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unter den Brasiliern lebenden Indianer unvermischten Bluts sind jetzt wenig zahlreich, am häufigsten noch die Überreste der früher in Missionen vereinigten Stämme am untern Amazonenstrom. [* 2] Der bei weitem größte Teil der Indianer lebt, in kleine Horden geteilt, ganz selbständig und ohne einen Zusammenhang mit dem brasilischen Staatsleben, wenngleich fast allenthalben durch den Verkehr wenigstens in einiger Verbindung mit den übrigen Bewohnern des Landes. Ihre geistige und sittliche Entwickelung ist bis jetzt überaus gering geblieben; selbst die zum Christentum bekehrten Indianer haben in der Zivilisation nur geringe Fortschritte gemacht.
Geistige Kultur. Kirche.
Die geistige Kultur steht allerdings noch auf einer niedrigen Stufe, doch ist nicht zu verkennen, daß in neuerer Zeit wichtige Fortschritte sich vollzogen haben. Im Unterrichtswesen unterscheidet man zunächst Primär- und Sekundärschulen, erstere unsern Volksschulen, letztere unsern höhern Bürgerschulen und Gymnasien entsprechend. Der Elementarunterricht ist unentgeltlich und (wenn auch wegen Mangels an Schulen, Lehrern und Kommunikationswegen nur nominell) obligatorisch. Es bestanden 1881: 5785 Primärschulen, welche von 188,843 Schülern besucht wurden.
Außer diesen besteht eine Anzahl von Privatschulen, und in jeder Provinzialhauptstadt werden durch die
Provinz oder den
Staat
Lyceen unterhalten. Die
Lehrer müssen entweder eine Landesuniversität oder das Collegio de
Dom
Pedro II zu
Rio de Janeiro
[* 3] oder
ein
Seminar (escola normal) mit Erfolg absolviert haben.
Diesen
Schulen reihen sich an die
Fachschulen und
zwar: die Rechtsfakultäten von
Pernambuco
[* 4] und
São Paulo
(ca. 500 Studierende), die medizinischen
Fakultäten von
Rio de Janeiro
und
Bahia
[* 5]
(ca. 800 Studierende), die polytechnische
Schule zu
Rio de Janeiro, die Bergbauschule zu
Ouro Preto, die
Handelslehranstalt zu
Rio de Janeiro, Schullehrerseminare
, eine
Gewerbeschule, eine
Marineschule, mehrere
Kriegsschulen,
Ackerbauschulen,
Blindenschulen, ein Taubstummeninstitut und ein
Konservatorium der
Musik zu
Rio de Janeiro.
Außerdem bestehen von wissenschaftlichen Instituten in der Hauptstadt: das kaiserliche astronomische Observatorium, das Nationalmuseum, die Nationalbibliothek (ca. 140,000 Bände) neben mehreren andern Museen und Bibliotheken in der Hauptstadt und in den Provinzen, das historisch-geographisch-ethnographische Institut, welches, wie auch einige andre Vereine, Jahresberichte herausgibt, die, da das Institut alle hervorragenden Männer Brasiliens zu Mitgliedern zählt, die bedeutendsten wissenschaftlichen Leistungen des Landes enthalten. Außerdem gibt es in der Hauptstadt wie in den Provinzen zahlreiche andre wissenschaftliche und Fachvereine. Fakultäten der Theologie bestehen zu Bahia, Belém, San Luis do Maranhão, Fortaleza, Olinda, São Paulo, Portalegre, Marianna, Diamantina, Goyaz und Cuyaba.
