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Hangtschou, Schoahing, Sutschou, Wentschou und Nanking. Alle chinesischen Städte sehen einander sehr ähnlich. Sie enthalten gewöhnlich einen viereckigen Kern, von hohen Mauern, zuweilen auch von Gräben umgeben, die in gehöriger Entfernung von Türmen flankiert sind. Das Innere dieser Städte dient nur den Beamten zur Wohnung; die Plätze sind daher öde, und Verkehr fehlt. Sitz des Handels dagegen sind die Vorstädte, hier herrscht Leben und reges Treiben. Die Straßen sind auch hier meist krumm und eng, selten breiter als 3-4 m, ja im S. vielfach noch enger und für Wagen nicht passierbar. Daher fehlt es sehr an Lüftung; Wasserabzüge sind nur teilweise vorhanden, und gewöhnlich verpestet noch Unrat die Straßen. Selten entstehen aber bei dem Gedränge Unfriede und Unordnung, und des Nachts herrscht eine merkwürdige Ruhe. Bei Feuersbrünsten zeigen die Regierungsbeamten große Thätigkeit.
Ein Grundzug für das häusliche und gesellige Leben in China [* 2] liegt in der Gestaltung des Familienlebens. Der Hausvater ist im vollsten Sinn des Wortes Hausherr, mit unumschränkter Gewalt über alle Glieder [* 3] seiner Familie bekleidet; er ist aber auch mitverantwortlich für ihre Vergehungen und wird gestraft, wenn ein Familienglied sich eines Verbrechens schuldig macht. Natürlich liegt auch die Verheiratung der Kinder ganz in den Händen des Vaters. Die Mutter teilt alle Ehrerbietung, welche dem Vater zu teil wird, und muß, wenn sie Witwe wird, vom Sohn zeitlebens erhalten werden.
Man wünscht sich Söhne; der Unsitte der Tötung (Ertränkung) und Aussetzung neugeborner Mädchen, welche nach frühern Berichten unter den untern und mittlern Ständen fast Regel sein sollte, ist durch Errichtung von Findelhäusern, die als Wohlthätigkeitsanstalten durch Subskription seitens der Wohlhabenden erhalten werden, einigermaßen entgegengearbeitet worden. Die Mädchen erhalten jedoch eine schlechte Erziehung, wenige können lesen und schreiben; bei den Ärmern hilft die Frau tüchtig in der Wirtschaft mit.
Die Verheiratung findet schon in frühen Lebensjahren des Mannes statt, weil er, um eine Frau zu erhalten, keinen selbständigen hinlänglichen Erwerb zu haben braucht, indem die Frau mit ihm in das Hauswesen seiner Eltern eintritt. Die Verlobungen erfolgen sehr häufig schon im zarten Kindesalter; ja man hat Beispiele kennen gelernt, daß wenige Tage alte Mädchen mit noch Ungebornen feierlich verlobt wurden. Die Verlobungen werden ganz allein durch Unterhändler zwischen den beiderseitigen Eltern abgemacht.
Nach der Hochzeit kehrt die junge Frau auf einige Tage ins elterliche Haus zurück. Der Gehorsam, welchen die Frau ihrem Mann und zugleich dem Vater und der Mutter desselben schuldig ist, kennt keine Ausnahmen. Scheidung ist zugelassen; die Sitte erlaubt selbst, daß der Mann seine Frau mit ihrer Zustimmung einem andern Mann als Weib verkauft. Die reichern Klassen leben oft in Vielweiberei, namentlich wenn die erste Frau kinderlos geblieben ist. Indes steht die zweite nur im Verhältnis einer Magd, bis sie nach der Geburt eines Sohns der ersten Frau mehr zur Seite tritt.
Wiederverheiratung ist nur den Männern gestattet; Frauen geben sich zuweilen beim Tode des Mannes unter großen Zeremonien durch Gift u. dgl. den Tod. Der Eintritt in das Jünglingsalter wird bei Knaben (vom 12.-15. Jahr) durch die Mützenverleihung gefeiert; bei Mädchen gilt als entsprechendes Zeichen die Schmückung mit der Nadel, dem Kopfputz der Frauen. Sehr zahlreich sind die Zeremonien bei der Leichenbestattung wohlhabender Personen; Arme werden ohne Pomp bestattet und meist am dritten Tag.
