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zu ihrer Herstellung bediente, als man schon seit Jahren, ja Jahrzehnten mit beweglichen Typen zu drucken verstand; technische Anhaltspunkte berechtigen sogar zu dem Schluß, daß man von typographisch hergestellten Donaten Überdrucke auf Holz [* 2] machte und die Platten dann nach diesen schnitt, ein Verfahren, welches sich sehr wohl erklärt durch den Umstand, daß es den zahlreichen Buchdruckern leichter war, ganze Platten mit Schrift zu schneiden, als die einzelnen Typen dazu herzustellen oder sich zu verschaffen und zusammenzusetzen; auch wurden ihnen durch diese Platten zugleich die bei der Kostbarkeit des Pergaments und des Papiers sehr schätzenswerte Möglichkeit geringer Auflagen und ihre stete Erneuerung im Bedarfsfall gewährt. Holländische [* 3] Briefdrucker scheinen das Überdruckverfahren wiederholt angewandt zu haben; Holztafeldrucke aber kamen 1475 (Donate des Konrad Dinkmuth zu Ulm), [* 4] 1482, ja sogar noch 1504 nachweislich vor.
Wer war es nun, der auf dem solcherweise für die Buchdruckerkunst vorbereiteten Boden den letzten entscheidenden Schritt that und sie ins Leben rief? Hatte sie sich vielleicht aus den Verhältnissen von selbst herausgebildet und war nach und nach entstanden, ohne daß ein Einzelner berechtigt gewesen wäre, persönlich Anspruch zu erheben auf den Ruhm der Erfindung? Letztere Frage hat auch ihre Verteidiger gefunden in dem lange und heftig geführten Streit über Person und Nation des Erfinders, sie ist aber längst von allen ernsten Denkern zurückgewiesen worden; Erfindungen von so hoher Bedeutung für das gesamte geistige und materielle Leben der Menschheit, wie solche der Buchdruckerkunst innewohnt, bedürfen eines genialen Menschen, welcher die Summe der Erfahrungen seiner Vorgänger und seiner Zeitgenossen zu ziehen, sie durch die Kraft [* 5] seines Geistes in die Wirklichkeit einzuführen und zu einem lebenskräftigen Ganzen zu gestalten vermag.
Und dieser geniale Mensch war Johannes Gensfleisch zu Gutenberg, oder auch nur Johannes Gutenberg genannt, Sohn des Patriziers Frilo Gensfleisch und der Else zu Gutenberg in Mainz [* 6] und nach der gewöhnlichen Annahme 1397 geboren. Zwar ist ihm die Ehre, die wichtigste aller Erfindungen gemacht zu haben, schon fast zu eignen Lebzeiten durch seine Geschäftsteilhaber streitig gemacht worden, ja er war sodann im 16. und 17. Jahrh. nahezu ganz vergessen; doch hat die Wahrheit sich endlich Bahn gebrochen, und Gutenberg wird heute von der weitaus größten Mehrheit aller Gebildeten als der wahre Erfinder der Ars artium conservatrix anerkannt, und die vom persönlichen oder nationalen Parteigeist getragenen Ansprüche sind in sehr enge, nur noch künstlich haltbare Grenzen [* 7] zurückgedrängt.
Mitbewerber der Erfindung.
Die Städte, welche Mainz die Ehre, die Wiege der Erfindung zu sein, streitig machten und Vertreter hierfür fanden, waren Straßburg [* 8] im Elsaß, Bamberg, [* 9] Feltre in Oberitalien [* 10] und Haarlem [* 11] in Holland, zu geschweigen der schlecht begründeten Ansprüche, welche für erste Drucker als Erfinder des Buchdruckes in andern Städten (Jenson in Venedig, [* 12] Hahn [* 13] in Rom [* 14] etc.) erhoben wurden.
Straßburg brachte auf doppeltem Weg seine Ansprüche zur Geltung. Über den einen, wonach Gutenberg daselbst zuerst seine Erfindung gepflegt und gedruckt habe, haben wir später zu sprechen, der andre nennt uns Johann Mentel (Mentelin) aus Schlettstadt [* 15] als ersten Drucker und Erfinder. Letztere Eigenschaft ist ihm zuerst 1520 beigelegt worden von Johann Schott, seinem Schwiegersohn und Erben der Mentelschen Druckerei, und die Chronisten Specklin und Spiegel [* 16] haben ihm Glauben geschenkt und durch die von ihnen verfaßten Chroniken wesentlich beigetragen zur Verbreitung von Schotts falschen Angaben.
