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Die politische Presse [* 2] hat ihren Hauptsitz in Rio de Janeiro. [* 3] Es erscheinen in Brasilien [* 4] 464 Zeitungen und Zeitschriften, unter ihnen namentlich das seit 1821 erscheinende »Jornal do Commercio«, das »Diario official« (beide in Rio de Janeiro) und das »Diario de Pernambuco« [* 5] (Pernambuco), sodann 12 deutsche Zeitungen (besonders in den südlichen Provinzen), mehrere englische, französische, italienische.
Vgl. F. Wolf, Le [* 6] Brésil littéraire (Berl. 1864).
Die Kunst der Malerei und Bildhauerei wird in in allen Abstufungen ausgeübt, am häufigsten auf der untersten. In den kultivierten Teilen Brasiliens zog man die ersten Künstler, wie in Portugal, [* 7] aus Italien [* 8] herbei, weshalb man auch an den brasilischen Werken der Baukunst [* 9] die römische Schule des Bramante und Buonarroti erkennt. Mit Verschwendung bauten die Jesuiten; die von ihnen errichteten Gebäude sind meist schön und mit Geschmack verziert, stehen aber denen im spanischen Amerika [* 10] nach.
Prachtvolle Kirchen wurden in Portugal entworfen und ausgeführt, dann Stein für Stein, mit Zahlen bezeichnet, nach Brasilien übergeschifft, um hier zusammengefügt zu werden. Hervorragendes in Architektur, Bildhauerei und Malerei haben die Brasilier bisher selbständig nicht geleistet. Unter Dom Pedro I. wurde zwar die Akademie der schönen Künste 1824 gegründet, sie erhielt ein majestätisches Gebäude in Rio de Janeiro, ward feierlich eingeweiht und veranstaltete bis 1833 drei Kunstausstellungen; indes war es immer der Fremde, welcher handelte, die Brasilier hielten sich an den Genuß.
Die spätern politischen Ereignisse gaben dem ohnehin schwachen Interesse für Kunst eine andre Richtung. Auch in der Musik hat Brasilien kein ausgezeichnetes Talent hervorgebracht, Joseph Mauricio, den Stolz der Brasilier, ausgenommen. Trotz der großen Zahl der selbst in kleinern Städten von ca. 10,000 Einw. bestehenden Theater, [* 11] auf denen die ausübenden, meist sehr mittelmäßigen Künstler portugiesischen oder französischen Ursprungs sind, besitzt Brasilien nur einen Komponisten, Carlos Gomes, dessen Opern: »O Guarany« und »Salvator Rosa« aber außerhalb Brasiliens noch nicht zur Aufführung gelangt sind.
Die brasilische Kirche ist die römisch-katholische; sie besteht aus dem Erzbistum von Bahia [* 12] (mit dem Metropoliten und Primas von an der Spitze) und aus den elf Bistümern von Rio de Janeiro, Pernambuco, Fortaleza, Maranhão, Pará, São Paulo, Marianna mit Diamantina, Goyaz, Cuyaba, Ceará und Portalegre. Man zählt 1600 Parochien, von denen aber viele wegen Mangels an Priestern nicht besetzt sind. Die Heranbildung der Geistlichen ist dem Klerus überlassen, und es gibt in jedem Bistum staatlich subventionierte Seminare.
Ein kirchliches Obergericht (Relação metropolitana) besteht in Bahia. Die Bischöfe und alle andern geistlichen Vorstände werden vom Kaiser eingesetzt. Als Fundament der brasilischen Kirche gelten die Bestimmungen des Konzils von Trient. [* 13] Die Klöster verlieren stetig an Bedeutung, da ihnen seit 1855 nicht mehr gestattet ist, Novizen aufzunehmen. Auch werden seit 1870 die liegenden Klostergüter verstaatlicht. Die Zahl der Katholiken gab der Zensus von 1872 auf 9,902,712 Freie und Sklaven, die der Protestanten auf nur 27,766 Freie an. Den Protestanten war es bis 1808 verboten, sich in Brasilien niederzulassen; etwas später erlaubte man ihnen Ansiedelung und Errichtung eines Gotteshauses.
