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indianischen Hilfstruppen. Da indes die spanische Regierung die Kolonie einseitig für die Interessen des Mutterlandes ausbeutete, so verpflanzte sich die Bewegung, welche die südamerikanischen Kolonien im Anfang des 19. Jahrh. ergriff, auch nach Chile, [* 2] und es bildete sich eine Patriotenpartei, welche nach politischer Selbständigkeit des Landes strebte; an ihrer Spitze stand Juan Martinez de Rosas. Doch hatte die spanische Regierung noch eine starke Stütze im Klerus und im niedern Volk.
Der Gouverneur Carrasco, der Lage nicht gewachsen und mit der Audiencia zerfallen, trat im Juli 1810 zurück, sein Nachfolger, Graf de la Conquista, war zu alt und zu schwach, und so stand Rosas eine Zeitlang an der Spitze der Regierung; er unterdrückte im April 1811 einen von der spanischen Partei veranstalteten Militäraufstand, wurde aber von der royalistisch gesinnten Mehrheit des am eröffneten Kongresses aus der Regierung verdrängt. Dadurch bekam der ehrgeizige Miguel Carrera Gelegenheit, mit Hilfe einer ausgedehnten, einflußreichen Verwandtschaft die Gewalt in seine Hand [* 3] zu bringen.
Nach mehrfachen Versuchen, einen ihm ergebenen Kongreß herzustellen, richtete er im Dezember 1811 eine Militärdiktatur ein. Rosas starb kurz darauf (1812), und man wollte an die Begründung einer neuen Verfassung gehen, als der Vizekönig von Peru, [* 4] Abascal, unterstützt vom chilenischen Klerus, den General Pareja zur Unterwerfung Chiles sandte. Da dieser aber gegen Carrera nichts ausrichtete und sich nach Chillan zurückzog, so wurde er durch Sanchez ersetzt, welcher den Krieg mit Erfolg in die Länge zog, um die starke Opposition gegen Carrera zu nähren.
In der That setzte die Junta im November 1813 letztern, der sich durch seinen Despotismus verhaßt gemacht hatte, ab und ernannte Bernardo O'Higgins zum Obergeneral, welcher aber dem spanischen General Gainsa gegenüber nicht standzuhalten vermochte; zugleich erschien Miguel Carrera, der eine Zeitlang in spanischer Gefangenschaft gewesen war, wieder, und nachdem auch der zum Diktator ernannte Oberst Lastra nicht im stande gewesen war, die Ordnung herzustellen, drohte ein Bürgerkrieg zwischen Carrera und O'Higgins auszubrechen, als im Juli 1814 der spanische General Osorio mit neuen Truppen einrückte. Die nun vereinigten Generale O'Higgins und Carrera wurden bei Rancagua völlig geschlagen; zwar entkamen sie nach Buenos Ayres, [* 5] doch waren jetzt die Spanier wieder Herren des Landes und suchten durch strenge Strafexempel die Revolution zu unterdrücken.
Zwei Jahre verflossen, ohne eine Änderung der Verhältnisse zu bringen, nur daß Chile durch Guerillas beunruhigt wurde. Während dieser Zeit aber vollendeten die La Plata-Staaten ihre Revolution und gewährten dann den Chilenen um so eher Hilfe, als sie es darauf abgesehen hatten, die Spanier aus ganz Amerika [* 6] zu vertreiben. So überschritt von Buenos Ayres aus der General San Martin mit ca. 5000 Mann in kühnem Marsch die 12-15,000 Fuß hohen Pässe der Andes (Dezember 1816 und Januar 1817) und besetzte die Städte Aconcagua und Santa Rosa.
