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Gebrauch zu Grunde, der Rest in den politischen und kriegerischen Stürmen, welche den Sturz der römischen Weltherrschaft herbeiführten und das Mittelalter einleiteten.
Während der ersten Jahrhunderte des Mittelalters gab es, außer im römischen Reich (Byzanz, Alexandria) und später in den Ländern des Islam (Bagdad, Kairo, [* 2] Cordova), keinen litterarischen Verkehr. In Klöstern und geistlichen Stiftern wie an einzelnen Fürstenhöfen wurden zwar Abschriften angefertigt, aber nur zum eignen Gebrauch, höchstens zu gelegentlichem Austausch. Den sehr seltenen Verkauf von Handschriften kann man kaum Buchhandel nennen. Die Kunst des Schreibens war nur wenigen Personen, meist bloß den Geistlichen, eigen, und ihre Produkte standen daher hoch im Preis; auch die Kostbarkeit des zur Anfertigung von Handschriften verwendeten Pergaments verhinderte eine größere Verbreitung der Litteratur.
Erst mit Entstehung der Universitäten im 12. Jahrh. stellte sich ein größerer Bedarf an litterarischen Hilfsmitteln, an Leitfäden und Lehrbüchern für die Studenten heraus, und durch diesen bildete sich der mittelalterliche Buchhandel (Handschriftenhandel), eigentlich erst ermöglicht durch die Erfindung des Leinenpapiers, welches billigere Herstellung der Handschriften gestattete. Neben der gelehrten und Unterrichtslitteratur wurden später auch poetische Werke und Volksschriften Gegenstand des litterarischen Verkehrs.
Die ersten Spuren eines geordneten und regelmäßigen Verkehrs mit Handschriften finden sich in Italien [* 3] im 13. Jahrh. Zuerst erschienen die Handschriftenverleiher, von ihren Geschäftslokalen, Stationes, Stationarii genannt. Sie verliehen die in ihrem Besitz befindlichen, durch Schreiber (librarii, scriptores, amanuenses etc.) oder von ihnen selbst hergestellten Handschriften behufs Abschrift an die Studenten. Um mehreren die Möglichkeit des Abschreibens zu ermöglichen, liehen sie die Handschriften in Lagen (peciae; 1 Pecia = ½ Quaterne oder 16 Kolumnen à 62 Zeilen à 32 Buchstaben) aus und wurden daher auch Peciarii, Stationarii peciarum genannt.
Die Zahl der vorrätig zu haltenden Werke war, wie der Mietpreis der Pecien, durch die Universitätsbehörden festgestellt, wie auch der ganze Verkehr unter Aufsicht der Universitäten stand und die Stationarii selbst Universitätsverwandte waren. Auch für Korrektheit der Handschriften war durch regelmäßige Kontrolle gesorgt. Der Verkauf von Handschriften war den Handschriftenverleihern untersagt; erst später war ihnen ein kommissionsweiser Verkauf fremder Handschriften gegen Provision unter gewissen Kautelen gestattet.
Dieser Verkehr mit Erzeugnissen der Litteratur ist indes noch nicht eigentlicher Buchhandel; einen solchen betrieben erst die später auftretenden Handschriftenhändler (venditores librorum, librarii, libraji oder auch, da sie sich zum Teil aus Papierhändlern rekrutierten, cartolaji). Sie waren nicht, wie die Stationarii, der strengen Aufsicht der Universität unterworfen, sondern betrieben ihr Gewerbe frei. Oft waren sie zugleich Abschreiber, und als solche stellten sie sich ihre Handelsobjekte selbst her; später scheinen förmliche Handschriftenfabriken bestanden zu haben.
Einen bedeutenden Aufschwung nahm der Handschriftenhandel, als zahlreiche Handschriften vor den hereinbrechenden Türken aus Griechenland [* 4] nach Italien gerettet wurden. Hauptorte des unbeschränkten Handschriftenhandels wurden die bedeutenden Städte Norditaliens: Venedig, [* 5] Florenz, [* 6] dann Mailand [* 7] etc. Venezianische Kaufleute bezogen im 15. Jahrh. Handschriften in großer Anzahl aus Griechenland, ja eigne Reisende suchten Handschriften in Griechenland auf.
