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Böhmen [* 2] das Haus Luxemburg, [* 3] indem 1310 von den Böhmen der Sohn Kaiser Heinrichs VII. und Schwager Wenzels III., Johann (1310-46), zum König gewählt wurde, welcher (1335) auf die polnische Krone Verzicht leistete, aber dafür die Lausitz und die Oberhoheit über Schlesien [* 4] gewann. Nachdem Böhmen durch Johanns kriegerische Neigungen in nicht geringe Zerrüttung geraten war, gelangte es zu seiner höchsten Blüte [* 5] unter dessen Sohn Karl (in der Taufe Wenzel genannt, als deutscher Kaiser Karl IV. 1346 bis 1378). Er erwarb die Mark Brandenburg [* 6] und die Oberpfalz, insbesondere aber beförderte er die Kulturinteressen durch die Errichtung der Universität Prag [* 7] (1348), durch Befestigung der innern Ordnung, durch Anlegung von Städten (z. B. der Prager Neustadt), [* 8] Herbeiziehung deutscher Kolonisten, Sorge für Verkehr und Industrie; kurz, er machte Böhmen erst zu einem eigentlichen Staate, dessen politische Einheit die Verfassungsurkunden von 1348 und 1355 begründeten.
Unter der Regierung seines unfähigen Sohns Wenzel IV. (1378-1419) kam es zu argen Unruhen, indem sowohl der Adel als der Klerus unzufrieden waren; dazu kamen die religiösen Wirren durch das Auftreten des Johann Huß, womit zugleich eine entschieden antideutsche, national-tschechische Richtung verbunden war. Gleich nach Wenzels Tod (1419) brachen die Hussitenkriege (s. d.) aus, welche 16 Jahre lang über und die Nachbarländer große Verwüstung brachten und erst 1436 durch eine kirchliche Einigung und die Anerkennung von Wenzels Bruder, des Kaisers Siegmund, als König von Böhmen beendigt wurden.
Nur langsam erholte sich das Land von diesen Übeln, welche auch unter Albrecht von Österreich [* 9] (1437-39), dem Gemahl von Siegmunds einziger Tochter Elisabeth, und unter dessen nachgebornem Sohn Wladislaw (Ladislaus, 1439-1457) fortdauerten, bis endlich der hussitisch-gläubige, kluge und kräftige Reichsverweser Georg von Podiebrad (1458-71) durch Wahl der Stände den Thron [* 10] bestieg, auf welchem er sich auch trotz des päpstlichen Bannes und der rücksichtslosen Ländergier seines Schwiegersohns, des Königs Matthias von Ungarn, [* 11] der 1469 den Titel eines Königs von Böhmen annahm, behauptete. Ihm folgte der 15jährige Wladislaw von Polen (1471-1516) aus dem Haus der Jagellonen, der zwar, wenig geachtet und von Aufständen bedroht, den innern Fehden kein Ende machen konnte, aber Gesetzgebung und Rechtspflege verbesserte und den Religionsfrieden von Kuttenberg (1485) zu stande brachte. Im J. 1490 zum König von Ungarn gewählt, verlegte er seine Residenz nach Ofen, wo auch sein Sohn und Nachfolger Ludwig (1516-26) residierte.
Nach dem Tod Ludwigs in der Türkenschlacht bei Mohács kam Böhmen durch Wahl an Ludwigs Schwager, den Erzherzog Ferdinand von Österreich, spätern Kaiser Ferdinand I. (1526-64), der trotz des Widerspruchs der der Reformation anhangenden Stände Böhmens nach deren Demütigung im Gefolge der Schlacht bei Mühlberg auf dem »blutigen Landtag« von 1547 Böhmen für ein Erbreich erklärte. Durch immer neue Geldforderungen, welche der Türkenkrieg veranlaßte, und durch strenge Maßregeln gegen die Böhmisch-Mährischen Brüder erregte er Verstimmungen unter den hussitisch gesinnten Tschechen, denen er jedoch die Spitze abzubrechen verstand.