Die Chilenen empfingen San Martins Truppen mit offenen Armen und scharten sich allenthalben in Guerillas. Die Spanier wurden im Thal [* 7] von Chacabuco geschlagen; doch hatte der Krieg längere Zeit keinen rechten Fortgang, San Martin wurde sogar von Osorio geschlagen, und erst der Sieg am Maypu wo die spanischen Generale Ordonez und Osorio eine völlige Niederlage erlitten, entschied den Kampf zu gunsten Chiles. Bald darauf (19. Okt.) erfocht auch die kleine chilenische Flotte einen Sieg über ein spanisches Geschwader. Der mit dem Oberbefehl zur See betraute Lord Cochrane nahm 1820 Valdivia, und auch zu Lande wurden die Spanier trotz ihrer numerischen Überlegenheit zurückgedrängt, so daß ihnen nur die Insel Chiloe blieb.
Die Regierung war O'Higgins übertragen worden, welcher aber ein willkürliches Regiment führte und besonders durch die Hinrichtung Miguel Carreras und der zwei Brüder desselben sich verhaßt machte. Obgleich er nun 1823 eine neue Konstitution proklamieren ließ, wurde doch die Unzufriedenheit so stark, daß General Freyre eine neue Regierung errichtete, welche O'Higgins absetzte und seine Verordnungen annullierte. Freyre eroberte zwar 1826 Chiloe, geriet aber mit dem Kongreß in Streitigkeiten, die ihn 1828 zum Rücktritt zwangen.
Sein Nachfolger war General Prieto. Unter ihm wurde die 1828 erlassene neue Verfassung 1833 dahin geändert, daß die öffentliche Gewalt zwischen der aus dem Präsidenten, dem Ministerium und dem Staatsrat gebildeten Regierung und dem aus Senat und Abgeordnetenhaus bestehenden Kongreß geteilt ward. In den letzten beiden Körperschaften standen sich zwei Parteien, Konservative und Liberale, gegenüber; doch bekämpften sie sich maßvoll, und ohne die Grundlagen des Staats zu gefährden.
Mit Hilfe des Ministers Parteles traf Prieto eine Reihe heilsamer Einrichtungen, insbesondere zur Beförderung des Handels. Neue Unruhen brachen aber 1836 aus, als der bolivianische Präsident Santa Cruz, nachdem er 1836 Peru mit Bolivia vereinigt hatte, auch Chile zum Eintritt in die Union zwingen wollte und zu diesem Zweck General Freyre bei einem Versuch, Prieto zu stürzen, unterstützte. Dies mißlang jedoch, und die Chilenen standen nun dem peruanischen General Gamarra bei seiner Empörung gegen Santa Cruz bei, die dessen Sturz und Flucht (1839) zur Folge hatte.
Durch diesen glücklichen Erfolg gewann Chile sehr an Ansehen, und wurde es von Spanien [* 8] als unabhängige Republik anerkannt. Prietos Nachfolger in der Präsidentschaft war 1841 General Bulnes, der 1846 von neuem gewählt wurde. Die längere Dauer seiner Regierung trug wesentlich zur Blüte [* 9] der Republik bei. Als sodann 1851 Manuel Montt, schon bisher die Seele der Verwaltung, Präsident wurde, versuchte zwar der General Santa Cruz durch einen Militäraufstand sich der Gewalt zu bemächtigen, unterlag aber den Truppen der Regierung.
Ohne viel Blutvergießen ward die Ruhe bald hergestellt. Montts Regierung war sehr wohlthätig. Verwaltung, Justiz, Finanzen wurden geordnet, für Kirche und Schulen gesorgt, unbeschränkte Religionsfreiheit eingeführt; mit auswärtigen Mächten wurden Handelsverträge geschlossen, mit Peru und Ecuador ein gemeinsamer Bundestag zur Beratung der gegenseitigen Interessen begründet. Ein Aufstand, der 1859 ausbrach, wurde glücklich niedergeschlagen. Montts Nachfolger war 1861 José Joaquin Perez, ein erfahrener Staatsmann, welcher sich der liberalen Partei zuneigte, aber nicht selten eine schwankende Haltung zeigte, weshalb die konservative Partei unter Montt Opposition gegen seine Politik erhob.