Mentel war ein Schön- oder Goldschreiber, der bereits 1447 zu Straßburg das Bürgerrecht erwarb und wahrscheinlich während Gutenbergs Aufenthalt daselbst mit diesem bekannt und später von ihm nach Mainz gezogen worden sein mag als Gehilfe bei Zeichnung und Herstellung der Typen, wobei ihm natürlich das ganze Druckverfahren nicht fremd bleiben konnte. Er muß aber sehr bald nach Straßburg zurückgekehrt sein; vermutlich war hierzu die Aufhebung der Geschäftsverbindung zwischen Gutenberg und Fust 1455 die Veranlassung, und Philipp von Lignamine zu Rom schreibt im J. 1474, daß Mentel seit 1458 eine Druckerei zu Straßburg besessen, wo er, »nach der Art Fusts und Gutenbergs«, täglich 300 Bogen [* 17] gedruckt habe.
In der Universitätsbibliothek zu Freiburg [* 18] i. Br. befindet sich in der That eine gedruckte lateinische Bibel, [* 19] deren erster Teil, mit dem Psalter abschließend, von dem Rubrikator mit dem Datum 1460 versehen worden ist, während der zweite am Schluß der Apokalypse die Jahreszahl 1461 von der Hand [* 20] desselben Rubrikators trägt. Schott war zur Ausstellung seiner falschen Angaben wohl nur durch das Beispiel Fusts und der Schöpfer, welche Gutenbergs Verdienste vergessen zu machen und sich selbst beizulegen suchten, veranlaßt worden; er fand noch im vorigen, ja selbst noch in diesem Jahrhundert gläubige Anhänger und Vertreter in Schöpflin (»Vindiciae typographicae«, Straßb. 1760),
Oberlin (»Exercice public de bibliographie«, das. 1801),
Lichtenberger (»Initia typographica«, das. 1811), nachdem im 17. Jahrh. ein Pariser Arzt, Jacques Mentel, ein angeblicher Nachkomme des Straßburger Druckers, zur eignen Verherrlichung die bereits vergessene Geschichte wieder aufgefrischt hatte. Johann Mentel aber starb 1478 und wurde im Münster [* 21] zu Straßburg beigesetzt. Das erste mit einer gedruckten Jahreszahl, 1471, datierte Straßburger Druckwerk, die Dekretalien des Gratian, trägt nicht seinen Namen, sondern den seines Zeitgenossen Heinrich Eggestein oder Eckstein. Mentels erstes datiertes Werk ist von 1473.
Allgemeiner noch als für Mentel ist man für Albrecht Pfister zu Bamberg, wenn auch nicht immer als ersten Erfinder, so doch als mit Gutenberg gleichzeitigen Miterfinder der Buchdruckerkunst eingetreten, und der Druck der berühmten 36zeiligen Bibel ist selbst bis in die neueste Zeit als sein Werk angesehen worden. Erst nachdem ernste vergleichende Studien des Schriftcharakters der von den ersten Buchdruckern angewandten Typen und der relativen Güte ihrer Druckerzeugnisse angestellt worden sind, hat man in dieser Bibel auch ein Werk Gutenbergs und zwar sein erstes großes, der 42zeiligen Bibel vorausgegangenes erkannt und die Übereinstimmung der Typen derselben mit den wenigen Drucken geringen Umfangs, welche den Namen Pfisters tragen, ganz folgerichtig dahin erklärt, daß Pfister gleich Mentel ein Schüler Gutenbergs war, der Mainz ebenfalls verlassen hat, als letzterer 1455 durch Fust aus seinem Eigentum gedrängt wurde, der aber bei seinem Fortgang einen Teil der Typen, welche zum Druck des Textes der 36zeiligen Bibel gedient hatten, von Gutenberg käuflich erworben haben mag. Daß Pfister sie nicht selbst geschnitten oder gegossen, beweist der Umstand, daß er bei allen seinen Drucken nur diese eine Type, selbst als sie durch den Gebrauch schon sehr ¶
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unscheinbar geworden, angewandt hat; daß diese Type aber schon früher zum Druck eines umfangreichen lateinischen Werkes gedient haben mußte, läßt sich aus Pfisters deutschen Drucken erkennen, in denen alle im Lateinischen vorkommende Lettern abgenutzt, aber die nur im Deutschen gebräuchlichen (k, w, z) neu und scharf erscheinen. Pfisters Drucke, soweit sie sich, wo ihnen sein Name nicht beigedruckt ist, wirklich als von ihm angefertigt erkennen lassen, sind bis auf einen einzigen reichlich mit Holzschnitten illustriert; ihr Erzeuger war, ehe er zum Typendruck griff, der in allen eine nur sehr untergeordnete Rolle spielt, jedenfalls seinem Beruf nach Formschneider, Brief- oder Kartendrucker, der, wäre er wirklich nicht ein Schüler Gutenbergs, dessen Erzeugnisse zu Gesicht [* 23] bekommen und den Nutzen der beweglichen Lettern in der Ausübung seines Berufs erkannt hatte.