Die brasilische Litteratur, welche lange Zeit hindurch nur einen dürftigen Zweig der portugiesischen bildete, hat sich in der neuesten Zeit zu einer gewissen Selbständigkeit zu entwickeln begonnen. Zu den frühsten Dichtern des Landes, die aber noch bloße Nachahmer der Portugiesen und Spanier waren, gehören die Brüder Eusebio und Gregorio de Mattos (17. Jahrh.) und Manoel Botelho de Oliveira (gest. 1711). Schon mehr lokale Färbung tragen die Werke des Dichters Manoel de Santa Maria und des Historikers Rocha Pitta (gest. 1738). Nachdem 1763 die Residenz des Vizekönigs von Bahia nach Rio de Janeiro verlegt, worden, ward letztere Stadt zu einem Mittelpunkt der Bildung, wo schöngeistige und höfisch gelehrte Akademien entstanden, die (wie namentlich die sogen. Arcadia ultramarina) maßgebend, aber nicht vorteilhaft auf die litterarische Produktion einwirkten, während gleichzeitig in der aufblühenden und politisch regen Provinz Minas Geraës eine Dichterschule erstand, die auch in litterarischer Hinsicht eine Emanzipation vom Mutterland Portugal [* 6] anstrebte und ihre Stoffe vorzugsweise aus der Natur, den Sitten und der Geschichte Brasiliens schöpfte. Zu letztern Dichtern (den sogen. poetas mineiros) gehören: J. ^[José] Basilio da Gama (gest. 1795) mit seinem Epos »Uruguay« [* 7] und José de Santa Rita Durao (gest. 1784) mit der Dichtung »Caramurú«; ferner der Lyriker Manoel da Costa (gest. 1790), Ignacio da Silva Alvarenga (gest. 1814) und der talentvolle Thomaz Ant. Gonzaga (gest. 1809), Verfasser echt volkstümlicher Lieder. Sonst sind aus jener Zeit besonders Caldas Barboza (gest. 1800) und Figueire do Aranha (gest. 1811) zu erwähnen.
Mit der Übersiedelung des portugiesischen Hofs nach Rio de Janeiro (1808), noch entschiedener aber mit der Errichtung eines selbständigen Reichs Brasilien [* 8] (1822) wurde endlich auch der Grund zur litterarischen Selbständigkeit des Landes gelegt. Die Poesie nimmt einesteils einen spezifisch christlichen Charakter an und entlehnt ihre Stoffe und Bilder dem katholischen Glauben, statt, wie bisher, der Mythologie der Alten, eine Richtung, die wir bereits von Ant. Pereira de Souza Caldas (gest. 1814), dann besonders von Francisco de São Carlos (gest. 1829) und José Eloy Ottoni (gest. 1851) vertreten finden. Anderseits wird in patriotischen und politischen Gedichten das nationale Element nachdrücklich betont, so in den Poesien des berühmten Staatsmanns Andrada e Silva (gest. 1838) und seines Zeitgenossen Fr. Vilella Barboza (gest. 1846), dessen Elegie auf den Tod Dom Pedros I. zu den Perlen der brasilischen Litteratur gehört.
Von den übrigen Dichtern dieser Epoche seien erwähnt: Dom. Borges de Barros (gest. 1855), ein Sänger der Liebe und Schönheit;
Jan. da Cunha Barboza (gest. 1846), der Schilderer reizender Naturszenerien;
Alvaro Teixeira de Macedo (gest. 1849), Verfasser des satirischen Epos »A festa de Baldo«, u. a. Der Ruhm aber, eine wirklich nationale Dichterschule Brasiliens gegründet zu haben, gebührt José Gonçalves de Magelhães (geb. 1811),
der mit seinen »Suspiros poeticos« und »Mysterios« auf lyrischem Gebiet, außerdem aber auch als erzählender und dramatischer Dichter bahnbrechend wirkte.
Unter seinen Nachfolgern gehören Manoel de Araujo Porto-Alegre (geb. 1806) als episch beschreibender Dichter, Antonio Gonçalves Dias (geb. 1823) als Lyriker, Manoel de Macedo (geb. 1820) als Tragödiendichter und Romanschriftsteller zu den bedeutendsten. Andre geschätzte Dichter der Neuzeit sind: Manoel Odorico Mendes (geboren um 1810), Alvares de Azevedo (gest. 1852), Ant. Goncalves Teixeira e Souza (geb. 1812), der Verfasser trefflicher »Canticos« und beliebter Romane, Joaquim Norberto de Souza e Silva (geb. 1820), der Fabeldichter Joaquim José Teixeira, der Komödiendichter Luis Carlos Martius Penna u. a. Unter den Prosaisten mögen Pereira da Fonseca (gest. 1848), Verfasser epigrammatischer Maximen, der Gelehrte Antonio de Moráes e Silva (gest. 1820) als geschmackvoller Übersetzer, ferner die Historiker J. ^[João] Manoel Pereira da Silva (geb. 1818), A. de Varnhagen, Verfasser einer »Historia geral do Brazil« und J. ^[João] Francisco Lisboa Erwähnung finden. ¶
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Die politische Presse [* 10] hat ihren Hauptsitz in Rio de Janeiro. Es erscheinen in Brasilien 464 Zeitungen und Zeitschriften, unter ihnen namentlich das seit 1821 erscheinende »Jornal do Commercio«, das »Diario official« (beide in Rio de Janeiro) und das »Diario de Pernambuco« (Pernambuco), sodann 12 deutsche Zeitungen (besonders in den südlichen Provinzen), mehrere englische, französische, italienische.
