Titel
Braunschweig
[* 2] (hierzu die Karte »Braunschweig etc.«),
zum Deutschen Reiche gehöriges Herzogtum im nördlichen Deutschland, [* 3] zwischen 8° 55' bis 11° 27' östl. L. v. Gr. und 51° 33' bis 53° nördl. Br. gelegen, wird fast ganz von Preußen [* 4] und zwar im N. und S. von der Provinz Hannover, [* 5] im O. von der Provinz Sachsen, [* 6] im W. von der Provinz Westfalen [* 7] umschlossen und ist außerdem auf kurze Strecken von Anhalt [* 8] (im SO.) und von Waldeck [* 9] (im W.) begrenzt. Das Land bildet kein zusammenhängendes Ganze, sondern besteht aus drei Hauptteilen und fünf kleinern, zum Teil weit zerstreuten Enklaven.
Der größere (nördliche) Hauptteil umfaßt die Kreise [* 10] Braunschweig (ohne Amt Thedinghausen), Wolfenbüttel [* 11] (ohne Amt Harzburg) und Helmstedt (ohne Amt Kalvörde), der westliche Teil das Amt Harzburg und die Kreise Gandersheim und Holzminden; die dritte Hauptmasse liegt im SO. und begreift den Kreis [* 12] Blankenburg (das frühere Fürstentum Blankenburg nebst dem Stiftsamt Walkenried). Die fünf kleinern, in den preußischen Provinzen Hannover und Sachsen liegenden Enklaven sind die Ämter Thedinghausen und Kalvörde, ferner die Gemeinden Bodenburg, Ölsburg und Ostharingen. Das frühere sogen. Kommunion-Harzgebiet ist 1874 unter Preußen und Braunschweig geteilt, jedoch fallen die Einkünfte aus den Berg- und Hüttenwerken etc. auch ferner zu 4/7 an Preußen und 3/7 an Braunschweig.
Der nördliche Hauptteil des Herzogtums ist meistens welliges Hügelland, hat einen höchst fruchtbaren Boden und verläuft in das norddeutsche Flachland und zwar in die Lüneburger Heide. [* 13] Der südöstliche Teil ist das eigentliche Bergland des Harzes; hügelig, oft nur wellig, breitet sich der westliche über den Fuß des Harzes und des Solling aus. Man kann etwa 40 Proz. der Gesamtfläche zum Bergboden, 40 Proz. zum Hügel- und 20 Proz. zum Flachland rechnen. Der braunschweigische Anteil des Harzes, in welchen sich das Land mit Preußen und Anhalt teilt, umfaßt etwa 475 qkm und liegt teils auf der nordwestlichen, teils auf der östlichen und südöstlichen Seite des Gebirges.
Hier erheben sich, südlich vom Brocken, der Wormberg (988 m hoch) und die Achtermannshöhe (924 m). Die bedeutendsten Höhenzüge des nördlichen Hauptteils sind der mit Buchen bestandene Elmwald, dessen höchste Kuppe 290 m erreicht, ferner der Fallstein (220 m), die Lichtenberge, die Asse (222 m) etc. Im westlichen Landesteil steigt das Wesergebirge mit dem Ith bis 390 m, mit dem Solling bis 493 m empor. Braunschweig gehört meist zum Stromgebiet der Weser, welche das Herzogtum im Kreis Holzminden und im Amte Thedinghausen berührt, und in welche die Flusse Leine, Innerste, Oker, Fuse, Aller und Eyther münden, während die Ohre, Bode, Zorge und Wieda der Elbe zufließen. Heilquellen finden sich zu Seesen, Gandersheim, Harzburg und bei Helmstedt (erdig-salinisch). Das Klima [* 14] ist in den nördlichen Bezirken mild, in den gebirgigen südlichen Teilen im Winter rauh und kalt, im Herbst und Frühling feucht. Die mittlere Jahrestemperatur beträgt in der Stadt Braunschweig 9° C.
[Areal und Bevölkerung.]