Der Umstand indes, daß in Bamberg und dessen Nähe mehrere Exemplare der 36zeiligen Bibel entdeckt worden sind, läßt schließen, daß zwischen ihm und Gutenberg wirklich nähere Beziehungen bestanden haben müssen; das Auffinden dieser Bibeln aber sowie die Angabe des Paulus von Prag [* 24] aus dem Jahr 1463, die zur Erklärung des Worts libripagus für eine Art Encyklopädie bestimmt gewesen zu sein scheint: »daß während seiner Anwesenheit in Bamberg dort ein Mann die ganze Bibel in Holztafeln geschnitten und sie binnen vier Wochen auf Pergament gedruckt habe«, sind anderseits als schlagende Beweise für den Druck der 36zeiligen Bibel durch Pfister angesehen werden. Da dieser jedoch eine »Biblia pauperum« (17 Folioblätter mit Holzschnitten) in lateinischer und deutscher Ausgabe druckte, so kann nur diese gemeint sein, denn eine ganze Bibel ist niemals in Holz geschnitten worden; auch wäre es damals nicht möglich gewesen, ein solch umfassendes Werk binnen der genannten kurzen Zeit im Druck herzustellen.
Die Werke, welche ein Datum und Pfisters Namen tragen, sind eine zweite Ausgabe von »Boners Edelstein«, 1461, überhaupt das erste Buch in deutscher Sprache, [* 25] welches deutlich Druckort und Druckjahr aufweist, sowie »Das Buch der vier Historien« vom Jahr 1462. Nach diesem Jahr kommen keine Druckwerke mit seinem Namen mehr vor; auch ist sein Todesjahr unbekannt. Wann er in Bamberg zu drucken begonnen, ist ebenfalls nicht festzustellen; da man ihm indes auch auf Grund der Familienähnlichkeit seiner Drucke die »Eyn manug d' cristeheit widd' die Durcke« zuschreibt, diese aber mit Bezug auf die Allgemeingeschichte auf das Jahr 1455 zurückverlegt werden muß, so wird hierdurch in das Dunkel über sein erstes Auftreten keineswegs Klarheit gebracht. Möglich, daß er die »Manung« noch zu Mainz selbst unter Gutenbergs Leitung gedruckt hat; ihr geringer Umfang wie der Mangel aller Holzschnitte in derselben scheinen dafür zu sprechen.
Die Mitbewerbung der Stadt Feltre im Venezianischen um die Ehre der Erfindung der Buchdruckerkunst für ihren Mitbürger Pamfilo Castaldi wird schwerlich von jemand, der nicht befangen ist von nationalen Vorurteilen, ernst genommen werden; nur der Umstand, daß diese Erfinderfabel weit verbreitet worden ist in Italien [* 26] und durch das Denkmal, das man dem sogen. Erfinder zu Feltre gesetzt und enthüllt hat, von der italienischen Nation gewissermaßen sanktioniert worden ist, nötigt, dieselbe zu erwähnen.