Indessen wurden die innern Streitigkeiten durch Verwickelungen mit dem Ausland in den Hintergrund gedrängt. Nicht bloß hörte das gute Einvernehmen mit Bolivia 1864 auf, indem wegen einer Grenzstreitigkeit, wobei es sich besonders um die Salpeterbergwerke und Guanodistrikte an der Atacamaküste ¶
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handelte, die Verbindung zwischen den beiden Staaten ganz abgebrochen wurde, sondern es brach auch ein förmlicher Krieg mit Spanien aus. Die Veranlassung gaben der spanischen Regierung die Sympathien, welche Chile bei dem 1864 zwischen Peru und Spanien ausgebrochenen Krieg dem erstern Staat gezeigt hatte. Da mehrere unbegründete Forderungen Spaniens abgewiesen wurden, so schickte 1865 Spanien ein Geschwader unter Admiral Pareja vor Valparaiso [* 11] und forderte Genugthuung.
Die feste Haltung Chiles führte dann zur förmlichen Kriegserklärung. Indessen hatte der Krieg einen für Spanien kläglichen Verlauf. Zwar waren die Vorstellungen der fremden Mächte erfolglos; aber ein kräftigeres Auftreten wurde durch die Erhebung Prims 1866 vereitelt, und als ein Gefecht zur See für Pareja unglücklich ausfiel und Peru unter dem Präsidenten Prado sich gegen Spanien erklärte, erschoß sich Admiral Pareja, und sein Nachfolger Mendez Nunez konnte sich nur durch die ebenso feige wie grausame Beschießung von Valparaiso und Caliao rächen.
Nach diesen Heldenthaten verließ die spanische Flotte die chilenischen Gewässer. Durch Vermittelung der Vereinigten Staaten [* 12] wurde im Juli 1869, unter Festsetzung eines Schadenersatzes für das Bombardement von Valparaiso, zwischen Chile und Spanien ein Waffenstillstand und nach einigen Jahren auch Friede geschlossen. Chile aber brachte diese auswärtige Verwickelung den großen Vorteil, daß über ihr alle innern Streitigkeiten und Mißstimmungen in Vergessenheit kamen.
Die innere Entwickelung schritt stetig voran, die Zunahme der Bevölkerung [* 13] war eine befriedigende, und die fremde Einwanderung steigerte sich. Auf die Erweiterung der Verkehrsmittel nahm man unausgesetzt Bedacht; Ende 1866 konnte die wichtige Eisenbahn von San Fernando nach Curico dem Verkehr übergeben werden. Die teilweise Umgestaltung und Kodifizierung der Gesetze ward mit Eifer betrieben und namentlich an einem Handelsgesetzbuch gearbeitet. Der überseeische Handel wie auch der Küstenhandel ließen eine beträchtliche Steigerung erkennen.
Daneben nahm die Regierung darauf Bedacht, ihre militärischen und maritimen Kräfte zu verstärken: es wurden in Europa [* 14] neue Kanonen und Gewehre gekauft, gepanzerte Korvetten in England bestellt und an die Befestigung der wichtigsten Punkte an der Küste Hand gelegt. Die Majorität des Kongresses blieb bei allen Neuwahlen freisinnig und wählte stets liberale Präsidenten, 1871 Erraguriz, 1876 Pinto, ohne daß hierbei oder sonst, wie in den andern südamerikanischen Republiken, Unruhen vorkamen oder Aufstandsversuche gemacht wurden.
Die Tüchtigkeit und Solidität des chilenischen Staatswesens sollte bald eine schwierige Probe bestehen. 1879 geriet nämlich Chile in einen neuen Streit mit Bolivia über die Atacamaküste. Ersteres beanspruchte eigentlich deren Besitz bis zum 23. Breitengrad, hatte sich aber in einem Vertrag von 1874 dazu verstanden, auf den Küstenstrich von Caracoles und Antofagasta zu verzichten, wogegen Bolivia die Ausbeutung der dortigen Guano- und Salpeterlager und Silberbergwerke durch Chilenen gestattete und versprach, innerhalb 25 Jahren keine neuen Steuern aufzulegen.
