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höhern Beamten des Reichs unterstehen. Die nächste Instanz bilden die Appellationstribunale. Es gibt deren gegenwärtig 11 und zwar in Rio de Janeiro [* 2] (17 Mitglieder), Bahia [* 3] (11 Mitglieder), Pernambuco [* 4] (15 Mitglieder), Maranhão, Pará, Ceará, Minas Geraës, São Paulo, São Pedro do Sul (je 7 Mitglieder), Matogrosso und Goyaz (je 5 Mitglieder). Daneben fungieren 7 Handelsgerichte und zwar in Rio de Janeiro, Bahia, Pernambuco, Maranhão, Pará, Ceará, São Pedro do Sul.
Für Militärjustiz besteht als höchster Gerichtshof das Militärtribunal, dessen Präsident der Kaiser ist. Die niedern Richtergrade sind durch die Friedensrichter, Gemeinderichter, Zivilrichter und Waisenrichter repräsentiert, welch letztere nur in Sachen der Waisen und Geisteskranken sowie der Abwesenden verfügten. In Kriminalsachen entscheidet das Geschwornengericht, dessen Leitung dem Kriminalrichter obliegt. Mit Ausnahme der Friedensrichter, die gewählt werden, und der Gemeinderichter, die wieder abberufen werden können, sind die Richter und Räte der Gerichtshöfe Brasiliens unabsetzbar, dürfen aber von einem Ort an den andern versetzt werden.
Der Kriminalkodex, dem Code Napoléon nachgebildet, unterscheidet folgende Strafarten je nach der Art des Verbrechens: Strafzahlung, Suspension vom Dienst oder Absetzung, Verbannung, einfache Gefängnishaft, Haft mit Arbeit, Zuchthaus, Todesstrafe. In zivilrechtlichen Sachen gilt der »brasilische Kodex«, ein unabsehbares Konglomerat von ältern portugiesischen Gesetzen, mit neuen unvollständigen, widersprechenden Paragraphen und Auslegungen vermehrt.
Vgl. »Code criminel de l'empire du Brésil« (Par. 1834) und »Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes« (Bd. 7, S. 297).
Die Finanzverhältnisse Brasiliens sind bei einem fortwährenden bedeutenden Defizit bis in die letzten Jahre keineswegs befriedigend zu nennen. Der Grund zu ihrem Verfall wurde durch die maßlosen Bedürfnisse des Hofs Johanns VI. gelegt. Man suchte sich durch Spekulationen zu helfen, welche unglücklich ausfielen und die Einführung des Papiergeldes statt der Münze zur Folge hatten. Mannigfache Unruhen im Innern und die fortwährenden Kriege mit den Nachbarstaaten, besonders der lange, erst 1870 beendete mit Paraguay, [* 5] welcher dem Staat fast 489 Mill. Milreis gekostet haben soll, mehrten die Staatsschuld beständig und untergruben den Kredit immer mehr. Die Abschlüsse der letztverflossenen Jahre zeigen indessen, daß die großen natürlichen Hilfsquellen des Landes, welche die Regierung immer mehr zu benutzen versteht, in nicht zu ferner Zeit einen Ausgleich gestatten. Die Einnahmen sind in stetem Wachsen begriffen; sie betrugen:
Milreis | |
---|---|
1840-41 | 16310577 |
1858-59 | 39428000 |
1864-65 | 56995925 |
1866-67 | 61845426 |
1870-71 | 101033695 |
1872-73 | 103333888 |
1874-75 | 109767300 |
1881-82 | 131986964 |
Diesen ordentlichen Einnahmen standen folgende Ausgaben gegenüber:
Milreis | |
---|---|
1858-59 | 40097000 |
1864-65 | 83346159 |
1866-67 | 102873050 |
1870-71 | 83570376 |
1874-75 | 101484792 |
1881-82 | 139470648 |
Infolge der zur Fortsetzung des Kriegs mit Paraguay bewilligten außerordentlichen Kredite stellte sich in den 60er Jahren ein besonders hohes Defizit heraus. Es betrug z. B. 1866-69 fast 59,25 Mill., 1867-68 sogar über 107 Mill. Milreis. In dem Budget für 1883/84 aber stehen sich 132,115,400 Milreis an Einnahmen und 130,185,060 Milreis an Ausgaben gegenüber. Auch in dem Voranschlag für 1885/86 übertreffen die Einnahmen um etwa 5 Mill. Milreis die Ausgaben. Die wesentlichste Einnahmequelle bilden die sehr hohen Zölle, welche sowohl auf die Einfuhr als auf die Ausfuhr gelegt sind.