Sein Doppelplan, einerseits die Utraquisten und Katholischen zur Union zu bringen, anderseits dem Lutheranismus den Weg zur konfessionellen Vorherrschaft zu versperren, scheiterte an den Erfolgen dieser Glaubenspartei (1556-57) in betreff des Prager Konsistoriums und der geistlichen Pfandgüter. Dagegen wurde 1556 ein Jesuitenkollegium zu Prag eröffnet und 1562 auch wieder ein katholischer Erzbischof (der erste seit 1421) in Prag eingesetzt. Ferdinands Sohn Maximilian, als deutscher Kaiser Maximilian II. (1564-76), regierte mit religiöser Toleranz.
Sein Nachfolger Rudolf I., als deutscher Kaiser Rudolf II. (1576-1611), versuchte zwar die Religionsfreiheit zu beschränken, mußte aber in dem »böhmischen Majestätsbrief« den Protestanten ihre kirchlichen Rechte aufs neue zusichern. Auch Matthias (1612-17) machte Versuche, die Religionsfreiheit zu beschränken, weshalb die Stände wieder ihr Wahlrecht geltend machen wollten; doch wurde der von Matthias adoptierte eifrig katholische Ferdinand II. als König anerkannt, nachdem er die bisherigen Freiheiten und Privilegien feierlich beschworen hatte. Als aber 1618 infolge von Gewaltmaßregeln gegen den protestantischen Kultus die längst vorbereiteten, im nationalen Föderalismus wurzelnden und von der deutschen Union geschürten böhmischen Unruhen ausbrachen, welche den Dreißigjährigen Krieg eröffneten, wählten die Stände den Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz zum König. Die Schlacht am Weißen Berg bei Prag machte Friedrichs Königtum ein schnelles Ende (s. Dreißigjähriger Krieg). Nun folgte eine gewaltsame Vernichtung der religiösen und politischen Freiheiten des Landes, viele Tausend protestantische Familien, darunter viele vom Adel, wanderten aus, und Böhmen wurde in ein rein monarchisches und rein katholisches Erbreich verwandelt. Durch die Drangsale des Dreißigjährigen Kriegs verödete das Land so, daß die Einwohnerzahl 1638 auf 780,000 Seelen gesunken war.
Ferdinand III. (1637-57) bemühte sich, Böhmen durch deutsche Kolonisten wieder zu bevölkern, die Liebe der Böhmen wiederzugewinnen, die Verfassungsverhältnisse zu regeln; doch heilten die dem Land geschlagenen Wunden sehr langsam. Die Regierung Leopolds I. (1657-1705) wurde durch den Aufstand der die bedeutend vermehrten Robote (Frondienste) und die erhöhten Steuern verweigernden Bauern im Leitmeritzer, Pilsener und Tschaslauer Kreis [* 12] und durch eine furchtbare Pest getrübt.
Dennoch erholte sich unter ihm und Joseph I. (1705-11) Böhmen wieder, besonders durch Einführung deutscher Kolonisten und durch größere Duldung und Herabsetzung der Frontage der leibeignen Bauern. Nach Karls VI. Tod (1740) machte Karl Albrecht, Kurfürst von Bayern, [* 13] auf Böhmen Anspruch und ließ sich in Prag huldigen; allein Maria Theresia (1740-80) behauptete das Land, das Schauplatz sowohl des österreichischen Erbfolgekriegs (1740-45) als zum Teil auch des Siebenjährigen Kriegs (1756-63) wurde.
