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Der Chemiker bedarf zu seinen Arbeiten eines ziemlich umfangreichen Apparats. Derselbe besteht größtenteils aus Glas-, Porzellan- oder Metallgeräten und enthält Becher [* 2] und Schalen, Cylinder, Trichter, Kochfläschchen, Retorten, Kolben, gerade und gebogene Röhren, [* 3] zum Teil mit angeblasenen Kugeln, graduierte Röhren und solche, die mit verschiedenen absorbierenden Stoffen, besonders mit dem hygroskopischen Chlorcalcium, gefüllt sind, dann Gasometer, Aspiratoren, Luftpumpen, [* 4] Papinianische Töpfe, Tiegel, Schmelz- und Glühöfen von verschiedener Form, Sand-, Wasser-, Metall- und Luftbäder, Trockenapparate, Spirituslampen oder mit Gas zu speisende Heizvorrichtungen, das Lötrohr, [* 5] Zangen, Mörser etc., vor allem aber die Wage, [* 6] durch welche in die Untersuchungen Sicherheit gebracht und viele Verhältnisse überhaupt erst erkennbar werden. Das chemische Laboratorium (s. Laboratorium) [* 7] bietet Gelegenheit zur bequemen und möglichst vollkommenen Ausführung der Experimente und enthält alle Vorrichtungen, welche diese erleichtern und Schutz vor Gasen, Dämpfen etc. gewähren.
Geschichte der Chemie.
Über die ersten Anfänge der Chemie ist nichts Sicheres bekannt. Zweifellos sind chemische Prozesse zu irgend welchen Zwecken schon sehr früh ausgeführt worden, denn menschliche Thätigkeit ist überhaupt gar nicht denkbar, ohne daß die Körper, auf welche sie sich bezieht, mehr oder weniger chemisch verändert werden. Jede Verbrennung ist ein chemischer Prozeß, und die Gewinnung der Metalle aus ihren Erzen beruht gleichfalls auf chemischen Vorgängen. Von solchen und ähnlichen Arbeiten finden wir mehrfache Spuren bei allen Kulturvölkern schon in den ältesten Zeiten; aber in Ägypten [* 8] scheint man zuerst chemische Thatsachen zusammengestellt und chemische Untersuchungen in solcher Weise ausgeführt zu haben, daß von einer Wissenschaft die Rede sein konnte.
Man hat daher dem Namen der Wissenschaft, welchen einige vom griechischen cheo oder cheuo, ich gieße, ableiten wollen, auch mit Chemi, Cham, Chami, dem Namen, mit welchem die Ägypter ihr Land wegen seines schwarzen Erdreichs bezeichneten (Plutarch, De Iside et Osiride), in Verbindung gebracht. Mit demselben Wort bezeichnete man aber auch das Schwarze im Auge, [* 9] das Symbol des Dunkeln und Verborgenen, und so bedeutete Chemie ursprünglich die ägyptische oder geheime Wissenschaft, wie sie später noch die geheime oder schwarze Kunst genannt wurde.
