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Chemikers, welcher die Wissenschaft oft durch ein einziges Experiment mächtig fördert. Es erscheint als die nächste Ausgabe der synthetischen Chemie, möglichst zahlreiche Verbindungen der einzelnen Elemente zusammenzusetzen und ihre Eigenschaften zu studieren; denn erst dann kann man von einer befriedigenden Kenntnis eines Elements sprechen, wenn man nach den verschiedensten Seiten hin sein Verhalten gegen andre Elemente und Verbindungen erforscht hat. Die Zahl der möglichen Verbindungen ist aber eine so überwältigend große, daß an eine Erschöpfung gar nicht gedacht werden kann.
Schon jetzt sind viele Tausende von neuen Körpern beschrieben worden, und ihre Zahl wächst täglich. Aber es ist eine große Wandlung in den Ansichten und Absichten der Chemiker eingetreten. Man verwirft heute das Streben entdeckungslustiger Laboranten, welchen es nur um Darstellung vieler bis dahin unbekannter Verbindungen zu thun ist, und man verlangt im Gegenteil vom denkenden Chemiker, daß er sein Streben auf die Beantwortung allgemeiner Fragen richte, auf die Darlegung gesetzmäßiger Beziehungen zwischen bekannten Körpern und auf die Erforschung der wahren Natur der dargestellten Verbindungen.
Die ganze heutige Chemie basiert auf der Annahme, daß die Körper aus unteilbaren kleinsten Teilchen bestehen, aus Atomen, welche zwar nicht isolierbar sind, deren Gewicht sich aber durch Erforschung der quantitativen Zusammensetzung der Körper bestimmen läßt. Wenn 1 Atom Sauerstoff 16 wiegt, so wiegt 1 Atom Schwefel 32 (s. oben), und wir haben gesehen, daß schweflige Säure, jenes Gas, welches sich beim Verbrennen des Schwefels durch seinen erstickenden Geruch bemerkbar macht, aus 1 Atom Schwefel und 2 Atomen Sauerstoff besteht.
Eine sauerstoffreichere Schwefelverbindung, die Schwefelsäure, [* 2] enthält auf 1 Atom Schwefel 3 Atome Sauerstoff. Ein Atom Eisen [* 3] bildet mit 1 Atom Sauerstoff Eisenoxydul, während 2 Atome Eisen mit 3 Atomen Sauerstoff zu Eisenoxyd sich vereinigen. Dies sind sehr einfache Verhältnisse, aber es gibt auch viel kompliziertere, und es besteht z. B. das Alkaloid der Chinarinde, das Chinin, aus 20 Atomen Kohlenstoff, 24 Atomen Wasserstoff, 2 Atomen Stickstoff und 2 Atomen Sauerstoff.
Offenbar ist mit dieser Erkenntnis schon viel gewonnen, aber bei weitem noch nicht alles. Man muß auch wissen, wie jene Atome gruppiert sind. Die Notwendigkeit solcher Kenntnis zeigen recht deutlich die isomeren Körper, d. h. diejenigen, welche bei gleicher prozentischer Zusammensetzung sehr ungleiche Eigenschaften besitzen. Essigäther und Buttersäure ergeben bei der Analyse eine Zusammensetzung aus 4 Atomen Kohlenstoff, 8 Atomen Wasserstoff und 2 Atomen Sauerstoff; aber durch Geruch und Geschmack, spezifisches Gewicht, Siedepunkt und ihr Verhalten gegen andre Körper unterscheiden sie sich auf das deutlichste, und dies Rätsel kann nur gelöst werden, wenn man erforscht, in welchen nähern Beziehungen die Bestandteile der beiden Körper zu einander stehen.
Dann ergeben sich charakteristische Atomgruppen, welche die Natur der einzelnen Verbindungen bestimmen und ihr Verhalten zu andern Körpern voraussehen lassen. Die Erforschung solcher Verhältnisse, der Konstitution oder Struktur der Verbindungen, ist die jetzt am eifrigsten gepflegte Aufgabe der wissenschaftlichen Chemie, und die Resultate, welche auf diesem Gebiet gewonnen wurden, sind höchst bedeutende. Wie einst der Astronom Leverrier aus theoretischen Erwägungen die Existenz eines Planeten [* 4] nachwies, der dann auch von Galle an dem durch Rechnung gefundenen Ort entdeckt wurde, so haben die Chemiker in zahlreichen Fällen Verbindungen hergestellt, deren Existenz, ja deren Eigenschaften sie im voraus berechnet hatten.