Das Areal des Herzogtums umfaßt 3690,43 qkm (67,02 QM.), wovon 1788 qkm Acker, 63 qkm Gärten, 500 qkm Wiesen und Weiden, 1099 qkm Forsten, 4 qkm Teiche und 236 qkm sonstige Fläche. Die Gesamtzahl der Einwohner belief sich 1880 auf 349,367 (gegen 260,365 im J. 1849 und 311,764 im J. 1871), welche in 13 Städten (mit zusammen 133,991 Einw.) und 444 Landgemeinden wohnen und sich auf die sechs Kreise des Herzogtums folgendermaßen verteilen:
Kreise | QKilom. | QMeilen | Bevölkerung | Einwohner auf 1 qkm |
---|---|---|---|---|
Braunschweig | 543 | 9.86 | 111519 | 205 |
Wolfenbüttel | 763 | 13.86 | 66497 | 87 |
Helmstedt | 788 | 14.31 | 57809 | 73 |
Gandersheim | 548 | 9.95 | 44147 | 80 |
Holzminden | 574 | 10.42 | 44297 | 77 |
Blankenburg | 474 | 8.62 | 25098 | 53 |
Zusammen | 3690 | 67.02 | 349367 | 95 |
Nach der Staatsangehörigkeit befanden sich darunter: 309,041 Braunschweiger, 39,343 Angehörige andrer deutscher Bundesstaaten und 983 Bundesausländer;
nach dem religiösen Bekenntnis: 334,316 Lutheraner, 3428 Reformierte, 9615 Katholiken, 620 sonstige christliche Sektierer und 1388 Juden;
nach dem Familienstand: 200,312 Ledige, 126,509 Verheiratete, 21,988 Verwitwete und 558 Geschiedene.
Die Berufszählung vom ergab eine Gesamteinwohnerzahl von 349,761 Köpfen, davon entfallen:
auf Land- und Forstwirtschaft, Jagd und Fischerei | 120062 |
- Bergbau u. Hüttenwesen, Industrie u. Bauwesen | 146616 |
- Handel und Verkehr | 38467 |
- Militär-, Staats-, Gemeinde-, Kirchen- und Schuldienst | 18071 |
- Lohnarbeit wechselnder Art | 4443 |
- Berufslose | 22102 |
Dabei wurden gezahlt 158,909 (männliche und weibliche) Erwerbsthätige, bez. Selbständige, 8797 Dienende für häusliche Zwecke und 182,055 Angehörige. Was die Bewegung der Bevölkerung [* 15] betrifft, so kamen im Durchschnitt der 20jährigen Periode von 1864 bis 1883 im Herzogtum jährlich 2960 Eheschließungen, 11,249 Lebend- und 487 Totgeborne und 8171 Sterbefälle vor, der jährliche Geburtsüberschuß betrug mithin 3078.
Vorherrschende Religion ist die evangelisch-lutherische (s. oben); daneben bestehen nur eine reformierte und drei katholische Gemeinden, welch letztere dem Bischof von Hildesheim [* 16] unterstellt sind. Die Juden haben vier Synagogen mit einem Landesrabbinat zu Braunschweig. Für die evangelisch-lutherische Kirche ist durch Gesetz vom die Synodalverfassung eingeführt und tritt die aus 32 Abgeordneten (14 geistlichen und 18 weltlichen) bestehende Landessynode je ums vierte Jahr zu ordentlicher Versammlung zusammen.
Während der Zwischenzeit fungiert ein aus fünf Mitgliedern bestehender Ausschuß. Die spezielle Leitung und Beaufsichtigung der kirchlichen und Gemeindeschulangelegenheiten untersteht dem Konsistorium zu Wolfenbüttel, welchem als geistliche Verwaltungsorgane 6 General- und 33 Spezialsuperintendenturen untergeordnet sind. Die Leitung und Beaufsichtigung der höhern Unterrichtsanstalten (Gymnasien etc.) ist der durch Gesetz vom errichteten Oberschulkommission übertragen. Die reformierte Kirchengemeinde zu Braunschweig steht unter der Leitung eines Presbyteriums, das an den Synodalversammlungen der konföderierten reformierten Kirchen Niedersachsens teilnimmt und nach den Beschlüssen dieser Versammlungen zu verfahren hat. - Für die wissenschaftliche, technische und elementare Bildung ist durch treffliche Anstalten Sorge getragen. Als Landesuniversität gilt Göttingen, [* 17] wo die Unterstützungsfonds der 1809 unter westfälischer Herrschaft aufgehobenen Universität Helmstedt angelegt sind. Andre Lehranstalten sind: die polytechnische Hochschule (Carolo-Wilhelmina) zu Braunschweig (s. d.), 6 Gymnasien (2 zu Braunschweig, je eins zu Wolfenbüttel, Blankenburg, Helmstedt und Holzminden), ein ¶
Maßstab [* 19] 1:850,000
Braunschweig, Lippe, [* 20] Waldeck.
Die Regierungs-Hauptstädte sind doppelt unterstr.
