mehr
Auffassung und dem ernsten
Streben des Dichters. Seine bukolischen Gedichte sind zarte, graziöse
Genremalereien, meist im
Spiegel
[* 2] antiken
Lebens; die
Elegien schildern
die
Freuden und
Leiden
[* 3] des
Poeten, sein
Bedürfnis nach
Freundschaft und
Liebe, seine
Sehnsucht nach der
Natur und seine Befriedigung im
Studium; in den
Episteln spricht er von dem hohen
Flug,
den sein
Genius zu nehmen gedachte. Die schönsten
Blüten seiner
Poesie finden sich in seinen
Oden (»À
Fanny«, »À
Charlotte
Corday«, »La jeune captive«,
»Versailles«)
[* 4] und in den
Iamben
(»Comme un dernier rayon«); hier ist
Harmonie und
Präzision der Form
mit Innigkeit und
Wahrheit des
Gefühls aufs glücklichste verbunden. So tritt Chénier in scharfen
Gegensatz
zu der trocknen Verstandespoesie des 18. Jahrh., wird aber doch mit Unrecht von den Romantikern
zu den Ihrigen gerechnet.
Mit größerm
Recht nennt ihn
Sainte-Beuve »notre plus grand classique
en vers depuis
Racine et Boileau«
. Zu seinen Lebzeiten
sind nur zwei seiner Gedichte gedruckt worden: das
»Jeu de paume« und der
Hymnus auf die revoltierenden
Schweizer. Seine hinterlassenen Gedichte, meist
Fragmente, wurden teil
weise 1819 von
Latouche veröffentlicht und mit
Begeisterung
aufgenommen. Jede neue
Ausgabe brachte mehr
Material; allein vollständig liegen die
Poesien erst vor seit der
Ausgabe
Gabriel
de Chéniers (1874), eines
Neffen von
André Chénier. Am meisten zum Verständnis des Dichters beigetragen haben
die geistvollen
Studien
Sainte-Beuves (in der
»Revue des
Deux
Mondes« 1839, 1851) und die kritischen
Ausgaben von Becq de Fouquières
(1862, 1872, 1882); dieser hat auch die prosaischen
Schriften Chéniers von neuem herausgegeben (1872). Die neuesten
Pariser
Ausgaben (von
Joubert 1883, Moland 1883,
Manuel 1884) bieten nichts
Neues; doch ist die erste empfehlenswert.
Vgl. Becq de Fouquières, Lettres critiques sur la vie, les œuvres, les manuscrits d'André Chénier (Par. 1881).
2) Marie Joseph de, franz. Dichter, der Hauptdramatiker der französischen Revolution, geb. zu Konstantinopel, [* 5] Bruder des vorigen, kam mit diesem sehr jung nach Paris [* 6] und trat als Dragoneroffizier in das Heer, schied jedoch bald wieder aus, um sich ungestört der Dichtkunst zu widmen. Mit seinen ersten Tragödien fiel er gänzlich durch; dagegen fand »Charles IX« (1789) rauschenden Beifall, mehr jedoch wegen des revolutionären Inhalts und des Appells an die Leidenschaften des Volkes als wegen seines poetischen Werts.
Mit der Titelrolle dieses Stücks begründete Talma seinen Ruhm. Es folgten darauf die Tragödien: »Henri VIII«, »Calas«, »Cajus Gracchus«, »Fénelon«, »Timoléon«, die indessen weniger Beifall fanden;
ja
»Gracchus« und
»Timoléon« wurden streng unterdrückt,
weil
man in ihnen mißbil
ligende
Anspielungen auf
Robespierre argwöhnte.
Nachdem Chénier schon Mitglied des Konvents gewesen, trat er auch in den Rat der Fünfhundert und in das Tribunal; auf seinen Antrag wurde 1792 die Einrichtung der Primärschulen beschlossen. Er war einer der ersten Mitglieder des Instituts, das er hatte errichten helfen, und übernahm 1803 das Amt eines Generalinspektors des Unterrichts. Sein zur Krönung Napoleons aufgeführtes Drama »Cyrus« gefiel weder dem Publikum noch dem Kaiser und erlebte nur eine Aufführung; gar nicht aufgeführt wurden die Tragödien: »Philippe II«, »Brutus et Cassius, ou les derniers Romains«, »Tibère«, »Oedipe roi«, »Oedipea Colone«, »Nathan le Sage« etc., deren Titel zumeist schon zeigen, woher sie genommen sind.
Durch den »Tibère« und vollends durch die »Épître à Voltaire« machte Chénier sich den Kaiser direkt zum Feind; er mußte sein Amt als Generalinspektor niederlegen, hielt 1806-1807 am Athenäum Vorlesungen über die französischen Litteraturgeschichte und starb Seine Tragödien enthalten mehr hohle Phrasen als Handlung, mehr Rhetorik als Poesie; die Charaktere sind mehr skizziert als ausgeführt, es fehlte seiner eiteln, selbstgefälligen Natur die Energie der Arbeit.
Derselben Art sind seine Oden und Gesänge, welche er zur Verherrlichung der Revolution dichtete, wie die »Hymne à la Raison«, »Hymne à l'Être suprème« etc.; dagegen ist der »Chant du départ« nächst der Marseillaise das berühmteste Volkslied geworden. Am glänzendsten zeigt sich Chéniers Talenten den Episteln und satirischen Gedichten; seine »Épître sur la calomnie« (1795),
die Antwort auf den Vorwurf seiner Gegner, er habe die Hinrichtung seines Bruders mit herbeiführen helfen, ist unbestritten sein bestes Werk. Gut sind auch: »Le [* 7] docteur Pancrace«, »Les nouveaux saints« (1801),
zum Teil
gegen
Chateaubriand gerichtet, »La petite épître à
Jacques
Delille«, »L'épître à
Voltaire«
u. a. Unter seinen prosaischen Werken ist das wichtigste das
»Tableau de la litterature française depuis 1789 jusqu' à 1808«,
eine ziemlich oberflächliche Zusammenstellung, welche jedoch neben manchen Ungerechtigkeiten (z. B.
gegen
Chateaubriand) auch viele treffende
Urteile enthält.
Sein
»Théâtre complet« ist herausgegeben von
Daunou (Par. 1818, 3 Bde.);
seine
»Œuvres complètes« von
Arnault (1823-26, 8 Bde.),
mit Einleitung und Untersuchungen von Daunou und Lemercier.