Die bedeutenden italienischen Handschriftenhändler waren Joannes Aurispa in Venedig (1369-1459) und Vespasiano Philippi (sc. filius) in Florenz (Mitte des 15. Jahrh.). Ungefähr zu derselben Zeit wie in Italien erscheinen auch in Frankreich Handschriftenverleiher und Händler. Sie waren ähnlichen Beschränkungen unterworfen wie in Italien und standen unter Jurisdiktion und Aufsicht der Universitäten. In Paris [* 8] bildeten die Stationarii und Librarii zusammen mit den Schreibern, Rubrikatoren, Pergamentmachern und Papierhändlern die Gilde der Libraires, welche, wie Albr. Kirchhoff aufführt, im J. 1292 außer 8 Handschriftenhändlern noch enthielt: 25 Escrivains (Schreiber), 13 Enlumineurs (Rubrikatoren, unter Umständen Verfertiger der Miniaturen), 17 Lieurs (Buchbinder) und 16 Parcheminiers (Pergamentmacher und -Händler).
Außer in Paris finden sich Handschriftenhändler in Frankreich nur in den Universitätsstädten. Der bekannteste derselben war der Alchimist Nicolas Flamel (Anfang des 15. Jahrh.). Auch in Deutschland [* 9] findet sich ein geschäftlicher Verkehr mit Handschriften seit Gründung der ersten Universitäten, Mitte des 14. Jahrh. Stationarii kommen weniger vor, das Verleihen behufs Abschrift wurde meist ersetzt durch die Pronunziationen, d. h. das Diktieren der Hefte durch die Universitätsdozenten.
Die geschäftlichen Einrichtungen und die Oberaufsicht der Universitäten scheinen im ganzen denen in Paris entsprochen zu haben. Der Handel mit Handschriften war am bedeutendsten in Prag, [* 10] Wien, [* 11] Heidelberg, [* 12] Erfurt, [* 13] Köln, [* 14] dann in Niederdeutschland: Gent, [* 15] Brügge. Er lag vielfach in den Händen der Schullehrer, aber auch Papier- und Pergamentmacher, Briefmaler etc. waren daran beteiligt. Schreiberschulen und Handschriftenfabriken bildeten sich auch hier. In Niederdeutschland wirkten besonders (Anfang des 15. Jahrh.) die Brüder vom gemeinsamen Leben. Die größte Handschriftenfabrik Oberdeutschlands bestand in Hagenau, [* 16] wo der bedeutende Handschriftenhändler Diebold Lauber (um 1447) seinen Wohnsitz hatte. In England scheinen sich die Stationarii mehr mit dem Handschriftenhandel beschäftigt zu haben. Sie waren, wie anderwärts, zum Teil zugleich Buchbinder. Einzelne Spuren von Handschriftenhandel finden sich auch in Spanien. [* 17]
Die Herstellung der Handschriften geschah durch die Schreiber, welche entweder umherwandernd Aufträge aufsuchten, oder sich zu Schreiberschulen und Handschriftenfabriken vereinigten. Dem geschäftlichen Verkehr mit Handschriften widmeten sich Angehörige verschiedener Erwerbszweige: zunächst die Schreiber, dann Gelehrte der verschiedenen Fakultäten, Studenten, Lehrer, städtische Beamte, Kaufleute, vor allen aber Buchbinder sowie Pergament- und Papiermacher und -Händler.
Selten bot dieser Geschäftsbetrieb allein genügenden Lebensunterhalt, so daß die damit beschäftigten Personen gewöhnlich noch andre Geschäfte betrieben in Handel oder Gewerbe; andre bezogen als untergeordnete Universitätsbeamte einen geringen Gehalt. Die seßhaften hatten ihre Geschäftslokale in den besuchtesten Stadtteilen, an Kirchen etc., in Läden oder Buden. An den Fenstern dieser Läden oder den Ständen mußten die Stationarii Verzeichnisse der bei ihnen vorrätigen Bücher und die Mietpreise dafür anschlagen. Die Händler stellten ebenfalls Verzeichnisse ihrer Vorräte zusammen. Viele suchten auf Reisen Gelegenheit zu Geschäften auf, und besonders war es der Meß- und Jahrmarktsverkehr, ¶
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der Absatz vermittelte. Um die Mitte des 15. Jahrh. scheinen besonders die Messen zu Frankfurt [* 19] a. M. und zu Nördlingen [* 20] für diesen Buchhandel wichtig gewesen zu sein.