Zum Artikel »Braunschweig«. ¶
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Realgymnasium in Braunschweig, ein Predigerseminar zu Wolfenbüttel, 2 Schullehrerseminare und Präparandenanstalten, eine städtische Realschule in Braunschweig und ein Realprogymnasium in Gandersheim, die Baugewerkschule zu Holzminden, die landwirtschaftliche Schule Marienberg zu Helmstedt, eine Taubstummenanstalt in Braunschweig, 2 höhere Töchterschulen, 40 Bürger-, 382 Landschulen und verschiedene Privatlehranstalten. Eine der herrlichsten wissenschaftlichen Sammlungen Deutschlands [* 22] ist die berühmte Landesbibliothek zu Wolfenbüttel (s. d.). Unter den Kunstschätzen ist das herzogliche Museum in der Stadt Braunschweig mit vorzüglicher Gemäldegalerie und andern Kunst- und naturhistorischen Sammlungen von Bedeutung. Braunschweig besitzt eine Landesirrenanstalt zu Königslutter, eine Idiotenanstalt zu Neu-Erkerode, ein Blindenasyl in Braunschweig, eine Diakonissenanstalt (Marienstift) in Braunschweig, ein Landeskrankenhaus in Braunschweig und eine Erziehungsanstalt für verwahrloste Kinder in Bevern (Wilhelmsstift). Landesstrafanstalten befinden sich in Wolfenbüttel (Zellengefängnis) und in Braunschweig.
[Produkte und Erwerbsquellen.]
sind je nach der Bodenbeschaffenheit verschieden. Im fruchtbaren Flach- und Hügelland steht der Ackerbau in höchster Blüte, [* 23] auf dem Harz dagegen sowie in dem Amte Thedinghausen tritt die Viehzucht [* 24] in den Vordergrund. Die Zahl der Wirtschaften mit landwirtschaftlichem Betrieb ist bei der Berufsstatistik von 1882 zu überhaupt 53,611 mit 244,037 Hektar Gesamtfläche ermittelt. Nach der Größe des landwirtschaftlich nutzbaren Areals unterschieden, befanden sich darunter:
bis zu 1 Hektar | 34129 mit | 12574 Hektar Fläche |
von 1-10 | 14149 | 51700 |
- 10-50 | 4824 | 109370 |
- 50-100 | 344 | 24133 |
- 100-500 | 153 | 38007 |
- 500 Hektar und mehr | 12 | 8253 |
Von den gesamten Ackerländereien waren 1883 bestellt: mit Getreide [* 25] und Hülsenfrüchten 63 Proz., mit Hackfrüchten und Gemüse 23 (darunter Zuckerrüben allein 11 und Kartoffeln 9,5), mit Futterpflanzen 7 Proz. Der Ernteertrag der hauptsächlichsten Fruchtarten betrug 1884 in Doppelzentnern: Weizen 560,600, Roggen 842,700, Gerste [* 26] 202,000, Hafer [* 27] 530,800 und Kartoffeln 2,590,000. Ausgedehnter Gartenbau findet sich vorzugsweise bei den Städten und Wolfenbüttel, von wo aus auch der Harz vielfach mit Gemüse versorgt wird.
Von Bedeutung ist der ebenfalls hier betriebene Anbau des Spargels. Obst gedeiht fast überall, und zur Verbesserung der Obstkultur werden von der Landesbaumschule zu Braunschweig veredelte Obstbäume aller Art geliefert; auch ist der größte Teil der Staats- und Kommunalstraßen mit Obstanpflanzungen versehen. Von dem landwirtschaftlich benutzten Areal fallen in den Besitz von Privaten 75 Proz., von Korporationen 14, des Staats 11 Proz. Zur Förderung der Landwirtschaft bestehen 1 landwirtschaftlicher Zentral- und 22 Amtsvereine und die landwirtschaftliche Lehranstalt Marienberg zu Helmstedt. In erheblichster Weise haben die seit 1835 bewirkte Ablösung der privatrechtlichen Reallasten, die Allodifikation der Lehen, endlich die Ausführung der Separationen (Verkoppelungen), ferner die in bedeutendem Umfang ausgeführten Entwässerungen (Drainage) [* 28] zur Hebung [* 29] der Landeskultur beigetragen.
