mill. umfassen, Tschou, Hien (von durchschnittlich über 300,000 Einw.), Sse u. a.;
letztere zählen 100 und mehr Lokalgemeinden.
Die Vorsteher dieser Abteilungen führen den Titel Tschi mit Beisatz Fu, Tschou, Hien etc. Vom Tschifu appelliert man an den Provinzialrichter oder Schatzmeister; Kollegialsitzungen präsidiert der Gouverneur. Für Polizeizwecke ist in der Aufstellung eines niedern Polizeibeamten, einer Art Konstabler, für mehrere Gemeinden eine uralte Institution auf die Gegenwart übertragen worden. Diese Konstabler (Tipau) werden als Gelderpresser gefürchtet; es wird ihnen häufig gestattet, ihr Amt auf den Sohn zu vererben.
Sie haben die Ruhe aufrecht zu erhalten, kleinere Streitigkeiten dem Distrikts- (Sse-) Chef anzuzeigen und seine Verordnungen den Gemeindegliedern bekannt zu machen. Die Behörde zur Verwaltung der eigentlichen Gemeindeangelegenheiten hat auf dem Land mehr einen privaten als einen offiziellen Charakter. Die vielen oft von dem nämlichen Vorfahr abstammenden, manchmal ganze Dörfer bevölkernden Familien besitzen ihre eignen Häupter und alle zusammen wieder einen Patriarchen.
Dieser wird von den Regierungsbeamten als Vertreter der Dorfgenossenschaft angesehen; eine Anzahl Vertrauensmänner, meist aus den ältern Einwohnern durchs Los bestimmt, steht ihm zur Seite. Die Erhaltung der Tempel, [* 15] die Regelung des Gottesdienstes und der herkömmlichen festlichen Umzüge, die Gewinnung von Lehrern und die Einhebung der nötigen Beisteuern an Geld und Naturalien zu diesen Ausgaben ist ihre Hauptaufgabe. Die Lokalpolizei steht unter dem Patriarchen, dem die Gemeinde (von oft 8000 und mehr Einwohnern) die nötige Polizeimannschaft zu stellen hat.
Berüchtigte und im Ort gefürchtete Helfershelfer der Mandarinen, eine Art Privatbeamter derselben, sind die Winkelsachwalter, die sich das Vermittelungsrecht vom Mandarin erkaufen und die Streitigkeiten mittels Überredung und Drohung mit Denunziation u. dgl. beizulegen suchen; ein öffentlicher Steuereinnehmer fehlt in keiner größern Gemeinde. Die Städte haben aus Wahl hervorgegangene Munizipalräte, deren Thätigkeit von kaiserlichen Kommissaren überwacht wird. Die Sicherheitspolizei liegt trotz der Munizipalgarde und eines ansehnlichen Korps von Polizisten sehr im argen.
Vgl. A. Pfizmaier, Darlegung der chinesischen Ämter (Wien [* 16] 1879).
Das chinesische Kriminalgesetzbuch (Tatsing Lüli, übersetzt von Staunton, engl., Lond. 1810) verliert sich in Kasuistik und belegt eine große Menge von Handlungen mit Strafe. Es sondert Verbrechen und Vergehen und unterscheidet Thaten, die mit Vorbedacht, und Thaten, die ohne Absicht begangen wurden. Vieles in der chinesischen Kriminalpolitik widerstreitet unsern Anschauungen und Sitten. Tötung eines Menschen, Raub, Diebstahl gelten zwar für Verbrechen, aber bei weitem nicht für die größten; sehr hart werden dagegen Verfehlungen gegen Moral und Impietät gestraft, weil sie nicht wie Diebstahl unter dem mildernden Umstand des Dranges der äußern Verhältnisse verübt werden, sondern aus schlechtem Charakter entspringen. Bemerkenswert ist, daß ein Recht des Aufstandes gegen Tyrannen anerkannt ist. ¶