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solcher Haupturheber des spanischen Kriegs, welcher dieses unglückliche Land härter als je in Fesseln schlug. Seine unermeßliche Eitelkeit brachte ihn jedoch bald in Differenzen mit Villèle; er wurde ungnädigst entlassen und trat nun, voll Wut über den ihm angethanen Schimpf, in die liberale Opposition und bekämpfte als Pair mit allen Mitteln der entfesselten Presse [* 2] die Villèleschen Institutionen. Seine meisterhaft geschriebene Flugschrift nach Ludwigs XVIII.
Tod: »Le [* 3] roi est mort; vive le roi!« wandte ihm zwar die Gunst des Hofs und insbesondere Karls X. Gnade von neuem zu, brachte ihn aber nicht ins Ministerium, daher er in seiner oppositionellen Stellung verharrte. Er schrieb nun in dem »Journal des Débats« seine glänzenden Artikel für Preßfreiheit und gegen die Zensur, für die Wiederherstellung Griechenlands (»Note sur la Grèce«) etc. und nahm unter dem liberalen Ministerium Martignac 1828 den Gesandtschaftsposten in Rom an, [* 4] den er aber 1829 niederlegte, als der Herzog von Polignac Minister wurde.
Mit der Julirevolution, an der er keinen Anteil nahm, trat er in die dritte Periode seines politischen Wirkens: er verweigerte dem Bürgerkönig den Eid der Treue, schied aus der Pairskammer und blieb den Bourbonen treu, unterhielt aber zu gleicher Zeit Verbindungen mit den Republikanern, besonders mit Carrel und Béranger. Die letzten bedeutenden Aktionen seines Lebens waren seine Reisen im Interesse der Bourbonen (1831 nach Prag, [* 5] 1843 nach Belgrave Square); die übrige Zeit blieb er ruhig in der Abbaye aux Bois, mit der Abfassung seiner Memoiren beschäftigt, in der Nähe seiner Freundin Mad. Récamier, der er 20 Jahre lang treu geblieben ist, und in deren Salon er der Mittelpunkt und Abgott des jungen Frankreich war. Er starb in Paris. [* 6]
Die schriftstellerischen Erzeugnisse dieser Periode sind: »De la restauration et de la monarchie élective« (1831);
»De la nouvelle proposition relative au bannissement de Charles X et de sa famille« (1831);
»Mémoire sur la captivité de Mad. la duchesse de Berri« (1833) und eine Menge Berichte, Reden, Journalartikel meist polemischen Charakters.
Ferner erschienen in diesem Zeitraum die schon erwähnten »Natchez« (1825) und »Les aventures du dernier des Abencérages«, die Erzählung eines Abenteuers in der Alhambra aus seiner Reise durch Spanien, [* 7] vielleicht sein vollendetstes Werk (mit »Atala« und »René« übersetzt von M. v. Andechs, Hildburgh. 1866);
»Études ou discours historiques sur la chute de l'empire romain, etc.« (1831, 4 Bde.);
»Voyages en Amérique, en France et en Italie« (1834, 2 Bde.);
»Essai sur la littérature anglaise« (1836, 2 Bde.);
eine Übersetzung von Miltons »Paradise lost« (1836);
»Le congrès de Vérone« (1838);
»Vie de Rancé« (1844) u. a. Am meisten jedoch beschäftigte ihn in dieser Zeit die Vollendung seiner »Mémoires d'outre-tombe«, an denen er 1811-33 geschrieben hat.
Wegen der vielen persönlichen
Anspielungen, welche das Werk enthielt, sollte es erst lange nach seinem
Tod veröffentlicht werden; aber die Geldnot, in der sich Chateau
briand immer befand, zwang ihn, das
Manuskript um einen hohen
Preis zu
verkaufen, und kaum hatte er die
Augen geschlossen, da begann der Verleger unter dem
Druck der ungeheuern Erwartung die
Publikation
als
Feuilleton in der
»Presse«, dann in 12
Bänden (1849-50). Die Enttäuschung aber war eine allgemeine;
man fand nur einen Wust von
Gedanken und
Gefühlen, von einander widersprechenden
Urteilen und falschen Behauptungen, und man
ärgerte sich über die lächerliche
Eitelkeit und naive Selbstüberschätzung
des
Autors und über die bittern und ungerechten
Urteile gegen seine Zeitgenossen.
Wie die
»Memoiren« aber trotzdem von großer Wichtigkeit sind für die Kenntnis der Zeitgeschichte,
so haben sie auch am meisten dazu beigetragen, die ungeheure Überschätzung Chateau
briands auf das richtige
Maß zurückzuführen.
Ein Schriftsteller ersten
Ranges in der Behandlung der
Sprache,
[* 8] ein Dichter durch seinen
Reichtum an schöpferischer
Phantasie,
obwohl er nie einen
Vers geschrieben, als Naturmaler von einer
Kraft
[* 9] und Üppigkeit, an welche selbst
Bernardin
de
Saint-Pierre nicht heranreicht, durch und durch
Original, steht er mit
Recht an der
Spitze dieses
Jahrhunderts. Er ist zugleich
Vorkämpfer und oberstes
Haupt der
Romantik in
Frankreich und der Hauptvertreter der poetischen
Prosa, über deren Fundgruben
er mit mächtigem Zauberstab gebietet, und deren funkelnde
Schätze er mit solcher Virtuosität zu bearbeiten
versteht, daß das trunkene
Auge
[* 10] neben dem blendenden
Schein die Fehler der
Gattung kaum gewahr wird.
Der Höhepunkt seiner litterarischen Wirksamkeit sind die »Martyrs« und das »Itinéraire«, seiner politischen die Polemik gegen Villèle im »Journal des Débats« (1824 bis 1827). Und wenn in einer großen Menge seiner Schriften, besonders in seinen »Mémoires«, sich bedeutende Mängel finden in der Komposition, in Geschmack und Urteil, so darf man nicht vergessen, daß in seiner besten Zeit zwei treue Berater ihm zur Seite standen und helfend und bessernd auf seine Schriften einwirkten: für die litterarischen Werke Fontanes, für die politischen der ältere Bertin, deren Hilfe er bei den »Mémoires« entbehren mußte.
Auf seine politische Thätigkeit wirft das beste
Licht
[* 11] sein
Glaubensbekenntnis in
»De la restauration et de la monarchie élective«
(1831):
»Ich bin Anhänger der
Bourbonen aus
Ehrgefühl,
Royalist aus Überzeugung,
Republikaner aus
Neigung«.
Unter den zahlreichen
Ausgaben seiner
»Œuvres complètes« sind die von Chateau
briand selbst besorgte (1826-31, 31 Bde.)
und die von
Sainte-Beuve (1859-61, 12 Bde.) hervorzuheben; eine deutsche
Gesamtausgabe erschien in 66
Bänden (Freiburg
[* 12] i. Br. 1827-28). Die einzelnen Werke sind oft aufgelegt worden, z. B.
»Atala« 1862, mit
Zeichnungen von G.
Doré; die
»Mémoires« 1856 in 8
Bänden mit
Lebensbeschreibung von
Ancelot.
Vgl.
Villemain, Chateau
briand, sa vie, ses écrits (Par. 1858, 2 Bde.);
Sainte-Beuve, Chateau
briand et son groupe littéraire sous l'empire (das. 1860, 2 Bde.);
L. Nadeau, Chateau
briand et le romantisme (das. 1874).