Der Ausdruck Scientia chimiae findet sich schon bei Julius Firmicus Maternus, einem Schriftsteller, der zu Ende des 3. oder zu Anfang des 4. Jahrh. lebte, und Diokletian soll die Bücher der Ägypter »über die Chemie des Goldes und Silbers« verbrannt haben; jedenfalls ging das alte Wissen größtenteils bei der Zerstörung der alexandrinischen Bibliothek (640) verloren, und wissenschaftliche Thätigkeit begann erst von neuem unter der Herrschaft der Araber. Dem Namen der Wissenschaft wurde der arabische Artikel al angefügt, und es begann das Zeitalter der Alchimie (s. d.). Die Lehren [* 10] des Aristoteles, welche so viele Jahrhunderte hindurch das ganze geistige Leben beherrschten, gaben auch der Entwickelung der Chemie ihre Richtung an. Allem Seienden liegt nach Aristoteles der Urstoff (die Materie) zu Grunde; dieser ist das völlig Prädikatlose, Unbestimmte, Unterschiedslose, dasjenige, was allem Werdenden als Bleibendes zu Grunde liegt und die entgegengesetzten Formen annimmt, was aber selbst seinem Sein nach von allem Gewordenen verschieden ist und an sich gar keine bestimmte Form hat. Durch Zweijochung der Grundeigenschaften oder Gegensätze auf dem Urstoff entstehen die vier Elemente, die ihrer Art nach nicht weiter teilbaren Grundbestandteile der Körper, welche man gleichsam als Allotropien des Urstoffs betrachten könnte. Es sind:
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Diese Elemente sind einfache materielle Körper, Träger [* 11] gewisser physikalischer Eigenschaften und besitzen die Fähigkeit, durch Wechsel der Eigenschaften ineinander überzugehen. Gilt dies aber als feststehend, so kann alles aus allem werden, und von diesem Standpunkt aus hat man die Bestrebungen zu beurteilen, welche jahrhundertelang in der Chemie vorherrschten. Die Metalle mußten durch ihre Eigenschaften die Aufmerksamkeit von vornherein in hohem Grad fesseln, und so ist begreiflich, daß die Metallverwandlung, in erster Linie die Erzeugung von Gold, [* 12] als Hauptaufgabe betrachtet wurde.
Die Möglichkeit der Metallverwandlung mußte auch, abgesehen von allen theoretischen Spekulationen, den mit der Zusammensetzung der Körper nicht Vertrauten bei der Verarbeitung von Erzen ohnehin einleuchten, und in der That reichen die Bemühungen, Gold zu machen, bis in das höchste Altertum zurück. Die durch die Araber eingeleitete Periode der Alchimie ist aber ganz besonders durch die Herrschaft des Gedankens von der Möglichkeit der Metallverwandlung gekennzeichnet.
Männer von unzweifelhaft hoher wissenschaftlicher Bedeutung sprechen aus voller Überzeugung von der Wahrheit der alchimistischen Theorie, und nichts berechtigt uns, eine absichtliche Täuschung anzunehmen. Man muß vielmehr an die unvollkommenen Hilfsmittel, die jenen zu Gebote standen, denken und begreift dann leicht, daß sie von Metallverwandlung sprachen, wenn sie aus Bleiglanz bei gewissen Operationen Silber erhielten; denn den geringen Silbergehalt des Bleiglanzes (den sie nur abzuscheiden brauchten) vermochten sie nicht zu erkennen. Es kommt noch hinzu, daß ein gewisser mystischer Zug, welcher jene Zeiten beherrschte, und dann auch der Eigennutz die allgemeine Verwertung der Erfahrungen des einzelnen verhinderten, so daß jeder ganz allein auf sein eignes Erkenntnisvermögen angewiesen blieb.
Ein unwissenschaftlicher Geist kam erst in die Alchimie durch das Suchen nach dem »Stein der Weisen«, einer Substanz, durch welche man alle Metalle in Gold verwandeln und alle Krankheiten heilen könne (vgl. Alchimie). Unter allen Chemikern dieser Periode ragt der arabische Arzt Geber (Abu Musa Dschabir al Kufi), welcher im 8. Jahrh. in Kufa lebte, hervor. Er beschrieb Öfen [* 13] zum Kalcinieren und Destillieren, kannte die Kupellation von Gold und Silber mittels Bleies, das Quecksilberchlorid und das rote Quecksilberoxyd, das salpetersaure Silberoxyd, Salmiak, Eisen- und Kupfervitriol, Pottasche und ¶
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Soda, machte die Sodalösung durch Kalk ätzend, löste Schwefel in Ätzlauge auf und schlug den Schwefel durch Säuren als Schwefelmilch nieder; er stellte Schwefelkupfer und Zinnober [* 15] dar, gewann durch Destillation [* 16] des Alauns die rauchende Schwefelsäure, [* 17] durch Destillation von Salpeter mit Vitriol die Salpetersäure und aus Salpetersäure mit Salmiak das Königswasser, in welchem er Gold auflöste. Albertus Magnus (1193-1280) verbesserte die chemischen Manipulationen, stellte metallisches Arsenik dar, kannte rotes Bleioxyd, Schwefelleber und Schwefelkies, wußte, daß Kupfer [* 18] durch Arsenik weiß wird, daß Schwefel alle Metalle bis auf das Gold angreift, und beschrieb auch die Darstellung des Schießpulvers. Roger Baco kannte den Braunstein und die Wirkungen des Schießpulvers. Ein andrer Zeitgenosse, Arnold Villanovanus aus der Provence, wurde wichtig durch die Anwendung chemischer Präparate als Heilmittel. Der phantastische Raymundus Lullus (geb. 1235) gab der Alchimie ihre spätere, bis in die Zeit der Rosenkreuzer hereinreichende theosophische Richtung; er stellte Salpetersäure aus Salpeter und Eisenvitriol dar, kannte ihre Eigenschaft, Metalle zu lösen, verstand, den Weingeist durch Pottasche stärker zu machen, und erhielt durch Destillation von Rosmarin mit Wasser ein ätherisches Öl.
