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Nikolaus v. Zinzendorf (s. d.) und ließen sich mit dessen Erlaubnis auf seinem Rittergut Berthelsdorf in der Nähe des Hutbergs nieder, wo nunmehr der Ort Herrnhut entstand. Das Wachsen der Kolonie bewog den Grafen, sein Amt an der Regierung in Dresden [* 2] aufzugeben und sich zugleich mit Friedrich v. Watteville aus Bern [* 3] und dem von ihm berufenen Pfarrer Rothe in Berthelsdorf der Leitung der jungen Gemeinde anzunehmen, in welcher Zwistigkeiten mancherlei Art, Lehrstreitigkeiten und religiöse Schwärmerei eingerissen waren. Am verband sich die Gemeinde, etwa 300 Seelen stark, zu einer selbständigen, freien christlichen Societät auf Grundlage der mährischen Brüderordnung und hielt ihre erste abgesonderte Abendmahlsfeier in der Kirche zu Berthelsdorf (Stiftungstag).
Das einzige Band [* 4] der Gemeinschaft sollte die persönliche Liebe zu Jesus, das dankbar freudige Gefühl der Erlösung durch sein Blut sein. Dagegen sollten die Lehrmeinungen keine Scheidung bilden und die lutherische, reformierte und die mährische Richtung als drei »Tropen« friedlich nebeneinander bestehen. Vorzugsweise war man bedacht auf Heiligung des Lebens und Ernst des christlichen Wandels. Im übrigen wollte die neue Gemeinde im Verband [* 5] der sächsischen lutherischen Landeskirche verbleiben, und es wußte weder eine von Dresden gesandte Kommission noch ein Gutachten der Tübinger Fakultät etwas Erhebliches an ihr auszusetzen.
Zinzendorf gründete zunächst in
Hessen
[* 6] die Pilgergemeinden Herrenhaag und
Marienborn. Dann wirkte er in
Livland
[* 7] und
Preußen
[* 8] für die
Zwecke der und gründete in
Schlesien
[* 9] die
Gemeinden Gnadenberg und
Gnadenfrei, später
Gnadenfeld. Die diesen
Gemeinden
erteilte Generalkonzession (1742), die
Anerkennung der
Gemeinde in
Sachsen
[* 10] (1748) und
England (1749) erhoben
sie um so mehr zu einer selbständigen
Kirchengemeinschaft, als ihr Vorsteher
Zinzendorf schon 1737 in
Berlin
[* 11] die
Weihe als
Bischof
der mährischen
Kirche durch Jablonski erhalten
hatte.
Die Organisation der neuen Gemeinschaft der Brüderunität wurde auf mehreren Synoden (die erste allgemeine 1756 zu Herrnhut) fortgesetzt und auch innere Krisen überwunden, die zum Teil durch eine zu schwärmerische Richtung, zum Teil auch durch ökonomische Unternehmungen der Gemeinschaft veranlaßt waren. Ihre innerliche Ausbildung und Befähigung verdankt die Brüdergemeinde nächst Zinzendorf dem rastlosen, umsichtigen Wirken von Johann v. Watteville und besonders Spangenbergs langjähriger ausgezeichneter Thätigkeit, durch welche sich die Brüdergemeinde seitdem nicht nur immer weiter verbreitet, sondern auch von vielen Auswüchsen gereinigt hat.
Die
Verfassung der Brüdergemeinde ist eine durchaus synodale und presbyteriale. Die
Bischöfe haben mit dem
Kirchenregiment nichts zu thun
und sind
nur für den Kirchendienst berufen. Die Leitung des Ganzen hat das aus neun Mitgliedern bestehende
»Unitätsdirektorium« oder die »Älte
stenkonferenz
der
Unität«, deren Sitz seit 1789 in
Berthelsdorf ist. Über ihr steht die aus den Abgeordneten der drei
Provinzen
Amerika,
[* 12] England,
Europa-Festland zusammengesetzte
Synode, die alle 7-12 Jahre zusammentritt.
Die 29. dieser Generalsynoden tagte vom 26. Mai bis und war von 54 Teilnehmern besucht, darunter 20 Engländer und Amerikaner. Sie erhob die westindische Missionsprovinz zu einer neuen (vierten) Provinz der Unität. Als das eigentliche Haupt der Brüdergemeinde gilt »der liebe Heiland«, dessen Willen man daher bei wichtigen Entscheidungen selbst durch das Los zu erforschen sucht, und mit dem schon 1741 ein »Spezialbund« geschlossen ward, der Christum verpflichtete, ganz besonders über die Gemeinde und jeden Herrnhuter zu wachen.
