mehr
der Bedarf des Landes befriedigt wird. Der Bergbau, [* 2] bei dem großen Reichtum der Minen noch immer von Wichtigkeit, ist jetzt doch nur der Schatten [* 3] von dem, was er in der spanischen Zeit war. Vor allem war die Silberproduktion gesunken, die einst die Gruben von Potosi sprichwörtlich gemacht hatte, und zwar infolge der unverständigen Art des Betriebes und ebensosehr infolge der Unsicherheit und der häufigen bürgerlichen Unruhen, die das Zuströmen fremder Kapitalien hinderten.
Erst in der letzten Zeit hat die Silberproduktion wieder einen enormen Aufschwung genommen, wogegen die Goldproduktion nur unbedeutend ist. Man veranschlagt die jährliche Produktion von Silber jetzt auf 11 Mill. Bolivianos (256,666 kg), die von Gold [* 4] auf 72,345 Bol. (109 kg). In der Periode 1545-1875 sollen 37,717,600 kg Silber und 204,000 kg Gold im Gesamtwert von 7609 Mill. Mk. gewonnen worden sein. Auch die Kupfergruben (in Corocoro) haben neuerdings durch die Thätigkeit von Ausländern größere Bedeutung gewonnen. Endlich sind noch zahlreiche Bergwerke auf Zinn in Betrieb, wovon die jährliche Ausbeute etwa 30,000 Ztr. beträgt; das beste kommt von Machas und Huanuni. Exportiert wurde an Silber 1881 für 6,897,130 Bol., an andern Metallen für 1,136,787 Bol.
Alle übrigen Zweige der Industrie (von denen das Weben [* 5] von wollenen und baumwollenen Stoffen, die Fabrikation von Hüten aus Vicunnawolle, Zinnwaren, guten Schießwaffen noch die bedeutendsten sind) haben abgenommen; einzig die Branntweinbrennereien sind im Steigen begriffen. Sonst ist noch die Gewinnung von Chinarinde und Kautschuk aus den großen Wäldern des Landes von Wichtigkeit. Der Handel von Bolivia [* 6] ist sehr unbedeutend und zwar ebensosehr wegen der geringen Gewerbthätigkeit der Einwohner als wegen der ungünstigen Lage des Landes, namentlich nachdem Bolivia durch den Vertrag von 1884 auch den ihm bisher zugehörigen, an Salpeter, Kupfer [* 7] und Silber reichen Küstenstreifen der Provincia Litoral an Chile verloren hat.
Nach O. hin beginnt man erst neuerdings die großen Zuflüsse des
Amazonenstroms und des
Parana in
Handelsstraßen
zum Atlantischen
Ozean zu verwandeln.
Deshalb geht der größte Teil der bolivianischen Ausfuhr, deren Wert sich 1881 auf
9,381,917
Bol. belief, durch
Peru
[* 8] über
Arica zum
Ozean, und auf demselben Weg kommt die Einfuhr
(ca. 6,150,000
Bol.) in das Land.
Von
Eisenbahnen ist die 80 km lange
Linie La
Paz-Aygacha
(Titicacasee) vollendet und vermittelst des
Sees
die
Verbindung mit der peruanischen
Linie
Puno-Islay hergestellt. Eine Telegraphenlinie verbindet Chililaya
(Titicacasee) mit
La Paz und
Oruro (290 km), sie soll nach
Cochabamba und
Sucre weitergeführt werden. Die bedeutendsten Ausfuhrartikel sind
Chinarinde,
Kautschuk,
Koka,
Wolle,
Guano,
Kupfer,
Zinn,
Silber,
Gold; die Einfuhr besteht besonders aus europäischen Manufakturwaren
und
Quecksilber. - Die
Religion der Bewohner ist die
römisch-katholische, die öffentliche Ausübung jedes andern
Kultus ist
untersagt.
Kirchlich zerfällt der Staat in vier Diözesen: die des Erzbistums von La Plata (Charcas) und der drei Bischöfe von La Paz, Cochabamba und Santa Cruz. Der öffentliche Unterricht ist kläglich bestellt. Die sogen. Universitäten (in La Paz, Sucre und Cochabamba) liefern bloß Advokaten; die Schulen sind von wenigen Kindern besucht, der größte Teil der Bevölkerung [* 9] wächst ohne allen Unterricht auf. Von Litteratur ist hier deshalb keine Rede, die politische Presse [* 10] die elendeste unter allen in Südamerika. [* 11]
[Verfassung.]
