mehr
Hauptanteil an der Entstehung seiner Theorie zuschrieb. Nach Becher waren Wasser und Erde die entferntesten Grundstoffe aller Körper. Aus ihnen entstehen zunächst drei Erden, die steinartige oder schmelzbare, die fettige und die flüssige, von den Alchimisten als Salz, [* 2] Schwefel und Quecksilber bezeichnet. Stahl beschäftigte sich besonders mit der Untersuchung von Bechers fettiger, brennbarer Erde; er erforschte mit großem Scharfsinn den Verbrennungsprozeß, nahm in den brennbaren Körpern etwas Gemeinsames an, was ihnen die Eigenschaft der Entzündlichkeit, der Brennbarkeit, verleihe, und nannte den Träger [* 3] dieser Eigenschaft Phlogiston.
Die Darstellung dieses hypothetischen Stoffs wurde aber weder versucht, noch für erforderlich gehalten. Blei [* 4] besteht nach Stahl aus Bleikalk (Bleioxyd) und Phlogiston, welches bei der Verbrennung ausgetrieben wird; erhitzt man Bleikalk mit Kohle, so erhält man wieder metallisches Blei, denn die sehr phlogistonreiche Kohle gibt an den Bleikalk Phlogiston ab. Die damals noch unbezweifelte Aristotelische Ansicht, daß die hervorragenden Eigenschaften der Körper durch etwas materiell in ihnen Enthaltenes bedingt werden, genügte, um den Glauben an die Existenz des hypothetischen Grundstoffs zu befestigen und dieser Glaube wurde nicht erschüttert durch die den Phlogistikern sehr wohl bekannte Thatsache, daß der Bleikalk schwerer ist als das Blei, aus welchem er entstanden ist. Man hat gesagt, sie hätten nur die qualitative Seite des Verbrennungsprozesses berücksichtigt und die Anwendung der Wage [* 5] vernachlässigt; indes haben sie, wo sie es vermochten, auch die quantitativen Verhältnisse sehr genau untersucht, aber die Gewichtszunahme bei der Verkalkung wußten sie nicht zu erklären, und die Phlogistontheorie galt genau so lange, bis man den Schlüssel zu dieser Erscheinung gefunden hatte.
Die Zeit der Phlogistiker hat eine lange Reihe ausgezeichneter Chemiker aufzuweisen. Der holländische Arzt Boerhaave (1668-1738) gab 1732 ein System der Chemie heraus, welches alle damals bekannten Thatsachen aus unzähligen Quellen zusammengetragen und geordnet umfaßte. In Deutschland [* 6] konzentrierte sich die chemische Thätigkeit in Berlin, [* 7] wo Friedrichs d. Gr. Leibarzt Eller (1689-1760), die Apotheker Neumann (1682-1737) und Pott (1692-1777) und vor allen Marggraf (1709-82), der intellektuelle Begründer der Zuckerrübenfabrikation, wirkten. In Frankreich trug Lemery (1645-1715) die Chemie frei von allem mysteriösen Dunkel vor zahlreichen Zuhörern in der Landessprache vor und gewann der Wissenschaft dadurch viele Förderer und Freunde.
Duhamel (1700-1781) unterschied zuerst das Natron vom Kali, Macquer (1718-84), die letzte Stütze der Phlogistontheorie in Frankreich, entdeckte die Arsensäure und verfaßte das erste chemische Wörterbuch, während von Rouelle (1718-79) die Einteilung der Salze in saure, basische und neutrale herrührt. Schweden [* 8] besaß zwei ausgezeichnete Chemiker, den Begründer der analytischen Chemie, Bergman (1735-84), und den großen Entdecker Scheele (1742-86), der, mit wunderbarer Beobachtungsgabe ausgerüstet, eine überraschende Fülle von Thatsachen festgestellt hat. Er entdeckte unter anderm das Mangan, Chlor und den Baryt, die Weinsäure, Zitronensäure, Oxalsäure, Äpfelsäure, Gerbsäure, Harnsäure, Milchsäure, Molybdän- und Wolframsäure und das Glycerin; er erkannte das färbende Prinzip des Berliner [* 9] Blaus und die wahre Zusammensetzung der Blausäure; unabhängig von Priestley und gleichzeitig mit diesem entdeckte er den Sauerstoff, lehrte dessen Darstellung aus Salpetersäure, Salpeter, Braunstein, Arsensäure und den Oxyden der edlen Metalle. Er ermittelte die Zusammensetzung der Luft aus Sauerstoff und einem die Verbrennung und Atmung nicht unterhaltenden Gase [* 10] sowie die Zusammensetzung des Ammoniakgases und des Schwefelwasserstoffs. In England wies Black (1728-99) die Ursache des Unterschieds zwischen ätzenden und kohlensauren Alkalien nach, indem er zeigte, daß beim Ätzendwerden der letztern einer ihrer Bestandteile, die Kohlensäure, abgeschieden wird.
