mehr
Stand des Buchhandels im Ausland.
Der englische Buchhandel, seit 1694 im Genuß der Preßfreiheit, erhielt durch eine Verordnung der Königin Anna auch Gewährleistung des litterarischen Eigentums und zwar ohne Privilegien. Bis zu Ende des 18. Jahrh. geschah es oft, daß bei bedeutenden Verlagsunternehmungen sich zehn und mehr Buchhändler vereinigten, um sie auf gemeinschaftliche Kosten zu machen; daher häufiges Vorkommen mehrerer Verleger auf dem Titel umfassender Werke. Mit dem neuen Jahrhundert übte der rasche Umschwung aller merkantilen und gewerblichen Dinge auch auf den Buchhandel seinen Einfluß aus.
Rascher Vertrieb wurde Prinzip, und als Mittel dazu boten sich die Auktionen (trade sales). Der britische Buchhandel wurde zu einem wahren Börsenspiel und trägt diesen Charakter zum Teil noch jetzt. Eine Menge spekulativer Kräfte wendeten sich dem Buchhandel zu, mit ihnen große Kapitalien. Die Honorare stiegen bei der großen Menge konkurrierender Verleger ins Unglaubliche. Aber es wurde auch für jedermann, der auf Bildung Anspruch machen wollte, die Anschaffung einer Büchersammlung unerläßlich, und aus dem Mutterland verbreitete sich dieses Bedürfnis über die Kolonien.
Ehe der eigentliche Wert des Buches entschieden werden kann, wird es als Modeartikel des Tags der Neuheit wegen in Menge verkauft. Die reichen Familien, die Leseklubs, Lesekabinette und Leihanstalten (circulating libraries) nehmen Tausende von Exemplaren in den ersten Tagen des Erscheinens. Die Leihanstalten halten in eignem Interesse darauf, daß die Originalpreise möglichst hoch gestellt werden, um die große Anzahl von Privaten, welche ihre regelmäßige Kundschaft bilden, vom Ankauf für sich selbst abzuhalten.
Der Verleger macht seinen Kalkül so, daß er für die Kosten der ganzen Auflage durch diesen Primärabsatz gedeckt wird; den Rest bringt er oft schon nach wenig Wochen unter den Hammer. [* 2] Die so gemeiniglich in Partien von 10, 20 und mehr Exemplaren versteigerten Bücher treten hierauf in einen eignen Buchhändlerkreis ein, in den der second-hand dealers (Händler aus zweiter Hand), [* 3] und die Bücher selbst in die Klasse der second-hand books, die nun in den cheap lists dem Publikum zu geringern Preisen angeboten werden.
Häufig tritt der Antiquar an die Stelle der Auktionen und second-hand dealers; er kauft Partien zu ermäßigtem Preis vom Verleger und rangiert sie dann in seine Kataloge als ständige Artikel ein. In London [* 4] gibt es solche Antiquarbuchhändler im großen Stil, bei denen man von jedem guten wissenschaftlichen Werk zuverlässig mehrere Exemplare vorfindet. Dabei führt doch der Verleger in seinen Katalogen für das Werk den Originalpreis unverändert fort. In England ist die Hauptstadt London der Zentralpunkt des Buchhandels.
Aus den Londoner Pressen gehen jährlich weit mehr Bücher hervor als aus den übrigen Ländern des britischen Reichs. Oxford [* 5] und Cambridge verlegen meist nur klassische oder theologische Werke. Fast alle Buchhändler im Innern, in Schottland und in Irland haben einen Kommissionär in London, der ihnen die verlangten Werke in der Regel wöchentlich (oft auch täglich) überschickt. Umgekehrt haben die Londoner Verleger in jeder bedeutenden Stadt der drei vereinigten Königreiche Agenten. Andre als die allgemein gültigen kaufmännischen Usancen kennt der englische Buchhandel nicht. Die Einfuhr fremder Litteratur nach England war gering, solange die hohe Papiersteuer noch bestand; nach deren Wegfall hat sie sich bedeutend gehoben; beträchtlich ist auch die Ausfuhr.
