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Pezuela behauptete sich 1815 gegen abermalige Angriffe am La Plata und im Besitz Oberperus, und erst durch die Schlacht von Ayacucho und das Treffen von Tamasla im März 1825 ward hier die spanische Macht völlig gebrochen. Eine im Juli 1825 zu Chuguisaca zusammengetretene Versammlung proklamierte 6. Aug. die Unabhängigkeit des Landes. Die vier Provinzen Charcas oder Potosi, La Paz, Cochabamba und Santa Cruz traten zu einer eignen Repräsentativrepublik unter Bolivars Schutz zusammen, worauf der junge Freistaat 11. Aug. den Namen »Bolivia« [* 2] annahm.
Der Sitz der Regierung ward nach Chuquisaca gelegt. An die Spitze derselben ward, nachdem ein neuer Kongreß die von Bolivar entworfene, die republikanische Freiheit beschränkende Konstitution, den Code Boliviano, angenommen hatte, der kolumbische General Sucre gestellt, der aber, zum lebenslänglichen Präsidenten gewählt, diese Würde nur für zwei Jahre annahm. Da die Verfassung nicht demokratisch genug war, so kam es bald zu Unruhen; brach in La Paz ein großer Aufstand aus, und da wegen des Erdbebens in Lima [* 3] keine Truppen gegen die Empörer gesandt werden konnten, so mußte Sucre, den man herrschsüchtiger Absichten beschuldigte, im April 1828 mit seinen kolumbischen Truppen Bolivia verlassen.
Ein eröffneter neuer Kongreß zu Chuquisaca veränderte die Verfassung in wesentlichen Punkten und wählte den Großmarschall Santa Cruz zum Präsidenten, der aber vorerst die Wahl nicht annahm. Velasco, der inzwischen die Präsidentenwürde usurpiert hatte, ward von dem im Dezember wieder zusammengetretenen Kongreß ab- und General Blanco an seiner Stelle eingesetzt, der jedoch schon nach einigen Monaten (in der Neujahrsnacht von 1828 zu 1829) bei einem Aufstand ermordet ward.
Hierauf wurde eine provisorische Regierung eingesetzt, welche die Präsidentenwürde nochmals Santa Cruz übertrug, der sie jetzt annahm und die Ruhe wiederherstellte. Er gab 1831 ein neues Gesetzbuch, Codigo Santa Cruz, ordnete die Finanzen, schloß einen Friedens- und Handelsvertrag mit Peru [* 4] und stellte 1834 zur Beförderung der Landeskultur, der Industrie, der Wissenschaften und Künste den Einwanderern sehr günstige Bedingungen. Nach einigen Jahren ungestörter Ruhe und einer gedeihlichen Entwickelung suchte Santa Cruz eine Vereinigung Bolivias und Perus zu stande zu bringen; er rückte in Peru ein, besiegte den General Gamarra bei Cuzco und eroberte bis Frühjahr 1836 ganz Peru, worauf er als Pazifikator von Peru zum Oberhaupt von Süd- und Nordperu ausgerufen wurde. Er gab nun den beiden Staaten eine Verfassung, nach welcher jeder Staat seine innern Angelegenheiten selbständig besorgen, der gesamte Bundesstaat aber einer Zentralregierung unterworfen sein sollte, die für zehn Jahre ihm selbst unter dem Namen eines Protektors übertragen ward.
Dies gab aber Anlaß zu neuen Empörungen in beiden Staaten. In Peru erhob sich General Gamarra und brachte, von den eifersüchtigen Chilenen unterstützt, Santa Cruz in der Schlacht bei Yungay eine Niederlage bei. In Bolivia erklärte sich General Velasco gegen die Konföderation und wurde von dem am zu Chuquisaca versammelten Kongreß als provisorischer Präsident bis zur verfassungsmäßigen definitiven Wahl bestätigt, worauf Santa Cruz das Land verließ.
