(griech., ursprünglich ein eingegrabenes oder eingeprägtes Zeichen), das
bleibende Gepräge, die dauernde Eigentümlichkeit eines Dinges, wodurch sich dasselbe von andern unterscheidet, und welche
daher zu dessen (abschließender) Bezeichnung dienen können. In diesem Sinn läßt sich jedem leblosen
und lebendigen Objekt, Natur- und Kunstgegenstand (Berg, Pflanze, Tier, menschlichem Wesen) Charakter beilegen. Im besondern wird das
Wort nur auf diejenige Eigentümlichkeit angewandt, welche deren Träger nicht von andern (aus der Hand der Natur oder des Künstlers)
empfangen, sondern sich selbst gegeben hat, für welche er andern gegenüber daher auch allein verantwortlich
erscheint. In diesem Sinn kann unter allen Naturwesen nur bei dem Menschen und auch bei diesem nur in Bezug auf dasjenige,
was an ihm nicht als Werk natürlicher Anlage, des Naturells (s. d.) oder Temperaments (s. d.), oder
äußerer Umstände, sondern
seines persönlichen Wollens gilt, von Charakter die Rede sein. Charakter in dieser Bedeutung bezeichnet die dauernde,
selbsterworbene Eigentümlichkeit des gesamten Wollens (und Thuns) einer gewissen Persönlichkeit, welche, einmal erkannt,
einen Wahrscheinlichkeitsschluß gestattet darauf, wie sich dieselbe auf gebotene Veranlassungen verhalten werde.
Damit eine solche vorhanden sei, muß nicht nur das gesamte Wollen unter der Herrschaft von praktischen
Grundsätzen (Maximen), wodurch Freiheit, sondern müssen die letztern selbst unter der Leitung eines obersten Grundsatzes stehen,
wodurch Einheit in das gesamte Wollen (und Handeln) kommt. Fehlt es an Grundsätzen, oder mangelt den vorhandenen der Einfluß
auf das Wollen, so findet Charakterlosigkeit, dagegen, wenn zwei herrschende Maximen (Charakterzüge) vorhanden
sind, dieselben aber untereinander im Widerstreit stehen, Widerspruch im C. statt.
Der Charakter läßt sich daher mit einem Kunstwerk vergleichen, dessen Material das Wollen, dessen Künstler der Wollende und dessen
Idee der leitende praktische Grundsatz (das Ideal des Wollenden) ist. Die Herrschaft, welche der Wollende über sein Wollen besitzt,
und die innere Konsequenz und Folgerichtigkeit, die dem Charakter innewohnt, werden auch dann noch Interesse, ja, wenn sie in seltenem
Grad auftreten, Bewunderung einflößen, wenn der Inhalt der obersten leitenden Maxime (wie dies bei Charakteren der Geschichte
und der Dichtung oft genug eintritt, z. B. bei Richard III., Karl Moor u. a.) von dem sittlichen Urteil verworfen
werden muß.
Der Besitz eines Charakters ist daher keineswegs schon mit jenem der Sittlichkeit gleichbedeutend, wenn auch wahre Sittlichkeit
ohne Charakter nicht denkbar ist. Letzterer bildet die Form, welche je nach der Beschaffenheit des obersten praktischen Grundsatzes
ebensogut mit einem sittlichen wie mit einem unsittlichen Inhalt erfüllt werden kann (sittlicher, unsittlicher
Charakter). Da der Charakter nach obigem eine selbsterworbene Eigentümlichkeit des Wollens sein soll, so kann es (zwar ein angeerbtes Naturell
oder Temperament, aber) nicht einen angeerbten Charakter geben.
Auch kann, da nur das einzelne Individuum, nicht aber eine Mehrheit von solchen (ein Stand, Volk, Zeitalter)
ein »Selbst« im strengern Sinn des Worts besitzt, von dem Charakter eines Standes, einer Nation, eines Zeitalters nur in uneigentlicher
Bedeutung gesprochen werden. Als erworbener Seelenzustand endlich darf der Charakter zwar als (vorläufig) beharrend,
aber er muß nicht als unvergänglich angesehen werden. Vielmehr ist er wie der Herausbildung (aus einem
Zustand, in welchem entweder keine Maximen vorhanden oder die vorhandenen noch ohnmächtig sind), so der Umbildung (wenn an
die Stelle der bisherigen leitenden Grundsätze andre treten) und des allmählichen (oder plötzlichen) Verfalles fähig (wenn
Affekte, Gemüts- oder körperliche Krankheiten die Beherrschung des Wollens durch praktische Urteile unmöglich machen).
Unvergänglichkeit sowohl als zeitlose Entstehung, beide mit dem Zeugnis der Erfahrung unverträglich,
sind daher von Kant sowohl als von Schopenhauer nur dem sogen. intelligibeln, d. h. jenseit der
Erfahrungswelt gelegenen, Charakter beigelegt worden. Die Bildsamkeit des Charakters sowohl im psychologischen (zur
Beherrschung des Wollens durch praktische Grundsätze, psychische Freiheit) als im ethischen Sinn (zur Beherrschung
des Wollens durch die zu Maximen erhobenen sittlichen Ideen, sittliche Freiheit, Tugend) macht die notwendige Voraussetzung, die
wirkliche Ausbildung desselben den einzig menschenwürdigen Zweck aller privaten und
mehr
öffentlichen Erziehung aus. - In der Ästhetik bezeichnet Charakter die Übereinstimmung des Kunstwerks entweder mit seinem (wirklichen
oder erfundenen) Vorbild, oder mit den Gesetzen und Grenzen seiner Kunst und Kunstgattung, oder mit den Bedingungen seines Materials.
Damit dieselbe vorhanden sei, müssen die wesentlichen Merkmale des darzustellenden Gegenstandes, oder der besondern
Kunst oder Kunstgattung, oder des technischen Materials der Darstellung aufgeprägt sein. So hat ein Drama Charakter, wenn es, wie Schillers
»Wallenstein«, die Eigentümlichkeit der Zeit, welcher sein Stoff angehört, aber auch, wenn es, wie dieser, in Bau, Stil und
Haltung das Wesen seiner Kunstgattung, der dramatischen, scharf hervortreten läßt. Im dritten Sinn kommt
einem Bau-, Bild- oder Schnitzwerk Charakter zu, wenn in demselben die spezifische Natur des verwendeten Materials (Back- oder Haustein,
Erz oder Marmor, Holz oder Elfenbein) zum Ausdruck kommt. Vermischung des Eigentümlichen in jeder der obigen Bedeutungen ist
(ästhetische) Charakterlosigkeit. - Charakter ist auch s. v. w. Titel, Würde, Stand.