Sie betrugen im Budget von 1883/84: 93,709,800, dazu kommen an innern Einnahmen an Grundsteuer, Patentsteuer, Posten, Eisenbahnen etc. 35,395,600 Milreis. Die Staatsschuld hatte sich infolge der erwähnten Umstände in den letzten Jahrzehnten außerordentlich vermehrt. Während die Summe derselben in einer offiziösen Ausstellung vom zu 166 Mill. Milreis angegeben wurde, finden sich 1869 nicht weniger als 724,753,954 Milreis aufgeführt, wovon allerdings ein großer Teil für Eisenbahnen verwendet wurde; Ende 1870 war sie bereits reduziert auf 581,323,430 Milreis, wozu im Februar 1871 noch ein englisches Anlehen von 3 Mill. Pfd. Sterl. kam. Am belief sie sich wieder auf 863,168,809 Milreis, so daß deren Verzinsung einen großen Teil der jährlichen Einnahmen absorbiert.
Die
Staatsschuld zerfällt in die äußere
(ca. 170 Mill.), die in
Gold
[* 6] zu bezahlen ist, und die innere
(ca. 406 Mill.), die in
Papier bezahlt wird. Der Rest entfällt auf die
schwebende Schuld (darunter Gouvernementsnoten im Wert
von 188 Mill.). Dazu kommen noch die
Noten der
Bank von
[* 7] und der
Banken von
Bahia und
Maranhão im Betrag von 22 Mill.
Milreis. Die Staatsaktiva
bestanden außer den rückständigen
Steuern (fast 14 Mill.) und dem
Guthaben des
Staatsschatzes
an den
Eisenbahnen (14 Mill.) in einer Schuldforderung an
Uruguay und
Paraguay im Betrag von zusammen
ca. 17 Mill.
Milreis.
Die brasilische Armee ist durch das Gesetz vom reorganisiert. An Stelle des frühern Werbesystems ist die allgemeine Wehrpflicht eingeführt, welche jedoch Ausnahmen zuläßt und Stellvertretung in einzelnen Fällen gestattet. Die Friedensstärke ist auf 13,000 Mann normiert, die Kriegsstärke auf 32,000 Mann. Die Dienstzeit beläuft sich aus 6 Jahre bei der Armee und 3 Jahre bei der Reserve. Die frühere Nationalgarde ist aufgelöst, um nach den Ergebnissen der neuen Zählung reorganisiert zu werden.
Die Zahl der
Aktiven betrug 1884 (Friedensstärke): 1900
Offiziere und 11,864 Mann, welche sich auf 21
Bataillone
Infanterie, 5
Regimenter
Kavallerie, 3
Regimenter reitende und 5
Bataillone Fußartillerie, 1
Bataillon
Pioniere, 2
Jäger- und 14 Garnisonkompanien
verteilen. Dazu kamen 10,792 Mann Gendarmerie, davon 1063 in
Rio de Janeiro. Die
Flotte bestand 1884 aus 60 aktiven
Fahrzeugen,
darunter 8
Panzerschiffe,
[* 8] 6
Kreuzer, 12
Kanonenboote und 8 Torpedofahrzeuge, mit einer
Besatzung von 3022 Mann und 93
Kanonen.
Im
Bau befanden sich 1
Panzerschiff
[* 9] und 5
Kanonenboote. Das
Personal der
Marine belief sich auf 5673 Mann, 15
Offiziere
des
Generalstabs, 382
Offiziere erster
Klasse, Marinekorps 3181 Mann,
Seebataillon 578 Mann und 1060 Mann
Seekadetten- und Jungenkorps.