Eine rationelle Benutzung des Wassers für die Bewässerung des Bodens ist durch das Wassergesetz vom angebahnt. Vorherrschende Ackerbausysteme sind die Fruchtwechsel- und die verbesserte Dreifelderwirtschaft. Von den Forsten befinden sich im Besitz des Staats 72, 5 Proz., von Gemeinden und Genossenschaften 18 und von Privaten 9,5 Proz. Als Hochwald werden bewirtschaftet: 57,536 Hektar Laubholz (Eichen 3732, Birken, Erlen, Espen 590, Buchen und sonstiges Laubholz 53,214) und 39,592 Hektar Nadelholz (Kiefern 7826, Lärchen 218 und Fichten und Tannen 31,548), während 12,772 Hektar größtenteils als Mittel- und Niederwald betrieben werden. - Der Viehbestand des Landes belief sich nach der Zählung vom Januar 1883 auf 26,853 Pferde, [* 30] 90,787 Stück Rindvieh, 243,935 Schafe [* 31] (darunter 24,035 feine Woll- und 65,689 veredelte Fleischschafe), 100,266 Schweine, [* 32] 47,244 Ziegen, 13 Maultiere und Maulesel, 54 Esel und 8547 Bienenstöcke.
Der gesamte Verkaufswert desselben ist (mit Ausschluß der Bienenstöcke) auf 53½ Mill. Mk. geschätzt. Die Pferdezucht [* 33] ist nur noch in den Ämtern Thedinghausen, Vorsfelde und Kalvörde von Bedeutung, weshalb zur Deckung des Bedarfs im allgemeinen ein Zukauf von ausländischen Pferden (namentlich der schwereren Schläge) erforderlich ist. Für Verbesserung der Pferdezucht besteht ein Landgestüt, woneben den Pferdezüchtern die Benutzung der Hengste des berühmten herzoglichen Gestüts in Harzburg zu Gebote steht.
Der Bergbau, [* 34] welcher vorzugsweise im Harz seinen Sitz hat, ist sehr blühend und beschäftigte 1884: 1092 Arbeiter. Die Ausbeute betrug 351,963 Ton. (à 1000 kg) Braunkohle, 19,346 T. asphalthaltiges Gestein, 118,376 T. Eisenerze, 707 T. Bleierze und 98 T. Schwefelkies. Der Gesamtwert am Ursprungsort ist zu 1,6 Mill. Mk. berechnet. An Kochsalz wurden auf zwei Salinen 7095 T. gewonnen. Bedeutende Steinbrüche befinden sich im Kreis Helmstedt (Velpke) und bei Königslutter, ferner im Amt Lutter am Barenberg; berühmt sind die großen Brüche von Buntsandstein des Solling im Kreis Holzminden und der Granit im Okerthal.
Vorzügliches Material für den Chausseebau und zu Pflasterungen liefern die Gabbrosteinbrüche im Radauthal bei Harzburg. Ferner werden gewonnen: Kalk, Gips, [* 35] Marmor, Alabaster, Töpferthon, Farben, Porzellan- und Pfeifenerde, Koprolithen etc. Die Hüttenwerke produzierten 1884: 40,874 T. Roheisen, 1268 T. Blei, [* 36] 1625 T. Glätte, 764 T. Kupfer, [* 37] 4867 kg Silber, 33,4 kg Gold, [* 38] 15,872 T. englische Schwefelsäure [* 39] und 3517 T. Kupfer-, Eisen- und Zinkvitriol. Der Gesamtwert betrug 6,7 Mill. Mk. Mit Ausnahme der im gemeinschaftlichen Staatsbesitz mit Preußen befindlichen Werke am Rammelsberg bei Goslar [* 40] und in Oker werden sämtliche Gruben und Hütten [* 41] von Privaten betrieben.
Andre, zum Teil bedeutende Industriezweige sind: Zucker-, Zichorien-, Tabaks-, Papier-, Seifen-, Strohhut-, Maschinen-, Wagen- und Salmiakfabrikation, Bereitung von Chemikalien (in Braunschweig und Schöningen), Holzstoff- (zur Papierbereitung), Pulver und Zündhölzerfabrikation am Harz, Fabrikation von Nähmaschinen, [* 42] feuerfesten Geldschränken, Fortepianos, von haltbaren Speisen (Konserven, in Braunschweig und Wolfenbüttel), Holzwaren (am Harz), Zement, Asphalt, Glas, [* 43] Porzellan (zu Fürstenberg), mechanische Flachs-, Hede- und Jutespinnerei (in Braunschweig, Wolfenbüttel und Vechelde), bedeutende Bierbrauerei [* 44] (in Braunschweig: Mumme) und Wurstfabrikation. Die Zahl der Rübenzuckerfabriken beträgt 30, welche 1883/84: 705,256 T. Rüben verarbeiteten und 74,850 T. Rohzucker produzierten. Der Ertrag der Rübenzuckersteuer belief sich auf 11,3 Mill. Mk.
Der Handel ist sehr lebhaft, besonders in den ¶