Bundesrat (Zusammensetzung, Rechte des Bundesrats)
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Bundestagsgesandte den
Titel
»Präsidialgesandter« führte. Die damit verbundenen
Rechte waren jedoch keine eigentlichen politischen,
sondern nur
Ehrenrechte, wie namentlich das
Recht des Vorsitzes in der
Bundesversammlung und das
Recht einer entscheidenden
Stimme
im engern
Rat bei etwaniger Stimmengleichheit.
Die Gesamtheit der einem einzelnen Mitglied zuständigen
Stimmen muß jedoch in einheitlicher
Weise abgegeben
werden. Das
ReichslandElsaß-Lothringen
[* 19] ist durch stimmberechtigte
Bevollmächtigte im B. nicht vertreten, weil eine besondere
Landesregierung dort nicht existiert. Es können jedoch nach dem
Gesetz vom betreffend die
Verfassung und
Verwaltung
von
Elsaß-Lothringen (§ 7), zur Vertretung der
Vorlagen aus dem Bereich der dortigen Landesgesetzgebung
sowie der
Interessen des
Reichslandes bei Gegenständen der Reichsgesetzgebung durch den
StatthalterKommissare in den Bundesrat abgeordnet
werden, welche an den Beratungen des letztern über jene Angelegenheiten teilnehmen.
Die Mitglieder des Bundesrats können nicht auch zugleich Mitglieder des
Reichstags sein. Der Vorsitz im
B. und
die Leitung seiner
Geschäfte stehen dem vom
Kaiser ernannten
Reichskanzler zu. Da nun aber der Bundesrat aus Vertretern der Mitglieder
des
Bundes besteht, so folgt daraus, daß auch der
Reichskanzler zu den Bundesratsbevollmächtigten gehören, also einer der 17
Bevollmächtigten,
welche die
KronePreußen ernennt, sein muß. Der
Reichskanzler kann sich in Verhinderungsfällen vermöge
schriftlicher
Substitution vertreten lassen.
Bei Gelegenheit des
Abschlusses des
Vertrags, auf
Grund dessen das
KönigreichBayern dem
DeutschenReich beitrat, hat die preußische
Staatsregierung der bayrischen das
Recht eingeräumt, daß die letztere
im Fall der Verhinderung
Preußens,
[* 20] d. h. der sämtlichen
preußischen Bundesratsbevollmächtigten, den Vorsitz im B. führen soll, ein
Ehrenrecht, welches jedoch
kaum einmal zur praktischen Ausübung kommen dürfte.
Anträge und
Vorschläge können von jedem Bundesmitglied durch dessen
Bevollmächtigte vorgebracht werden, und das
Präsidium ist verpflichtet, dieselben der Beratung zu übergeben.
Die Anwesenheit einer bestimmten Anzahl von Mitgliedern ist zur
Beschlußfähigkeit des Bundesrats nicht erforderlich. Die
Beschlußfassung selbst erfolgt nach einfacher Stimmenmehrheit, wofern es sich nicht um eine Verfassungsänderung
handelt. Eine solche gilt nämlich als abgelehnt, wenn sie im B. 14
Stimmen gegen sich hat
(Reichsverfassung, Art. 78). Es
hat also die
KronePreußen mit ihren 17
Stimmen von vornherein die Macht, jede Verfassungsänderung zu verhindern.
Bei Stimmengleichheit gibt die preußische Präsidialstimme den
Ausschlag. In gewissen
Fällen ist die
Präsidialstimme stets ausschlaggebend, wofern sie sich für die Aufrechterhaltung der bestehenden Zustände ausspricht.
Dies ist dann der
Fall, wenn es sich um
Gesetzvorschläge über das Militärwesen, die
Kriegsmarine und um
Zölle und
Verbrauchssteuern
von dem im Bundesgebiet gewonnenen
Salz,
[* 21]
Tabak,
[* 22]
Branntwein,
Bier,
Zucker
[* 23] und
Sirup oder um Verwaltungsvorschriften
und Einrichtungen handelt, welche zur Ausführung derartiger
Zoll- und Steuergesetze dienen sollen
(Reichsverfassung, Art. 5 und
37). Auf diese
Weise ist dem Umstand Rechnung getragen, daß die preußische
Monarchie das ihr nach ihrer
Größe und Bedeutung
gebührende Stimmgewicht im B. gegenüber den
Mittel- und Kleinstaaten, wenn man die Stimmenzahl allein
berücksichtigt, nicht besitzen würde.
Ferner besteht die wichtige Vorschrift, daß, wenn es sich um Angelegenheiten handelt,
die nach den Bestimmungen der
Reichsverfassung nicht dem ganzen
Reiche gemeinschaftlich sind, also z. B. um ein auf
Bayern und
Württemberg nicht anwendbares Postgesetz, nur die
Stimmen derjenigen
Bundesstaaten gezählt werden sollen,
welchen die betreffende Angelegenheit gemeinschaftlich ist.