Die Unabhängigkeitserklärung Bolivias erfolgte Am 11. Aug. d. J. wurde der Name »Bolivia« angenommen. Der Verfassung zufolge soll Bolivia eine demokratische Republik sein, in der alle Macht vom Volk ausgeht und durch drei getrennte Gewalten geübt wird; allein diese Verfassung ist bis jetzt noch immer auf dem Papier stehen geblieben, und das Land beständig die Beute der Bürgerkriege und innern Unruhen gewesen (s. unten). Die exekutive Gewalt übt ein auf vier Jahre gewählter Präsident aus, neben dem zwei Vizepräsidenten und vier Minister (für das Innere und Äußere, die Finanzen, Krieg und Kultus) stehen.
Die gesetzgebende Gewalt beruht auf dem Kongreß (Nationalversammlung), der in drei Kammern (Tribunen, Senatoren, Zensoren) zerfällt. Die richterlichen Institutionen sind ein oberster Gerichtshof in Sucre, Distriktsgerichtshöfe in den einzelnen Departements, Richter erster Instanz in den Distrikten, endlich Friedensrichter; die Rechtspflege ist dem französischen Verfahren nachgebildet, allein ohne das Institut der Geschwornen. Die Finanzen sind im jämmerlichsten Zustand.
Nach dem Budget für 1880-81 beträgt die Einnahme 3,465,790, die Ausgabe 4,799,225 Bol., was ein Defizit von 1,333,435 Bol. ergibt. Hauptquelle der Einnahmen sind die Erträgnisse der Bergwerke sowie der Ausfuhrsteuer (605,160 Bol.) und Zölle (360,049). Die sehr bedeutende Staatsschuld betrug Mitte 1881: 2,125,448 Bol. Das Militär bestand vor dem Krieg aus dem stehenden Heer von etwa 3000 Mann (mit 8 Generalen und 359 Stabs- und 654 Subalternoffizieren). In administrativer Hinsicht zerfällt Bolivia jetzt in acht Departements unter von dem Präsidenten ernannten Präfekten, diese wieder in Distrikte (Partidos) und diese in Kantone.
Die Departements sind: La Paz, Cochabamba, Potosi, Chuquisaca (Sucre), Oruro, Santa Cruz, Tarija und Beni. Die Hauptstadt wechselt je nach der herrschenden Partei; zur Zeit ist es Sucre (12,000 Einw.). Über die Flagge Bolivias s. Tafel »Flaggen [* 12] II«. [* 13]
Vgl. Grandidier, Voyage dans l'Amérique du Sud, Pérou et Bolivie (Par. 1861);
d'Orbigny, Voyage dans l'Amérique méridionale (Straßb. 1835-49, 7 Bde.);
Weddel
,
Voyage dans le
Nord de la Bolivie, etc. (Par. 1853);
Reck, Geographie und Statistik der Republik (in »Petermanns Mitteilungen« 1865-67);
Bolivia Mendez,
Manual de geografia y estadistica del
Alto
Perue Bolivia (Par. 1860);
Moßbach, Bolivia Kulturbilder (Leipz. 1875);
Gormaz, Geografia nautica de Bolivia (2. Aufl., Santiago 1879);
Wiener, Pérou et Bolivie (Par. 1879).
Geschichte.