Wie bei diesem Forscher, findet sich auch bei Basilius Valentinus im 15. Jahrh. ein wunderbares und unverständliches Gemisch von Phantasterei und Aberglauben mit großem Geschick im Experimentieren und klarer Forschung vereinigt, so daß ihm die Chemie genauere Kenntnis schon bekannter Körper, wie namentlich des Antimons, bessere Methoden zur Darstellung schon bekannter Präparate, wie des Sublimats, und zahlreiche neue wichtige Verbindungen (Salzsäure, Ammoniak, Knallgold, Bleizucker, verschiedene Spießglanzpräparate), die sich im Arzneischatz zum Teil bis auf den heutigen Tag erhalten haben, ja selbst die ersten ausgebildeten Methoden qualitativer Analyse verdankt.
Die Aristotelische Lehre [* 19] fand durch die Alchimisten eine gewisse Ausbildung, sie nahmen Schwefel und Quecksilber als nähere Bestandteile der Metalle an; Basilius Valentinus fügte als dritten Bestandteil nicht nur der Metalle, sondern der Körper aller drei Naturreiche das Salz [* 20] hinzu und sah die Verschiedenheit der Körper in der ungleichen Proportion, Reinheit und Fixation der Bestandteile begründet. Letztere, welche nicht mit dem metallischen Quecksilber, dem gewöhnlichen Schwefel und gemeinen Salz identisch sind, bestehen aus den Aristotelischen Elementen.
Die Chemie, die bis zum 16. Jahrh. hauptsächlich nur ein Ziel, die Metallverwandlung, verfolgte, spaltete sich von nun an in zwei Richtungen, indem sie bis gegen das Ende des 17. Jahrh. auch zu Zwecken der Heilkunde bearbeitet wurde. Begründer dieser neuen Richtung war Paracelsus (1493-1541), welcher die Medizin aus den Fesseln des Galenus befreite, neue, selbständig aufgestellte Lehren in die Wissenschaft einführte und die Lehre der Alchimisten von den Grundbestandteilen der Körper in einem gewissen Gegensatz zu Aristoteles schärfer und klarer begründete.
Vielen der aus dieser Periode hervorragenden Ärzte erschien die ganze Heilkunde nur als angewandte Chemie (Chemiatrie, Iatrochemie, Chemismus); sie suchten im Organismus alles den chemischen Erscheinungen anzupassen und durch den Gegensatz des Basischen und Sauren zu erklären. Diese Ansichten und die Streitigkeiten über die beste Bereitungsart der vielfach als Geheimmittel behandelten Arzneikörper hinderten jede gründliche Forschung, wenn auch durch das Suchen nach den wirksamen Bestandteilen der Körper viele neue Thatsachen entdeckt wurden.