Der Bundesrat ist in erster
Linie einer der gesetzgebenden
Faktoren des
Reichs. Die
Reichsgesetze entstehen durch den übereinstimmenden
Mehrheitsbeschluß des Bundesrats und des
Reichstags, und insofern hat der Bundesrat den
Charakter eines gesetzgebendenKörpers.
Außerdem erscheint der aber auch als eine verwaltende und vollziehende Behörde des
DeutschenReichs. In ersterer Beziehung,
in seiner
Eigenschaft als
gesetzgebender Körper, hat der Bundesrat jedoch nicht denselben
Charakter, wie er einem
Oberhaus oder der
Ersten
Kammer in jenen
Staaten innewohnt, in welchen das
Zweikammersystem besteht, auch nicht etwa den
Charakter
eines zur Vertretung der Einzelstaaten gegenüber der Gesamtheit bestimmten Staatenhauses, wie z. B.
der Ständerat in der
Schweiz.
[* 24] Das Eigentümliche der
Institution besteht vielmehr darin, daß sich der Bundesrat lediglich aus Vertretern
der Einzelregierungen zusammensetzt, die nach bestimmter
Instruktion ihrer Gewaltgeber, d. h. der einzelnen verbündeten
Regierungen,
in den monarchischen
Staaten der
Landesherren, in den
FreienStädten der
Senate, zu
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handeln und abzustimmen haben. Dazu kommt nun, daß der auch ein Organ der Reichsverwaltung ist, so daß die Bundesratsbevollmächtigten
zugleich als Regierungsbeamte und insofern als Vertreter der den verbündeten Regierungen zustehenden Reichsgewalt erscheinen.
Wie aber die Minister der konstitutionellen Einheitsstaaten (die Regierung) die Regierungsanträge und die Regierungsmaßregeln
in den Kammern vertreten, so haben auch die Mitglieder des Bundesrats das Recht, im Reichstag zu erscheinen
und den Standpunkt der verbündeten Regierungen in den einzelnen Fällen darzulegen.
Zu eben demselben Zwecke können auch von dem Bundesrat besondere Kommissare ernannt werden. Auch ist es jedem Bevollmächtigten zum
Bundesrat unbenommen, den Standpunkt der von ihm vertretenen Einzelregierung im Reichstag darzulegen, auch wenn
ebendieser Standpunkt von der Majorität im B. nicht geteilt ward. Dazu kommt weiter, daß die Bevollmächtigten zum Bundesrat, soweit
es sich um ihre persönliche Stellung handelt, als diplomatische Vertreter ihrer Kabinette erscheinen, und die Reichsverfassung
erklärt ausdrücklich: »Dem Kaiser liegt es ob, den Mitgliedern des Bundesrats den üblichen diplomatischen
Schutz zu gewähren«. Nach dem deutschen Gerichtsverfassungsgesetz (§ 18) genießen daher die Bundesratsbevollmächtigten
»gleich sonstigen Gesandten« das Recht derExterritorialität.
Nach der Reichsverfassung (Art. 7) beschließt der Bundesrat 1) über die dem Reichstag zu machenden Vorlagen und die von demselben
gefaßten Beschlüsse;
2) über die zur Ausführung der Reichsgesetze erforderlichen allgemeinen Verwaltungsvorschriften und Einrichtungen, insofern
nicht durch Reichsgesetz etwas andres bestimmt ist;
3) über Mängel, welche bei der Ausführung der Reichsgesetze oder der vorstehend erwähnten Vorschriften oder Einrichtungen
hervortreten. Hiernach ist also zunächst die Mitwirkung des Bundesrats in allen Zweigen der Reichsgesetzgebung
erforderlich, namentlich auch bei Feststellung des Reichshaushaltsetats, welche im Weg der Reichsgesetzgebung erfolgt. Der
Bundesrat beschließt daher über alle dem Reichstag zu machenden Gesetzvorlagen, über die von demselben hierüber gefaßten Beschlüsse
und ebenso über die aus eigner Initiative des Reichstags hervorgegangenen Gesetzesvorschläge.
Die für den Reichstag bestimmten Vorlagen werden nach Maßgabe der Beschlüsse des Bundesrats im Namen
des Kaisers durch den Reichskanzler an den Reichstag gebracht. Der hat ferner innerhalb der Zuständigkeit des Reichs die Befugnis,
über die zur Ausführung von Reichsgesetzen erforderlichen allgemeinen Verwaltungsvorschriften und Einrichtungen zu beschließen.
Allein dies Verordnungsrecht ist insofern ein beschränktes, als in gewissen Angelegenheiten das Recht
zum Erlaß von Verordnungen und allgemeinen Instruktionen dem Kaiserübertragen ist, so namentlich in Angelegenheiten des Militärwesens,
der Kriegsmarine, der Post- und Telegraphenverwaltung und des Konsulatswesens. In andern Fällen steht das Recht, die nötigen
Ausführungsbestimmungen zu erlassen, dem Reichskanzler zu oder einer bestimmten Reichsbehörde, oder es ist
den Einzelstaaten überlassen, die zur Ausführung einer reichsgesetzlichen Bestimmung erforderlichen Anordnungen zu treffen.