Diese Entdeckung übte einen mächtigen Einfluß, denn man wurde durch sie mit dem Gedanken vertraut, daß ein Körper eine Luftart absorbieren, zum Verschwinden bringen, dadurch selbst schwerer werden und andre Eigenschaften erhalten könne. Black ist ferner der Entdecker der latenten Wärme, [* 11] er zeigte, daß der Aggregatzustand der Körper nur von einem größern oder geringern Wärmegehalt abhängt, daß die Gase gleichsam als Verbindungen fester Körper mit Wärme zu betrachten sind, und befestigte die Überzeugung von der freilich schon durch Boerhaave nachgewiesenen Unwägbarkeit der Wärme.
Black ist der erste unter den pneumatischen Chemikern, von denen Henry Cavendish (1731-1810) das Wasserstoffgas, die Zusammensetzung des Wassers (welches dadurch seines Charakters als Element entkleidet wurde), die konstante Zusammensetzung der Luft und die Bildung von Salpetersäure in der Luft durch den elektrischen Funken entdeckte. Bei ihm findet sich auch zuerst der Begriff von der chemischen Äquivalenz, d. h. von der chemischen Gleichwertigkeit verschiedener Gewichtsmengen von verschiedenen Substanzen, und dies beweist ebenso wie die Bemühungen Bergmans um die quantitative Analyse, daß den Phlogistikern die Gewichtsverhältnisse durchaus nicht gleichgültig waren, und daß sie sich von der Unveränderlichkeit des Gewichts der Materie bei allen chemischen Wandlungen überzeugt hielten. Die Arbeiten von Cavendish gehören zum Teil einer spätern Zeit an als die Priestleys (1733-1804), welcher viele Gase untersuchte und 1774 den Sauerstoff entdeckte.
Diese Entdeckung und vor allem die Arbeiten Blacks bildeten das Fundament, auf welchem Lavoisier (1743-94) seine Oxydationstheorie aufbaute, die den Anfang der neuesten Epoche in der Chemie bezeichnet. Priestley hatte bei der Verbrennung von Schwefel und Kohle und bei der Verkalkung der Metalle Luftverminderung nachgewiesen, fand aber als treuer Anhänger der Phlogistontheorie nicht die richtige Deutung dieser Erscheinung. Lavoisier dagegen trat der Chemie als Physiker nahe, und nicht beirrt durch irgend eine Theorie, sah er in Gasen nur Verbindungen fester Körper mit Wärme und schloß daraus, daß die Verminderung der Luft von einer Fixierung des in der Luft mit Wärme verbundenen festen Körpers herrühren müsse. Da die Luft Gewicht besitzt, Wärme aber nicht, so muß diese Fixierung mit einer Gewichtszunahme des fixierenden Agens verbunden sein.