Besondere Erwähnung verdient Libavius, welcher die groben Verirrungen und sophistischen Träumereien seiner Zeit energisch bekämpfte, das Zinnchlorid entdeckte, künstliche Edelsteine [* 21] darstellte, Glas [* 22] mit Gold rot zu färben verstand und die Identität der aus Alaun, [* 23] Eisenvitriol oder durch Verbrennen von Schwefel mit Salpeter zu gewinnenden Säuren nachwies. In gleichem Sinn wirkten Angelus Sala, der die Zusammensetzung des Salmiaks aus Ammoniak und Salzsäure lehrte, und van Helmont (1577-1644), der das Wort Gas einführte, um damit luftartige Stoffe von der gewöhnlichen Luft zu unterscheiden. Er kannte das an der Luft rot werdende Salpetergas, die Kohlensäure und die bei Fäulnisprozessen sich entwickelnden brennbaren Gase. [* 24] Er wagte zuerst, wenn auch nur mit schwacher Waffe und erfolglos, das Aristotelische Lehrgebäude anzugreifen, und lehrte zuerst die Unveränderlichkeit der Stoffe, wenn sie Verbindungen eingehen, indem er nachwies, daß sie als dieselben wieder aus den Verbindungen austreten können.
Glauber verdankt man die Anwendung der Schwefelsäure statt des Vitriols zur Darstellung schwächerer Säuren und zahlreicher Salze, unter denen das schwefelsaure Natron (sein Sal mirabile) seinen Namen bis auf unsre Zeit behalten hat (Glaubersalz);
er studierte die Löslichkeit der Metalle in Salzsäure und entdeckte dabei viele Chlormetalle;
bei ihm finden sich die ersten Vorstellungen von der »chemischen Verwandtschaft« (s. d.);
auch war er um die Verbesserung der technischen Gewerbe: Gewinnung von Salpeter, Glas und Holzessig, mit Erfolg bemüht.
Ganz vereinzelt steht lange Zeit Agricola (1494-1555),
der Vater wissenschaftlicher Hüttenkunde und der Mineralogie, welcher in seinen Büchern »De re metallica« alles aufführte, was man damals über Metallurgie kannte, wohlgeordnet und mit vielen wertvollen eignen Beobachtungen. Brandt schied 1669 in Hamburg [* 25] den Phosphor aus dem Urin ab, hielt aber sein Verfahren geheim, so daß Kunkel, welcher denselben Körper einige Jahre später gewann, als zweiter Entdecker angesehen werden muß.
Die Mitte des 17. Jahrh. bezeichnet wieder den Anfang einer neuen Periode, welche bis zum Ende des 18. Jahrh. reicht. Sie wird eröffnet durch Rob. Boyle (1627-91), welcher zuerst erfolgreich die Lehren des Aristoteles bekämpfte und nachwies, daß dessen Elemente für die Chemie ebenso unzulässig seien wie die Annahme der drei alchimistischen Elemente. Er riet, jeden Stoff als einfach anzusehen, bis er durch chemische Mittel weiter zerlegt sei, und gelangte bei den Spekulationen über die Beschaffenheit der Elemente zu der Ansicht, daß dieselben aus einer und derselben Urmaterie beständen und ihre Verschiedenheit in der verschiedenen Größe, Gestalt etc. ihrer kleinsten Teilchen beruhe.
Boyle betonte sogar, daß Verbrennung nur bei Gegenwart von Luft erfolgt, daß dabei ein Teil der Luft verschwindet, und daß das Verbrennungsprodukt schwerer ist als der unverbrannte Körper. Diese Ansichten, welche in konsequenter Durchführung nicht nur der Aristotelischen Lehre den Todesstoß versetzt, sondern auch die Chemie ganz außerordentlich gefördert haben würden, fanden vorderhand noch nicht die gebührende Beachtung. Vielmehr gelangte noch einmal eine Theorie zur Herrschaft, welche, von unserm heutigen Standpunkt aus betrachtet, mit jenen Thatsachen in schneidendem Widerspruch steht. Der Begründer dieser Theorie war Stahl (1660-1734), der seinem Vorgänger Becher (1635-82) den ¶