- Das
Wappen
[* 10] (s. Tafel
»Wappen«) zeigt im grünen
Felde die Himmelskugel
Heinrichs des Seefahrers, durch
das silberne, mit einem roten
Rand eingefaßte
Kreuz
[* 11] des
Christusordens in vier Teile geteilt und von einem blauen, runden
Reif
umgeben, welcher mit 19 silbernen
Sternen belegt ist und auf beiden Seiten eine silberne
Einfassung hat. Den
Schild
[* 12] deckt eine
Kaiserkrone, zur
Rechten umgibt ihn ein
Zweig des
Kaffeebaums, zur
Linken der
Zweig einer Tabakspflanze,
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beide in natürlicher Farbe, unten sich kreuzend und mit einem grün und goldenen Band [* 14] gebunden. Die Flagge ist grün mit eingeschobener goldener Raute, in dieser der Wappenschild (s. Tafel »Flaggen [* 15] II«). [* 16] Die Landesfarben sind Grün und Gold. Von Orden [* 17] bestehen: der Orden des Südlichen Kreuzes (gestiftet der Orden Dom Pedros I. der Orden der Rose
die frühern geistlichen Orden Unsers Herrn Jesu Christi, des heil. Benedikt von Aviz und des heil. Jakob vom Schwert werden seit nur als Zivil- und Militärorden vergeben.
Seit der letzten Organisation des Reichs zerfällt in den Bezirk der Stadt Rio de Janeiro (Municipio Neutro) und 20 Provinzen, die an Größe sehr verschieden sind (s. die statistische Übersicht, S. 336). Diese Provinzen werden in Gemeindebezirke (municipios), diese in Kirchspiel (parochias) und diese wieder in Bezirke (districtos) geteilt; die Teilung der Provinz in Comarcas besteht bloß für die Justiz. Haupt- und Residenzstadt ist Rio de Janeiro, Ende 1883 mit 350,000 Einw. Die nächstgrößten Städte sind: Bahia (140,000), Pernambuco (Recife, 130,000), Belém (40,000), São Paulo (40,000), Maranhão (35,000), Portalegre (35,000), Ouro Preto (20,000 Einw.).
[Litteratur.]
Zur Geographie und Statistik Brasiliens vgl. Wappäus, Das Kaiserreich (in Stein-Hörschelmanns »Handbuch der Geographie«, Leipz. 1871);
de Macedo, Geographische Beschreibung Brasiliens (deutsch, das. 1873);
Cazal, Corographia brasilica (Rio de Janeiro 1833);
P. de Reybaud, (a. d. Franz., Hamb. 1857);
M. de Saint-Adolphe, Diccionario geographico hist. de descript. do imperio do Brazil etc. (Par. 1845, 2 Bde.);
Pereira da Silva, Situation sociale, politique et économique de l'empire du Brésil (Rio de Janeiro 1865);
Fletcher und Kidder, Brazil and the Brazilians (9. Aufl., Philad. 1879);
Hadfield, Brazil and the river Plate 1870-76 (Lond. 1877);
»Das Kaiserreich Brasilien auf der Weltausstellung 1876 in Philadelphia«, [* 18] offizieller Bericht (1876);
Canstatt, Brasilien, Land und Leute (Berl. 1877);
Sellin, Das Kaiserreich Brasilien, geographisch-statistische Skizze (Leipz. 1882);
Derselbe, Das Kaiserreich Brasilien (»Wissen der Gegenwart«, Bd. 36, das. 1885);
von Reisewerken (außer den ältern Werken von Pohl, Spix und Martius, dem Prinzen von Wied, de Saint-Hilaire u. a.) Kletke, Reise des Prinzen Adalbert von Preußen [* 19] nach Brasilien (Berl. 1857);
Avé-Lallemant, Reisen durch Nordbrasilien (Leipz. 1860, 2 Bde.);
Derselbe, Reisen durch Südbrasilien (das. 1859, 2 Bde.);
Bates, The naturalist on the river Amazonas (3. Aufl., Lond. 1873; deutsch, Leipz. 1866);
Tschudi, Reisen in Südamerika [* 20] (das. 1866-69, 5 Bde.);
Agassiz, A journey in Brazil (1.-6. Aufl., Boston [* 21] 1866);
Derselbe, Scientific results of a journey in Brazil (Lond. 1870);
Burton, Explorations of the highlands of Brazil (das. 1868, 2 Bde.);
Zöller, Die Deutschen im brasilischen Urwald (Stuttg. 1882);
ferner: W. Schultz, Natur- und Kulturstudien über Südamerika (Dresd. 1868);
v. Martius, Die Physiognomie des Pflanzenreichs in Brasilien (Münch. 1842);
Derselbe, Beiträge zur Ethnographie [* 22] und Sprachenkunde Amerikas, zumal Brasiliens (Leipz. 1867, 2 Bde.);
Liais, Climats, géologie, faune et géographie botanique du Brésil (Par. 1872);
Lange, Südbrasilien etc., mit Rücksicht auf die deutsche Kolonisation (2. Aufl., Berl. 1885);
Koseritz, Bilder aus Brasilien (Leipz. 1884);
»Revista trimensal do Instituto historico, geographico e etnographico do Brazil« (Rio de Janeiro, seit 1839).