Vgl. F. Wolf, Le [* 11] Brésil littéraire (Berl. 1864).
Die Kunst der Malerei und Bildhauerei wird in in allen Abstufungen ausgeübt, am häufigsten auf der untersten. In den kultivierten Teilen Brasiliens zog man die ersten Künstler, wie in Portugal, aus Italien [* 12] herbei, weshalb man auch an den brasilischen Werken der Baukunst [* 13] die römische Schule des Bramante und Buonarroti erkennt. Mit Verschwendung bauten die Jesuiten; die von ihnen errichteten Gebäude sind meist schön und mit Geschmack verziert, stehen aber denen im spanischen Amerika [* 14] nach.
Prachtvolle Kirchen wurden in Portugal entworfen und ausgeführt, dann Stein für Stein, mit Zahlen bezeichnet, nach Brasilien übergeschifft, um hier zusammengefügt zu werden. Hervorragendes in Architektur, Bildhauerei und Malerei haben die Brasilier bisher selbständig nicht geleistet. Unter Dom Pedro I. wurde zwar die Akademie der schönen Künste 1824 gegründet, sie erhielt ein majestätisches Gebäude in Rio de Janeiro, ward feierlich eingeweiht und veranstaltete bis 1833 drei Kunstausstellungen; indes war es immer der Fremde, welcher handelte, die Brasilier hielten sich an den Genuß.
Die spätern politischen Ereignisse gaben dem ohnehin schwachen Interesse für Kunst eine andre Richtung. Auch in der Musik hat Brasilien kein ausgezeichnetes Talent hervorgebracht, Joseph Mauricio, den Stolz der Brasilier, ausgenommen. Trotz der großen Zahl der selbst in kleinern Städten von ca. 10,000 Einw. bestehenden Theater, [* 15] auf denen die ausübenden, meist sehr mittelmäßigen Künstler portugiesischen oder französischen Ursprungs sind, besitzt Brasilien nur einen Komponisten, Carlos Gomes, dessen Opern: »O Guarany« und »Salvator Rosa« aber außerhalb Brasiliens noch nicht zur Aufführung gelangt sind.
Die brasilische Kirche ist die römisch-katholische; sie besteht aus dem Erzbistum von Bahia (mit dem Metropoliten und Primas von an der Spitze) und aus den elf Bistümern von Rio de Janeiro, Pernambuco, Fortaleza, Maranhão, Pará, São Paulo, Marianna mit Diamantina, Goyaz, Cuyaba, Ceará und Portalegre. Man zählt 1600 Parochien, von denen aber viele wegen Mangels an Priestern nicht besetzt sind. Die Heranbildung der Geistlichen ist dem Klerus überlassen, und es gibt in jedem Bistum staatlich subventionierte Seminare.
Ein kirchliches Obergericht (Relação metropolitana) besteht in Bahia. Die Bischöfe und alle andern geistlichen Vorstände werden vom Kaiser eingesetzt. Als Fundament der brasilischen Kirche gelten die Bestimmungen des Konzils von Trient. [* 16] Die Klöster verlieren stetig an Bedeutung, da ihnen seit 1855 nicht mehr gestattet ist, Novizen aufzunehmen. Auch werden seit 1870 die liegenden Klostergüter verstaatlicht. Die Zahl der Katholiken gab der Zensus von 1872 auf 9,902,712 Freie und Sklaven, die der Protestanten auf nur 27,766 Freie an. Den Protestanten war es bis 1808 verboten, sich in Brasilien niederzulassen; etwas später erlaubte man ihnen Ansiedelung und Errichtung eines Gotteshauses.