Aber auch Velasco mußte bald dem einstimmig als Präsidenten anerkannten General Ballivian weichen. General Gamarra, der Präsident von Peru, suchte diese Zerwürfnisse in Bolivia zu benutzen, um die Provinz La Paz loszureißen, rückte im Herbst 1841 in ein, besetzte La Paz, ward aber 18. Nov. auf der Pampa von Ingavi unweit Viacha aufs Haupt geschlagen und blieb auf dem Schlachtfeld. Ballivian drang nun in Peru ein, worauf zu Pasco unter Vermittelung und Garantie Chiles Friede auf Grund des Status quo ante bellum geschlossen ward. Ballivian blieb trotz aller Versuche des Generals Santa Cruz, in Peru zur Wiedererlangung seiner Würde eine Revolution zuwege zu bringen, Präsident bis 1847, worauf Velasco provisorisch wiedergewählt wurde.
Nach seinem Rücktritt 1848 kam es zu längern Streitigkeiten zwischen den alten und mehreren neuen Prätendenten um die Präsidentenwürde, bis zuletzt General Manuel Isidor Belzu sich behauptete, welcher nun wieder die Ordnung einigermaßen herstellte und sich die Hebung [* 5] des Ackerbaues und der Industrie angelegen sein ließ. 1855 nötigte ihn indes eine Soldatenmeuterei zum Rücktritt, und sein eigner Schwiegersohn, der General Cordova, ward an seiner Stelle Präsident, mußte jedoch, weil es ihm an der nötigen Festigkeit [* 6] und Entschiedenheit mangelte, schon im September 1857 dem Dr. José Maria Linare weichen.
Dieser riß bald die ganze Regierungsgewalt an sich, unterdrückte alle Opposition und warf sich schließlich durch Dekret vom zum Diktator aus, konnte sich aber gegen die Verschwörungen und Aufstandsversuche der Nebenbuhler nicht behaupten und ward Anfang 1860 durch Cordova verdrängt. Dieser wurde schon in der Nacht vom durch einen Aufstand in La Paz gestürzt, worauf der General José Maria de Acha zum Präsidenten erhoben wurde. Auch dieser hatte anfangs mit mancherlei Unruhen und Aufstandsversuchen zu kämpfen; als im Oktober 1861 der Befehlshaber von La Paz, Oberst Placido Yonez, von einer neuen Verschwörung Kunde erhielt, ließ er 106 angesehene Personen, darunter Cordova, ergreifen und erschießen.
Diese Grausamkeit und die Wachsamkeit Achas sicherten für einige Zeit seine Herrschaft, und die Umgestaltung, welche er 1863 mit seinem Ministerium vornahm, verschaffte ihm allgemeineres Vertrauen. Er richtete sein Augenmerk vornehmlich auf Bolivias kommerzielle und industrielle Entwickelung und vollzog einen bereits mit den Vereinigten Staaten [* 7] von Nordamerika [* 8] geschlossenen Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrag. Auch mit Frankreich trat er 1863 in freundschaftliche Beziehungen.
Schwieriger ward ihm die Beilegung eines zwischen Chile und Bolivia entstandenen Streits über den Besitz eines am Stillen Meer gelegenen Landstrichs, Mejillones genannt, der unfern des Hafens Cobija anfängt und wegen seiner Salpeterbergwerke und Guanolager wichtig ist. Auf dem Kongreß der südamerikanischen Republiken zu Lima im November 1864 riet Acha von allen Beschlüssen ab, die den europäischen Mächten als eine Drohung oder Herausforderung erscheinen könnten, und wirkte dahin, daß der projektierte südamerikanische Bund sich auf Handels- und Verkehrserleichterungen beschränkte.