Demnach wäre Castaldi von adligen Eltern gegen das Ende des 14. Jahrh. zu Feltre geboren, hätte in Padua [* 27] studiert, auch der Dichtkunst obgelegen und später die erste italienische Schule in seiner Vaterstadt errichtet, die bald so berühmt wurde, daß sie auch Schüler aus Deutschland [* 28] für das Studium des Italienischen herbeizog. Unter diesen befand sich der Fabel zufolge 1454 ein gewisser Fausto Comesburgo aus Mainz; von Gutenberg aber hatte Castaldi schon 1442 Druckproben gesehen, und während ersterer die ihm von Fust (dem Fausto Comesburgo!) gegebenen pekuniären Unterstützungen in erfolglosen Versuchen mit Holztafeldrucken verbrauchte, war es ihm, Castaldi, sehr bald gelungen, zweckmäßige bewegliche Typen herzustellen, für welche ihm die zu Murano gefertigten und vom Bischof von Equilo erfundenen Glasbuchstaben zum Muster gedient hatten. Er legte seiner eignen Erfindung aber keinen Wert bei, sondern trat sie an Fust ab, der 1456 nach Mainz zurückkehrte, und dessen Gesellschafter daselbst sich jetzt der Castaldischen Idee mit großem Eifer bemächtigten; der Psalter von 1457 sei ihr erstes, mit beweglichen Typen erzeugtes Werk gewesen; alles, was vorher gedruckt worden, sei von Holztafeln abgezogen.
Den Wert dieser ganzen Geschichte charakterisiert wohl am besten die Thatsache, daß auch nicht ein Wort, nicht eine Zeile aufgefunden worden ist, als deren Drucker Castaldi nachzuweisen wäre; hätten ihn die Stäbchen der Glasbläser von Murano wirklich auf den Gedanken geführt, solche Stäbchen mit Typen zu versehen und aus ihnen Worte zu bilden zum nachherigen Abdruck, so hat er solchen eben nicht gemacht, und dies allein würde genügen, ihn jedes Anrechts auf die Erfindung des Buchdrucks verlustig zu machen.
Von größerer Bedeutung für die Geschichte der Erfindung der Buchdruckerkunst, schon weil sie weit allgemeinere Verbreitung und viel zahlreichere Anhänger gefunden als diese Castaldi-Legende, sind die Ansprüche gewesen, welche Holland und speziell Haarlem erhoben hat für einen der Seinigen, Lourens Janszoon Coster (Johanns Sohn, Küster). Zwei Drucker in letzterer Stadt, van Zuren und Coornhert, die daselbst 1561 eine Druckerei gründeten, haben, wahrscheinlich auf vorhandene alte Holztafeldrucke gestützt, zuerst versucht, Haarlem als Ort der Erfindung der Buchdruckerkunst geltend zu machen;
ein Buch, das ersterer zu diesem Behuf geschrieben haben soll, ist indes niemals aufgefunden und nur von Scriver 1628 in seinem »Lavre-Crans voor Lavrens Coster« dem Titel nach erwähnt worden;
Coornhert, in der Vorrede der von ihm herausgegebenen »Officia Ciceronis«, bezeichnet die Erfindung als »zuerst zu Haarlem, obwohl nur in sehr roher Weise« gemacht, ohne indes einen Erfinder zu nennen;
das Gleiche thut der Florentiner [* 29] Luigi Guicciardini in seiner 1566 zu Antwerpen [* 30] vollendeten »Descrittione di tutti i paesi bassi«.
Dieses Werk, das bald (1567-1613) ins Deutsche, [* 31] Französische, Holländische, Englische [* 32] und Lateinische übersetzt ward, hat sehr viel beigetragen zur Verbreitung der Ansprüche Haarlems; eine abgerundete, feste Form erhielten diese aber erst durch den Historiographen der Staaten von Holland, den Arzt Hadrian de Jonghe (Junius, gest. welcher zwischen 1566 und 1568 eine holländische Landesgeschichte unter dem Titel: »Batavia« [* 33] verfaßte, die 1588 zu Leiden [* 34] gedruckt wurde. Während seine vorgenannten drei Zeitgenossen sich noch in unsichern Angaben bewegen und keinen Erfinder nennen, hat er seiner Fabel eine bestimmte Form gegeben; nach derselben habe vor 128 Jahren (also 1438, sobald man von dem Jahr, in welchem er seine »Batavia« zu schreiben begann, zurückrechnet, oder 1440, wenn man das Jahr der Vollendung in ¶