So hatte sich zur Zeit der Erfindung der Buchdruckerkunst teils aus der Natur des Geschäfts selbst, teils durch Einwirkung von außen eine gewisse bestimmte Art der Geschäftsführung für den Handel mit Erzeugnissen der Litteratur ganz allgemein gebildet. Auf die Weiterentwickelung des Buchhandels hatte aber die neue Erfindung nur insofern Einfluß, als nach und nach die Zahl der Handelsobjekte größer wurde und die Bücherpreise sich verringerten. Die Herstellung von Handschriften dauerte neben dem Buchdruck noch längere Zeit fort, besonders was griechische Schriften anlangt, da die griechische Druckschrift sich nur langsam zu einer allgemein brauchbaren gestaltete.
Dazu kam die Abneigung der vornehmen und vermögenden Bücherliebhaber, welche es unangenehm empfanden, daß durch die neue Kunst der Gegenstand eines bisher ihnen vorbehaltenen Luxus popularisiert und weitern Kreisen zugänglich gemacht wurde. Sie zogen es vor, für ihre Büchersammlungen Handschriften herstellen und künstlerisch ausschmücken zu lassen; gedruckten Büchern blieben ihre Bibliotheken vorläufig verschlossen. Der eigentliche Geschäftsbetrieb des Buchhandels blieb aber gänzlich unberührt durch die neue Erfindung; er behielt die bisherigen Geschäftsformen bei, in denen noch der heutige Buchhandel wurzelt, so daß beinahe alle heutigen Geschäftsgebräuche des Buchhandels sich in ihren Anfängen schon von da aus nachweisen lassen.
Im Lauf der ersten Jahrzehnte verbreitete sich die Buchdruckerkunst nur langsam. Während der wandernde Schreiber sein Schreibzeug leicht mit sich führen und überall, wo er Beschäftigung fand, ohne weiteres seine Thätigkeit beginnen konnte, mußte der wandernde Buchdrucker, wenn er etwa durch einen Bischof zum Druck eines Missale berufen wurde, Schriften und Presse [* 21] an seinen neuen Wirkungsort mitschleppen. Aber der Zug der Zeit, die sogen. Wiederherstellung der Wissenschaften, die fieberhafte Unruhe, welche die Geister in der Zeit des Übergangs vom Mittelalter zur neuern Zeit bewegte, trug doch bald mächtig dazu bei, das neue, der Verbreitung von Bildungsmitteln günstigere Verfahren mehr auszubreiten.
Schon im ersten halben Jahrhundert der Buchdruckerkunst (bis 1500) wurden, wie Hain, dem noch manches entgangen ist, in seinem »Repertorium bibliographicum« aufführt, 16,299 Werke in 208 verschiedenen Orten an 1213 verschiedenen Druckstellen, die meist als Verlagsanstalten anzusehen sind, gedruckt. Diejenigen Länder, welche bis dahin im Handschriftenhandel eine hervorragende Stellung eingenommen hatten, entwickelten auch in der Herstellung und im Vertrieb gedruckter Bücher die größte Thätigkeit. An erster Stelle steht wieder Italien und zwar der damalige Hauptsitz des Welthandels, Venedig, mit 199 Druckstellen, dann Mailand mit 60, Bologna mit 43, Rom [* 22] mit 41, Florenz mit 37, Pavia mit 34, Neapel [* 23] mit 27, Padua [* 24] mit 16 Druckstellen. In Frankreich ragen hervor Paris mit 87, Lyon [* 25] mit 48 Druckstellen. In Deutschland verteilt sich die Druck- und Verlagsthätigkeit auf eine große Menge von Orten, welche sämtlich nur kleinere Anzahlen von Druckstätten aufweisen: Augsburg [* 26] und Köln je 22, Brixen 18, Basel [* 27] und Straßburg [* 28] je 17, Nürnberg [* 29] 13, Leipzig [* 30] 9, Wien nur 2, während in dem damals so unbedeutenden Berlin [* 31] gar keine nachzuweisen ist.