Bolivia ist das alte Oberperu (s. Peru) und umfaßt die Gebirgsprovinzen des ehemaligen spanischen Vizekönigreichs Rio de la Plata. [* 14] Der Westen Bolivias gehörte zu dem ursprünglichen Reich der Inkas von Cuzco, die sich von da aus das Reich von Peru unterwarfen. Die Spanier eroberten das jetzige Bolivia trotz kräftigen Widerstandes 1538, worauf das Land zu dem Vizekönigreich Peru geschlagen wurde. Seit der Bildung des Vizekönigreichs La Plata 1776 war es ein Teil desselben und wurde nach der Hauptstadt Charcas (jetzt Chuquisaca) benannt. Nach dem Ausbruch der südamerikanischen Revolution bildete sich schon im Juli 1809 in La Paz eine revolutionäre Regierungsjunta; dieselbe wurde zwar von den königlichen Truppen bald gesprengt, doch eroberte General Balcarce 1810 Oberperu an der Spitze der Truppen der Junta von Buenos Ayres. [* 15] Schon 1811 besetzte der spanische Gouverneur Goyeneche das Land von neuem und wütete grausam gegen die Rebellen. General ¶
mehr
Pezuela behauptete sich 1815 gegen abermalige Angriffe am La Plata und im Besitz Oberperus, und erst durch die Schlacht von Ayacucho und das Treffen von Tamasla im März 1825 ward hier die spanische Macht völlig gebrochen. Eine im Juli 1825 zu Chuguisaca zusammengetretene Versammlung proklamierte 6. Aug. die Unabhängigkeit des Landes. Die vier Provinzen Charcas oder Potosi, La Paz, Cochabamba und Santa Cruz traten zu einer eignen Repräsentativrepublik unter Bolivars Schutz zusammen, worauf der junge Freistaat 11. Aug. den Namen »Bolivia« annahm.
Der Sitz der Regierung ward nach Chuquisaca gelegt. An die Spitze derselben ward, nachdem ein neuer Kongreß die von Bolivar entworfene, die republikanische Freiheit beschränkende Konstitution, den Code Boliviano, angenommen hatte, der kolumbische General Sucre gestellt, der aber, zum lebenslänglichen Präsidenten gewählt, diese Würde nur für zwei Jahre annahm. Da die Verfassung nicht demokratisch genug war, so kam es bald zu Unruhen; brach in La Paz ein großer Aufstand aus, und da wegen des Erdbebens in Lima [* 17] keine Truppen gegen die Empörer gesandt werden konnten, so mußte Sucre, den man herrschsüchtiger Absichten beschuldigte, im April 1828 mit seinen kolumbischen Truppen Bolivia verlassen.
Ein eröffneter neuer Kongreß zu Chuquisaca veränderte die Verfassung in wesentlichen Punkten und wählte den Großmarschall Santa Cruz zum Präsidenten, der aber vorerst die Wahl nicht annahm. Velasco, der inzwischen die Präsidentenwürde usurpiert hatte, ward von dem im Dezember wieder zusammengetretenen Kongreß ab- und General Blanco an seiner Stelle eingesetzt, der jedoch schon nach einigen Monaten (in der Neujahrsnacht von 1828 zu 1829) bei einem Aufstand ermordet ward.
Hierauf wurde eine provisorische Regierung eingesetzt, welche die Präsidentenwürde nochmals Santa Cruz übertrug, der sie
jetzt annahm und die Ruhe wiederherstellte. Er gab 1831 ein neues Gesetzbuch, Codigo Santa Cruz, ordnete die Finanzen, schloß
einen Friedens- und Handel
svertrag mit Peru und stellte 1834 zur Beförderung der Landeskultur, der Industrie,
der Wissenschaften und Künste den Einwanderern sehr günstige Bedingungen. Nach einigen Jahren ungestörter Ruhe und einer gedeihlichen
Entwickelung suchte Santa Cruz eine Vereinigung Bolivias und Perus zu stande zu bringen; er rückte in Peru ein, besiegte den
General Gamarra bei Cuzco und eroberte bis Frühjahr 1836 ganz Peru, worauf er als Pazifikator von Peru zum Oberhaupt
von Süd- und Nordperu ausgerufen wurde. Er gab nun den beiden Staaten eine Verfassung, nach welcher jeder Staat seine innern
Angelegenheiten selbständig besorgen, der gesamte Bundesstaat aber einer Zentralregierung unterworfen
sein sollte, die für zehn Jahre ihm selbst unter dem Namen eines Protektors übertragen ward.
Dies gab aber Anlaß zu neuen Empörungen in beiden Staaten. In Peru erhob sich General Gamarra und brachte, von den eifersüchtigen Chilenen unterstützt, Santa Cruz in der Schlacht bei Yungay eine Niederlage bei. In Bolivia erklärte sich General Velasco gegen die Konföderation und wurde von dem am zu Chuquisaca versammelten Kongreß als provisorischer Präsident bis zur verfassungsmäßigen definitiven Wahl bestätigt, worauf Santa Cruz das Land verließ.