Geschichte.
Brasilien wurde auf einer Fahrt nach Ostindien [* 23] zufällig von Pedro Alvarez Cabral entdeckt, der, von der Meeresströmung des Atlantischen Ozeans nach Westen getragen, die Küste erblickte und 25. April im Hafen Porto Seguro landete. Cabral nahm es für den König von Portugal [* 24] feierlich in Besitz und nannte es Ilha da vera Cruz (»Insel vom wahren Kreuz«); den Namen Brasilien erhielt es elf Jahre später von dem roten Farbholz Caesalpina brasiliensis oder Pao do Brazil, d. h. Holz der [* 25] glühenden Kohle, das man daselbst in Menge fand.
Eine Untersuchung des Landes nahm im Auftrag König Emanuels 1501-1502 Amerigo Vespucci vor und fuhr die Küste bis in die Gegend des La Plata-Stroms entlang; doch schickte man anfangs bloß Verbrecher und von der Inquisition Verurteilte nach Brasilien, welche Papageien und Farbhölzer einsammeln mußten. Im J. 1548 verbannte man die Juden dahin. Erst unter Johann III., dem Brasilien von dem Papst förmlich zugesprochen wurde, erhielt es 1531 eine Art administrativer Organisation auf Grund des Lehnssystems. So ließen sich mehrere sogen. Capitanos daselbst nieder; einer davon war Alfonso de Souza, von welchem das Land Rio de Janeiro den Namen erhielt.
Doch kam Brasilien bei der aus verschiedenartigen Elementen gemischten Bevölkerung, [* 26] bei den fortdauernden Kämpfen gegen die Eingebornen und besonders wegen der Unbotmäßigkeit der Capitanos zu keiner Ruhe und Ordnung, bis im Auftrag König Johanns III. der Gouverneur Thomas de Souza dem Land eine bessere Organisation gab. Er erbaute 1549 die Stadt Bahia, brachte Jesuiten mit, welche die Eingebornen zivilisierten, und bewirkte überhaupt Einheit des Regiments. Im J. 1553 erhielt Brasilien seinen ersten Bischof.
Als aber Portugal (1580) unter spanische Hoheit kam und nun die Feinde Spaniens auch die portugiesischen Kolonien feindlich behandelten, fielen nacheinander Engländer, Franzosen und Holländer über das hilflose Land her. Die holländische Westindische Kompanie bemächtigte sich 1624 der Stadt Bahia und behauptete sich namentlich unter dem Statthalter Moritz von Nassau, welcher auch für die materielle und geistige Hebung [* 27] des Landes sehr wohlthätig wirkte, im Besitz eines großen Teils des Landes.
Da aber seine Nachfolger weniger Geschick zeigten, so entstand (obgleich das wieder auf den portugiesischen Thron [* 28] gekommene Haus Braganza den Besitz der Holländer 1640 anerkannt hatte) 1645 eine von England und Portugal aus angestiftete Empörung der Plantagenbesitzer, welche nach dem Sieg des tapfern brasilischen Helden Vieira bei Guararabi 1648 mit der Vertreibung der Holländer endete. Pernambuco, die letzte holländische Besitzung, wurde von den Brasiliern genommen, und 1661 trat Holland ganz Brasilien gegen eine Summe von 350,000 Pfd. Sterl. an Portugal ab. Später gründeten französische Hugenotten Ansiedelungen in Brasilien, welche jedoch von den portugiesischen Brasiliern aus Religionshaß vernichtet wurden. Dies hatte einen privaten, aber vom Staat unterstützten Kriegszug der Franzosen unter Duguay-Trouin zur Folge, die 1711 Rio de Janeiro nach einem heftigen Bombardement einnahmen, aber gegen Lösegeld wieder abzogen. Die Entdeckung der Goldminen in Minas Geraës 1696 und der Diamantgruben 1727 erhöhte die Wichtigkeit des Landes. Aber Portugals Aufmerksamkeit war nur darauf gerichtet, in Abhängigkeit zu erhalten und die Gold- und ¶