Bei
Reichen steht die
Leiche im wohlverkitteten
Sarg oft 40
Tage und länger über der
Erde;
Männer werden in kostbare
Seidenstoffe
gekleidet,
Frauen in
Weiß und
Silber und in einen hölzernen
Sarg gelegt, der in feierlichem Zug
zum
Begräbnisplatz
geleitet und in die
Erde versenkt wird, nachdem die bösen
Geister ausgetrieben sind. Die
Gräber werden öfters im Jahr geziert,
wobei
Opfer dargebracht werden. Die Trauerzeit für
Vater und
Mutter, eigentlich drei Jahre, wird gewöhnlich
auf 27
Monate abgekürzt; doch dürfen
Kinder des Trauerhauses nicht vor
Ablauf
[* 4] von drei
Jahren heiraten. Trauerfarben sind weiß,
blau und aschgrau. Der
Nachlaß gehört den
Söhnen gemeinsam, die Ahnentafel bleibt aber im Gewahrsam des ältesten, der oft
auch doppelten
Anteil hat.
Die Nahrung der Chinesen ist sehr mannigfach; der gewöhnliche Mann ißt so ziemlich alles, was genießbar ist. Man ißt dreimal des Tags, um 8, 12 und 5 Uhr, [* 5] zur Zeit der Reispflanzung vier bis fünfmal; Ärmere lassen es bei nur zwei Mahlzeiten, um 10 und 5 Uhr, bewenden. Im mittlern und südlichen China genießt der Arbeiter in den niedern fischreichen Gegenden fast täglich Fische [* 6] und ein- bis viermal im Monat Schweinefleisch, dazu Reis; morgens nimmt er Thee, zur Hauptmahlzeit Reisbranntwein.
Zur Kost der Wohlhabenden gehören alle Fleischsorten, besonders das gebratene und gesalzene Fleisch der Schweine, [* 7] Hühner [* 8] und Enten. [* 9] Im nördlichen China sind Hirse, [* 10] Mais, Weizen, Rind- und Schöpsenfleisch Hauptnahrungsmittel. Die Fleischspeisen sind schmackhaft zubereitet, beliebt sind besonders Schinken, doch halten die strenggläubigen Buddhisten das Fleisch essen für zu sinnlich und insbesondere das Rindfleischessen für undankbar gegen die guten Dienste, [* 11] welche Büffel und Ochsen in der Landwirtschaft leisten.
Eine Spezialität sind Bohnenkäse und Fadennudeln aus Weizenmehl. Der Theekonsum ist nach v. Richthofen zwar enorm, der ärmere Mann betrachtet ihn jedoch als Luxus und begnügt sich mit Aufguß über Blätter von Artemisia- und Ribes-Arten, die wild auf den Feldern wachsen, und selbst mit heißem Wasser allein. Dies ist sogar in Theedistrikten zu beobachten; der Gebrauch des Thees scheint daher durch die Schädlichkeit des Wassers hervorgerufen worden zu sein, da es meist kein andres Trinkwasser gibt als solches, das über Reisfelder gelaufen ist.
Theehäuser sind an den Landstraßen vielfach aus Mildthätigkeit erbaut, ein meist altes Weib reicht den Reisenden unentgeltlich Thee. Die Gasthäuser sind billig, aber widerlich schmutzig. Abweichend von allen übrigen Asiaten, genießt der Chinese seine Mahlzeit auf einem Stuhl sitzend; statt einer Gabel bedient er sich zweier kleinen Stäbchen von Bambus oder Elfenbein, mit denen er aus den suppenartig bereiteten Gerichten alle festen Stücke geschickt herauszufischen versteht.