Aber auch Velasco mußte bald dem einstimmig als Präsidenten anerkannten General Ballivian weichen. General Gamarra, der Präsident von Peru, suchte diese Zerwürfnisse in Bolivia zu benutzen, um die Provinz La Paz loszureißen, rückte im Herbst 1841 in ein, besetzte La Paz, ward aber 18. Nov. auf der Pampa von Ingavi unweit Viacha aufs Haupt geschlagen und blieb auf dem Schlachtfeld. Ballivian drang nun in Peru ein, worauf zu Pasco unter Vermittelung und Garantie Chiles Friede auf Grund des Status quo ante bellum geschlossen ward. Ballivian blieb trotz aller Versuche des Generals Santa Cruz, in Peru zur Wiedererlangung seiner Würde eine Revolution zuwege zu bringen, Präsident bis 1847, worauf Velasco provisorisch wiedergewählt wurde.
Nach seinem Rücktritt 1848 kam es zu längern Streitigkeiten zwischen den alten und mehreren neuen Prätendenten um die Präsidentenwürde, bis zuletzt General Manuel Isidor Belzu sich behauptete, welcher nun wieder die Ordnung einigermaßen herstellte und sich die Hebung [* 18] des Ackerbaues und der Industrie angelegen sein ließ. 1855 nötigte ihn indes eine Soldatenmeuterei zum Rücktritt, und sein eigner Schwiegersohn, der General Cordova, ward an seiner Stelle Präsident, mußte jedoch, weil es ihm an der nötigen Festigkeit [* 19] und Entschiedenheit mangelte, schon im September 1857 dem Dr. José Maria Linare weichen.
Dieser riß bald die ganze Regierungsgewalt an sich, unterdrückte alle Opposition und warf sich schließlich durch Dekret vom zum Diktator aus, konnte sich aber gegen die Verschwörungen und Aufstandsversuche der Nebenbuhler nicht behaupten und ward Anfang 1860 durch Cordova verdrängt. Dieser wurde schon in der Nacht vom durch einen Aufstand in La Paz gestürzt, worauf der General José Maria de Acha zum Präsidenten erhoben wurde. Auch dieser hatte anfangs mit mancherlei Unruhen und Aufstandsversuchen zu kämpfen; als im Oktober 1861 der Befehlshaber von La Paz, Oberst Placido Yonez, von einer neuen Verschwörung Kunde erhielt, ließ er 106 angesehene Personen, darunter Cordova, ergreifen und erschießen.
Diese Grausamkeit und die Wachsamkeit Achas sicherten für einige Zeit seine Herrschaft, und die Umgestaltung, welche er 1863 mit seinem Ministerium vornahm, verschaffte ihm allgemeineres Vertrauen. Er richtete sein Augenmerk vornehmlich auf Bolivias kommerzielle und industrielle Entwickelung und vollzog einen bereits mit den Vereinigten Staaten [* 20] von Nordamerika [* 21] geschlossenen Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrag. Auch mit Frankreich trat er 1863 in freundschaftliche Beziehungen.
Schwieriger ward ihm die Beilegung eines zwischen Chile und Bolivia entstandenen Streits über den Besitz eines am Stillen Meer gelegenen Landstrichs, Mejillones genannt, der unfern des Hafens Cobija anfängt und wegen seiner Salpeterbergwerke und Guanolager wichtig ist. Auf dem Kongreß der südamerikanischen Republiken zu Lima im November 1864 riet Acha von allen Beschlüssen ab, die den europäischen Mächten als eine Drohung oder Herausforderung erscheinen könnten, und wirkte dahin, daß der projektierte südamerikanische Bund sich auf Handels- und Verkehrserleichterungen beschränkte.
Bei dem Streit zwischen Spanien [* 22] und Peru wegen der Chinchainseln schloß sich an Peru an. Die kluge und gemäßigte Regierung Achas hatte indessen den Geist der Anarchie doch nicht unterdrücken können. Am erhob sich gegen ihn zu Cochabamba der General Mariano Melgarejo, welcher, nachdem er im Februar 1865 die letzten Truppen Achas bei Ocaza in der Nähe von Potosi geschlagen hatte, fast in ganz Bolivia als Präsident anerkannt wurde. Derselbe wußte ¶