Gegenwärtig ist allen Konfessionen [* 14] Religionsfreiheit und in neuester Zeit auch öffentlicher Gottesdienst und Teilnahme an Staats- und öffentlichen Ämtern gestattet. In neuerer Zeit unterstützt sogar der Staat auch pekuniär den Bau protestantischer Gotteshäuser in den deutschen Kolonien und besoldet die Geistlichen, welche entweder vom Berliner [* 15] Oberkirchenrat gesandt, oder durch Barmener und Baseler Missionszöglinge präsentiert werden. Die deutsch-evangelische Synode hat sich seit 1869 freiwillig unter den Oberkirchenrat von Berlin [* 16] gestellt. In fast allen Handelsstädten gibt es auch englische Kapellen.
Industrie. Ackerbau. Kolonisation.
Die Gewerbthätigkeit Brasiliens steht noch auf sehr niedriger Stufe. Die beträchtlichen Bedürfnisse, welche die Industrie zu befriedigen bestimmt ist, werden nicht durch einheimische Thätigkeit, sondern durch Einfuhr fremder Produkte befriedigt. Brasilien ist ein ackerbauendes Land, folglich ist auch die Produktion von Rohstoffen die Hauptaufgabe und wird es, da bis jetzt kaum der hundertste Teil des ungeheuern Gebiets urbar gemacht ist, vielleicht noch auf Jahrhunderte bleiben, zumal da die Arbeitskräfte sogar für die dem heutigen Landbau wünschenswerte Entwickelung kaum ausreichen.
Daher ist auch außer den notwendigsten und gewöhnlichsten Handwerken die Industrie in Brasilien auf Bergbau, [* 17] Metallurgie, die Bearbeitung edler Metalle zu Geräten und Schmuck, Zuckersiederei, Branntweinbrennerei, Bierbrauerei, [* 18] Tabaksfabrikation, auf vereinzelte Anfänge in Maschinenfabrikation und Baumwollweberei, Schiffbau und Gerberei beschränkt. Immerhin ist nicht zu verkennen, daß sich die Industrie Brasiliens im letzten Jahrzehnt unter dem Einfluß eines hohen Schutzzolles lebhaft zu entwickeln begonnen hat und bereits ein beachtenswerter Faktor im Importhandel geworden ist.
Dies Resultat ist auch zum großen Teil den Bemühungen der sehr rührigen Zentralgesellschaft für Handel und Ackerbau zu danken. In 51 Zuckerfabriken ist gegenwärtig ein mit staatlicher Zinsgarantie versehenes Kapital von 30,000 Contos (60 Mill. Mk.) angelegt; in 47 Baumwollfabriken sind 3600 Arbeiter beschäftigt, welche Gewebe [* 19] einfachster Art herstellen. Eine dem Land eigentümliche Industrie ist die Fabrikation von Federblumen. Die größten Industrie-Etablissements werden übrigens vorzugsweise von Ausländern, besonders von Engländern und Deutschen, betrieben.
Eine großartige Viehzucht, [* 20] allerdings meist in äußerst primitiver Weise betrieben, besitzen die Campos der südlichen Provinzen, wo auch die Xarqueadas ihren Sitz haben, große Fleischereien, in denen Tausende von Tieren an einem Tage geschlachtet und die einzelnen Teile derselben, Talg, Fleisch, Haut, [* 21] Hörner, Knochen, [* 22] Blut, fabrikmäßig für den Export verwertet werden. In Bezug auf Ackerbau aber gibt es kein Land der Erde, das trotz der geringen Fürsorge der Regierung, der vielen politischen Unruhen und des Charakters der Bevölkerung [* 23] so riesenhaft fortschreitet wie Brasilien. Die Art und Weise der Bodenbestellung allerdings steht noch auf sehr niederer Stufe, und das gegenwärtig betriebene Raubbausystem, welches Düngung, Berieselung und die Hilfe der modernen Technik mit wenigen Ausnahmen völlig verschmäht, wird voraussichtlich noch für lange Zeit das vorherrschende sein. Angebaut werden: Mais, die schwarze Bohne, die Mandioka, Knollenfrüchte, Reis, Weizen, Roggen, Gerste, [* 24] Hafer, [* 25] letztere Cerealien besonders in den südlichen Provinzen;
in erster Linie aber sind die Kolonialprodukte von Wichtigkeit, welche neben den Viehzuchtprodukten die größten Werte zum brasilischen Export liefern.