Diese höchsten Leistungen der speziellen, praktischen oder Experimentalchemie sind nur ermöglicht worden durch eifrige Pflege der theoretischen oder allgemeinen Chemie, welche das Aufsuchen des Gemeinsamen, des Gesetzmäßigen in thatsächlich festgestellten Erscheinungen, die Erkenntnis des Zusammenhanges verschiedener Erscheinungen, die Erklärung der Erscheinungen zur Aufgabe hat. Scharf zu trennen sind aber die theoretische und die spezielle Chemie nicht.
Spezielle chemische Thatsachen müssen als Beweise und Beispiele für die Sätze der theoretischen Chemie angeführt und erörtert werden; die Sätze der theoretischen Chemie geben umgekehrt oft die Kontrolle für die Richtigkeit einzelner Bestimmungen ab, welche zunächst für die spezielle Erkenntnis einer einzelnen Substanz ausgeführt wurden. Ebenso ist auch die Betrachtung der physikalischen Eigenschaften von der der chemischen nicht scharf zu trennen, weder in der speziellen noch in der theoretischen Chemie. Die Angabe der physikalischen Eigenschaften ist fast unerläßlich, wenn überhaupt eine Vorstellung von einem bestimmten Körper, auch nur um seine chemischen Eigenschaften zu beschreiben, gegeben werden soll.
Häufig ist ein Zusammenhang zwischen den physikalischen Eigenschaften und der chemischen Zusammensetzung nachweisbar, und eine genaue Bestimmung der erstern kann in manchen Fällen eine Kontrolle für die richtige Ermittelung der letztern abgeben, so daß die Kenntnis der physikalischen Eigenschaften geradezu als die der chemischen Eigenschaften bestätigend betrachtet werden kann. Diese Beziehungen zwischen chemischen und physikalischen Eigenschaften erforscht die physikalische Chemie.
Der auf alltägliche Beobachtung basierte große Gegensatz zwischen belebten, organisierten, und toten, unorganisierten, Körpern führte auch zu einer Einteilung der speziellen Chemie in organische und unorganische. Letztere ist die Mineralchemie, sie handelt von den Eigenschaften der die Mineralien, [* 5] die toten Körper, zusammensetzenden Stoffe, von deren Verbindungen und Zersetzungen, während die organische Chemie sich mit den Stoffen beschäftigt, aus denen Pflanzen und Tiere bestehen, welche also als Produkte des animalischen und vegetabilischen Lebens zu betrachten sind.
Kompliziertheit der chemischen Vorgänge in den Organismen entzog dieselben lange Zeit und entzieht sie zum großen Teil auch noch heute dem vollkommenen Verständnis, und dies veranlaßte die Chemiker zu der Annahme, daß die Elemente in den lebenden Organismen andern Gesetzen gehorchen als in der unbelebten Natur: man sprach von einer Lebenskraft, welche die Verbindungen und Zersetzungen modifiziere, und betrachtete den Tod als den Sieg des Chemismus über die Lebenskraft.
Die unter der Herrschaft dieser Lebenskraft entstehenden Verbindungen hielt man deshalb auch für ganz eigentümliche und nahm als selbstverständlich an, daß es niemals gelingen könne, sie außerhalb des Organismus künstlich darzustellen. Nun gelang es aber Wöhler 1828, den Harnstoff aus den Elementen zusammenzusetzen, und seitdem sind sehr zahlreiche organische Verbindungen, Pflanzen- und Tierstoffe, aus unorganischen Körpern durch Synthese gewonnen worden. Sämtliche Bestandteile der Pflanzen und Tiere bis auf das Wasser und die als Asche beim Verbrennen zurückbleibenden bestehen aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff, einige enthalten außerdem Stickstoff; aber es gibt auch Verbindungen des Kohlenstoffs, welche im Mineralreich vorkommen, und einige sehr ¶
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einfache entstehen niemals in lebenden Organismen. Ließ man die Einteilung in organische und unorganische Chemie fallen, so konnte man dafür eine andre, nach welcher die Verbindungen des Kohlenstoffs von denen der übrigen Elemente gesondert behandelt werden sollten, wenigstens in dem oben angedeuteten Sinn, auch nicht aufrecht erhalten; wohl aber hat man ohne alle Rücksichtnahme auf das Vorkommen oder Nichtvorkommen der Stoffe in Organismen die Kohlenstoffverbindungen, welche so ungemein zahlreich sind und vielfach andre Erscheinungen darbieten, für sich behandelt, und an ihrem Studium hat die Chemie einige ihrer größten Fortschritte gemacht.