Durch Geschick und Betriebsamkeit erlangten nun die Chilenen bei der Ausbeutung der Lager [* 15] und Bergwerke so glänzende Erfolge, daß sie die Eifersucht Perus und den Neid des bolivianischen Präsidenten Daza erregten und dieser Anfang 1879 die chilenischen Werke und Fabriken mit einer hohen Steuer belegte; als diese nicht sofort bezahlt wurde, konfiszierte Daza die Anlagen. Chile besetzte hierauf die Plätze Antofagasta, Caracoles und Mejillones und verlangte die Küste bis zum 23. Breitengrad als sein Eigentum.
Als Peru und Bolivia nun ein Bündnis schlossen, erklärte ihnen Chile den Krieg. Derselbe wurde anfangs zur See geführt und nicht glücklich für Chile, da es die Blockade der südperuanischen Häfen wieder aufgeben mußte und durch das peruanische Panzerschiff [* 16] Huascar empfindliche Verluste erlitt. Erst nach dessen Wegnahme (8. Okt.) konnte Chile, das nun die See beherrschte, Truppen im südlichen Peru ausschiffen, welche die peru-bolivianische Armee 19. Nov. bei Dolores schlugen und die reiche Salpeterprovinz Tarapaca einnahmen. 1880 siegten die Chilenen 27. Mai bei Tacna, erstürmten 7. Juni Arica und rückten nach den Siegen [* 17] von Chorillos und Miraflores (15. Jan.) 17. Jan. in Lima [* 18] ein. Der 21monatliche Krieg endete also mit der völligen Überwindung der Gegner. Zwar konnten dieselben zunächst nicht zum Frieden gezwungen werden, da es sowohl in Peru als in Bolivia infolge innerer Umwälzungen an einer regelmäßigen anerkannten Regierung fehlte. Doch genoß Chile einstweilen die reichen Einkünfte der besetzten Küstenprovinzen und ihrer Guano- und Salpeterlager. Der neue Präsident Santa Maria schloß auch einen Vertrag mit der Argentinischen Republik ab, der die Grenzstreitigkeiten in Patagonien schlichtete. Erst 1884 hatte sich in Peru eine Regierung gebildet, mit der Chile einen Friedensvertrag abschließen konnte. Derselbe wurde zu Lima unterzeichnet; Chile erhielt die Provinz Tarapaca für immer, Tacna und Arica auf zehn Jahre abgetreten; dasjenige der beiden Länder, zu dessen gunsten die Bewohner sich dann entscheiden, zahlt dem andern 10 Mill. Doll. Mit Bolivia wurde ein Waffenstillstand vereinbart. Im Süden besetzten die Chilenen das Araukanergebiet ohne Widerstand. Was die innere Politik betrifft, schritt Chile auf der Bahn der freiheitlichen Entwickelung vor und beschränkte die Macht der Kirche.
Zur Geschichte des Landes vgl. Molina, Geschichte der Eroberung von Chile (deutsch, Leipz. 1791);
Merandez, Manual de historia y cronologia de Chile (Par. 1860);
Claude Gay, Historia fisica y politica de Chile (1844-61, Bd. 1-18);
Arana, Historia jeneral de la independencia de Chile (2. Aufl., Santiago 1855-1863, 4 Bde.);
Derselbe, Histoire de la guerre du Pacifique 1879-80 (Par. 1881-82, 2 Bde.);
Rosales, Historia jeneral del regno de Chile (Valpar. 1877-78);
Suarez, Biografias de hombres notables de Chile (2. Aufl., Par. 1870);
»Coleccion de historiadores de y documentos relativos a la historia nacional« (Santiago 1861-65, 6 Bde.).