Doch erleichterte Maria Theresia das Los des leibeignen Landmanns, that der Vermehrung der Klöster Einhalt, ordnete Maße und Gewichte, sorgte für eine bessere Rechtspflege und schaffte viele Mißbräuche ab. Dem Kaiser Joseph II. (1765-90) verdankt Böhmen die Aufhebung der Leibeigenschaft, die Belebung der Industrie und der Gewerbe, religiöse Duldung und die Beförderung der Volksbildung. Die Raschheit seiner Reformen erregte aber auch in Böhmen Unzufriedenheit bei den Ständen, die seinem Nachfolger Leopold II. (1790-92) ihre Beschwerden gegen viele seiner bestgemeinten Anordnungen überreichten und auch die Zurücknahme mancher erwirkten. Unter Franz I. (1792-1835) hob sich Böhmens Wohlstand, ¶
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zumal das Land von den Kriegen der französischen Revolution und der Napoleonischen Zeit wenig berührt wurde. Dagegen kamen mit der Revolution von 1848 auch über Böhmen schwere Erschütterungen, und mit dem Ruf nach politischer Freiheit verband sich auf tschechischer Seite eine Opposition gegen das Deutschtum. So versammelte sich in Prag, während die Deutschen in Böhmen der Frankfurter Nationalversammlung ihre Sympathien zuwandten, im Mai 1848 ein Slawenkongreß, worauf 11. Juni der blutige Straßenkampf, 15. Juni ein Bombardement, die Unterwerfung Prags und die Sprengung des Slawenkongresses folgten. Auf dem ersten konstituierenden Reichstag Österreichs bildeten die tschechischen Deputierten die Rechte, flüchteten beim Ausbruch der Wiener Oktoberrevolution und wirkten für die Verlegung des Reichstags nach Kremsier. Auch in dem Kampf gegen Ungarn standen sie aus seiten der Regierung und übten einen bedeutenden Einfluß auf den Gang [* 15] der Dinge, der aber mit der Oktroyierung einer Charte im März 1849 äußerlich gebrochen wurde.
Erst als nach dem Krieg von 1859 das absolutistische System in Österreich gestürzt war, regten sich auch in Böhmen wieder offen die tschechischen Sonderbestrebungen, welche bis dahin in der Presse [* 16] und im sozialen Leben genährt worden waren. Auf dem infolge der Februarverfassung von 1861 zusammenberufenen Reichstag erschienen die Tschechen in der Majorität und setzten in Verbindung mit den Polen der zentralisierenden Politik Schmerlings einen erbitterten und zähen Widerstand entgegen, während die Presse, geleitet von fanatischen Stimmführern, die Hetzerei gegen alles Deutsche [* 17] aufs zügelloseste fortsetzte.
Mit dem spezifisch tschechischen Patriotismus verbanden sich jetzt auch die panslawistischen Ideen, daher Parteiführer wie Palacky und Rieger Anschluß an Rußland auf ihr Programm setzten. Noch freiern Spielraum gewannen diese Agitationen, als 1865 nach dem Rücktritt Schmerlings das Ministerium Belcredi den Föderalismus begünstigte; überdies fand das Tschechentum eine starke Unterstützung beim feudalen Adel und beim Klerus. Auch die Not, welche durch den Krieg 1866 über Böhmen kam, brachte nur eine kurze Unterbrechung der innern Streitigkeiten.
Als Belcredi durch Beust ersetzt und das rein föderalistische Programm ausgegeben wurde, machten die Tschechen ihren Grimm durch Nichtbeschickung des Reichstags Luft (1867). Indessen wurden doch trotz der Renitenz der tschechischen Partei die Reichstagswahlen zu stande gebracht, und die Proteste blieben ohne Wirkung. Um so wütender gebärdete sich die Presse, und es kam zu öftern Pöbelangriffen auf angesehene Deutsche. Gleichzeitig demonstrierte man für den Panslawismus bei der ethnographischen Ausstellung zu Moskau [* 18] (Mai 1868) und verlangte einen Ausgleich wie mit Ungarn, um so mehr, als der aus Verfassungstreuen bestehende Landtag eine Reihe von antitschechischen Beschlüssen faßte.
Die Unterhandlungen über einen Ausgleich, wozu die Tschechenführer Rieger und Sladkowsky von dem Bürgerministerium Giskra 1870 eingeladen wurden, kamen nicht zu stande. Das darauf folgende Ministerium Potocki war zu weitgehenden Konzessionen bereit, doch auf Grund der Verfassung; die Tschechen machten aber zu hohe Ansprüche. Indessen wurde (motiviert durch den deutsch-französischen Krieg) der Landtag aufgelöst; die Neuwahlen waren den Tschechen günstig, und sie benutzten ihr Übergewicht zu Demonstrationen gegen die Regierung und verweigerten wieder die Beschickung des Reichstags.