Die neuen Theorien sind zunächst speziell für die Kohlenstoffverbindungen ausgebildet und erst später auf die sogen. unorganische Chemie angewendet worden. Daß aber der Kohlenstoff nicht in einem besondern Gegensatz zu den übrigen Elementen sich befindet, zeigen jene Verbindungen, in welchen Metalle, Phosphor, Antimon, Arsen etc. in Kohlenstoffverbindungen eintreten, um Körper zu bilden, welche stickstoffhaltigen Kohlenstoffverbindungen an die Seite gestellt werden können. Besonders aber bilden die Kiesel- oder Siliciumverbindungen einen unmittelbaren Übergang. Es ist nämlich eine Reihe von Körpern dargestellt worden, welche ganz genau gut studierten Kohlenstoffverbindungen entsprechen, aber an Stelle der Kohlenstoffatome gleich viele Kieselatome enthalten. Man kennt eine Kieselessigsäure, Kieselpropionsäure, Kieselbenzoesäure und auch zusammengesetzte Äther dieser Säuren.
Der reinen Chemie, welche sich lediglich der Erforschung der chemischen Verhältnisse der Elemente und ihrer Verbindungen widmet, steht die angewandte Chemie gegenüber, welche die bei andern Disziplinen in Betracht kommenden chemischen Verhältnisse kennen lehrt. Sie hat einen ungemein großen Umfang, denn die Chemie tritt als Hilfswissenschaft sehr vieler andern Wissenschaften auf, und fast alle verdanken ihr einen großen Teil ihrer Erfolge. Die Chemie lehrt die Zusammensetzung der Mineralien und ihre Wandlungen durch die in den Gesteinen verlaufenden chemischen Prozesse.
In der Geologie [* 7] datiert eine neue Epoche von jener Zeit, wo man anfing, bei der Deutung geologischer Erscheinungen die Chemie zu Rate ziehen. Und nicht bloß mit unserm Erdkörper hat sich die Chemie in solcher Weise beschäftigt, sie wurde durch die Spektralanalyse [* 8] auch befähigt, ferne Weltkörper und die Nebelflecke [* 9] zu untersuchen, und hat in dieser Anwendung auf die Astronomie [* 10] eine ganz neue Wissenschaft begründet. Die Pflanzenchemie lehrt die Bestandteile der Pflanzen kennen, erforscht deren Bildung und Umwandlung in der Pflanze und gewährt uns damit eine Vorstellung vom Leben dieser Organismen.
Dabei kommen auch das Verhältnis der Pflanze zum Boden und die Chemie des letztern in Betracht, und so entsteht die Agrikulturchemie, deren Ergebnisse als eine der wesentlichsten Grundlagen der modernen rationellen Landwirtschaft gelten können. Die Tierchemie verfolgt ähnliche Zwecke im Tierreich, sie befähigt den Landwirt, seine Haustiere rationell zu ernähren, um den größten Ertrag an Fleisch, Fett, Milch etc. zu erzielen; aber sie stellt sich auch höhere Aufgaben und sucht vor allem die Erscheinungen des Lebens zu deuten, auf chemische Verhältnisse, soweit solche dabei in Frage kommen, zurückzuführen.