Eigentümlich ist der Brüdergemeinde die
Einteilung der
Gemeinden in
»Chöre«, d. h. nach
Alter,
Geschlecht und Lebensverhältnis zu asketischen
Zwecken vereinigte
Gruppen, daher
man in jeder
Gemeinde einen
Chor der
Kinder,
Knaben, Mädchen, ledigen
Brüder, ledigen
Schwestern,
Witwer und
Witwen findet. Die ledigen
Brüder wohnen in dem Brüderhaus, wo sie mit
Kunst- und Handwerksarbeiten beschäftigt
und zu gemeinschaftlichen Andachtsübungen angehalten
werden. Ebenso wohnen die ledigen
Schwestern zusammen in dem Schwesternhaus,
mit Ausnahme derjenigen, welche Familienglieder sind oder in Gemeindefamilien dienen.
Da nur Wert auf die persönliche Erweckung und Heilsgewißheit gelegt wird, so ist die Brüdergemeinde gegen das Dogma ziemlich indifferent. Nur Spangenberg hat in der »Idea fidei fratrum« (1779) eine Darstellung der Lehre [* 13] in ihrer Übereinstimmung mit der evangelischen Kirche gegeben. Der Kultus hat den allgemein evangelischen Charakter, aber mit täglichen Morgen- und Abendversammlungen. Neben dem Abendmahl feiert man zuweilen das Liebesmahl mit Thee und Backwerk. Eine besondere Festfeier findet am Ostermorgen auf dem Gottesacker statt. In Niesky hat die Unität ein eignes Pädagogium.
Der Einfluß der Brüdergemeinde auf das christliche Leben in Deutschland, [* 14] seine Belebung und seine Gestaltung ist nicht gering anzuschlagen; die »Täglichen Losungen und Lehrtexte« sind weit verbreitet, ebenso ihre Lieder und Gebete. Durch Schleiermacher, der bei den Herrnhutern empfangene Eindrücke bewahrt hat, ist ein berechtigtes Element bleibend in die deutsche Theologie aufgenommen worden. Großartig ist die Wirksamkeit der Brüdergemeinde für die Ausbreitung des Christentums unter den Heiden; in diesem Glanzpunkt der Gesellschaft beruht ihre welthistorische Bedeutung.
Ihre Missionsthätigkeit begann fast unmittelbar nach Stiftung der Gemeinde und richtete sich zuerst nach St. Thomas, dann nach Lappland, Grönland, Guinea, Kapland, Amerika u. Ostindien, [* 15] nach Australien [* 16] (Victoria, [* 17] Südaustralien, Queensland), immer an die versunkensten und verlorensten Stämme. Von den zum Dienst unter den Heiden sich Meldenden verlangt man weniger Gelehrsamkeit als die Gabe, die Wahrheiten und Segnungen des Evangeliums klar und liebreich durch Wort und That darzustellen.
Der Kern der Heilsverkündigung unter den Heiden ist »die Botschaft von dem blutigen Versöhnungstod Jesu«. Das ganze Missionswesen steht unter der speziellen Aufsicht des Missionsdepartements der Unitätsdirektion. Die Gesamtzahl der Mitglieder der Brüdergemeinde beträgt gegenwärtig 31,000, wozu noch im Missionsgebiet etwa 70,000 Heidenchristen kommen.
Vgl. Cranz, Alte und neue Brüderhistorie (Barby 1773; fortgesetzt von Hegner, das. 1791-1804, 3 Bde.; Gnadau 1816);
Spangenberg, Historische Nachrichten von der gegenwärtigen Verfassung der evangelischen Brüderunität (6. Aufl., das. 1847);
Schrautenbach, Zinzendorf und die Brüdergemeinde seiner Zeit (2. Aufl., das. 1872);
Cröger, Geschichte der alten
Brüderkirche 1457-1722 (das. 1865-66, 2
Tle.);
Derselbe, Geschichte der erneuten Brüderkirche (das. 1852-54, 3 Bde.);
Plitt, Zinzendorfs Theologie (Gotha [* 18] 1869-74, 3 Bde.).