Das Ministerium Hohenwart-Schäffle, in welchem zwei Tschechen, Jirecek und Habietinek, saßen, spannte die Erwartungen der Tschechen aufs höchste; ein Ausgleich, welcher den Tschechen eine ähnliche Stellung wie den Magyaren gegeben hätte, schien auch nahe bevorzustehen, als infolge des allgemeinen entrüsteten Widerstandes der Deutschen in der ganzen Monarchie, welche schließlich auch an den Ungarn Unterstützung fanden, noch in der letzten Stunde der Kaiser dem auf die tschechischen »Fundamentalartikel« basierten Ausgleich seine Genehmigung versagte, womit die Entlassung des Ministeriums Hohenwart verbunden war.
Das verfassungstreue Ministerium Adolf Auersperg trat den tschechischen Wühlereien mit Energie entgegen, und der Sieg der Verfassungspartei bei den böhmischen Landtagswahlen (April 1872) durchkreuzte für den Augenblick wenigstens die Pläne der Tschechen völlig. Bei den nach der Reichsratswahlordnung von 1873 vorgenommenen Wahlen errangen die Liberalen Böhmens einen glänzenden Sieg. Im böhmischen Landtag, welcher eröffnet wurde, erschien infolge eines im tschechischen Klub gefaßten Beschlusses kein einziger Tscheche, daher die Verhandlungen vollständig im Sinn der Deutschen ausfielen.
Die gänzliche Unfruchtbarkeit der Abstinenzpolikik, welche die Führer der tschechischen Partei bisher befolgt hatten, und das Bündnis derselben mit der feudalen Aristokratie riefen in der Partei selbst eine Spaltung hervor. Den klerikal-feudalen Alttschechen gegenüber bildete sich unter Führung Gregrs die Fraktion der Jungtschechen, welche zwar in staatsrechtlichen Fragen an der Deklaration von 1868 festhalten, aber die liberalen Grundsätze gegen die Ultramontanen verteidigen und zu diesem Zweck in den Landtag und in den Reichsrat eintreten wollte.
Die neue Fraktion brachte es auf nicht mehr als 9 Mitglieder; die weit überwiegende Mehrzahl der Tschechen unter Führung Palackys und Riegers (71) blieb dabei, bei jeder Eröffnung des Landtags ein Promemoria einzureichen, welches in heftiger Sprache [* 19] protestierte und die Beschlüsse des Landtags für ungesetzlich erklärte, worauf die Tschechen ihrer Mandate für verlustig erklärt wurden. Dasselbe thaten die tschechischen Abgeordneten nach Einführung der direkten Reichsratswahlen im Reichsrat mit gleichem Erfolg.
Seit 1879 suchten aber Clam-Martinitz und Rieger Konzessionen vom Premierminister Taaffe zu erlangen und ihren Eintritt in den Reichsrat möglichst zu verklausulieren. Im neuen Ministerium vom 12. Aug. gewannen sie einen Platz ohne Portefeuille für den mährischen Deklarantenführer Prazak. Mitte September suchten die alttschechischen Parteiführer endgültige Verständigung mit den deutsch-österreichischen Föderalisten unter Hohenwart zur Fusionierung aller föderalistischen Fraktionen.
Ihren Eintritt in das Herren- und Abgeordnetenhaus (9. Okt.) eröffnete die Abgabe einer Rechtsverwahrung; derselben folgte die Übergabe eines Memorandums an den Kaiser (16. Nov.). Das Jahr 1880 zeigte das Vorwärtsdrängen des wieder mehr als je selbstbewußt und herrschaftslustig gewordenen Alttschechentums aus der Bahn der Konzessionenforderung, anderseits sein Streben, die Polen zur gemeinsamen Aktion heranzuziehen und sich auch mit den Magyaren zu verständigen, wie dies im Herbst 1880 die Reise Riegers nach Pest kundgab. So erreichten sie denn auch in der Sprachenfrage wesentliche Zugeständnisse und in der Streitfrage wegen der Prager Universität 1882 die Teilung derselben. Während ihre ¶