Aus Reis und Hirse wird eine Art Branntwein hergestellt, die in allen Schichten der Bevölkerung [* 12] beliebt ist und warm in kleinen Tassen gereicht wird, um die Stelle des Weins zu vertreten. Trunksucht ist im allgemeinen kein Laster der Chinesen; dagegen herrscht das verderbliche Opiumrauchen unter allen Klassen trotz der ernstlichen Gegenanstrengungen der Regierung; Opium, geraucht, entnervt gleich Absinth. Tabakrauchen und Schnupfen sind verbreitet, aber der chinesische Tabak [* 13] sagt in der landesüblichen Zubereitung dem europäischen Geschmack nicht zu. - Bewegung von einem Ort zum andern findet, wenn immer möglich, zu Wasser statt, sonst zu Fuß oder in Tragsesseln aus ¶
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Bambus; im N. sind zweiräderige Karren [* 15] im Gebrauch. Alle Anstalten zur Beförderung sind Unternehmungen einzelner; das gut organisierte Regierungspostwesen dient nur zur Beförderung amtlicher Depeschen und Korrespondenzen. Die Warenbeförderung wird auf dem Landweg, im S. mittels Schiebkarren, im N. mittels zweiräderiger, von Pferden oder Ochsen gezogener Karren bewerkstelligt. Träger, [* 16] Esel und Maultiere, im W. Kamele, [* 17] sind jedoch die meist benutzten Transportmittel.
Öffentliche Schaugepränge sind beliebt; alle öffentlichen Feste (der Neujahrstag, das Fest der Drachenboote, gestiftet zu Ehren des im 4. Jahrh. v. Chr. lebenden Kinjuen, das Laternenfest am 15. des ersten Monats, das Fischerfest) geben Veranlassung zu allgemeiner Freude und Heiterkeit. Das Spazierengehen ist den Chinesen kein Bedürfnis, dagegen sieht man häufig Erwachsene einen Lieblingsvogel im Käfig stundenlang spazieren tragen. Leibliche Übungen werden nur vom Militär vorgenommen; doch ist das Ballspiel beliebt, wobei der Ball an der Erde mit den Füßen hin- und hergestoßen wird.
Die Neigung zum Hasardspiel ist allgemein. Das Schachspiel ist bei den Chinesen seit undenklichen Zeiten üblich, weicht aber vom indischen und abendländischen bedeutend ab (»Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft«, Bd. 24, S. 172). Kinder und Erwachsene vertreiben sich die Zeit gern mit Spielzeug; mechanische Spielereien mit überraschendem Effekt sind sehr gesucht, einen lohnenden Einfuhrartikel bilden Spieldosen. Theatervorstellungen sind überall ein Hauptvergnügen, auch Gaukler aller Art sieht man sehr gern.
Eine besondere Belustigung für groß und klein ist ferner das Steigenlassen von Papierdrachen in allerlei Gestalt, die nach den chinesischen Berichten der berühmte General Hansi 206 v. Chr. erfunden haben soll. Bewunderungswürdiges, zuweilen Unerklärliches leisten endlich die Chinesen in der Kunst der Feuerwerke. Als Eigentümlichkeit in der Sitte und Anschauung der Chinesen sei noch erwähnt, daß sie beim Schreiben die Wörter nicht in wagerechten, sondern in senkrechten Linien aneinander fügen, dabei aber rechts anfangen; daß sie nicht den Nordpol des Magnets, sondern dessen Südpol gelten lassen etc.
Obschon die Liebe zur Heimat der Auswanderung aus China entgegenwirkt, so treibt doch die Übervölkerung mancher Gegenden des Landes und die häufig dort auftretende Hungersnot alljährlich Tausende von Chinesen in die Fremde; sie verlassen jedoch ihr Vaterland nur in der Absicht, nach einigen Jahren dahin zurückzukehren. Begräbnis in der Fremde gilt als Unglück; man sucht es dadurch zu beseitigen, daß man den Toten wenigstens in heimatliche Erde legt, deren Import sich nach allen Punkten lohnt, wo chinesische Arbeiter sind.
Nach Hinterindien [* 18] und dem Ostindischen Archipel waren Auswanderungen schon lange im Gang, [* 19] bereits 1832 schätzte man die Zahl der Chinesen außer Landes zu 3 Mill. Die Entdeckung des Goldes führte Ende 1848 die ersten Chinesen nach Kalifornien, 1850 wurde der Zuzug bedeutend; von 1821 bis 1883 sind 288,643 Chinesen in die Vereinigten Staaten [* 20] eingewandert, von denen jedoch viele wieder in ihre Heimat zurückkehrten; nach dem Zensus von 1880 befanden sich 104,541 in China. Geborne in der Union, der größte Teil (90,149) in den pazifischen Staaten. In Kanada befanden sich 1881 nur 4383 Chinesen.