In Nordamerika [* 6] ist der Buchhandel ähnlich organisiert wie im Mutterland. Ein großer Teil des Vertriebs wird durch die Auktionen (trade sales) vermittelt, welche in New York, Philadelphia [* 7] und Boston [* 8] jährlich zweimal abgehalten werden und auch noch die Stelle der deutschen Buchhändlermessen vertreten, indem bei diesen Gelegenheiten die Geschäftsgenossen aus dem ganzen weiten Land zusammenkommen, Verbindungen anknüpfen, Abrechnung halten, Unternehmungen entrieren etc. Ein großer Teil des amerikanischen Verlags beruht auf Nachdruck englischer, auch deutscher Werke, für welche ein Rechtsschutz noch nicht zu erlangen gewesen ist. Am meisten blüht unter den buchhändlerischen Vertriebsarten das Kolportagegeschäft, so sehr, daß ganze Verlagsgeschäfte, ja ganze Litteraturzweige lediglich darauf beruhen; namentlich sind es die fliegenden Buchhändler (canvassers), welche alle Eisenbahnzüge und Dampfschiffe auf allen Fahrten begleiten und unter dem großen, stets wechselnden Reisepublikum eine unbegreifliche Masse billiger Unterhaltungslektüre absetzen. Der Hausierhandel ist bei den ungeheuern Entfernungen und der großen Zerstreutheit der Bevölkerung [* 9] in den westlichen Distrikten auch in der That der bis jetzt einzig mögliche Weg zur Verbreitung von Litteratur.
Der holländische Buchhandel nahm, begünstigt durch die unbeschränkte Preßfreiheit, deren er sich von Anfang an fast ohne Unterbrechung zu erfreuen hatte, und infolge der Thätigkeit großer Verleger schon früh eine hervorragende Bedeutung an, die aber seit dem vorigen Jahrhundert immer mehr gegen den deutschen Buchhandel zurücktrat. Bei den großen philologischen und andern wissenschaftlichen Verlagsunternehmungen trat auch hier oft das geteilte Verlagsrecht ein, wonach zwei, drei, fünf und mehr Verleger die Kosten des Ganzen oder einzelner Teile gemeinschaftlich trugen, nebeneinander auf dem Titel genannt wurden, nach Verteilung der Auflage aber jeder für sich selbständig den Vertrieb besorgten.
Die geschäftliche Organisation gleicht einigermaßen der des deutschen Buchhandels. Eine dem Deutschen Börsenverein ähnliche Vereinigung ist die Vereeniging ter bevordering van de belangen des boekhandels. Hauptort ist Amsterdam. [* 10] Der holländische hat Jahresrechnung und Neuigkeitssendungen à condition, wie der deutsche, kennt aber keine Disponenden. Die Rechnung soll jährlich im Januar glatt abgeschlossen und saldiert werden. Einen Kommissionär hat jeder holländische Buchhändler wenigstens in Amsterdam.
Eine eigentümliche Einrichtung sind die Versteigerungen von Verlagsrechten oder ganzer Auflagen seitens der Verleger, welche oft vorgenommen werden, wenn die erste Auflage oder mehrere Auflagen abgesetzt sind. In Amsterdam besteht ein »allgemeines Bestellhaus«, Eigentum der holländischen Buchhändlerkorporation, ähnlich den Anstalten in Deutschland. [* 11] Einfuhr und Ausfuhr sind bedeutend. Leider blüht der Nachdruck fremder Litteratur noch immer. In Belgien [* 12] ist Brüssel [* 13] die wichtigste Stadt für Verlagswerke. Die belgischen Pressen lieferten früher meist billige Nachdrucke französischer Werke, jetzt hat die Bücherproduktion der Menge nach bedeutend abgenommen, dem Gehalt nach gewonnen.