Vorzüglich ist der Kaffeebau ¶
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in außerordentlicher Zunahme begriffen; der Kaffee ist geradezu Brasiliens wichtigstes Produkt geworden, obschon die Preise stetig gesunken sind. Brasilien exportierte in dem Dezennium 1830-40 jährlich ca. 53 Mill. kg Kaffee; Ende der 70er Jahre aber entwickelte sich die Kaffeeproduktion trotz der Sklavenemanzipation in erstaunlicher Weise und erreichte 1882 die Höhe von 360 Mill. kg im Wert von 104,753 Contos (235,7 Mill. Mk.). Der Hauptexport findet nach den Vereinigten Staaten, [* 27] nach England und nach Deutschland [* 28] statt, sein Wert beträgt über 60 Proz. des Gesamtausfuhrwerts des Kaiserreichs. 1882 partizipierte Brasilien mit fast 55 Proz. am Kaffeehandel der Erde.
Der schon seit langer Zeit in Brasilien eingeführte Zuckerbau ist zwar hinter dem Kaffeebau zurückgeblieben, allein immerhin bedeutend, so daß er nächst dem Kaffeebau das wichtigste Exporterzeugnis liefert. Der Wert der gegenwärtigen Zuckerproduktion und ihrer Nebenzweige kann auf 120-130 Mill. Mk. veranschlagt werden. Der Thee wurde 1810 aus China [* 29] hierher verpflanzt und ist allerdings in mehreren Provinzen (z. B. São Paulo) vortrefflich gediehen; doch dürfte eine nennenswerte Produktion schwerlich eintreten, solange die ausgedehnten Herva-Matéwälder in Südbrasilien noch ein bei den Bewohnern so beliebtes und auch als Exportartikel wichtiges Genußmittel, den Paraguaythee, liefern. Zu den Gegenständen des Landbaues gehören ferner noch Baumwolle, [* 30] Vanille, Kakao, in Südbrasilien noch Orange, Banane, Ananas, Feige, Pfirsich, auf dem Hochland auch Äpfel und Birnen.
Für den Weinbau sind die südlichen Provinzen São Paulo, Parana, Rio Grande do Sul gut geeignet; man pflanzt dort die nordamerikanische Catawbarebe. Es fehlt dem brasilischen Ackerbau, um durch Mannigfaltigkeit und Qualität seiner Produkte dem Ackerbau der reichsten Länder der Erde gleichzustehen, außer an einem rationellen und verständigen Betrieb hauptsächlich an Arbeitskräften. Diese hat man in neuester Zeit mit allerdings nicht ausreichendem Erfolg aus Europa [* 31] zu gewinnen gesucht.
Brasilien war seit 1812 unter König Johann VI. vielfach der Schauplatz von Kolonisationsversuchen, die jedoch meist gescheitert sind, wenn auch nicht immer durch die Schuld der Regierung. Nur den Deutschen ist es bis jetzt gelungen, in und zwar namentlich in den klimatisch günstigsten südlichen Provinzen erfolgreich Kolonien zu gründen. Die blühendsten Ansiedelungen von Deutschen aber finden sich in den Provinzen Parana, Santa Catharina und Rio Grande do Sul. Die Zahl der jetzt in Brasilien lebenden Deutschen wird auf 210,000 geschätzt.
Ihren Hauptsitz haben sie in der Provinz Rio Grande do Sul, wo sie die Kolonien São Lourenco, São Feliciano, São Leopoldo, Taquary, Hamburger Berg, Santa Cruz, São Angelo, Santa Maria da Boca do Monte, Germania, [* 32] Montalverne, Teutonia, Neuberlin, Estrella, Santa Maria da Soledade, Feliz, Escadinha, Bom Principio, Marata, São Leopoldo, Nova Petropolis, Mundo Novo, Tres Forquilhas, São Pedro u. a. bewohnen. Deutsche [* 33] Kolonien sind ferner in der Provinz Santa Catharina: Santa Thereza, Theresopolis, Angelina, Santa Izabel, Brusque, Blumenau, Badenfurt, Warnow, Dona Fransisca mit dem Hauptort Joinville und den kleinern Neudorf, Pedreira, São Bento und Annaberg; [* 34]
in der Provinz Parana: Assunguy und Rio Negro;
in Rio de Janeiro: Petropolis, Theresiopolis, Nova Friburgo, Cantagallo;
in Espirito Santo: Santa Izabel, Leopoldina mit dem Hauptort Cachoeira;
in Bahia: Leopoldina, wo neben Deutschen auch viele Schweizer leben;
endlich in Minas Geraës: die Mucurykolonie mit dem Hauptort Ottoni (früher Philadelphia) [* 35] und Dom Pedro II. In diesen Kolonien hat das Leben seine deutsche Gestaltung behalten;
Schulen sind zahlreich, Kirchen (auch evangelische) genügend vorhanden.