Hier machte sich zuerst eine Bewegung gegen die chinesische Einwanderung geltend, die 1876 in Britisch-Columbia verboten wurde; 1879 geschah dasselbe in den Vereinigten Staaten, doch erhielt das Verbot auf die Drohung Chinas, amerikanischen Waren den chinesischen Markt zu sperren, bisher nicht Gesetzeskraft. Nach Australien [* 21] war die chinesische Auswanderung zur Zeit der großen Goldfunde eine sehr starke, auch hier hat man durch eine Kopfsteuer und andre Maßregeln die chinesische Einwanderung zu beschränken gesucht; 1881 zählte man nur 43,706 Chinesen auf dem Australkontinent und in Neuseeland. Dem Inselreich Hawai, [* 22] wo man 1883: 15,993 Chinesen zählte, hat diese Einwanderung den schrecklichen Aussatz gebracht. In neuester Zeit suchen Peru [* 23] und im Hinblick auf die bevorstehende Emanzipation seiner Sklaven auch Brasilien [* 24] die chinesische Auswanderung zu sich zu lenken.
Religionen.
Was die Religion und ihre Stellung zum Staat betrifft, so entspricht auf den ersten Blick China den Wünschen eines modernen Staatsbürgers, da es kein Glaubensbekenntnis, keine feierliche Verpflichtung fordert, sich zu irgend einer bestimmten Religion zu bekennen. Praktisch genießt aber der Bekenner des Konfutsianismus politisch höheres Ansehen. Das Christentum ist der chinesischen Regierung deswegen besonders anstößig, weil es die Mitglieder mittels eines feierlichen Ritus, eines Sakraments, aufnimmt, als sollte man einer Art geheimer Gesellschaft angehören (vgl. Friedr. Müller, Reise der österreichischen Fregatte Novara, ethnographischer Teil, Wien [* 25] 1868). Im einzelnen sind zu trennen: die alte Religion, die Lehren [* 26] des Konfutse, die Lehren des Laotse, der Buddhismus und die durch gegenseitige Einwirkung dieser Religionssysteme aufeinander entstandene gegenwärtige Volksreligion.
Die alte Religion des einzelnen war fast ausschließlich Ahnenkultus, der noch heute charakteristisch für chinesische Verhältnisse ist. Menschen und Naturgeister werden nicht gänzlich getrennt gedacht; die ganze Natur ist von Geistern (Schin) belebt. Der Himmel [* 27] (Thian) ist das Höhere, die Erde (Ti) das Niedrigere. An der Spitze aller Geister steht der Himmel oder, wie man auch sagt, der Schangti, der »höchste Herrscher« oder Gott; in der philosophischen Sprache [* 28] werden diese beiden Gegensätze durch Yang und Yin, etwa das männliche und weibliche oder das lichte und dunkle Prinzip, ausgedrückt.
Durch die Zusammenwirkung von Himmel und Erde entstehen alle Wesen und das vorzüglichste derselben, der Mensch. Beim Tod erfolgt die Auflösung des Menschen in einen himmlischen und irdischen Teil; die Vorstellungen über diesen Unterschied sind zahlreich, doch herrscht in allen Äußerungen darüber wenig Klarheit. Auch über die Vorstellungen, welche sich die alten Chinesen von dem Zustand der Toten machten, finden sich nur wenige bestimmte Angaben. Die verstorbenen Herrscher werden als dem obern Kaiser (Gott) im Himmel zur Seite stehend gedacht; an andern Stellen wird der Aufenthaltsort der Toten unter die Erde verlegt, und dies ist jedenfalls später die herrschende Meinung geworden.
Der Kaiser und die Ahnen aller werden noch als wirksam in Bezug auf das Schicksal ihrer Nachkommen auf Erden gedacht. Von Belohnung oder Bestrafung ist nirgends die Rede, die Gestorbenen bleiben in demselben Verhältnis zu ihren Fürsten etc. wie auf Erden; noch 621 v. Chr. wurden Menschen mit dem Fürsten begraben, um ihn in der andern Welt zu bedienen; auch gab man zu demselben Zweck hölzerne Menschengestalten ins Grab mit. Im einzelnen durchgebildet ist die Lehre [* 29] von der Fortdauer nach dem Tod nicht, die Annahme einer Seelenwanderung findet sich nirgends. Ein Priesterstand fehlte; ¶