mehr
darauf sandte ihn die
Regierung an den päpstlichen
Hof
[* 2] in
Avignon, um mit
Innocenz VI. über das bei der erwarteten Ankunft
Kaiser
Karls IV. zu beobachtende
Verfahren zu verhandeln. 1359 stattete er seinem
Freund
Petrarca in
Mailand
[* 3] einen Besuch ab, und
bei dieser Gelegenheit gelang es letzterm, den sinnlichen Genüssen übermäßig ergebenen Boccaccio
zu
einer Änderung seiner bis dahin ziemlich leichtfertigen Lebensweise zu veranlassen. Er gab sich seitdem mehr als bis dahin
religiösen Betrachtungen und Übungen hin; doch steht es nicht ganz fest, daß er, wie einige behaupten, in den geistlichen
Stand getreten sei. Nachdem sich die florentinische
Regierung in den nächsten
Jahren seiner noch mehrmals
zu diplomatischen Sendungen bedient hatte, erteilte sie ihm 1373 den ehrenvollen Auftrag, öffentliche Vorlesungen über
Dantes
»Divina commedia« zu halten, die er im
Oktober d. J. begann. Er starb aber schon in
Certaldo. Nach länger
als 500
Jahren (Juni 1879) wurde ihm daselbst auf der
Piazza
Solferino
[* 4] ein Denkmal errichtet.
Boccaccios
Werke sind sehr zahlreich und sowohl in italienische als in lateinischer
Sprache
[* 5] geschrieben. Von den italienischen
in gebundener
Rede ist seine »Teseide« (erste Ausg.,
Ferrara
[* 6] 1475),
auch »Amazonide« genannt, das älteste romantische
Epos
der
Italiener, der genannten
Prinzessin
Maria gewidmet. Es besteht aus zwölf
Gesängen in
Ottaven, und sollte
Boccaccio
, wie von den meisten angenommen wird, der Erfinder dieser Strophenform sein, der schönsten, die für diese
Gattung der
Dichtkunst gefunden werden konnte, so würde er sich schon dadurch allein ein hohes
Verdienst erworben haben. Im
übrigen ist das Gedicht weder dem
Inhalt noch dem
Stil nach von großem Wert. Ein andres langes Gedicht:
»Amorosa visione« (noch ungedruckt),
besteht aus 50
Gesängen in
Terzinen und ist ebenfalls der
Prinzessin gewidmet in zwei
Sonetten und einer
Kanzone, die in den Anfangsbuchstaben jedes
Terzetts versteckt sind. »Ninfale Fiesolano« (zuerst Vened.
1477) und »Il Filostrato« (das.
1480; deutsch von
Beaulieu-Marconnay, Berl. 1884), welches die
Liebe von Troilus und Cressida besingt, sind gleichfalls romantische
Gedichte in
Ottaven. Dazu kommt noch eine
Reihe von
Sonetten und
Kanzonen. Von allen diesen Werken war Boccaccio
selbst nicht sehr erbaut
und soll manche andre verbrannt haben, als ihm
Petrarcas Gedichte bekannt wurden.
Das Urteil seiner Landsleute hat sein eignes bestätigt, denn weder bei seinen Zeitgenossen noch bei der Nachwelt haben diese Gedichte großen Anklang gefunden. Von seinen Prosawerken ist wahrscheinlich das älteste, »Filocopo« (zuerst Vened. 1472),
eine weitschweifige und schwülstige Bearbeitung der französischen Sage von Flor und Blancheflor. Besser geschrieben ist »L'amorosa Fiammetta« in 7 Büchern, die Liebesklagen der von ihrem Geliebten verlassenen Fiammetta enthaltend (erster Druck, Padua [* 7] 1472; deutsch unter andern von Diezel und Kurz mit dem »Decamerone«, Stuttg. 1855). Ferner sind zu nennen: »Il Corbaccio, o Labirinto d'amore« (zuerst Flor. 1487),
eine heftige Satire auf das weibliche Geschlecht;
»L'Ameto« (zuerst Rom [* 8] 1478),
ein Schäferroman, aus Prosa und Versen gemischt;
seine Biographie Dantes: »Origine, vita e costumi di Dante Alighieri«, zwar sehr viel Romanhaftes enthaltend, aber durch die Schreibart ausgezeichnet, und der »Commento sopra la Commedia di Dante« (beste Ausg. von Milanesi, Flor. 1863, 2 Bde.), der zwar nur bis zum 17. Gesang der Hölle reicht, aber mancherlei wertvolle Aufschlüsse gibt.
Der große
Ruhm Boccaccios
gründet
sich indessen
auf keins der vorhergenannten Werke, sondern einzig und allein auf sein
»Decamerone«, welches durch die außerordentliche
Schönheit der
Sprache und des
Stils ein
Muster für alle Folgezeit geworden ist und seinem Verfasser mit
vollem
Rechte den
Namen eines
»Vaters der italienischen
Prosa« und somit den des dritten Begründers der italienischen Litteratur
neben
Dante und
Petrarca erworben hat. Das
»Decamerone« ist eine Sammlung von 100
Novellen, die nach orientalischer
Weise durch
einen
Rahmen miteinander verbunden sind, indem der Dichter sie von einer
Gesellschaft von zehn jungen Leuten
beiderlei
Geschlechts, die während der
Pest aus
Florenz
[* 9] geflüchtet sind, zu ihrer gegenseitigen Unterhaltung nach der
Reihe
während zehn
Tagen (daher der
Name) erzählen läßt.