Bei dem Streit zwischen Spanien [* 9] und Peru wegen der Chinchainseln schloß sich an Peru an. Die kluge und gemäßigte Regierung Achas hatte indessen den Geist der Anarchie doch nicht unterdrücken können. Am erhob sich gegen ihn zu Cochabamba der General Mariano Melgarejo, welcher, nachdem er im Februar 1865 die letzten Truppen Achas bei Ocaza in der Nähe von Potosi geschlagen hatte, fast in ganz Bolivia als Präsident anerkannt wurde. Derselbe wußte ¶
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wiederholte Versuche, ihn zu stürzen, zu vereiteln. Den ersten dieser Versuche machte der frühere Präsident Manuel Isidor Belzu, der aus Peru, wo er bisher als Verbannter gelebt, mit einigen Hundert Anhängern nach Bolivia zurückgekehrt war und sich in La Paz zum Präsidenten hatte ausrufen lassen. Aber schon 27. März wurde Belzu bei einem von Melgarejo aus La Paz unternommenen Angriff erschossen, womit diese Schilderhebung ihr Ende erreichte. Eine neue erfolgte schon 25. Mai unter Castro Arguedas, der sich mehrere Monate im Feld behauptete, bis er bei Viacha in der Nähe von La Paz entscheidend geschlagen ward, worauf Melgarejo eine allgemeine Amnestie für politische Verbrechen verkündigte.
Schon im Oktober d. J. machten die Demokraten einen neuen Aufstandsversuch, der aber rasch unterdrückt ward und den Rädelsführern das Leben kostete. 1868 wurde eine neue Konstitution vereinbart, die aber Melgarejo schon im Februar 1869 wieder aufhob, so daß er seitdem faktisch die Diktatur ausübte. Ein Aufstand, der im Februar 1870 in den östlichen Teilen des Landes ausbrach, ward erst nach blutigem Kampf niedergeworfen. Indes machte sich Morales mit Vertreibung Melgarejos zum Präsidenten.
Letzterer wurde 1872 von seinem Schwiegersohn ermordet, Morales aber vom Obersten Federico la Fayé, seinem Neffen, infolge eines Wortwechsels niedergeschossen. Darauf wurde Ballivian zum Präsidenten der Republik ernannt. Ihm folgte 1873 Dr. Frias als Präsident, wurde aber schon 1876 durch einen Soldatenaufstand gestürzt. Nun bemächtigte sich General Daza der Herrschaft. Dieser schlug seine Residenz in Sucre auf, unterdrückte im Januar 1877 einen Aufstand gegen seine Herrschaft und erlangte seine Wahl zum definitiven Präsidenten durch einen konstituierenden Nationalkonvent, der auch eine Verfassung nach Dazas Wunsch beschloß, die ihm ganz unumschränkt zu regieren erlaubte.
Daza bereicherte sich durch Mißbrauch seiner Gewalt in schamloser Weise. Aus selbstsüchtigen Motiven ließ er sich 1879 von Peru bewegen, einen Krieg mit Chile anzufangen, obwohl die bolivianische Armee schlecht gerüstet und nur 5000 Mann (mit 1000 Offizieren) stark war. Den Anlaß boten die Salpeterbergwerke an der Atacamaküste, welche von den Chilenen ausgebeutet wurden, und welche Daza entgegen bestimmten Verträgen mit hohen Abgaben belegte. Bolivia schloß ein Schutz- und Trutzbündnis mit Peru und überließ diesem die Hauptlast der Kriegführung.
Daza vereinigte sich im südlichen Peru mit dem peruanischen Heer, entzog sich aber feig dem Kampf und ward daher im Dezember 1879 von den entrüsteten Truppen verjagt. Eine Nationalversammlung stellte General Campero an die Spitze des Staats und des Heers, das in den unglücklichen Schlachten [* 11] gegen die Chilenen 1880 mitkämpfte, sich aber dann gänzlich auflöste. Nach dem vollständigen Siege Chiles über die peruanischen Truppen wurde zu Santiago ein Waffenstillstandsvertrag von unbestimmter Dauer abgeschlossen, welcher Bolivia zur Abtretung des ganzen Küstengebiets (s. S. 165) nötigte. Weiteres über diesen Krieg s. unter Chile.
Vgl. Cortes, Ensayo sobre la historia de Bolivia (Sucre 1801);
H. Reck, Geschichte der Republik Bolivia (»Ergänzungsblätter«, Bd. 1, Hildburgh. 1866);
»Archivo boliviano. Coleccion de documentos relativos de la historia de Bolivia« (Par. 1874, Bd. 1).