Der Wohlstand der Kolonisten ist im Steigen begriffen, der Gesundheitsstand vorzüglich, indem z. B. in Dona Francisca, Blumenau, Santa Cruz im Durchschnitt aus je 100 Geborne nur 30-40 Todesfälle kamen, so daß die Bevölkerung einen jährlichen natürlichen Zuwachs von 3 Proz. erhielt.
Handel und Verkehr.
Dem Handel Brasiliens stehen mannigfache teils mit dem Grund und Boden, teils mit der Gesinnung und dem Geiste der Bewohner selbst im Zusammenhang stehende Hindernisse hemmend entgegen; dennoch gewinnt er infolge der reichen Erzeugnisse und der günstigen Lage des Landes immer mehr an Ausdehnung. [* 36] Der Großhandel befindet sich fast ausschließlich in den Händen der Engländer, Franzosen, Portugiesen, Nordamerikaner, Holländer und Deutschen und konzentriert sich in 19 Hafenplätzen, unter denen die wichtigsten sind: Rio de Janeiro, Bahia, Pernambuco, außerdem Pará, São Luiz de Maranhão, Alagoas, Rio Grande do Norte, Sergipe, Fortaleza, Aracati und Parahyba und die Häfen der Provinzen Rio Grande do Sul, Santa Catharina und São Paulo.
Die Entwickelung der Schiffahrtsbewegung geht namentlich aus folgenden Daten hervor. In langer Fahrt liefen 1862-63 in den Häfen Brasiliens ein: 3033 Schiffe [* 37] mit 943,649 Ton.; es liefen aus: 2697 Schiffe mit 1,094,492 T. 1882-1883 stellte sich die Zahl der einlaufenden Schiffe auf 2989 mit 2,367,296 T., die der auslaufenden auf 2522 mit 2,065,237 T. Auch der Küstenhandel, welcher früher ausschließlich der nationalen Flagge vorbehalten war, aber seit 1873 zwischen den Häfen, wo Zollämter errichtet sind, auch ausländischen Schiffen gestattet ist, steigt von Jahr zu Jahr, ganz besonders in den beiden nördlichsten Provinzen, zum Teil infolge der Entwickelung der Dampfschiffahrt auf dem Amazonenstrom. [* 38]
Dabei hat die Beteiligung ausländischer Schiffe am Küstenverkehr sehr bedeutend zugenommen. Die Küstenschiffahrt zählte 1872: 5245 Schiffe mit 1,182 Mill. T., welche ein-, und 4648 Schiffe mit 1,219 Mill. T., welche ausliefen. 1882-83 hat sich dieselbe auf 5210 einlaufende Schiffe mit 1,935 Mill. T. und 4863 auslaufende Schiffe mit 1,958 Mill. T. gesteigert. Der Wert der Einfuhr belief sich 1863-64 auf 125,613,655 Milreis, der der Ausfuhr auf 131,120,395 Milreis; 1882 bis 1883 hatte sich derselbe gesteigert auf 185,801,901, resp. 195,498,600 Milreis.
Die Ausfuhr richtete sich hauptsächlich auf Großbritannien, [* 39] Frankreich, Argentinien, Portugal, Vereinigte Staaten, Deutschland. Die Hauptausfuhrartikel rangieren dem Wert nach folgendermaßen: Kaffee, Zucker, [* 40] Kautschuk, Häute, Tabak, [* 41] Baumwolle, Paraguaythee, Paranüsse, Diamanten, Kakao, Holz, [* 42] Branntwein, Mandiokamehl, Haare, [* 43] Wolle etc. Die Einfuhr umfaßt die meisten Industrieerzeugnisse Europas und alle dem Luxus dienenden fremden Produkte. An der Einfuhr ist in weitaus hervorragendster Weise England beteiligt, dann folgen Frankreich, die nordamerikanische Union, Deutschland u. a. Außer eignen Fabrikaten führen die Engländer auch manche deutsche Waren dahin, sowie von ihrer brasilischen Einfuhr vieles nach Deutschland abgesetzt wird. ¶