Die allerwenigsten dieser Geschichten, welche der mannigfachsten Art und teils tiefernsten und rührenden, teils heitern, ja ausgelassenen Inhalts sind, scheinen von seiner Erfindung zu sein. Die meisten sind nachweislich teils aus französischen »Fabliaux«, teils aus der ältern Sammlung der »Cento novelle antiche« geschöpft, teils gründen sie sich auf wahre Begebenheiten. Die Verschiedenheit der dem Leser vorgeführten Menschenklassen und Persönlichkeiten, ihre vortreffliche Charakteristik, die Mannigfaltigkeit der Begebenheiten, der reizvolle Wechsel von Ernst und Scherz, die Anmut der Erzählungsweise, verbunden mit der Fülle und Gewandtheit der Sprache, haben das »Decamerone« nicht nur zu einer Lieblingslektüre der Italiener aller Zeiten gemacht, sondern ihm eine Bedeutung für die Weltlitteratur erworben.
Beeinträchtigt wird sein Wert allerdings durch die nur allzu oft frivole Behandlung sittlicher Verhältnisse und den bis zur Schlüpfrigkeit freien Inhalt eines Teils der Erzählungen, weshalb das »Decamerone« stets mit Recht als verderblich für jugendliche Gemüter erklärt worden ist. Doch fällt dieser Fehler nicht allein dem leichtfertigen Sinn des Dichters, sondern der ganzen Richtung seiner Zeit zur Last. Das »Decamerone« ist unendlich oft gedruckt und wiederholt in alle gebildeten Sprachen übersetzt worden.
Die erste Ausgabe desselben, die sogen. Deo gratias-Ausgabe, erschien ohne Angabe des Jahrs und des Orts, die zweite in Venedig [* 10] 1471, beide in Folio und sehr selten; außerdem brachte das 15. Jahrh. noch elf Ausgaben. Sehr geschätzt wegen ihrer Korrektheit wird die Florentiner [* 11] Ausgabe von 1527 (die sogen. »Ventisettana«). Weitere Ausgaben sind: Lyon [* 12] 1555;
Amsterdam [* 13] (Elzevir) 1665;
1768, 3 Bde.;
nach einer Handschrift Amaretto Manellis vom Jahr 1384, Lucca [* 16] 1761;
von Poggiali, Livorno [* 17] 1789-90, 4 Bde., und die Pisaner 1815, 4 Bde.;
die kritische Ausgabe von Biagoli mit historisch-litterarischem Kommentar (Par. 1823, 5 Bde.);
die von Ugo Foscolo mit geschichtlicher Einleitung (Lond. 1825, 3 Bde.) und namentlich die von Fanfani (Flor. 1857, 2 Bde.; dazu als 3. Bd. die berühmten »Annotazioni dei deputati«).
Eine gute Textausgabe enthält Brockhaus' »Biblioteca d'autori italiani« (Leipz. 1861, 2 Bde.). Außerdem gibt es zahlreiche Auswahlen der nicht anstößigen Novellen, so: »Trenta novella« (Flor. 1859). Bereits um 1471 wurde das »Decamerone« ins Deutsche [* 18] von Heinrich Steinhöwel übertragen (hrsg. von Keller, Stuttg., Litterar. Verein 1860); neuere deutsche Übersetzungen lieferten Soltau (Berl. 1803, 3 Bde.; neue Ausg. 1884),
Schaum (Quedlinb. 1827, 6 Bde.), Ortlepp (Stuttg. 1841, 8 Bde.), Witte (3. Aufl., Leipz. 1859, 3 Bde.), Diezel und G. Kurz ¶
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(Stuttg. 1855). Eine Übersicht der Ausgaben gibt Passano, »I novellieri italiani in prosa« (2. Ausg.,
Turin
[* 20] 1878); über die Quellen handeln Landau
[* 21] in »Quellen des Dekameron« (2. Aufl., Stuttg. 1884) und Bartoli, »I precursori del
e alcune delle sue fonti« (Flor. 1876). Boccaccios
»Opere complete« gab Moutier heraus (Flor. 1827-33, 17 Bde.),
eine Auswahl in deutscher Übersetzung Röder (»Boccaccios
Romane und Novellen«, Stuttg. 1844, 4 Bde.).
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In lateinischer Sprache schrieb Boccaccio
außer verschiedenen mythologischen und historischen Abhandlungen: »De genealogia deorum«, 15 Bücher;
»De montibus, silvis, fontibus, fluminibus, stagnis etc.«, in alphabetischer Ordnung;
»De casibus virorum et feminarum illustrium«;
»De claris mulieribus«;
Vgl. Hortis, Studj sulle opere latine del Boccaccio
(Triest
[* 22] 1879).
Über Boccaccios
Leben schrieben Manetti (hrsg. von Mehus),
Manni (in der »Storia del Decamerone«, Flor. 1742),
Mazzuchelli,
Tiraboschi und namentlich Graf Baldelli (das. 1806). Neue Aufschlüsse gibt das Memorandumbuch Boccaccios
, welches Ciampi in
Florenz aufgefunden und als »Monumenti d'un manuscritto autografo di Giovanni Boccaccio« (Flor. 1827) herausgegeben hat.
Vgl. Landau, Boccaccio, sein Leben und seine Werke (Stuttg. 1877);