Für England ist zu nennen London [* 32] mit Westminster mit 13 Druck- und Verlagsstätten (näheres s. Buchdruckerkunst). Der Hauptgrund dieser Verteilung ist vor allem in den geschäftlichen Verhältnissen zu suchen. Der Handschriftenhandel hatte dem Buchhandel die Wege geebnet; trotz anfänglicher Anfeindung wurde dieser vielfach von den Handschriftenhändlern in den Bereich ihrer Geschäftsthätigkeit gezogen, einzelne wendeten sich sogar ausschließlich dem Buchdruck und damit dem Buchhandel zu. Der bedeutende Pariser Handschriftenhändler Hermann von Stadtloen aus Münster [* 33] (gest. 1474) hielt sogar für Frankreich ein Lager [* 34] der Drucke von Peter Schöffer und Konrad Henckis.
Beträchtlich war der litterarische Bedarf der gebildetern Geistlichen, der reichen Klöster und Stifter, wenn er sich auch mehr auf die scholastische Litteratur erstreckte. Von großem Einfluß war dann der durch die Humanisten angeregte Kultus des klassischen Altertums, und diese Vorliebe für die alten Klassiker war es auch, welche sowohl dem Aufschwung der Litteratur in den lebenden Sprachen als der selbständigen wissenschaftlichen Thätigkeit die Bahn öffnete und den entscheidenden Anstoß gab. In die nächste Zeit nach diesem Aufschwung fallen daher die eigentliche Geburt der französischen, spanischen und englischen Nationallitteratur, ein neuer Aufschwung der italienischen, die Schöpfung der neuern deutschen Schriftsprache durch Luther, die Begründung wissenschaftlicher Astronomie [* 35] durch Kopernikus, die Belebung der Reiselitteratur durch die Entdeckung Amerikas und die erste Weltumseglung etc.
Der Buchhandel war anfangs kein selbständiges Gewerbe; gewöhnlich wurde er neben und mit andern Geschäften betrieben. Mit dem Verlag befaßten sich die Buchdrucker, des Vertriebs bemächtigten sich Buchbinder, Kaufleute und eine Menge kleiner Leute. Das Buch war eine Handelsware wie jede andre. Die Buchhändler wiederum betrieben nebenher oft noch andre Gewerbe: sie handelten mit Metallen, Wolle, Fellen, Tuch, Garn etc., hauptsächlich auch mit Papier;
andre trieben zugleich Gastwirtschaft oder Weinschank.
Die Buchdrucker druckten, um ihre Druckanstalten zu beschäftigen und die hergestellten Bücher dann so gut wie möglich zu verwerten. Wie großartig dieser Betrieb sein konnte, geht z. B. daraus hervor, daß schon Peter Schöffer Filialen in Paris und in Angers hatte; seine Verbindungen reichten über Lübeck [* 36] bis in die Ostseeprovinzen, nach Königsberg, [* 37] nach Ofen. Oft reichten die Mittel nicht aus. Da kam es dann vor, daß Fürsten, Magistrate oder reiche Litteraturfreunde einen Teil der Kosten des Druckes oder der Ausstattung trugen. In andern Fällen streckten vermögende Freunde oder Buchführer das nötige Geld vor; man sagte dann, sie »verlegten« den Buchdrucker, waren seine »Verleger«.
Oder es traten auch mehrere Buchdrucker für einzelne Fälle zum Druck auf gemeinschaftliche Kosten zusammen und verteilten dann die hergestellten Exemplare unter sich, um sie jeder auf eigne Rechnung zu verwerten. Solcher Druckgesellschaften finden sich manche Beispiele. Eine bestand z. B. in Basel; ihr Drucker war Joh. Froben, Teilhaber waren F. Birckmann in Köln und wahrscheinlich Joh. oder Anton Koburger in Nürnberg. Eine andre Druckgesellschaft in Basel wurde durch Joh. Amerbach repräsentiert; bei ihr ließ 1498 und später Anton Koburger drucken, der auch gemeinschaftlich mit Josse Bade und Jean Petit in Paris verlegte. Ein ähnlicher Fall kommt 1490 in Leipzig vor. Besonders gebräuchlich war der Verlag auf gemeinschaftliche Kosten in Frankreich. Solcher Kompanieverlag bestand dann aus Drucker und Verleger oder aus zwei oder mehreren Verlegern. Wenn ein ¶