Gegenwärtig ist allen Konfessionen [* 17] Religionsfreiheit und in neuester Zeit auch öffentlicher Gottesdienst und Teilnahme an Staats- und öffentlichen Ämtern gestattet. In neuerer Zeit unterstützt sogar der Staat auch pekuniär den Bau protestantischer Gotteshäuser in den deutschen Kolonien und besoldet die Geistlichen, welche entweder vom Berliner [* 18] Oberkirchenrat gesandt, oder durch Barmener und Baseler Missionszöglinge präsentiert werden. Die deutsch-evangelische Synode hat sich seit 1869 freiwillig unter den Oberkirchenrat von Berlin [* 19] gestellt. In fast allen Handelsstädten gibt es auch englische Kapellen.
Industrie. Ackerbau. Kolonisation.
Die Gewerbthätigkeit Brasiliens steht noch auf sehr niedriger Stufe. Die beträchtlichen Bedürfnisse, welche die Industrie zu befriedigen bestimmt ist, werden nicht durch einheimische Thätigkeit, sondern durch Einfuhr fremder Produkte befriedigt. Brasilien ist ein ackerbauendes Land, folglich ist auch die Produktion von Rohstoffen die Hauptaufgabe und wird es, da bis jetzt kaum der hundertste Teil des ungeheuern Gebiets urbar gemacht ist, vielleicht noch auf Jahrhunderte bleiben, zumal da die Arbeitskräfte sogar für die dem heutigen Landbau wünschenswerte Entwickelung kaum ausreichen.
Daher ist auch außer den notwendigsten und gewöhnlichsten Handwerken die Industrie in Brasilien auf Bergbau, [* 20] Metallurgie, die Bearbeitung edler Metalle zu Geräten und Schmuck, Zuckersiederei, Branntweinbrennerei, Bierbrauerei, [* 21] Tabaksfabrikation, auf vereinzelte Anfänge in Maschinenfabrikation und Baumwollweberei, Schiffbau und Gerberei beschränkt. Immerhin ist nicht zu verkennen, daß sich die Industrie Brasiliens im letzten Jahrzehnt unter dem Einfluß eines hohen Schutzzolles lebhaft zu entwickeln begonnen hat und bereits ein beachtenswerter Faktor im Importhandel geworden ist.
Dies Resultat ist auch zum großen Teil den Bemühungen der sehr rührigen Zentralgesellschaft für Handel und Ackerbau zu danken. In 51 Zuckerfabriken ist gegenwärtig ein mit staatlicher Zinsgarantie versehenes Kapital von 30,000 Contos (60 Mill. Mk.) angelegt; in 47 Baumwollfabriken sind 3600 Arbeiter beschäftigt, welche Gewebe [* 22] einfachster Art herstellen. Eine dem Land eigentümliche Industrie ist die Fabrikation von Federblumen. Die größten Industrie-Etablissements werden übrigens vorzugsweise von Ausländern, besonders von Engländern und Deutschen, betrieben.
Eine großartige Viehzucht, [* 23] allerdings meist in äußerst primitiver Weise betrieben, besitzen die Campos der südlichen Provinzen, wo auch die Xarqueadas ihren Sitz haben, große Fleischereien, in denen Tausende von Tieren an einem Tage geschlachtet und die einzelnen Teile derselben, Talg, Fleisch, Haut, [* 24] Hörner, Knochen, [* 25] Blut, fabrikmäßig für den Export verwertet werden. In Bezug auf Ackerbau aber gibt es kein Land der Erde, das trotz der geringen Fürsorge der Regierung, der vielen politischen Unruhen und des Charakters der Bevölkerung [* 26] so riesenhaft fortschreitet wie Brasilien. Die Art und Weise der Bodenbestellung allerdings steht noch auf sehr niederer Stufe, und das gegenwärtig betriebene Raubbausystem, welches Düngung, Berieselung und die Hilfe der modernen Technik mit wenigen Ausnahmen völlig verschmäht, wird voraussichtlich noch für lange Zeit das vorherrschende sein. Angebaut werden: Mais, die schwarze Bohne, die Mandioka, Knollenfrüchte, Reis, Weizen, Roggen, Gerste, [* 27] Hafer, [* 28] letztere Cerealien besonders in den südlichen Provinzen;
in erster Linie aber sind die Kolonialprodukte von Wichtigkeit, welche neben den Viehzuchtprodukten die größten Werte zum brasilischen Export liefern.
Vorzüglich ist der Kaffeebau ¶