Daher ist der Metallkalk schwerer als das Metall, und weil auch bei der Verbrennung stets Luftverminderung beobachtet wird, so muß das Verbrennungsprodukt gleichfalls eine Gewichtszunahme zeigen. Im J. 1774 wies Lavoisier nach, daß die Gewichtszunahme eines Metalls bei der Verkalkung gleich ist dem Gewicht der absorbierten Luft, und nach der Entdeckung des Sauerstoffs durch Priestley und Scheele vollendete er seine Oxydationstheorie, deren Anhänger als Antiphlogistiker bezeichnet wurden. Mit Guyton de Morveau stellte er die den neuen ¶
mehr
Ansichten entsprechende Nomenklatur fest und gab damit auch äußerlich der Chemie die Form, welche sie noch heute besitzt. In dieser neuen Periode, welche man als die der quantitativen Forschung bezeichnet hat, häuften sich die wichtigsten Entdeckungen. Berthollet (1748-1822) gab 1803 seine Aufsehen erregende chemische Statik heraus, erforschte die quantitative Zusammensetzung des Ammoniaks, führte das Chlor als Bleichmittel in die Technik ein, verbesserte die Salpeterfabrikation und lieferte auch sonst zahlreiche wertvolle Untersuchungen. In Deutschland unterzog die Berliner Akademie der Wissenschaften auf Klaproths (1743-1817) Vorschlag die Fundamentaluntersuchungen Lavoisiers einer Prüfung und erkannte sie als richtig an. Klaproth erwarb sich außerdem große Verdienste um die Analyse; er untersuchte mehr als 200 Mineralspezies und entdeckte das Uran, die Zirkon- und Strontianerde, das Titanoxyd, Tellur.
Gleich erfolgreich wirkte in Frankreich Vauquelin (1763-1829), welcher Chrom und Beryllerde auffand, in England Wollaston (1767-1829) ^[richtig: 1766-1828], der Entdecker des Palladiums und Rhodiums, und Tennant (1761-1815), der das Iridium und Osmium auffand. Infolge dieser Entdeckungen war die Zahl der bekannten Elemente auf 32 gestiegen. Man kannte außer den letztgenannten neuentdeckten Elementen: Sauerstoff, Wasserstoff, Stickstoff, Kohlenstoff, Phosphor, Schwefel, Mangan, Nickel, Kobalt, Zink, Wismut, Wolfram, Platin, außer den schon den Alten bekannten Metallen, dann die wichtigsten Basen, Alkalien, alkalische Erden und Erden, zahlreiche Metalloxyde, eine große Anzahl von Salzen etc. Viel folgenreicher aber als diese Entdeckungen waren die theoretischen Arbeiten, welche den weitern Forschungen erst eine sichere Basis gaben.
Bergman und Kirwan hatten bereits diejenigen relativen Gewichtsmengen verschiedener Basen ermittelt, welche sich mit derselben Menge einer gewissen Säure zu vereinigen vermögen. Proust (1755-1826) wies dann nach, daß in jeder Verbindung die Bestandteile nach einem bestimmten Gewichtsverhältnis vorhanden sind, und daß, wenn zwei Körper mehrere Verbindungen eingehen, auch in diesen die Bestandteile stets in festen Verhältnissen zusammentreten, daß nicht alle Mischungsverhältnisse zwischen zwei Körpern möglich sind, sondern daß die Mengen stets sprungweise größer oder kleiner werden.
Zur Feststellung allgemeiner Gesetze erhob sich Proust aber noch nicht. Dagegen sprach Richter (1762-1807) zuerst das Neutralitätsgesetz aus und wußte richtige Folgerungen aus demselben zu ziehen. Er bestimmte die Mengen der Metalle, wie sie sich gegenseitig aus ihren Lösungen niederschlagen, und entwarf die ersten stöchiometrischen Tafeln. Kann Richter als der Entdecker des Gesetzes von den konstanten Proportionen angesehen werden, so haben wir in Dalton (1766-1844) den Begründer des Gesetzes von den multiplen Proportionen und der Atomtheorie zu erkennen.
Gay-Lussac (1778-1840) fand dann weiter, daß sich die Gase nach einfachen Volumverhältnissen miteinander verbinden, und Berzelius (1779-1848) stellte die Beziehungen zwischen den Volumen und Gewichten der gasförmigen Körper fest. Gay-Lussac war von der mit A. v. Humboldt festgestellten Thatsache ausgegangen, daß sich zwei Raumteile Wasserstoff stets mit einem Raumteil Sauerstoff zu Wasser verbinden, eine wichtige Bestätigung und Ergänzung der Daltonschen Gesetze.