In Dänemark [* 14] hat der Buchhandel seinen Hauptsitz in Kopenhagen. [* 15] In Schweden [* 16] ist der Buchhandel meist auf Stockholm [* 17] und die zwei Universitäten Upsala [* 18] und Lund beschränkt, in Norwegen auf Christiania. [* 19] Es bestehen hier ähnliche Einrichtungen wie in Deutschland; auch ist der buchhändlerische Verkehr der drei skandinavischen Länder untereinander in neuerer Zeit lebhafter geworden, und man hat sich daher auch hier ¶
mehr
zu dessen Regelung vereinbaren müssen. Auch diese Länder haben für die in ihren eignen Sprachen gedruckten Bücher nur einen sehr beschränkten Kreis [* 21] von Abnehmern, vornehmlich Dänemark, das früher in litterarischer Beziehung fast als Deutschland angehörig zu betrachten war. Es wurden deshalb auch viele deutsche Bücher dort verlegt, und solche geistige Verbindung hat auch die neueste Zeit trotz aller nationalen Antipathien, trotz künstlich hervorgerufener und gepflegter Bevorzugung besonders der französischen Litteratur nicht ganz zu lösen vermocht. Rußland hat sich durch Verbote, Zensurschikanen und Zölle gegen die Einfuhr ausländischer Druckschriften abzuschließen gesucht, aber nicht verhindern können, daß jährlich nahezu 1 Mill. Bände auswärtiger Druckschriften, der Mehrzahl nach französische und deutsche, eingebracht werden. Der russische Verlagshandel zeigt einen sehr anerkennenswerten Aufschwung.
Die Organisation des französischen Buchhandels ist von der in Deutschland völlig verschieden. Paris [* 22] ist das Emporium desselben; alle Buchhändler der Departements haben daselbst ihre Kommissionäre, stehen aber in keiner so regelmäßigen Verbindung mit denselben wie in Deutschland. Auch die Usancen sind sehr verschieden. Die Verleger (libraires-éditeurs) senden selten ihre Verlagswerke à condition; die Sortimentsbuchhändler (libraires d'assortiment) müssen solche für feste Rechnung nehmen und gewöhnlich sogleich bezahlen.
Da, wo der Pariser Verleger mit dem Provinz-Sortimenter in Rechnung steht, wird die Rechnung alle drei, längstens alle sechs Monate abgeschlossen, und der Verleger deckt sich für sein Guthaben ganz nach kaufmännischem Brauch durch Wechsel. Ebenso findet die Korrespondenz zwischen dem Provinz-Sortimenter und dem Pariser Verleger meistens in direkten Briefen statt. Der provinzielle Verlag ist im ganzen unbedeutend, doch erscheinen auch einzelne ganz achtungswerte Werke, so über Dialekte, Altertümer, Spezialgeschichte etc. der verschiedenen Provinzen; indes pflegen alle diese neben dem eigentlichen Verleger auch ein Pariser Haus auf dem Titel zu nennen.
Die Zahl der im Druck erschienenen Schriften blieb stets hinter der der deutschen Produktion zurück, und es kamen davon gewöhnlich ⅔ auf Paris, ⅓ auf das übrige Frankreich. Ein eigentlicher Sortimentsbuchhandel existiert in Frankreich nicht. Infolge der großen Zentralisation des Verlagsbuchhandels in Paris, wo auch der französische Buchhändlerverein (Cercle de la librairie) seinen Sitz hat (vgl. »Le [* 23] Cercle de la librairie. Notice historique et descriptive«, Par. 1885),
und der Spezialisierung desselben beziehen viele Bücherkäufer in der Provinz ihren Bedarf lieber aus Paris, vom Verleger oder von einem Spezialbuchhändler. Das, was man in Deutschland die »Verwendung« von seiten der Sortimenter nennt, ist in Frankreich vollkommen null, Verleger und Verfasser müssen ganz allein für das Bekanntwerden der Bücher sorgen. Ein wichtiges Element für den französischen Buchhandel bildet der Export. Bei der allgemein verbreiteten Kenntnis der französischen Sprache [* 24] und der gefälligen Form der französischen Litteratur ist es nicht erstaunlich, daß für viele Millionen Frank französische Bücher alljährlich nach allen Teilen der Welt versandt werden; aber es beschränkt sich dieser Export nicht allein auf die Bücher in französischer Sprache, sondern der französische Verlagsbuchhandel hat sich auch des ganzen romanischen Amerika [* 25] bemächtigt, für welches mehrere große Häuser in Paris fast seinen ganzen Bedarf an spanischen und portugiesischen Büchern fabrizieren.