Die so durch die physiologische Chemie gewonnene Erkenntnis wird dann die Basis der Diätetik und der Heilkunde für Menschen und Tiere, denn auch die krankhaften Vorgänge bilden ein Objekt der Forschung, und indem man die chemische Natur dieser Vorgänge erkennt, ergibt sich in vielen Fällen zugleich das Mittel, durch welches sie bekämpft werden können. Die Chemie hat der Heilkunde reinere Arzneimittel geliefert, sie hat aus den Pflanzenstoffen die wirksamen Bestandteile abgeschieden und in diesen viel zuverlässigere Arzneimittel hergestellt, als die Kräuter und Rinden mit ihrem wechselnden Gehalt sein konnten.
Sie hat aber auch ganz neue Heilmittel entdeckt, welche heute zum Teil die wichtigsten Dienste [* 11] leisten. Chloroform, Chloralhydrat, Apomorphin, Amylnitrit sind einige solcher Präparate, deren Zahl sich von Jahr zu Jahr vergrößert. Die durch das Mikroskop [* 12] ermöglichte Erforschung des feinsten Baues der Organismen mußte lange auf Unterscheidung der stofflichen Verschiedenheit der sichtbar gemachten morphotischen Teile verzichten, bis die Mikrochemie die Reagenzien auffand, welche, zu dem mikroskopischen Präparat hinzugefügt, charakteristische Färbungen hervorbringen.
Auch die Gestalt und die Gruppierung mikroskopischer Kristalle [* 13] boten Gelegenheit zur Unterscheidung minimaler Mengen verschiedener Körper. Mit großem Erfolg wurde die Mikrochemie auch für die mikroskopische Erforschung der Gesteine ausgebildet. Die Technik, welche so lange auf die roheste Empirie angewiesen war, hat durch die technische Chemie eine ganz neue Gestalt gewonnen. Die Chemie lehrte die Beschaffenheit der Rohstoffe kennen und ermöglichte eine passende Auswahl unter denselben; sie zeigte die Wandlungen dieser Rohstoffe in den verschiedenen technischen Prozessen und gab Rechenschaft über die Erfolge der einzelnen Methoden.
Nicht alle Zweige der Technik haben sich gleich willig gezeigt, die Chemie als Führerin zu acceptieren; wo dies aber rückhaltlos geschah, sind außerordentliche Resultate erzielt worden. Ein glänzendes Beispiel bieten die Rübenzuckerfabrikation und die Farbentechnik, welche durch die zahlreichen schönen Teerfarbstoffe so wesentlich bereichert wurde. Der Technik kamen alle jene Forschungen zu gute, welche der künstlichen Darstellung von Pflanzenstoffen galten.
Die Gewinnung des Alizarins oder Krappfarbstoffs aus dem im Steinkohlenteer enthaltenen Anthracen machte dem Krappbau ein Ende und ließ eine Anzahl von Fabriken entstehen, welche diesen Körper für die Färbereien und Druckereien herstellen. Auch Benzoesäure, Senföl, Baldriansäure etc. werden jetzt fabrikmäßig ohne Benzoegummi, Senfsamen und Baldrianwurzel gewonnen, und die neueste Entdeckung betrifft die Darstellung des Vanillearomas aus Nadelhölzern und des Indigos aus Steinkohlenteer.
Die analytische Chemie leistet die wesentlichsten Dienste zur Beurteilung der Handelsartikel. Die Fabrikate der chemischen Großindustrie werden meist mit Angabe ihres Gehalts auf den Markt gebracht; auch für den Spiritus [* 14] gilt derselbe Gebrauch, und der Konsument erhält dadurch eine Sicherheit, welche auf keine andre Weise zu erreichen ist. Nur durch eine öffentlich geübte chemisch-analytische Überwachung der Waren kann der vielfach überhandnehmenden Verfälschung wirksam vorgebeugt werden. Die Chemie weist genau den oft durch künstliche Mittel verdeckten wahren Wert der Handelsartikel nach und entlarvt den Schwindel, der sich besonders im Geheimmittelwesen breit macht. Hier beginnt auch das Gebiet der gerichtlichen Chemie, welche das Verbrechen verfolgt, durch den Nachweis von Gift, Blut, Sperma etc. ein Corpus delicti von hoher Beweiskraft schafft, oder durch die Enthüllung der wahren Beschaffenheit einer Ware u. dgl. den Streit schlichtet. ¶