Das betreffende Reichsgesetz bestimmt in solchen Fällen regelmäßig diejenige Stelle, welche die nötigen Ausführungsverordnungen
und Instruktionen zu erlassen hat. Der Bundesrat erscheint aber auch insofern als ein Verwaltungsorgan des Reichs, als er über Mängel,
welche bei der Ausführung der Reichsgesetze und der im Anschluß an
diese getroffenen Verordnungsverfügungen
hervortreten, zu beschließen hat. Hierdurch wird jedoch das dem Kaiser zustehende Recht, wonach dieser die Ausführung der
Reichsgesetze zu überwachen hat, keineswegs geschmälert, denn die thatsächliche Abstellung solcher Mängel steht nicht
dem Bundesrat, der sie allerdings beschließen kann, sondern dem Kaiser und seinen Organen, d. h. dem Reichskanzler
und den ihm unterstellten Reichsbehörden, zu. Wenn ferner Bundesmitglieder ihre verfassungsmäßigen Bundespflichten nicht
erfüllen, so können sie dazu im Weg der Exekution angehalten werden; die Beschlußfassung über eine solche Maßregel steht
dem Bundesrat, ihre Vollstreckung dem Kaiser zu (Reichsverfassung, Art. 19). Sollte ferner in einem Bundesstaat
der Fall einer Justizverweigerung eintreten und auf gesetzlichem Weg ausreichende Hilfe nicht zu erlangen sein, so liegt es
dem ob, erwiesene, nach der Verfassung und nach den Gesetzen des betreffenden Bundesstaats zu beurteilende Beschwerden über
verweigerte oder gehemmte Rechtspflege anzunehmen und darauf die gerichtliche Hilfe bei der Bundesregierung,
welche zu der BeschwerdeAnlaß gab, zu bewirken (Reichsverfassung, Art. 77). Ebenso sind Streitigkeiten zwischen verschiedenen
Bundesstaaten, sofern dieselben nicht privatrechtlicher Natur und daher von den kompetenten Gerichtsbehörde zu entscheiden
sind, auf Anrufen des einen Teils von dem Bundesrat zu erledigen.
Verfassungsstreitigkeiten in solchen Bundesstaaten, in deren Verfassung nicht eine bestimmte Behörde zur
Entscheidung solcher Streitigkeiten bestimmt ist, hat auf Anrufen eines Teils der Bundesrat gütlich auszugleichen
oder, wenn dies nicht gelingt, im Weg der Reichsgesetzgebung zur Erledigung zu bringen (Reichsverfassung, Art. 76). Weiter
ist auch hervorzuheben, daß eine etwanige Auslösung des Reichstags vor Ablauf
[* 26] der verfassungsmäßigen
dreijährigen Legislaturperiode desselben von dem unter Zustimmung des Kaisers beschlossen werden kann (Reichsverfassung, Art.
24). Ferner ist der Bundesrat ganz besonders bei gewissen finanziellen Angelegenheiten des Reichs beteiligt.
Denn nicht nur, daß dem Bundesrat gemeinschaftlich mit dem Reichstag die jährliche Feststellung des Reichshaushaltsetats obliegt,
so gebührt dem auch z. B. die Beschlußfassung über die Finanzabschlüsse
des Ertrags der Zölle und der Verbrauchssteuern und über die alljährliche Feststellung der von der Kasse eines jeden Bundesstaats
an die Reichskasse abzuführenden Beträge (Reichsverfassung, Art. 39). Über die Verwendung aller Einnahmen des Reichs ist
aber nicht nur dem Reichstag, sondern auch dem Bundesrat alljährlich von dem Reichskanzler Rechnung zu legen
(Reichsverfassung, Art. 72). Endlich ist der auch bei der Verwaltung der auswärtigen Angelegenheiten des Reichs insofern beteiligt,
als der Kaiser zur Erklärung des Kriegs im Namen des Reichs nur mit Zustimmung des Bundesrats berechtigt ist, es sei denn, daß
ein Angriff auf das Bundesgebiet oder dessen Küsten erfolgt.
Handelt es sich ferner um den Abschluß von Verträgen mit fremden Staaten, welche sich aus Gegenstände beziehen, die verfassungsmäßig
in den Kompetenzkreis der Reichsgesetzgebung gehören, so ist zu ihrem Abschluß die Zustimmung des Bundesrats erforderlich,
vorbehaltlich der Genehmigung des Reichstags (Reichsverfassung, Art. 11). Der Bundesrat versammelt sich übrigens
nicht etwa aus eigner Initiative. Es ist vielmehr das Vorrecht des Kaisers (Reichsverfassung, Art. 12), den Bundesrat zu berufen, zu
eröffnen, zu vertagen und zu schließen. Der Bundesrat muß alljährlich berufen werden, und zwar kann derselbe
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