Gebetbücher, Schulbücher, Übersetzungen der Romane, wissenschaftliche Bücher aus allen Sprachen, Kinderbücher, kurz alles, was die amerikanischen Völker spanischen und portugiesischen Ursprungs brauchen, wird in großen Massen in Paris gedruckt und verlegt und fix und fertig eingebunden nach Mexiko, [* 26] Chile, [* 27] Peru, [* 28] Brasilien, [* 29] La Plata etc. expediert, ein Handelszweig, dessen jährlicher Umsatz sich nach Millionen beziffert. Umfangreiche wissenschaftliche und gelehrte Werke werden meist ganz oder teilweise auf Kosten der Regierung, gelehrter Gesellschaften, der Akademien oder der Verfasser gedruckt.
Selbst gelehrte Journale, wie das »Journal des savants«, können sich ohne Unterstützung von seiten der Regierung nicht halten. Große Verlagsunternehmungen, wie sie in Deutschland nicht zu den Seltenheiten gehören, sind in Frankreich ohne Unterstützung von oben (die man gemeiniglich durch Subskription auf ein paar hundert Exemplare gewährt) nicht möglich. Die vom Ministerium subskribierten Exemplare werden an die Bibliotheken des Landes verschenkt. Eine ansehnliche Menge der französischen Litteraturerzeugnisse erscheint aber auch ganz auf Staatskosten, und aus dem Fonds der Imprimerie nationale (früher royale und impériale) in Paris werden jährlich große Summen auf den unentgeltlichen Druck wissenschaftlicher Bücher verwendet. Dazu kommen die Sammlungen von Memoiren der Akademien und der gelehrten und industriellen Gesellschaften, welche, wiederum meist vom Staat unterstützt, den Druck aus ihren Fonds bestreiten. Es hat diese Masse von Druckschriften mit dem eigentlichen Buchhandel nichts zu thun, selten kommen solche kommissionsweise in den Verkehr.
In Italien [* 30] ist die neue Zeit für den Buchhandel erst in den letzten Jahren angebrochen. Der gleich im ersten Jahrhundert nach Erfindung der Buchdruckerkunst sich großartig entwickelnden Blütezeit folgte seit dem Reformationszeitalter durch kirchliche und politische Reaktion ein so gewaltiger Rückschlag, daß von einem Buchhandel im heutigen Sinn des Worts kaum noch die Rede sein konnte; wenigstens war, was vorhanden war, in die härtesten Fesseln geschlagen. Die Verlagsthätigkeit erlahmte bald so, daß größere und der Beachtung werte Werke bis in die neueste Zeit nur auf Privatkosten oder durch Unterstützung reicher Gönner hergestellt werden konnten.
Erst seit einigen Jahren, seitdem die Einheitsbestrebungen wieder ein italienisches Staatswesen geschaffen haben, hat auch der Buchhandel angefangen, sich mehr und mehr wieder zu heben. Das Hauptverdienst gebührt neben den bedeutenden deutschen Buchhandlungen in Italien dem Turiner Verleger Gius. Pomba, dessen Bemühungen es endlich gelungen ist, einen dem Deutschen Börsenverein nachgebildeten Verein, die »Associazione dei libraj italiani«, zu gründen. In Spanien [* 31] und Portugal haben kirchliche und politische Despotie die litterarische Thätigkeit lange Zeit gewaltsam niedergehalten und demzufolge auch den Buchhandel zu keiner höhern Entwickelung und Bedeutung kommen lassen. Im jungen Griechenland [* 32] blüht die Litteratur rasch auf. Im J. 1833 wurde die erste Buchhandlung in Athen [* 33] gegründet.
Nächst Athen, das regelmäßigen buchhändlerischen Verkehr mit Leipzig, [* 34] Triest [* 35] und Wien [* 36] unterhält, ist Korfu [* 37] der Hauptsitz der griechischen Litteratur; letzterer Platz macht seine auswärtigen Geschäfte über London. In der Türkei [* 38] beschränkt sich der Verkehr mit Büchern zum größten Teil auf den Manuskriptenhandel, da es den Mohammedanern verboten ist, den Koran und ihre andern Religions- und Gesetzbücher durch Druck zu vervielfältigen; auch ¶