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Nicht selten bildeten größere Hofburgen gleichsam die Citadelle einer Stadt und schlossen sich an die Befestigungen derselben an, wie unter andern die Kaiserpfalz zu Oppenheim, die Burg zu Nürnberg [* 2] etc. Diese Kaiserpfalzen (am ursprünglichsten erhalten die in Gelnhausen) [* 3] entsprechen wenig den phantastischen Bildern, welche die Dichter des Mittelalters davon entwerfen. Abgesehen von deren Schmucklosigkeit, fällt besonders die dürftige Enge derselben im Vergleich mit der Ausdehnung [* 4] moderner Fürstenschlösser auf, welche sich daraus erklärt, daß sich diese Hofburgen als feste Bauten auf einen möglichst engen Raum, der meist durch die Lokalität geboten war, beschränken mußten.
Unter dem Ausdruck Burgställe pflegte man die kleinern, lediglich auf Verteidigung eingerichteten Burgen [* 5] zusammenzufassen, die zugleich als ständiger Wohnsitz des Besitzers dienten. Sie waren von weit beschränkterm Umfang nicht nur wegen der geringern Mittel der Besitzer, sondern auch wegen ihrer Lage auf dem engen Raum eines Felsens (daher das »Stein« in vielen Burgnamen). Aus fünf Stücken bestand aber auch die kleinste Burg, nämlich aus der Umfassungsmauer, welche jedoch ganz, wie bei der Wartburg, oder zum Teil durch steinerne Wohngebäude ersetzt werden konnte, dem Bergfried, dem Palas für die Männer, der Kemnate für die Frauen und der Küche. Da sich diese drei letztern Lokalitäten in den verschiedenen Geschossen des Bergfrieds anbringen ließen, so war in der That zu der kleinsten Burg nichts weiter nötig als eine Umfassungsmauer und der Bergfried.
Als Beispiel einer solchen auf das Notwendigste beschränkten Burganlage kann die wegen ihrer kühnen Anlage am Bergabhang unter dem Namen Schwalbennest bekannte Burg Schadeck des Raubritters Ulrich Landschad von Steinach bei Neckarsteinach dienen [* 1] (Fig. 5, 6), welche außer der Umfassungsmauer nur einen durch zwei Bergfriede flankierten, nach der Bergseite hin unter einem Winkel [* 6] vorspringenden Mittelbau enthielt. Verlangte die Gegend zu deren Überblick keine hohen Bauten, so dehnten sich solche Bergfriede wohl auch in die Breite [* 7] aus und gestalteten sich zu turmartigen Wohnhäusern.
Einzelne Teile der Burg waren auch öfters in den Fels eingehauen. Bei vielen überrascht die Kühnheit, welche Gebäude auf Felsenspitzen zu gründen wagte, die nur dem Adler [* 8] zugänglich erschienen, wie die in verschiedenen Gegenden Deutschlands [* 9] vorkommenden Burgen mit den Namen Falkenstein, Hohenstein [* 10] etc. andeuten. Kühne Burgbauten dieser Art sind die meisten Ruinen des Rheinthals von Bingen [* 11] bis zum Drachenfels, unter denen die ausgedehnte Burg Rheinfels und die wieder aufgebauten Burgen Rheinstein und Stolzenfels hervorzuheben sind, des Neckarthals von Wimpfen bis Heidelberg [* 12] mit den Burgen zu Horneck, Zwingenberg, Hirschhorn, Neckarsteinach, dem oben erwähnten Schwalbennest, und zu Heidelberg, der hessischen Bergstraße mit den Burgen Frankenstein, Starkenburg, Windeck und Strahlenburg, der Rheingrafenstein bei Kreuznach, [* 13] Altenahr bei Bonn, [* 14] das Schloß Eltz unweit Moselkern an der Mosel u. a. Ohne Erlaubnis des Landesherrn durfte niemand eine Burg bauen; verlieren konnte man solche wegen Aufnahme eines flüchtigen Friedbrechers, verübter Notzucht an einer auf die Burg entführten Frauensperson, Gefangenhaltung einer Person, welche der Kaiser hatte fordern lassen, und wegen verweigerter Leistung des Eides, daß man die Burg nicht zum Unfrieden oder zur Empörung brauchen wolle.
Als Begründer des Burgen
baues in
Frankreich
sind die
Normannen anzusehen, die, als siegreiche Eroberer vordringend, befestigter
Schlösser bedurften, um ihre Errungenschaft zu behaupten. Die
Burgen der
Normannen entwickelten sich entweder
in der Form eines mächtigen, mit
Wall und
Graben umgebenen, meist viereckigen
Turms, des
Donjons, der wie der
Bergfried nur im
ersten
Stock zugänglich war und hinlängliche
Raum zur
Wohnung und zur
Verteidigung bot, oder in der Form mehrtürmiger
Anlagen mit mannigfacher
Anordnung der mit ihnen verbundenen Bauten. Unter den noch erhaltenen
Beispielen von
Donjons sind diejenigen
zu
Loches
[* 1]
(Fig. 7) und
Beaugency hervorzuheben, während die
Burgen zu
Lillebonne und
Coucy in der
Normandie mehrtürmige Burganlagen
zeigen.
Als wirksames Verteidigungsmittel diente bei französischen Burgen die Barbacane, ein jenseit des Burggrabens angelegtes kreisrundes, von Gräben umgebenes Werk, welches, schwer zugänglich, erst genommen werden mußte, ehe die Burg selbst angegriffen werden konnte. Ein Beispiel der Barbacane ist zu Carcassonne erhalten [* 1] (Fig. 8, 9). Auch nach England übertrugen die Normannen das von ihnen in Frankreich ausgebildete System der Burganlagen. An vielen Orten legten sie gewaltige Donjons an, deren z. B. London [* 15] allein drei und York zwei erhielt.
Auch hier steigen sie in viereckiger Form auf, sind nur in der ersten Etage zugänglich und enthalten alle Anordnungen zur Wohnung und Verteidigung, wie die Donjons zu Hedingham [* 1] (Fig. 10, 11) in Essex und zu Rochester, wovon der letztere bereits eine bequemere Einrichtung und reichere Ausstattung zeigt. Noch reichere Entwickelung des Grundrisses zeigt der gegen Ende des 12. Jahrh. ausgeführte Donjon von Rising Castle in Norfolk, dessen Wendeltreppen schon in runden, nach außen vorspringenden Ecktürmen liegen, während die Wohnräume zahlreicher, die Verbindungen bequemer und alle Formen ausgebildeter sind.
Mit Vervollkommnung des Schießgewehrs und der Geschütze [* 16] wurden die Burgen wehrlos, und mit dem Ritterwesen schwanden allmählich auch diese Bauten, die durch die Bauernkriege und den Dreißigjährigen Krieg in Masse zerstört wurden. Die Schlösser des Adels stiegen in die Ebenen herab und breiteten sich behaglich zu offenen Edelsitzen aus.
Vgl. Lübke, Geschichte der Architektur (6. Aufl., Leipz. 1884);
Krieg v. Hochfelden, Geschichte der Militärarchitektur in Deutschland [* 17] (Stuttg. 1859);
Caumont, Architecture civile et militaire (3. Aufl., Caen 1869);
Clark, Mediæval military architecture in England (Lond. 1885, 2 Bde.);
Cori, Bau und Einrichtung der Burgen im deutschen Mittelalter (Linz [* 18] 1874);
Schultz, Das höfische Leben zur Zeit der Minnesinger, Bd. 1 (Leipz. 1879).