Seine Volumtheorie machte es möglich, aus dem spezifischen Gewicht der Bestandteile und der Raumverminderung, welche bei der Verbindung vor sich geht, das spezifische Gewicht einer Verbindung sicherer zu bestimmen als durch den unmittelbaren Versuch und umgekehrt aus der Vergleichung des spezifischen Gewichts einer Verbindung und den spezifischen Gewichten ihrer Bestandteile auf die Zusammensetzung der erstern zu schließen. Davy (1778-1829) wandte 1807 den Strom einer mächtigen galvanischen Batterie zur Zersetzung der Alkalien und alkalischen Erden an und schied aus ihnen Kalium, Natrium, Baryum, Strontium, Calcium und Magnesium ab. Gay-Lussac und Thénard stellten Kalium und Natrium in größern Mengen dar, wodurch die Chemie die kräftigsten Reduktionsmittel erhielt, denen bei zweckmäßiger Anwendung nichts widerstand.
Die nächsten Jahre brachten Aufschluß über die Haloidkörper: Chlor, Brom, Jod und Fluor. Das Chlor hatte sein Entdecker Scheele dephlogistisierte Salzsäure genannt; die antiphlogistischen Chemiker sahen es aber als die Verbindung eines noch unbekannten Elements an, und erst Davy wies nach, daß Chlor ein Element, Salzsäure eine Verbindung desselben mit Wasserstoff und daß die salzsauren Salze eine eigentümliche Klasse von sauerstofffreien Salzen (Haloidsalze nach Berzelius), bestehend aus Chlor und dem betreffenden Metall, sind. 1811 entdeckte Courtois das Jod.
Die Anwendung des galvanischen Stroms für chemische Zersetzung hatte Davy zu genialen Hypothesen geführt; aber Berzelius schuf in seiner elektrochemischen Theorie ein einheitliches System, welches auf alle bekannten Thatsachen anwendbar war. Er nahm an, daß die Elektrizität [* 13] eine Eigenschaft der Materie sei, daß zwar in jedem Atom zwei entgegengesetzte elektrische Pole vorhanden seien, der eine von diesen aber bedeutend vorherrsche und mithin jedes Atom, also auch jedes Element, entweder elektropositiv oder elektronegativ erscheine.
Aus der Nebeneinanderlagerung der Atome entstehen Verbindungen erster Ordnung, welche ihrerseits wieder zu Verbindungen zweiter Ordnung führen, etc. Diese Theorie wurde die Basis der dualistischen Anschauungsweise, nach welcher jeder zusammengesetzte Körper, welches auch die Anzahl seiner Bestandteile sein mag, in zwei Teile zerlegt werden kann, von denen der eine positiv, der andre negativ elektrisch ist. Von hoher Bedeutung waren auch Berzelius' Bestimmungen der in einer Verbindung enthaltenen Anzahl Atome, indem er bei diesen Arbeiten rein chemischen Verhältnissen Rechnung trug. Er brachte das Lötrohr [* 14] zur verdienten Anerkennung in der qualitativen Analyse, gab zweckmäßige Scheidungsmethoden für die quantitative Analyse an und erleichterte das Verständnis der chemischen Vorgänge durch Aufstellung der chemischen Formeln als Ausdruck für die Atomzusammensetzung der Verbindungen, die ihm zuerst zum Prüfstein für die Angaben der Analysen dienten.
Seit er 1814 der Kieselerde ihre richtige Stelle unter den Säuren angewiesen und die Kieselverbindungen als kieselsaure Salze erkannt hatte, unterwarf er das große Gebiet der natürlichen Silikate den Gesetzen, welche für die übrigen Sauerstoffsalze gelten; später unterschied er unter den Schwefelmetallen Sulfobasen und Sulfosäuren und wies deren Zusammentreten zu Sulfosalzen nach. 1830 entdeckte er in der Trauben- und Weinsäure den ersten Fall von Isomerie. Für das Verständnis der verwickelten Mineralverbindungen war von Wichtigkeit Mitscherlichs (1794-1863) Aufstellung der Lehre [* 15] vom Isomorphismus, von nicht geringerer seine Entdeckung des ¶